geschriebenWinter 1896--97
PERSONEN
DIE DIRNE
DER SOLDAT
DAS STUBENMÄDCHEN
DER JUNGE HERR
DIE JUNGE FRAU
DER EHEGATTE
DAS SÜSSE MÄDEL
DER DICHTER
DIE SCHAUSPIELERIN
DER GRAF
DIE DIRNEUND DER SOLDAT
Spätabends. An der Augartenbrücke.
Soldat kommt pfeifend, will nach Hause.
DIRNE
Komm, mein schöner Engel.
Soldat wendet sich um und geht wieder weiter.
DIRNE
Willst du nicht mit mir kommen?
SOLDAT
Ah, ich bin der schöne Engel?
DIRNE
Freilich, wer denn? Geh, komm zu mir.Ich wohn' gleich in der Näh'.
SOLDAT
Ich hab' keine Zeit. Ich muß in die Kasern'!
DIRNE
In die Kasern' kommst immer noch zurecht.Bei mir is besser.
SOLDAT
ihr nahe:
Das ist schon möglich.
DIRNE
Pst. Jeden Moment kann ein Wachmann kommen.
SOLDAT
Lächerlich! Wachmann! Ich hab' auch mein Seiteng'wehr!
DIRNE
Geh, komm mit.
SOLDAT
Laß mich in Ruh'. Geld hab' ich eh keins.
DIRNE
Ich brauch' kein Geld.
SOLDAT
bleibt stehen. Sie sind bei einer Laterne.
Du brauchst kein Geld? Wer bist denn dunachher?
DIRNE
Zahlen tun mir die Zivilisten. So einer wie du,kann's immer umsonst bei mir haben.
SOLDAT
Du bist am End' die, von der mir der Hubererzählt hat. —
DIRNE
Ich kenn' kein Huber nicht.
SOLDAT
Du wirst schon die sein. Weißt — in demKaffeehaus in der Schiffgassen — von dort ister mit dir z' Haus gangen.
DIRNE
Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielenz' Haus gangen... oh! oh! —
SOLDAT
Also gehn wir, gehn wir.
DIRNE
Was, jetzt hast's eilig?
SOLDAT
Na, worauf soll'n wir noch warten? Und umzehn muß ich in der Kasern' sein.
DIRNE
Wie lang dienst denn schon?
SOLDAT
Was geht denn das dich an? Wohnst weit?
DIRNE
Zehn Minuten zum Gehn.
SOLDAT
Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.
DIRNE
küßt ihn.
Das ist mir eh das liebste, wenn ich einen gernhab'!
SOLDAT
Mir nicht. Nein, ich geh' nicht mit dir, es istmir zu weit.
DIRNE
Weißt was, komm morgen am Nachmittag.
SOLDAT
Gut is. Gib mir deine Adresse.
DIRNE
Aber du kommst am End' nicht.
SOLDAT
Wenn ich dir's sag'!
DIRNE
Du, weißt was — wenn's dir zu weit ist heutAbend zu mir — da... da...
weist auf dieDonau.
SOLDAT
Was ist das?
DIRNE
Da ist auch schön ruhig... jetzt kommt keinMensch.
SOLDAT
Ah, das ist nicht das Rechte.
DIRNE
Bei mir is immer das Rechte. Geh, bleib jetztbei mir. Wer weiß, ob wir morgen noch's Leben haben.
SOLDAT
So komm — aber g'schwind!
DIRNE
Gib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutschst, liegst in der Donau.
SOLDAT
Wär' eh das Beste.
DIRNE
Pst, so wart nur ein bissel. Gleich kommenwir zu einer Bank.
SOLDAT
Kennst dich da gut aus.
DIRNE
So einen wie dich möcht' ich zum Geliebten.
SOLDAT
Ich tät dir zu viel eifern.
DIRNE
Das möcht ich dir schon abgewöhnen.
SOLDAT
Ha —
DIRNE
Nicht so laut. Manchmal is doch, daß sich einWächter her verirrt. Sollt man glauben, daß wirda mitten in der Wienerstadt sind?
SOLDAT
Daher komm, daher.
DIRNE
Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen, liegen wir im Wasser unten.
SOLDAT
hat sie gepackt.
Ah, du —
DIRNE
Halt dich nur fest an.
SOLDAT
Hab' kein Angst...
DIRNE
Auf der Bank wär's schon besser gewesen.
SOLDAT
Da oder da... Na, krall aufi.
DIRNE
Was läufst denn so —
SOLDAT
Ich muß in die Kasern', ich komm' eh schon zuspät.
DIRNE
Geh, du, wie heißt denn?
SOLDAT
Was interessiert dich denn das, wie ich heiß?
DIRNE
Ich heiß Leocadia.
SOLDAT
Ha! — So an Namen hab' ich auch noch niegehört.
DIRNE
Du!
SOLDAT
Na, was willst denn?
DIRNE
Geh, ein Sechserl für 'n Hausmeister gib mirwenigstens!
SOLDAT
Ha!... Glaubst, ich bin deine Wurzen...Servus! Leocadia...
DIRNE
Strizzi! Fallott! —
Er ist verschwunden.
DER SOLDAT UNDDAS STUBENMÄDCHEN
Prater. Sonntagabend.Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkelnAlleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik ausdem Wurstelprater, auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt. DerSoldat. Das Stubenmädchen.
STUBENMÄDCHEN
Jetzt sagen S' mir aber, warum S' durchausschon haben fortgehen müssen.
Soldat lacht verlegen, dumm.
STUBENMÄDCHEN
Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz' sogern.
Soldat faßt sie um die Taille.
STUBENMÄDCHEN
läßt’s geschehen.
Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum haltenS' mich so fest?
SOLDAT
Wie heißen S'? Kathi?
STUBENMÄDCHEN
Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.
SOLDAT
Ich weiß, ich weiß schon... Marie.
STUBENMÄDCHEN
Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg' so eineAngst.
SOLDAT
Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S' Ihnennicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!
STUBENMÄDCHEN
Aber wohin kommen wir denn da? Da ist jakein Mensch mehr. Kommen S', gehn wir zurück! — Und so dunkel!
SOLDAT
zieht an seiner Virginierzigarre, daß das roteEnde leuchtet.
's wird schon lichter. Haha! O, du Schatzerl!
STUBENMÄDCHEN
Ah, was machen S' denn? Wenn ich das gewußt hätt'!
SOLDAT
Also der Teufel soll mich holen, wenn eineheut beim Swoboda mollerter gewesen ist alsSie, Fräul'n Marie.
STUBENMÄDCHEN
Haben S' denn bei allen so probiert?
SOLDAT
Was man so merkt, beim Tanzen. Da merktman gar viel! Ha!
STUBENMÄDCHEN
Aber mit der blonden mit dem schiefen Gesicht haben S' doch mehr tanzt als mitmir.
SOLDAT
Das ist eine alte Bekannte von einem meinigenFreund.
STUBENMÄDCHEN
Von dem Korporal mit dem aufdrehten Schnurrbart?
SOLDAT
Ah nein, das ist der Zivilist gewesen, wissenS', der im Anfang am Tisch mit mir g'sessenist, der so heisrig red't.
STUBENMÄDCHEN
Ah, ich weiß schon. Das ist ein keckerMensch.
SOLDAT
Hat er Ihnen was tan? Dem möcht ich's zeigen!Was hat er Ihnen tan?
STUBENMÄDCHEN
Oh nichts — ich hab' nur gesehn, wie er mitdie andern ist.
SOLDAT
Sagen S', Fräulein Marie...
STUBENMÄDCHEN
Sie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.
SOLDAT
Pahdon! — Fräul'n Marie. Sagen wir uns Du.
STUBENMÄDCHEN
Wir sein noch nicht so gute Bekannte. —
SOLDAT
Es können sich gar viele nicht leiden und sagendoch Du zueinander.
STUBENMÄDCHEN
's nächstemal, wenn wir... Aber, HerrFranz —
SOLDAT
Sie haben sich meinen Namen g'merkt?
STUBENMÄDCHEN
Aber, Herr Franz...
SOLDAT
Sagen S' Franz, Fräulein Marie.
STUBENMÄDCHEN
So sein S' nicht so keck — aber pst, wenn werkommen tät!
SOLDAT
Und wenn schon einer kommen tät, man siehtja nicht zwei Schritt weit.
STUBENMÄDCHEN
Aber um Gotteswillen, wohin kommen wirdenn da?
SOLDAT
Sehn S', da sind zwei grad wie mir.
STUBENMÄDCHEN
Wo denn? Ich seh' gar nichts.
SOLDAT
Da... vor uns.
STUBENMÄDCHEN
Warum sagen S' denn: zwei wie mir?
SOLDAT
Na, ich mein' halt, die haben sich auch gern.
STUBENMÄDCHEN
Aber geben S' doch acht, was ist denn da, jetztwär ich beinah g'fallen.
SOLDAT
Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.
STUBENMÄDCHEN
Stoßen S' doch nicht so, ich fall' ja um.
SOLDAT
Pst, nicht so laut.
STUBENMÄDCHEN
Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. — Aber wasmachen S' denn... aber —
SOLDAT
Da ist jetzt weit und breit keine Seel'.
STUBENMÄDCHEN
So gehn wir zurück, wo Leut' sein.
SOLDAT
Wir brauchen keine Leut', was, Marie, wir brauchen... dazu... haha.
STUBENMÄDCHEN
Aber, Herr Franz, bitt' Sie, um Gotteswillen, schaun S', wenn ich das... gewußt... oh... oh... komm!...
SOLDAT
selig.
Herrgott noch einmal... ah...
STUBENMÄDCHEN
... Ich kann dein G'sicht gar nicht sehn.
SOLDAT
A was — G'sicht...
SOLDAT
Ja, Sie, Fräul'n Marie, da im Gras können S'nicht liegen bleiben.
STUBENMÄDCHEN
Geh, Franz, hilf mir.
SOLDAT
Na, komm zugi.
STUBENMÄDCHEN
Oh Gott, Franz.
SOLDAT
Na ja, was ist denn mit dem Franz?
STUBENMÄDCHEN
Du bist ein schlechter Mensch, Franz.
SOLDAT
Ja, ja. Geh, wart ein bissel.
STUBENMÄDCHEN
Was laßt mich denn aus?
SOLDAT
Na, die Virginier werd' ich mir doch anzündendürfen.
STUBENMÄDCHEN
Es ist so dunkel.
SOLDAT
Morgen früh ist schon wieder licht.
STUBENMÄDCHEN
Sag wenigstens, hast mich gern?
SOLDAT
Na, das mußt doch g'spürt haben, Fräul'nMarie, ha!
STUBENMÄDCHEN
Wohin gehn wir denn?
SOLDAT
Na, zurück.
STUBENMÄDCHEN
Geh, bitt' dich, nicht so schnell!
SOLDAT
Na, was ist denn? Ich geh' nicht gern in derFinstern.
STUBENMÄDCHEN
Sag, Franz, hast mich gern?
SOLDAT
Aber grad hab' ich's g'sagt, daß ich dich gernhab'!
STUBENMÄDCHEN
Geh, willst mir nicht ein Pussel geben?
SOLDAT
gnädig.
Da... Hörst — jetzt kann man schon wiederdie Musik hören.
STUBENMÄDCHEN
Du möchtst am End' gar wieder tanzen gehn?
SOLDAT
Na freilich, was denn?
STUBENMÄDCHEN
Ja, Franz, schau, ich muß zuhaus gehn. Siewerden eh schon schimpfen, mei Frau ist soeine... die möcht am liebsten, man ginggar nicht fort.
SOLDAT
Na ja, geh halt zuhaus.
STUBENMÄDCHEN
Ich hab' halt dacht, Herr Franz, Sie werdenmich z'haus führen.
SOLDAT
Z'hausführen? Ah!
STUBENMÄDCHEN
Gehn S', es ist so traurig, allein z'haus gehn.
SOLDAT
Wo wohnen S' denn?
STUBENMÄDCHEN
Es ist gar nicht so weit — in der Porzellangasse.
SOLDAT
So? Ja, da haben wir ja einen Weg... aberjetzt ist's mir zu früh... jetzt wird noch draht,heut hab' ich über Zeit... vor zwölf brauch'ich nicht in der Kasern' zu sein. I geh' nochtanzen.
STUBENMÄDCHEN
Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blondemit dem schiefen Gesicht dran!
SOLDAT
Ha! — Der ihr G'sicht ist gar nicht so schief.
STUBENMÄDCHEN
Oh Gott, sein die Männer schlecht. Was, Siemachens sicher mit einer jeden so.
SOLDAT
Das wär z'viel! —
STUBENMÄDCHEN
Franz, bitt schön, heut nimmer, — heut bleiben S' mit mir, schaun S' —
SOLDAT
Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd' ichdoch noch dürfen.
STUBENMÄDCHEN
Ich tanz' heut mit kein mehr!
SOLDAT
Da ist er ja schon...
STUBENMÄDCHEN
Wer denn?
SOLDAT
Der Swoboda! Wie schnell wir wieder dasein. Noch immer spielen s' das... tadaradatadarada singt mit... Also, wannst auf michwarten willst, so führ' ich dich z'haus ...wenn nicht... Servus —
STUBENMÄDCHEN
Ja, ich werd' warten.
Sie treten in den Tanzsaal ein.
SOLDAT
Wissen S', Fräul'n Marie, ein Glas Bier lassen S'Ihnen geben. Zu einer Blonden sich wendend, die ebenmit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutsch: MeinFräulein, darf ich bitten? —
DAS STUBENMÄDCHENUND DER JUNGE HERR
Heißer Sommernachmittag. — Die Eltern sind schon aufdem Lande. — Die Köchin hat Ausgang. — Das Stubenmädchen schreibt in der Küche einen Brief an den Soldaten,der ihr Geliebter ist. Es klingelt aus dem Zimmer desjungen Herrn. Sie steht auf und geht ins Zimmer desjungen Herrn.Der junge Herr liegt auf dem Diwan, raucht, und liesteinen französischen Roman.
DAS STUBENMÄDCHEN
Bitt' schön, junger Herr?
DER JUNGE HERR
Ah ja, Marie, ah ja, ich hab' geläutet, ja...was hab' ich nur... ja richtig, die Roulettenlassen S' herunter, Marie... Es ist kühler,wenn die Rouletten unten sind... ja...
Das Stubenmädchen geht zum Fenster und läßt die Rouletten herunter. DER JUNGE HERR liest weiter.
Was machen S' denn, Marie? Ah ja. Jetztsieht man aber gar nichts zum Lesen.
DAS STUBENMÄDCHEN
Der junge Herr ist halt immer so fleißig.
DER JUNGE HERR
überhört das vornehm:
So, ist gut.
Marie geht. DER JUNGE HERR versucht weiterzulesen; läßt bald das Buch fallen, klingelt wieder. DAS STUBENMÄDCHEN erscheint.
Sie, Marie... ja, was ich habe sagen wollen...ja... ist vielleicht ein Kognak zu Haus?
DAS STUBENMÄDCHEN
Ja, der wird eingesperrt sein.
DER JUNGE HERR
Na, wer hat denn die Schlüssel?
DAS STUBENMÄDCHEN
Die Schlüssel hat die Lini.
DER JUNGE HERR
Wer ist die Lini?
DAS STUBENMÄDCHEN
Die Köchin, Herr Alfred.
DER JUNGE HERR
Na, so sagen S' es halt der Lini.
DAS STUBENMÄDCHEN
Ja, die Lini hat heut Ausgang.
DER JUNGE HERR
So...
DAS STUBENMÄDCHEN
Soll ich dem jungen Herrn vielleicht aus demKaffeehaus...
DER JUNGE HERR
Ah nein... es ist so heiß genug. Ich brauch'keinen Kognak. Wissen S', Marie, bringen Siemir ein Glas Wasser. Pst, Marie — aber laufenlassen, daß es recht kalt ist. —
Das Stubenmädchen ab. Der Junge Herrsieht ihr nach, bei der Tür wendetsich das Stubenmädchen nach ihm um; der junge Herrschaut in die Luft. — Das Stubenmädchen dreht den Hahnder Wasserleitung auf, läßt das Wasser laufen. Währenddem geht sie in ihr kleines Kabinett, wäscht sich die Hände,richtet vor dem Spiegel ihre Schneckerln. Dann bringt siedem jungen Herrn das Glas Wasser. Sie tritt zum Diwan. Der Junge Herr richtet sich zur Hälfte auf, dasStubenmädchen gibt ihm das Glas in die Hand, ihreFinger berühren sich.
DER JUNGE HERR
So, danke. — Na, was ist denn? — Geben Sieacht; stellen Sie das Glas wieder auf die Tasse...Er legt sich hin und streckt sich aus. Wie spät ist’sdenn? —
DAS STUBENMÄDCHEN
Fünf Uhr, junger Herr.
DER JUNGE HERR
So, fünf Uhr. — Ist gut. —
Das Stubenmädchen geht bei der Tür wendet siesich um; der junge Herr hat ihr nachgeschaut; sie merktes und lächelt. Der Junge Herr bleibt eine Weile liegen, dann stehter plötzlich auf. Er geht bis zur Tür, wieder zurück, legtsich auf den Diwan. Er versucht wieder zu lesen. Nachein paar Minuten klingelt er wieder. Das Stubenmädchen erscheint mit einem Lächeln, das sie nicht zu verbergen sucht.
DER JUNGE HERR
Sie, Marie, was ich Sie hab' fragen wollen.War heut vormittag nicht der Doktor Schüllerda?
DAS STUBENMÄDCHEN
Nein, heut vormittag war niemand da.
DER JUNGE HERR
So, das ist merkwürdig. Also der Doktor Schüllerwar nicht da? Kennen Sie überhaupt den Doktor Schüller?
DAS STUBENMÄDCHEN
Freilich. Das ist der große Herr mit demschwarzen Vollbart.
DER JUNGE HERR
Ja. War er vielleicht doch da?
DAS STUBENMÄDCHEN
Nein, es war niemand da, junger Herr.
DER JUNGE HERR
entschlossen.
Kommen Sie her, Marie.
DAS STUBENMÄDCHEN
tritt etwas näher.
Bitt' schön.
DER JUNGE HERR
Näher... so... ah... ich hab' nur geglaubt...
DAS STUBENMÄDCHEN
Was haben der junge Herr?
DER JUNGE HERR
Geglaubt... geglaubt hab' ich — Nur wegenIhrer Blusen... Was ist das für eine...Na, kommen S' nur näher. Ich beiß' Sie janicht.
DAS STUBENMÄDCHEN
kommt zu ihm.
Was ist mit meiner Blusen? G'fallt sie demjungen Herrn nicht?
DER JUNGE HERR
faßt die Bluse an, wobei er dasStubenmädchen zu sich herabzieht.
Blau? Das ist ganz ein schönes Blau. Einfach. Sie sind sehr nett angezogen, Marie.
DAS STUBENMÄDCHEN
Aber junger Herr...
DER JUNGE HERR
Na, was ist denn?... er hat ihre Bluse geöffnet.Sachlich: Sie haben eine schöne weiße Haut,Marie.
DAS STUBENMÄDCHEN
Der junge Herr tut mir schmeicheln.
DER JUNGE HERR
küßt sie auf die Brust.
Das kann doch nicht weh tun.
DAS STUBENMÄDCHEN
O nein.
DER JUNGE HERR
Weil Sie so seufzen! Warum seufzen Sie denn?
DAS STUBENMÄDCHEN
Oh, Herr Alfred...
DER JUNGE HERR
Und was Sie für nette Pantoffeln haben...
DAS STUBENMÄDCHEN
... Aber... junger Herr... wenn's draußen läut' —
DER JUNGE HERR
Wer wird denn jetzt läuten?
DAS STUBENMÄDCHEN
Aber junger Herr... schaun S'... es istso licht...
DER JUNGE HERR
Vor mir brauchen Sie sich nicht zu genieren.Sie brauchen sich überhaupt vor niemandem... wenn man so hübsch ist. Ja, meiner Seel;Marie, Sie sind... Wissen Sie, Ihre Haareriechen sogar angenehm.
DAS STUBENMÄDCHEN
Herr Alfred...
DER JUNGE HERR
Machen Sie keine solchen Geschichten, Marie...ich hab' Sie schon anders auch geseh'n. Wieich neulich in der Nacht nach Haus gekommenbin, und mir Wasser geholt hab', — da ist dieTür zu Ihrem Zimmer offen gewesen...na...
DAS STUBENMÄDCHEN
verbirgt ihr Gesicht.
Oh Gott, aber das hab' ich gar nicht gewußt, daß der Herr Alfred so schlimm seinkann.
DER JUNGE HERR
Da hab' ich sehr viel gesehen... das...und das... und das... und —
DAS STUBENMÄDCHEN
Aber, Herr Alfred!
DER JUNGE HERR
Komm, komm... daher... so, ja so...
DAS STUBENMÄDCHEN
Aber wenn jetzt wer läutet —
DER JUNGE HERR
Jetzt hören Sie schon einmal auf... machtman höchstens nicht auf...
Es klingelt.
DER JUNGE HERR
Donnerwetter... Und was der Kerl füreinen Lärm macht. — Am End' hat der schonfrüher geläutet und wir haben's nicht gemerkt.
STUBENMÄDCHEN
Oh, ich hab' alleweil aufgepaßt.
DER JUNGE HERR
Na, so schaun S' endlich nach — durchsGuckerl. —
DAS STUBENMÄDCHEN
Herr Alfred... Sie sind aber... nein... so schlimm.
DER JUNGE HERR
Bitt' Sie, schaun S' jetzt nach...
Das Stubenmädchen geht ab. Der Junge Herr öffnet rasch die Rouleaux. Das Stubenmädchen erscheint wieder.
DAS STUBENMÄDCHEN
Der ist jedenfalls schon wieder weggangen.Jetzt ist niemand mehr da. Vielleicht ist es derDoktor Schüller gewesen.
DER JUNGE HERR
ist unangenehm berührt.
Es ist gut.
Das Stubenmädchen nähert sich ihm.Der Junge Herr entzieht sich ihr.
— Sie, Marie, — ich geh' jetzt ins Kaffeehaus.
DAS STUBENMÄDCHEN
zärtlich.
Schon... Herr Alfred.
DER JUNGE HERR
streng.
Ich geh' jetzt ins Kaffeehaus. Wenn der DoktorSchüller kommen sollte —
DAS STUBENMÄDCHEN
Der kommt heut nimmer.
DER JUNGE HERR
noch strenger.
Wenn der Doktor Schüller kommen sollte, ich,ich ... ich bin — im Kaffeehaus.
Geht ins andere Zimmer.
Das Stubenmädchen nimmt eine Zigarre vom Rauchtisch,steckt sie ein und geht ab.
DER JUNGE HERR UNDDIE JUNGE FRAU
Abend. — Ein mit banaler Eleganz möblierter Salon ineinem Hause der Schwindgasse.
Der junge Herr ist eben eingetreten, zündet, während ernoch den Hut auf dem Kopf und den Überzieher anhat,die Kerzen an. Dann öffnet er die Tür zum Nebenzimmer und wirft einen Blick hinein. Von den Kerzendes Salons geht der Lichtschein über das Parkett bis zueinem Himmelbett, das an der abschließenden Wand steht.Von dem Kamin in einer Ecke des Schlafzimmers verbreitet sich ein rötlicher Lichtschein auf die Vorhängedes Bettes. — Der junge Herr besichtigt auch das Schlafzimmer. Von dem Trumeau nimmt er einen Sprayapparatund bespritzt die Bettpolster mit feinen Strahlen vonVeilchenparfüm. Dann geht er mit dem Sprayapparatdurch beide Zimmer und drückt unaufhörlich auf denkleinen Ballon, so daß es bald überall nach Veilchenriecht. Dann legt er Überzieher und Hut ab. Er setztsich auf das blausamtene Fauteuil, zündet sich eineZigarette an und raucht. Nach einer kleinen Weile erhebter sich wieder und vergewissert sich, daß die grünenJalousien geschlossen sind. Plötzlich geht er wieder insSchlafzimmer, öffnet die Lade des Nachtkästchens. Erfühlt hinein und findet eine Schildkrothaarnadel. Er suchtnach einem Ort, sie zu verstecken, gibt sie endlich indie Tasche seines Überziehers. Dann öffnet er einenSchrank, der im Salon steht, nimmt eine silberne Tassemit einer Flasche Kognak und zwei Likörgläschen heraus,stellt alles auf den Tisch. Er geht wieder zu seinemÜberzieher, aus dem er jetzt ein kleines weißes Päckchennimmt. Er öffnet es und legt es zum Kognak, gehtwieder zum Schrank, nimmt zwei kleine Teller undEßbestecke heraus. Er entnimmt dem kleinen Paket eineglasierte Kastanie und ißt sie. Dann schenkt er sich einGlas Kognak ein und trinkt es rasch aus. Dann sieht erauf seine Uhr. Er geht im Zimmer auf und ab. — Vordem großen Wandspiegel bleibt er eine Weile stehen,richtet mit seinem Taschenkamm das Haar und den kleinenSchnurrbart. — Er geht nun zur Vorzimmertür und horcht.Nichts regt sich. Dann zieht er die blauen Portieren, dievor der Schlafzimmertür angebracht sind, zusammen. Esklingelt. Der junge Herr fährt leicht zusammen. Dann setzt er sich auf den Fauteuil und erhebt sich erst, alsdie Tür geöffnet wird und die junge Frau eintritt. —
Die Junge Frau dicht verschleiert, schließt die Türhinter sich, bleibt einen Augenblick stehen, indem sie dielinke Hand aufs Herz legt, als müsse sie eine gewaltigeErregung bemeistern.
DER JUNGE HERR
tritt auf sie zu, nimmt ihre linkeHand und drückt auf den weißen, schwarz tamburiertenHandschuh einen Kuß. Er sagt leise:
Ich danke Ihnen.
DIE JUNGE FRAU
Alfred — Alfred!
DER JUNGE HERR
Kommen Sie, gnädige Frau... Kommen Sie,Frau Emma...
DIE JUNGE FRAU
Lassen Sie mich noch eine Weile — bitte...oh, bitte sehr, Alfred!
Sie steht noch immer an der
Tür.
Der Junge Herr steht vor ihr, hält ihre Hand.
DIE JUNGE FRAU
Wo bin ich denn eigentlich?
DER JUNGE HERR
Bei mir.
DIE JUNGE FRAU
Dieses Haus ist schrecklich, Alfred.
DER JUNGE HERR
Warum denn? Es ist ein sehr vornehmes Haus.
DIE JUNGE FRAU
Ich bin zwei Herren auf der Stiege begegnet.
DER JUNGE HERR
Bekannte?
DIE JUNGE FRAU
Ich weiß nicht. Es ist möglich.
DER JUNGE HERR
Pardon, gnädige Frau — aber Sie kennen dochIhre Bekannten.
DIE JUNGE FRAU
Ich habe ja gar nichts gesehen.
DER JUNGE HERR
Aber wenn es selbst Ihre besten Freundewaren, sie können ja Sie nicht erkannt haben.Ich selbst... wenn ich nicht wüßte, daß Sie essind... dieser Schleier —.
DIE JUNGE FRAU
Es sind zwei.
DER JUNGE HERR
Wollen Sie nicht ein bißchen näher?... UndIhren Hut legen Sie doch wenigstens ab!
DIE JUNGE FRAU
Was fällt Ihnen ein, Alfred? Ich habe Ihnengesagt: Fünf Minuten... Nein, länger nicht... ich schwöre Ihnen —
DER JUNGE HERR
Also den Schleier —
DIE JUNGE FRAU
Es sind zwei.
DER JUNGE HERR
Nun ja, beide Schleier — ich werde Sie dochwenigstens sehen dürfen.
DIE JUNGE FRAU
Haben sie mich denn lieb, Alfred?
DER JUNGE HERR
tief verletzt.
Emma — Sie fragen mich...
DIE JUNGE FRAU
Es ist hier so heiß.
DER JUNGE HERR
Aber Sie haben ja Ihre Pelzmantille an — Siewerden sich wahrhaftig verkühlen.
DIE JUNGE FRAU
tritt endlich ins Zimmer, wirft sichauf den Fauteuil.
Ich bin todmüd.
DER JUNGE HERR
Erlauben Sie.
Er nimmt ihr den Schleier ab; nimmtdie Nadel aus ihrem Hut, legt Hut, Nadel, Schleier beiseite.
Die Junge Frau läßt es geschehen.
Der Junge Herr steht vor ihr, schüttelt den Kopf.
DIE JUNGE FRAU
Was haben Sie?
DER JUNGE HERR
So schön waren Sie noch nie.
DIE JUNGE FRAU
Wieso?
DER JUNGE HERR
Allein... allein mit Ihnen — Emma —
Er läßt sich neben ihrem Fauteuil nieder, auf ein Knie,nimmt ihre beiden Hände und bedeckt sie mit Küssen.
DIE JUNGE FRAU
Und jetzt... lassen Sie mich wieder gehen.Was Sie von mir verlangt haben, hab' ich getan.
Der Junge Herr läßt seinen Kopf auf ihren Schoß sinken.
Sie haben mir versprochen, brav zu sein.
DER JUNGE HERR
Ja.
DIE JUNGE FRAU
Man erstickt in diesem Zimmer.
DER JUNGE HERR
steht auf.
Noch haben Sie Ihre Mantille an.
DIE JUNGE FRAU
Legen Sie sie zu meinem Hut.
Der Junge Herr nimmt ihr die Mantille ab und legt sie gleichfalls auf den Diwan.
Und jetzt — adieu —
DER JUNGE HERR
Emma — ! Emma! —
DIE JUNGE FRAU
Die fünf Minuten sind längst vorbei.
DER JUNGE HERR
Noch nicht eine! —
DIE JUNGE FRAU
Alfred, sagen Sie mir einmal ganz genau, wiespät es ist.
DER JUNGE HERR
Es ist punkt viertel sieben.
DIE JUNGE FRAU
Jetzt sollte ich längst bei meiner Schwester sein.
DER JUNGE HERR
Ihre Schwester können Sie oft sehen...
DIE JUNGE FRAU
Oh Gott, Alfred, warum haben Sie mich dazuverleitet.
DER JUNGE HERR
Weil ich Sie... anbete, Emma.
DIE JUNGE FRAU
Wie vielen haben Sie das schon gesagt?
DER JUNGE HERR
Seit ich Sie gesehen, niemandem.
DIE JUNGE FRAU
Was bin ich für eine leichtsinnige Person! Wermir das vorausgesagt hätte... noch vor achtTagen... noch gestern...
DER JUNGE HERR
Und vorgestern haben Sie mir ja schon versprochen...
DIE JUNGE FRAU
Sie haben mich so gequält. Aber ich habe esnicht tun wollen. Gott ist mein Zeuge —ich habe es nicht tun wollen... Gestern warich fest entschlossen... Wissen Sie, daß ichIhnen gestern abends sogar einen langen Briefgeschrieben habe?
DER JUNGE HERR
Ich habe keinen bekommen.
DIE JUNGE FRAU
Ich habe ihn wieder zerrissen. Oh, ich hätteIhnen lieber diesen Brief schicken sollen.
DER JUNGE HERR
Es ist doch besser so.
DIE JUNGE FRAU
Oh nein, es ist schändlich... von mir. Ich begreife mich selber nicht. Adieu, Alfred, lassen Sie mich.
Der Junge Herr umfaßt sie und bedeckt ihr Gesichtmit heißen Küssen.
DIE JUNGE FRAU
So... halten Sie Ihr Wort...
DER JUNGE HERR
Noch einen Kuß — noch einen.
DIE JUNGE FRAU
Den letzten.
Er küßt sie; sie erwidert den Kuß; ihreLippen bleiben lange aneinandergeschlossen.
DER JUNGE HERR
Soll ich Ihnen etwas sagen, Emma? Ich weißjetzt erst, was Glück ist.
Die Junge Frau sinkt in ein Fanteuil zurück.Der Junge Herr setzt sich auf die Lehne, schlingteinen Arm leicht um ihren Nacken.
.... oder vielmehr ich weiß jetzt erst, wasGlück sein könnte.
Die Junge Frau seufzt tief auf. Der Junge Herr küßt sie wieder.
DIE JUNGE FRAU
Alfred, Alfred, was machen Sie aus mir!
DER JUNGE HERR
Nicht wahr — es ist hier gar nicht so ungemütlich... Und wir sind ja hier so sicher. Es ist doch tausendmal schöner als diese Rendezvous im Freien...
DIE JUNGE FRAU
Oh, erinnern Sie mich nur nicht daran.
DER JUNGE HERR
Ich werde auch daran immer mit tausend Freudendenken. Für mich ist jede Minute, die ich an IhrerSeite verbringen durfte, eine süße Erinnerung.
DIE JUNGE FRAU
Erinnern Sie sich noch an den Industriellenball?
DER JUNGE HERR
Ob ich mich daran erinnere... ? Da bin ich jawährend des Soupers neben Ihnen gesessen,ganz nahe neben Ihnen. Ihr Mann hat Champagner...
Die Junge Frau sieht ihn klagend an.
Ich wollte nur vom Champagner reden. SagenSie, Emma, wollen Sie nicht ein Glas Kognaktrinken?
DIE JUNGE FRAU
Einen Tropfen, aber geben Sie mir vorher einGlas Wasser.
DER JUNGE HERR
Ja... Wo ist denn nur — ach ja...
Er schlägtdie Portiere zurück und geht ins Schlafzimmer. Die Junge Frau sieht ihm nach. Der Junge Herr kommt zurück mit einer Karaffe Wasser und zwei Trinkgläsern.
DIE JUNGE FRAU
Wo waren Sie denn?
DER JUNGE HERR
Im... Nebenzimmer.
Schenkt ein Glas Wasser ein.
DIE JUNGE FRAU
Jetzt werde ich Sie etwas fragen, Alfred — undschwören Sie mir, daß Sie mir die Wahrheitsagen werden.
DER JUNGE HERR
Ich schwöre —
DIE JUNGE FRAU
War in diesen Räumen schon jemals eine andereFrau?
DER JUNGE HERR
Aber Emma — dieses Haus steht schon zwanzigJahre! —
DIE JUNGE FRAU
Sie wissen, was ich meine, Alfred... Mit Ihnen!Bei Ihnen!
DER JUNGE HERR
Mit mir hier — Emma! — Es ist nicht schön,daß Sie an so etwas denken können.
DIE JUNGE FRAU
Also Sie haben... wie soll ich... Abernein, ich will Sie lieber nicht fragen. Es istbesser, wenn ich nicht frage. Ich bin ja selbstschuld. Alles rächt sich.
DER JUNGE HERR
Ja, was haben Sie denn? Was ist Ihnen denn?Was rächt sich?
DIE JUNGE FRAU
Nein, nein, nein, ich darf nicht zum Bewußtsein kommen... Sonst müßte ich vor Scham in die Erde sinken.
DER JUNGE HERR
mit der Karaffe Wasser in der Hand,schüttelt traurig den Kopf.
Emma, wenn Sie ahnen könnten, wie weh Siemir tun.
Die Junge Frau schenkt sich ein Glas Kognak ein.
Ich will Ihnen etwas sagen, Emma. Wenn Siesich schämen, hier zu sein — wenn ich Ihnenalso gleichgültig bin — wenn Sie nicht fühlen,daß Sie für mich alle Seligkeit der Welt bedeuten — so gehn Sie lieber.
DIE JUNGE FRAU
Ja, das werd ich auch tun.
DER JUNGE HERR
sie bei der Hand fassend.
Wenn Sie aber ahnen, daß ich ohne Sie nichtleben kann, daß ein Kuß auf Ihre Handfür mich mehr bedeutet, als alle Zärtlichkeiten, die alle Frauen auf der ganzen Welt... Emma, ich bin nicht wie die anderen jungen Leute, die den Hof machen können — ich bin vielleicht zu naiv... ich...
DIE JUNGE FRAU
Wenn Sie aber doch sind wie die anderenjungen Leute?
DER JUNGE HERR
Dann wären Sie heute nicht da — denn Siesind nicht wie die anderen Frauen.
DIE JUNGE FRAU
Woher wissen Sie das?
DER JUNGE HERR
hat sie zum Diwan gezogen, sichnahe neben sie gesetzt.
Ich habe viel über Sie nachgedacht. Ich weiß,Sie sind unglücklich.
DIE JUNGE FRAU
erfreut.
Ja.
DER JUNGE HERR
Das Leben ist so leer, so nichtig — und dann,— so kurz — so entsetzlich kurz! Es gibt nurein Glück... einen Menschen finden, vondem man geliebt wird —
Die Junge Frau hat eine kandierte Birne vom Tisch genommen, nimmt sie in den Mund.
Mir die Hälfte!
Sie reicht sie ihm mit den Lippen.
DIE JUNGE FRAU
faßt die Hände des jungen Herrn,die sich zu verirren drohen.
Was tun Sie denn, Alfred... Ist das IhrVersprechen.
DER JUNGE HERR
die Birne verschluckend, dann kühner.
Das Leben ist so kurz.
DIE JUNGE FRAU
schwach.
Aber das ist ja kein Grund —
DER JUNGE HERR
mechanisch.
O ja.
DIE JUNGE FRAU
schwächer.
Schauen Sie Alfred, und Sie haben doch versprochen, brav... Und es ist so hell...
DER JUNGE HERR
Komm, komm, du einzige, einzige...
Erhebt sie vom Diwan empor.
DIE JUNGE FRAU
Was machen Sie denn?
DER JUNGE HERR
Da drin ist es gar nicht hell.
DIE JUNGE FRAU
Ist denn da noch ein Zimmer?
DER JUNGE HERR
zieht sie mit.
Ein schönes... und ganz dunkel.
DIE JUNGE FRAU
Bleiben wir doch lieber hier.
Der Junge Herr bereits mit ihr hinter der Portiere, im Schlafzimmer, nestelt ihr die Taille auf.
Sie sind so... o Gott, was machen Sie ausmir! — Alfred!
DER JUNGE HERR
Ich bete dich an, Emma!
DIE JUNGE FRAU
So wart doch, wart doch wenigstens... schwach.Geh... ich ruf' dich dann.
DER JUNGE HERR
Laß mir dich — laß dir mich — er verspricht sich ... laß... mich — dir — helfen.
DIE JUNGE FRAU
Du zerreißt mir ja alles.
DER JUNGE HERR
Du hast kein Mieder an?
DIE JUNGE FRAU
Ich trag' nie ein Mieder. Die Odilon trägt auchkeines. Aber die Schuh kannst du mir aufknöpfeln.
Der Junge Herr knöpfelt die Schuhe auf, küßt ihre Füße.
DIE JUNGE FRAU
ist ins Bett geschlüpft.
Oh mir ist kalt.
DER JUNGE HERR
Gleich wird's warm werden.
DIE JUNGE FRAU
leise lachend.
Glaubst du?
DER JUNGE HERR
unangenehm berührt, für sich.
Das hätte sie nicht sagen sollen.
Entkleidet sichim Dunkel.
DIE JUNGE FRAU
zärtlich.
Komm, komm, komm!
DER JUNGE HERR
dadurch wieder in besserer Stimmung.
Gleich —
DIE JUNGE FRAU
Es riecht hier so nach Veilchen.
DER JUNGE HERR
Das bist du selbst... Ja zu ihr du selbst.
DIE JUNGE FRAU
Alfred... Alfred!!!!
DER JUNGE HERR
Emma...
DER JUNGE HERR
Ich habe dich offenbar zu lieb... ja... ichbin wie von Sinnen.
DIE JUNGE FRAU
...
DER JUNGE HERR
Die ganzen Tage über bin ich schon wie verrückt. Ich hab' es geahnt.
DIE JUNGE FRAU
Mach dir nichts draus.
DER JUNGE HERR
Oh gewiß nicht. Es ist ja geradezu selbstverständlich, wenn man...
DIE JUNGE FRAU
Nicht... nicht... Du bist nervös. Beruhigedich nur...
DER JUNGE HERR
Kennst du Stendhal?
DIE JUNGE FRAU
Stendhal?
DER JUNGE HERR
Die „Psychologie de l'amour”?
DIE JUNGE FRAU
Nein, warum fragst du mich?
DER JUNGE HERR
Da kommt eine Geschichte drin vor, die sehrbezeichnend ist.
DIE JUNGE FRAU
Was ist das für eine Geschichte?
DER JUNGE HERR
Da ist eine ganze Gesellschaft von Kavallerieoffizieren zusammen —
DIE JUNGE FRAU
So.
DER JUNGE HERR
Und die erzählen von ihren Liebesabenteuern.Und jeder berichtet, daß ihm bei der Frau, dieer am meisten, weißt du, am leidenschaftlichstengeliebt hat... daß ihn die, daß er die — alsokurz und gut, daß es jedem bei dieser Frau sogegangen ist, wie jetzt mir.
DIE JUNGE FRAU
Ja.
DER JUNGE HERR
Das ist sehr charakteristisch.
DIE JUNGE FRAU
Ja.
DER JUNGE HERR
Es ist noch nicht aus. Ein einziger behauptet... es sei ihm in seinem ganzen Leben nochnicht passiert, aber, setzt Stendhal hinzu —das war ein berüchtigter Bramarbas.
DIE JUNGE FRAU
So.
DER JUNGE HERR
Und doch verstimmt es einen, das ist dasDumme, so gleichgültig es eigentlich ist.
DIE JUNGE FRAU
Freilich. Überhaupt weißt du... du hastmir ja versprochen, brav zu sein.
DER JUNGE HERR
Geh, nicht lachen, das bessert die Sachenicht.
DIE JUNGE FRAU
Aber nein, ich lache ja nicht. Das von Stendhal ist wirklich interessant. Ich habe immergedacht, daß nur bei älteren... oder beisehr... weißt du, bei Leuten, die viel gelebthaben...
DER JUNGE HERR
Was fällt dir ein. Das hat damit gar nichtszu tun. Ich habe übrigens die hübscheste Geschichte aus dem Stendhal ganz vergessen.Da ist einer von den Kavallerieoffizieren,der erzählt sogar, daß er drei Nächte odergar sechs... ich weiß nicht mehr, mit derFrau zusammen war, die er durch Wochenhindurch verlangt hat — désirée — verstehstdu — und sie haben alle diese Nächte hindurchnichts getan als vor Glück geweint — beide —
DIE JUNGE FRAU
Beide?
DER JUNGE HERR
Ja. Wundert dich das? Ich find' das so begreiflich — gerade wenn man sich liebt.
DIE JUNGE FRAU
Aber es gibt gewiß viele, die nicht weinen.
DER JUNGE HERR
nervös.
Gewiß... das ist ja auch ein exzeptionellerFall.
DIE JUNGE FRAU
Ah — ich dachte, Stendhal sagte, alle Kavallerieoffiziere weinen bei dieser Gelegenheit.
DER JUNGE HERR
Siehst du, jetzt machst du dich doch lustig.
DIE JUNGE FRAU
Aber was fällt dir ein! Sei doch nicht kindisch,Alfred!
DER JUNGE HERR
Es macht nun einmal nervös... Dabeihabe ich die Empfindung, daß du ununterbrochen daran denkst. Das geniert mich erstrecht.
DIE JUNGE FRAU
Ich denke absolut nicht daran.
DER JUNGE HERR
O ja. Wenn ich nur überzeugt wäre, daß dumich liebst.
DIE JUNGE FRAU
Verlangst du noch mehr Beweise?
DER JUNGE HERR
Siehst du... immer machst du dich lustig.
DIE JUNGE FRAU
Wieso denn? Komm, gib mir dein süßesKopferl.
DER JUNGE HERR
Ach, das tut wohl.
DIE JUNGE FRAU
Hast du mich lieb?
DER JUNGE HERR
Oh, ich bin ja so glücklich.
DIE JUNGE FRAU
Aber du brauchst nicht auch noch zu weinen.
DER JUNGE HERR
sich von ihr entfernend, höchst irritiert.
Wieder, wieder. Ich hab dich ja so gebeten...
DIE JUNGE FRAU
Wenn ich dir sage, daß du nicht weinensollst...
DER JUNGE HERR
Du hast gesagt: Auch noch zu weinen.
DIE JUNGE FRAU
Du bist nervös, mein Schatz.
DER JUNGE HERR
Das weiß ich.
DIE JUNGE FRAU
Aber du sollst es nicht sein. Es ist mir sogar lieb, daß es... daß wir sozusagen als guteKameraden...
DER JUNGE HERR
Schon wieder fängst du an.
DIE JUNGE FRAU
Erinnerst du dich denn nicht! Das wareines unserer ersten Gespräche. Gute Kameraden haben wir sein wollen, nichts weiter.Oh, das war schön... das war bei meinerSchwester, im Jänner auf dem großen Ball,während der Quadrille... Um Gotteswillen, ich sollte ja längst fort sein...meine Schwester erwartet mich ja — waswerd' ich ihr denn sagen... Adieu,Alfred —
DER JUNGE HERR
Emma —! so willst du mich verlassen!
DIE JUNGE FRAU
Ja — so! —
DER JUNGE HERR
Noch fünf Minuten...
DIE JUNGE FRAU
Gut. Noch fünf Minuten. Aber du mußt mirversprechen... dich nicht zu rühren?... Ja?... Ich will dir noch einen Kuß zum Abschiedgeben... Pst... ruhig... nicht rühren,hab' ich gesagt, sonst steh' ich gleich auf, du meinsüßer... süßer...
DER JUNGE HERR
Emma... meine ange...
DIE JUNGE FRAU
Mein Alfred —
DER JUNGE HERR
Ah, bei dir ist der Himmel.
DIE JUNGE FRAU
Aber jetzt muß ich wirklich fort.
DER JUNGE HERR
Ach, laß deine Schwester warten.
DIE JUNGE FRAU
Nach Haus muß ich. Für meine Schwesterist's längst zu spät. Wie viel Uhr ist es denneigentlich?
DER JUNGE HERR
Ja, wie soll ich das eruieren?
DIE JUNGE FRAU
Du mußt eben auf die Uhr sehen.
DER JUNGE HERR
Meine Uhr ist in meinem Gilet.
DIE JUNGE FRAU
So hol sie.
DER JUNGE HERR
steht mit einem mächtigen Ruck auf.
Acht.
DIE JUNGE FRAU
erhebt sich rasch.
Um Gotteswillen... Rasch, Alfred, gib mirmeine Strümpfe. Was soll ich denn nur sagen?Zu Hause wird man sicher schon auf michwarten... acht Uhr...
DER JUNGE HERR
Wann seh' ich dich denn wieder?
DIE JUNGE FRAU
Nie.
DER JUNGE HERR
Emma! Hast du mich denn nicht mehr lieb?
DIE JUNGE FRAU
Eben darum. Gib mir meine Schuhe.
DER JUNGE HERR
Niemals wieder? Hier sind die Schuhe.
DIE JUNGE FRAU
In meinem Sack ist ein Schuhknöpfler. Ich bitt'dich, rasch...
DER JUNGE HERR
Hier ist der Knöpfler.
DIE JUNGE FRAU
Alfred, das kann uns beide den Hals kosten.
DER JUNGE HERR
höchst unangenehm berührt.
Wieso?
DIE JUNGE FRAU
Ja, was soll ich denn sagen, wenn er mich fragt:Woher kommst du?
DER JUNGE HERR
Von der Schwester.
DIE JUNGE FRAU
Ja, wenn ich lügen könnte.
DER JUNGE HERR
Na, du mußt es eben tun.
DIE JUNGE FRAU
Alles für so einen Menschen. Ach, komm her... laß dich noch einmal küssen. Sie umarmt ihn.— Und jetzt — — laß mich allein, geh insandere Zimmer. Ich kann mich nicht anziehen,wenn du dabei bist.
Der Junge Herr geht in den Salon, wo er sich ankleidet. Er ißt etwas von der Bäckerei, trinkt ein GlasKognak.
DIE JUNGE FRAU
ruft nach einer Weile.
Alfred!
DER JUNGE HERR
Mein Schatz.
DIE JUNGE FRAU
Es ist doch besser, daß wir nicht geweint haben.
DER JUNGE HERR
nicht ohne Stolz lächelnd.
Wie kann man so frivol reden? —
DIE JUNGE FRAU
Wie wird das jetzt nur sein — wenn wir unszufällig wieder einmal in Gesellschaft begegnen?
DER JUNGE HERR
Zufällig — einmal... Du bist ja morgensicher auch bei Lobheimers?
DIE JUNGE FRAU
Ja. Du auch?
DER JUNGE HERR
Freilich. Darf ich dich um den Kotillon bitten?
DIE JUNGE FRAU
O, ich werde nicht hinkommen. Was glaubstdu denn? — Ich würde ja... sie tritt völlig angekleidet in den Salon, nimmt eine Schokoladebäckerei...in die Erde sinken.
DER JUNGE HERR
Also morgen bei Lobheimer, das ist schön.
DIE JUNGE FRAU
Nein, nein... ich sage ab; bestimmt —
DER JUNGE HERR
Also übermorgen... hier.
DIE JUNGE FRAU
Was fällt dir ein?
DER JUNGE HERR
Um sechs...
DIE JUNGE FRAU
Hier an der Ecke stehen Wagen, nichtwahr? —
DER JUNGE HERR
Ja, so viel du willst. Also übermorgen hier, um sechs. So sag doch ja, mein geliebterSchatz.
DIE JUNGE FRAU
...Das besprechen wir morgen beim Kotillon.
DER JUNGE HERR
umarmt sie.
Mein Engel.
DIE JUNGE FRAU
Nicht wieder meine Frisur ruinieren.
DER JUNGE HERR
Also morgen bei Lobheimers und übermorgenin meinen Armen.
DIE JUNGE FRAU
Leb wohl...
DER JUNGE HERR
plötzlich wieder besorgt.
Und was wirst du — ihm heut sagen? —
DIE JUNGE FRAU
Frag nicht... frag nicht... es ist zuschrecklich. — Warum hab' ich dich so lieb!— Adieu. — Wenn ich wieder Menschen aufder Stiege begegne, trifft mich der Schlag. —Pah! —
Der Junge Herr küßt ihr noch einmal die Hand. Die Junge Frau geht.
DER JUNGE HERR
bleibt allein zurück. Dann setzter sich auf den Diwan. Er lächelt vor sich hin und sagt zusich selbst:
Also jetzt hab' ich ein Verhältnis mit einer anständigen Frau.
DIE JUNGE FRAU UNDDER EHEMANN
Ein behagliches Schlafgemach.Es ist halb elf Uhr nachts. Die Frau liegt zu Bette undliest. Der Gatte tritt eben, im Schlafrock, ins Zimmer.
DIE JUNGE FRAU
ohne aufzuschauen.
Du arbeitest nicht mehr?
DER GATTE
Nein. Ich bin zu müde. Und außerdem...
DIE JUNGE FRAU
Nun?
DER GATTE
Ich hab' mich an meinem Schreibtisch plötzlichso einsam gefühlt. Ich habe Sehnsucht nachdir bekommen.
DIE JUNGE FRAU
schaut auf.
Wirklich?
DER GATTE
setzt sich zu ihr aufs Bett.
Lies heute nicht mehr. Du wirst dir die Augenverderben.
DIE JUNGE FRAU
schlägt das Buch zu.
Was hast du denn?
DER GATTE
Nichts, mein Kind. Verliebt bin ich in dich!Das weißt du ja!
DIE JUNGE FRAU
Man könnte es manchmal fast vergessen.
DER GATTE
Man muß es sogar manchmal vergessen.
DIE JUNGE FRAU
Warum?
DER GATTE
Weil die Ehe sonst etwas unvollkommeneswäre. Sie würde... wie soll ich nursagen... sie würde ihre Heiligkeit verlieren.
DIE JUNGE FRAU
Oh...
DER GATTE
Glaube mir — es ist so... Hätten wir inden fünf Jahren, die wir jetzt miteinander verheiratet sind, nicht manchmal vergessen, daßwir ineinander verliebt sind — wir wären eswohl gar nicht mehr.
DIE JUNGE FRAU
Das ist mir zu hoch.
DER GATTE
Die Sache ist einfach die: wir haben vielleichtschon zehn oder zwölf Liebschaften miteinander gehabt... Kommt es dir nicht auchso vor?
DIE JUNGE FRAU
Ich hab' nicht gezählt! —
DER GATTE
Hätten wir gleich die erste bis zum Endedurchgekostet, hätte ich mich von Anfangan meiner Leidenschaft für dich willenlos hingegeben, es wäre uns gegangen wie den Millionen von anderen Liebespaaren. Wir wärenfertig miteinander.
DIE JUNGE FRAU
Ah... so meinst du das?
DER GATTE
Glaube mir — Emma — in den ersten Tagenunserer Ehe hatte ich Angst, daß es so kommenwürde.
DIE JUNGE FRAU
Ich auch.
DER GATTE
Siehst du? Hab' ich nicht recht gehabt? Darum ist es gut, immer wieder für einige Zeitnur in guter Feundschaft miteinander hinzuleben.
DIE JUNGE FRAU
Ach so.
DER GATTE
Und so kommt es, daß wir immer wiederneue Flitterwochen miteinander durchlebenkönnen, da ich es nie drauf ankommen lasse,die Flitterwochen...
DIE JUNGE FRAU
Zu Monaten auszudehnen.
DER GATTE
Richtig.
DIE JUNGE FRAU
Und jetzt... scheint also wieder eineFreundschaftsperiode abgelaufen zu sein — ?
DER GATTE
sie zärtlich an sich drückend.
Es dürfte so sein.
DIE JUNGE FRAU
Wenn es aber... bei mir anders wäre.
DER GATTE
Es ist bei dir nicht anders. Du bist ja dasklügste und entzückendste Wesen, das es gibt.Ich bin sehr glücklich, daß ich dich gefundenhabe.
DIE JUNGE FRAU
Das ist aber nett, wie du den Hof machenkannst — von Zeit zu Zeit.
DER GATTE
hat sich auch zu Bett begeben.
Für einen Mann, der sich ein bißchen in derWelt umgesehen hat — geh, leg den Kopfan meine Schulter — der sich in der Weltumgesehen hat, bedeutet die Ehe eigentlichetwas viel geheimnisvolleres als für euch jungeMädchen aus guter Familie. Ihr tretet uns reinund... wenigstens bis zu einem gewissenGrad unwissend entgegen, und darum habt ihreigentlich einen viel klareren Blick für das Wesender Liebe als wir.
DIE JUNGE FRAU
lachend.
Oh!
DER GATTE
Gewiß. Denn wir sind ganz verwirrt undunsicher geworden durch die vielfachen Erlebnisse, die wir notgedrungen vor derEhe durchzumachen haben. Ihr hört javiel und wißt zu viel und lest ja wohl eigentlich auch zu viel, aber einen rechten Begriff vondem, was wir Männer in der Tat erleben,habt ihr ja doch nicht. Uns wird das, wasman so gemeinhin die Liebe nennt, rechtgründlich widerwärtig gemacht, denn was sinddas schließlich für Geschöpfe, auf die wir angewiesen sind!
DIE JUNGE FRAU
Ja, was sind das für Geschöpfe?
DER GATTE
küßt sie auf die Stirn.
Sei froh, mein Kind, daß du nie einen Hinblickin diese Verhältnisse erhalten hast. Es sindübrigens meist recht bedauernswerte Wesen —werfen wir keinen Stein auf sie.
DIE JUNGE FRAU
Bitt' dich — dieses Mitleid — Das kommt mirda gar nicht recht angebracht vor.
DER GATTE
mit schöner Milde.
Sie verdienen es. Ihr, die ihr junge Mädchenaus guter Familie wart, die ruhig unter Obhuteurer Eltern auf den Ehrenmann wartenkonntet, der euch zur Ehe begehrt; — ihrkennt ja das Elend nicht, das die meisten vondiesen armen Geschöpfen der Sünde in dieArme treibt.
DIE JUNGE FRAU
So verkaufen sich denn alle?
DER GATTE
Das möchte ich nicht sagen. Ich mein' ja auchnicht nur das materielle Elend. Aber es gibtauch — ich möchte sagen — ein sittlichesElend; eine mangelhafte Auffassung für das,was erlaubt, und insbesondere für das, wasedel ist.
DIE JUNGE FRAU
Aber warum sind sie zu bedauern? — Denengeht's ja ganz gut?
DER GATTE
Du hast sonderbare Ansichten, mein Kind. Dudarfst nicht vergessen, daß solche Wesen vonNatur aus bestimmt sind, immer tiefer undtiefer zu fallen. Da gibt es kein Aufhalten.
DIE JUNGE FRAU
sich an ihn schmiegend.
Offenbar fällt es sich ganz angenehm.
DER GATTE
peinlich berührt.
Wie kannst du so reden, Emma. Ich denkedoch, daß es gerade für euch, anständige Frauen,nichts Widerwärtigeres geben kann, als alle diejenigen, die es nicht sind.
DIE JUNGE FRAU
Freilich, Karl, freilich. Ich hab's ja auch nur sogesagt. Geh, erzähl weiter. Es ist so nett, wenndu so red'st. Erzähl mir was.
DER GATTE
Was denn? —
DIE JUNGE FRAU
Nun — von diesen Geschöpfen.
DER GATTE
Was fällt dir denn ein?
DIE JUNGE FRAU
Schau, ich hab' dich schon früher, weißt du,ganz im Anfang hab' ich dich immer gebeten, du sollst mir aus deiner Jugend was erzählen.
DER GATTE
Warum interessiert dich denn das?
DIE JUNGE FRAU
Bist du denn nicht mein Mann? Und ist dasnicht geradezu eine Ungerechtigkeit, daß ich vondeiner Vergangenheit eigentlich gar nichtsweiß?
DER GATTE
Du wirst mich doch nicht für so geschmackloshalten, daß ich — Genug, Emma... dasist ja wie eine Entweihung.
DIE JUNGE FRAU
Und doch hast du... wer weiß wievielandere Frauen gerade so in den Armen gehalten, wie jetzt mich.
DER GATTE
Sag doch nicht „Frauen”. Frau bist du.
DIE JUNGE FRAU
Aber eine Frage mußt du mir beantworten... sonst... sonst... ist's nichts mit denFlitterwochen.
DER GATTE
Du hast eine Art, zu reden... denk doch,daß du Mutter bist... daß unser Mäderlda drin liegt...
DIE JUNGE FRAU
an ihn sich schmiegend.
Aber ich möcht' auch einen Buben.
DER GATTE
Emma!
DIE JUNGE FRAU
Geh, sei nicht so... freilich bin ich deineFrau... aber ich möchte auch ein bisseldeine Geliebte sein.
DER GATTE
Möchtest du?...
DIE JUNGE FRAU
Also — zuerst meine Frage.
DER GATTE
gefügig.
Nun?
DIE JUNGE FRAU
War... eine verheiratete Frau unter ihnen?
DER GATTE
Wieso? — wie meinst du das?
DIE JUNGE FRAU
Du weißt schon.
DER GATTE
leicht beunruhigt.
Wie kommst du auf diese Frage?
DIE JUNGE FRAU
Ich möchte wissen, ob es... das heißt —es gibt solche Frauen... das weiß ich. Aberob du...
DER GATTE
ernst.
Kennst du eine solche Frau?
DIE JUNGE FRAU
Ja, ich weiß das selber nicht.
DER GATTE
Ist unter deinen Freundinnen vielleicht eine solcheFrau?
DIE JUNGE FRAU
Ja wie kann ich das mit Bestimmtheit behaupten— oder verneinen?
DER GATTE
Hat dir vielleicht einmal eine deiner Freundinnen... Man spricht über gar manches,wenn man so — die Frauen unter sich — hatdir eine gestanden —?
DIE JUNGE FRAU
unsicher.
Nein.
DER GATTE
Hast du bei irgendeiner deiner Freundinnen denVerdacht, daß sie...
DIE JUNGE FRAU
Verdacht... oh... Verdacht.
DER GATTE
Es scheint.
DIE JUNGE FRAU
Gewiß nicht Karl, sicher nicht. Wenn ichmir's so überlege — ich trau es doch keinerzu.
DER GATTE
Keiner?
DIE JUNGE FRAU
Von meinen Freundinnen keiner.
DER GATTE
Versprich mir etwas, Emma.
DIE JUNGE FRAU
Nun.
DER GATTE
Daß du nie mit einer Frau verkehren wirst,bei der du auch den leisesten Verdacht hast,daß sie... kein ganz tadelloses Lebenführt.
DIE JUNGE FRAU
Das muß ich dir erst versprechen?
DER GATTE
Ich weiß ja, daß du den Verkehr mit solchenFrauen nicht suchen wirst. Aber der Zufallkönnte es fügen, daß du... Ja, es ist sogar sehr häufig, daß gerade solche Frauen, derenRuf nicht der beste ist, die Gesellschaft vonanständigen Frauen suchen, teils um sich einRelief zu geben, teils aus einem gewissen...wie soll ich sagen... aus einem gewissenHeimweh nach der Tugend.
DIE JUNGE FRAU
So.
DER GATTE
Ja. Ich glaube, daß das sehr richtig ist,was ich da gesagt habe. Heimweh nach derTugend. Denn, daß diese Frauen alle eigentlich sehr unglücklich sind, das kannst du mirglauben.
DIE JUNGE FRAU
Warum?
DER GATTE
Du fragst, Emma? — Wie kannst du dennnur fragen? — Stell dir doch vor, wasdiese Frauen für eine Existenz führen!Voll Lüge, Tücke, Gemeinheit und voll Gefahren.
DIE JUNGE FRAU
Ja freilich. Da hast du schon recht.
DER GATTE
Wahrhaftig — sie bezahlen das bißchen Glück... das bißchen...
DIE JUNGE FRAU
Vergnügen.
DER GATTE
Warum Vergnügen? Wie kommst du darauf,das Vergnügen zu nennen?
DIE JUNGE FRAU
Nun, — etwas muß es doch sein —! Sonsttäten sie's ja nicht.
DER GATTE
Nichts ist es... ein Rausch.
DIE JUNGE FRAU
nachdenklich.
Ein Rausch.
DER GATTE
Nein, es ist nicht einmal ein Rausch. Wieimmer — teuer bezahlt, das ist gewiß!
DIE JUNGE FRAU
Also... du hast das einmal mitgemacht —nicht wahr?
DER GATTE
Ja, Emma. — Es ist meine traurigste Erinnerung.
DIE JUNGE FRAU
Wer ist's? Sag! Kenn' ich sie?
DER GATTE
Was fällt dir denn ein?
DIE JUNGE FRAU
Ist's lange her? War es sehr lang, bevor dumich geheiratet hast?
DER GATTE
Frag nicht. Ich bitt' dich, frag nicht.
DIE JUNGE FRAU
Aber Karl!
DER GATTE
Sie ist tot.
DIE JUNGE FRAU
Im Ernst?
DER GATTE
Ja... es klingt fast lächerlich, aber ich habedie Empfindung, daß alle diese Frauen jungsterben.
DIE JUNGE FRAU
Hast du sie sehr geliebt?
DER GATTE
Lügnerinnen liebt man nicht.
DIE JUNGE FRAU
Also warum...
DER GATTE
Ein Rausch...
DIE JUNGE FRAU
Also doch?
DER GATTE
Sprich nicht mehr davon, ich bitt' dich. Allesdas ist lang vorbei. Geliebt hab' ich nur eine— das bist du. Man liebt nur, wo Reinheitund Wahrheit ist.
DIE JUNGE FRAU
Karl!
DER GATTE
Oh, wie sicher, wie wohl fühlt man sich insolchen Armen. Warum hab' ich dich nichtschon als Kind gekannt? Ich glaube, dann hätt'ich andere Frauen überhaupt nicht angesehen.
DIE JUNGE FRAU
Karl!
DER GATTE
Und schön bist du!... schön!... Ohkomm...
Er löscht das Licht aus.
DIE JUNGE FRAU
Weißt du, woran ich heute denken muß?
DER GATTE
Woran, mein Schatz?
DIE JUNGE FRAU
An... an... an Venedig.
DER GATTE
Die erste Nacht...
DIE JUNGE FRAU
Ja... so...
DER GATTE
Was denn —? So sag's doch!
DIE JUNGE FRAU
So lieb hast du mich heut.
DER GATTE
Ja, so lieb.
DIE JUNGE FRAU
Ah... Wenn du immer...
DER GATTE
in ihren Armen.
Wie?
DIE JUNGE FRAU
Mein Karl!
DER GATTE
Was meintest du? Wenn ich immer... ?
DIE JUNGE FRAU
Nun ja.
DER GATTE
Nun, was wär' denn, wenn ich immer...
DIE JUNGE FRAU
Dann wüßt' ich eben immer, daß du michlieb hast.
DER GATTE
Ja. Du mußt es aber auch so wissen. Manist nicht immer der liebende Mann, man mußauch zuweilen hinaus ins feindliche Leben,muß kämpfen und streben! Das vergiß nie,mein Kind! Alles hat seine Zeit in derEhe — das ist eben das Schöne. Es gibtnicht viele, die sich noch nach fünf Jahrenan — ihr Venedig erinnern.
DIE JUNGE FRAU
Freilich!
DER GATTE
Und jetzt... gute Nacht, mein Kind.
DIE JUNGE FRAU
Gute Nacht!
DER GATTE UNDDAS SÜSSE MÄDEL
Ein Cabinet particulier im Riedhof. Behagliche, mäßigeEleganz. Der Gasofen brennt. —Der Gatte. Das süße Mädel.Auf dem Tisch sind die Reste einer Mahlzeit zu sehen, Obersschaumbaisers, Obst, Käse. In den Weingläsern einungarischer weißer Wein.
Der Gatte raucht eine Havannazigarre, er lehnt inder Ecke des Divans.
Das süsse Mädel sitzt neben ihm auf dem Sessel undlöffelt aus einem Baiser den Obersschaum heraus, den siemit Behagen schlürft.
DER GATTE
Schmeckt's?
DAS SÜSSE MÄDEL
läßt sich nicht stören.
Oh!
DER GATTE
Willst du noch eins?
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein, ich hab' so schon zu viel gegessen.
DER GATTE
Du hast keinen Wein mehr.
Er schenkt ein.
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein... aber schaun' S', ich laß ihn ja ehstehen.
DER GATTE
Schon wieder sagst du Sie.
DAS SÜSSE MÄDEL
So? — Ja wissen S', man gewöhnt sich halt soschwer.
DER GATTE
Weißt du.
DAS SÜSSE MÄDEL
Was denn?
DER GATTE
Weißt du, sollst du sagen, nicht wissen S'. —Komm setz dich zu mir.
DAS SÜSSE MÄDEL
Gleich... bin noch nicht fertig.
Der Gatte steht auf, stellt sich hinter den Sessel undumarmt das süsse Mädel, indem er ihren Kopf zu sichwendet.
Na, was ist denn?
DER GATTE
Einen Kuß möcht' ich haben.
DAS SÜSSE MÄDEL
gibt ihm einen Kuß.
Sie sind... oh pardon, du bist ein keckerMensch.
DER GATTE
Jetzt fällt dir das ein?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ah nein, eingefallen ist es mir schonfrüher... schon auf der Gassen. — Siemüssen —
DER GATTE
Du mußt.
DAS SÜSSE MÄDEL
Du mußt dir eigentlich was schönes von mirdenken.
DER GATTE
Warum denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
Daß ich gleich so mit Ihnen ins Chambre séparéegegangen bin.
DER GATTE
Na, gleich kann man doch nicht sagen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber Sie können halt so schön bitten.
DER GATTE
Findest du?
DAS SÜSSE MÄDEL
Und schließlich, was ist denn dabei?
DER GATTE
Freilich.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ob man spazieren geht oder —
DER GATTE
Zum Spazierengehen ist's auch viel zu kalt.
DAS SÜSSE MÄDEL
Natürlich ist's zu kalt gewesen.
DER GATTE
Aber da ist es angenehm warm; was?
Er hatsich wieder niedergesetzt, umschlingt das süße Mädel undzieht sie an seine Seite.
DAS SÜSSE MÄDEL
schwach.
Na.
DER GATTE
Jetzt sag einmal... Du hast mich schonfrüher bemerkt gehabt, was?
DAS SÜSSE MÄDEL
Natürlich. Schon in der Singerstraßen.
DER GATTE
Nicht heut, mein' ich. Auch vorgestern undvorvorgestern, wie ich dir nachgegangenbin.
DAS SÜSSE MÄDEL
Mir gehn gar viele nach.
DER GATTE
Das kann ich mir denken. Aber ob du michbemerkt hast.
DAS SÜSSE MÄDEL
Wissen S'... ah... weißt, was mir neulichpassiert ist? Da ist mir der Mann von meinerCousine nachg'stiegen in der Dunkeln und hatmich nicht kennt.
DER GATTE
Hat er dich angesprochen?
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber was glaubst denn? Meinst, es ist jederso keck wie du?
DER GATTE
Aber es kommt doch vor.
DAS SÜSSE MÄDEL
Natürlich kommt's vor.
DER GATTE
Na, was machst du da?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, nichts — Keine Antwort geb' ich halt.
DER GATTE
Hm... mir hast du aber eine Antwort gegeben.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na sind S' vielleicht bös?
DER GATTE
küßt sie heftig.
Deine Lippen schmecken nach dem Obersschaum.
DAS SÜSSE MÄDEL
Oh, die sind von Natur aus süß.
DER GATTE
Das haben dir schon viele gesagt?
DAS SÜSSE MÄDEL
Viele!! Was du dir wieder einbildest!
DER GATTE
Na, sei einmal ehrlich. Wie viele haben denMund da schon geküßt?
DAS SÜSSE MÄDEL
Was fragst mich denn? Du möchtest mir's jadoch nicht glauben, wenn ich dir's sag'!
DER GATTE
Warum denn nicht?
DAS SÜSSE MÄDEL
Rat einmal.
DER GATTE
Na, sagen wir, — aber du darfst nicht bössein?
DAS SÜSSE MÄDEL
Warum sollt' ich denn bös sein?
DER GATTE
Also ich schätze... zwanzig.
DAS SÜSSE MÄDEL
sich von ihm losmachend.
Na — warum nicht gleich hundert?
DER GATTE
Ja, ich hab' eben geraten.
DAS SÜSSE MÄDEL
Da hast du aber nicht gut geraten.
DER GATTE
Also zehn.
DAS SÜSSE MÄDEL
beleidigt.
Freilich. Eine, die sich auf der Gassen anreden läßt und gleich mitgeht ins Chambre séparée!
DER GATTE
Sei doch nicht so kindisch. Ob man auf derStraßen herumläuft oder in einem Zimmersitzt... Wir sind doch da in einem Gasthaus. Jeden Moment kann der Kellner hereinkommen — da ist doch wirklich gar nichtsdran...
DAS SÜSSE MÄDEL
Das hab' ich mir eben auch gedacht.
DER GATTE
Warst du schon einmal in einem Chambreséparée?
DAS SÜSSE MÄDEL
Also, wenn ich die Wahrheit sagen soll: ja.
DER GATTE
Siehst du, das g'fallt mir, daß du doch wenigstens aufrichtig bist.
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber nicht so — wie du dir's wieder denkst.Mit einer Freundin und ihrem Bräutigam binich im Chambre séparée gewesen, heuer imFasching einmal.
DER GATTE
Es wär' ja auch kein Malheur, wenn du einmal— mit deinem Geliebten —
DAS SÜSSE MÄDEL
Natürlich wär's kein Malheur. Aber ich hab'kein Geliebten.
DER GATTE
Na, geh.
DAS SÜSSE MÄDEL
Meiner Seel, ich hab' keinen.
DER GATTE
Aber du wirst mir doch nicht einreden wollen,daß ich...
DAS SÜSSE MÄDEL
Was denn?... Ich hab' halt keinen — schonseit mehr als einem halben Jahr.
DER GATTE
Ah so... Aber vorher? Wer war's denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
Was sind S' denn gar so neugierig?
DER GATTE
Ich bin neugierig, weil ich dich liebhab'.
DAS SÜSSE MÄDEL
Is wahr?
DER GATTE
Freilich. Das mußt du doch merken. Erzählmir also.
Drückt sie fest an sich.
DAS SÜSSE MÄDEL
Was soll ich dir denn erzählen?
DER GATTE
So laß dich doch nicht so lang bitten. Wer'sgewesen ist, möcht ich wissen.
DAS SÜSSE MÄDEL
lachend.
Na ein Mann halt.
DER GATTE
Also — also — wer war's?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ein bissel ähnlich hat er dir gesehen.
DER GATTE
So.
DAS SÜSSE MÄDEL
Wenn du ihm nicht so ähnlich schauentät'st —
DER GATTE
Was wär' dann?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na also frag nicht, wennst schon siehst,daß...
DER GATTE
versteht.
Also darum hast du dich von mir anredenlassen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na also ja.
DER GATTE
Jetzt weiß ich wirklich nicht, soll ich mich freuenoder soll ich mich ärgern.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, ich an deiner Stell tät' mich freuen.
DER GATTE
Na ja.
DAS SÜSSE MÄDEL
Und auch im Reden erinnerst du mich so anihn... und wie du einen anschaust...
DER GATTE
Was ist er denn gewesen?
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein, die Augen —
DER GATTE
Wie hat er denn geheißen?
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein, schau mich nicht so an, ich bitt' dich.
Der Gatte umfängt sie. Langer, heißer Kuß.Das süsse Mädel schüttelt sich, will aufstehen.
DER GATTE
Warum gehst du fort von mir?
DAS SÜSSE MÄDEL
Es wird Zeit zum Z'hausgehen.
DER GATTE
Später.
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein, ich muß wirklich schon zuhaus gehen.Was glaubst denn, was die Mutter sagenwird.
DER GATTE
Du wohnst bei deiner Mutter?
DAS SÜSSE MÄDEL
Natürlich wohn' ich bei meiner Mutter. Washast denn geglaubt?
DER GATTE
So — bei der Mutter. Wohnst du allein mitihr?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja freilich allein! Fünf sind wir! Zwei Bubenund noch zwei Mädeln.
DER GATTE
So setz dich doch nicht so weit fort von mir.Bist du die älteste?
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein, ich bin die zweite. Zuerst kommt dieKathi; die ist im G'schäft, in einer Blumenhandlung, dann komm' ich.
DER GATTE
Wo bist du?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na ich bin z'haus.
DER GATTE
Immer?
DAS SÜSSE MÄDEL
Es muß doch eine z'haus sein.
DER GATTE
Freilich. Ja — und was sagst du denn eigentlich deiner Mutter, wenn du — so spät nachHaus kommst?
DAS SÜSSE MÄDEL
Das ist ja so eine Seltenheit.
DER GATTE
Also heut zum Beispiel. Deine Mutter fragtdich doch?
DAS SÜSSE MÄDEL
Natürlich fragt's mich. Da kann ich Obachtgeben so viel ich will — wenn ich nach Hauskomm', wacht s' auf.
DER GATTE
Also was sagst du ihr da?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, im Theater werd' ich halt gewesen sein.
DER GATTE
Und glaubt sie das?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, warum soll s' mir denn nicht glauben?Ich geh' ja oft ins Theater. Erst am Sonntag war ich in der Oper mit meiner Freundin und ihrem Bräutigam und mein älternBruder.
DER GATTE
Woher habt ihr denn da die Karten?
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber, mein Bruder ist ja Friseur!
DER GATTE
Ja, die Friseure... ah, wahrscheinlichTheaterfriseur.
DAS SÜSSE MÄDEL
Was fragst mich denn so aus?
DER GATTE
Es interessiert mich halt. Und was ist dennder andere Bruder?
DAS SÜSSE MÄDEL
Der geht noch in die Schul'. Der will ein Lehrerwerden. Nein... so 'was!
DER GATTE
Und dann hast du noch eine kleine Schwester?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja, die ist noch ein Fratz, aber auf die mußman schon heut so aufpassen. Hast du denneine Idee, wie die Mädeln in der Schuleverdorben werden! Was glaubst! Neulich hab'ich sie bei einem Rendezvous erwischt.
DER GATTE
Was?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja! mit einem Buben von der Schul' vis-á-visist sie abends um halber acht in der Strozzigasse spazierengegangen. So ein Fratz!
DER GATTE
Und, was hast du da gemacht?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, Schläg hat s' kriegt!
DER GATTE
So streng bist du?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, wer solls denn sein? Die ältere ist imG'schäft, die Mutter tut nichts als raunzen; —kommt immer alles auf mich.
DER GATTE
Herrgott, bist du lieb! Küßt sie und wird zärtlicher.Du erinnerst mich auch an wen.
DAS SÜSSE MÄDEL
So an wen denn?
DER GATTE
An keine bestimmte... an die Zeit...na, halt an meine Jugend. Geh, trink, meinKind!
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja, wie alt bist du denn?... Du... ja...ich weiß ja nicht einmal, wie du heißt.
DER GATTE
Karl.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ist's möglich! Karl heißt du?
DER GATTE
Er hat auch Karl geheißen?
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein, das ist aber schon das reine Wunder...das ist ja nein die Augen... Das G'schau...
schüttelt den Kopf.
DER GATTE
Und wer er war — hast du mir noch immernicht gesagt.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ein schlechter Mensch ist er gewesen —das ist g'wiß, sonst hätt' er mich nicht sitzenlassen.
DER GATTE
Hast ihn sehr gern g'habt?
DAS SÜSSE MÄDEL
Freilich hab' ich ihn gern g'habt.
DER GATTE
Ich weiß, was er war, Leutnant.
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein, bei Militär war er nicht. Sie habenihn nicht genommen. Sein Vater hat ein Hausin der... aber was brauchst du das zuwissen?
DER GATTE
küßt sie.
Du hast eigentlich graue Augen, anfangs hab'ich gemeint, sie sind schwarz.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na sind's dir vielleicht nicht schön genug?
Der Gatteküßt ihre Augen.
Nein, nein — das vertrag' ich schon garnicht... o bitt' dich — o Gott... nein,laß mich aufstehn... nur für einen Moment —bitt' dich.
DER GATTE
immer zärtlicher.
O nein.
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber ich bitt' dich, Karl...
DER GATTE
Wie alt bist du? — achtzehn, was?
DAS SÜSSE MÄDEL
Neunzehn vorbei.
DER GATTE
Neunzehn... und ich —
DAS SÜSSE MÄDEL
Du bist dreißig...
DER GATTE
Und einige drüber. — Reden wir nichtdavon.
DAS SÜSSE MÄDEL
Er war auch schon zweiunddreißig, wie ich ihnkennen gelernt hab'.
DER GATTE
Wie lang ist das her?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ich weiß nimmer... Du, in dem Wein mußwas drin gewesen sein.
DER GATTE
Ja, warum denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ich bin ganz... weißt — mir dreht sichalles.
DER GATTE
So halt dich fest an mich. So... Er drücktsie an sich und wird immer zärtlicher, sie wehrt kaum ab. Ich werd' dir was sagen, mein Schatz, wirkönnten jetzt wirklich gehn.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja... nach Haus.
DER GATTE
Nicht grad nach Haus...
DAS SÜSSE MÄDEL
Was meinst denn?... O nein, o nein...ich geh' nirgends hin, was fallt dir denn ein —
DER GATTE
Also hör mich nur an, mein Kind, das nächsteMal, wenn wir uns treffen, weißt du, da richtenwir uns das so ein, daß... Er ist zu Boden gesunken, hat seinen Kopf in ihrem Schoß. Das istangenehm, oh, das ist angenehm.
DAS SÜSSE MÄDEL
Was machst denn? Sie küßt seine Haare. Du indem Wein muß was drin gewesen sein — soschläfrig... du was g'schieht denn, wenn ichnimmer aufstehn kann? Aber, aber, schau,aber Karl... und wenn wer hereinkommt... ich bitt' dich... der Kellner.
DER GATTE
Da... kommt sein Lebtag... kein Kellner... herein...
Das süsse Mädel lehnt mit geschlossenen Augen in der Diwanecke. Der Gatte geht in dem kleinen Raum auf und ab, nachdem er sich eine Zigarette angezündet. Längeres Schweigen.
DER GATTE
betrachtet das süße Mädel lange, für sich.
Wer weiß, was das eigentlich für eine Personist — Donnerwetter... So schnell...War nicht sehr vorsichtig von mir...Hm...
DAS SÜSSE MÄDEL
ohne die Augen zu öffnen.
In dem Wein muß was drin gewesen sein.
DER GATTE
Ja warum denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
Sonst...
DER GATTE
Warum schiebst du denn alles auf denWein?...
DAS SÜSSE MÄDEL
Wo bist denn? Warum bist denn so weit?Komm doch zu mir.
Der Gatte zur ihr hin, setzt sich.
Jetzt sag mir, ob du mich wirklich gern hast.
DER GATTE
Das weißt du doch... Er unterbricht sich rasch. Freilich.
DAS SÜSSE MÄDEL
Weißt... es ist doch... Geh, sag mirdie Wahrheit, was war in dem Wein?
DER GATTE
Ja, glaubst du ich bin ein... ich bin ein Giftmischer?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja, schau, ich versteh's halt nicht. Ich bindoch nicht so... Wir kennen uns docherst seit... Du, ich bin nicht so...meiner Seel' und Gott, — wenn du das vonmir glauben tät'st —
DER GATTE
Ja — was machst du dir denn da für Sorgen.Ich glaub' gar nichts schlechtes von dir. Ichglaub' halt, daß du mich lieb hast.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja —
DER GATTE
Schließlich, wenn zwei junge Leut' allein ineinem Zimmer sind, und nachtmahlen undtrinken Wein... es braucht gar nichtsdrin zu sein in dem Wein.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ich hab's ja auch nur so g'sagt.
DER GATTE
Ja warum denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
eher trotzig.
Ich hab' mich halt g'schämt.
DER GATTE
Das ist lächerlich. Dazu liegt gar kein Grundvor. Um so mehr als ich dich an deinen erstenGeliebten erinnere.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja.
DER GATTE
An den ersten.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na ja...
DER GATTE
Jetzt möcht' es mich interessieren, wer dieanderen waren.
DAS SÜSSE MÄDEL
Niemand.
DER GATTE
Das ist ja nicht wahr, das kann ja nicht wahrsein.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, bitt' dich, sekier mich nicht. —
DER GATTE
Willst eine Zigarette?
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein, ich dank' schön.
DER GATTE
Weißt du, wie spät es ist?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na?
DER GATTE
Halb zwölf.
DAS SÜSSE MÄDEL
So!
DER GATTE
Na... und die Mutter? Die ist es gewöhnt,was?
DAS SÜSSE MÄDEL
Willst mich wirklich schon z'haus schicken?
DER GATTE
Ja, du hast doch früher selbst —
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, du bist aber wie ausgewechselt. Washab' ich dir denn getan?
DER GATTE
Aber Kind, was hast du denn, was fällt dirdenn ein?
DAS SÜSSE MÄDEL
Und es ist nur dein G'schau gewesen, meinerSeel, sonst hättst du lang... haben michschon viele gebeten, ich soll mit ihnen insChambre séparée gehen.
DER GATTE
Na, willst du... bald wieder mit mir hieher... oder auch wo anders —
DAS SÜSSE MÄDEL
Weiß nicht.
DER GATTE
Was heißt das wieder: du weißt nicht.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, wenn du mich erst fragst?
DER GATTE
Also wann? Ich möcht' dich nur vor allemaufklären, daß ich nicht in Wien lebe. Ichkomme nur von Zeit zu Zeit auf ein paar Tageher.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ah geh, du bist kein Wiener?
DER GATTE
Wiener bin ich schon. Aber ich lebe jetzt inder Nähe...
DAS SÜSSE MÄDEL
Wo denn?
DER GATTE
Ach Gott, das ist ja egal.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, fürcht dich nicht, ich komm' nicht hin.
DER GATTE
O Gott, wenn es dir Spaß macht, kannst duauch hinkommen. Ich lebe in Graz.
DAS SÜSSE MÄDEL
Im Ernst?
DER GATTE
Na ja, was wundert dich denn daran?
DAS SÜSSE MÄDEL
Du bist verheiratet, wie?
DER GATTE
höchst erstaunt.
Ja, wie kommst du darauf?
DAS SÜSSE MÄDEL
Mir ist halt so vorgekommen.
DER GATTE
Und das würde dich gar nicht genieren?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, lieber ist mir schon, du bist ledig. —Aber du bist ja doch verheiratet!
DER GATTE
Ja, sag mir nur, wie kommst du denn darauf?
DAS SÜSSE MÄDEL
Wenn einer sagt, er lebt nicht in Wien undhat nicht immer Zeit —
DER GATTE
Das ist doch nicht so unwahrscheinlich.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ich glaub's nicht.
DER GATTE
Und da möchtest du dir gar kein Gewissenmachen, daß du einen Ehemann zur Untreueverführst?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ah was, deine Frau macht's sicher nicht andersals du.
DER GATTE
sehr empört.
Du, das verbitt' ich mir. Solche Bemerkungen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Du hast ja keine Frau, hab' ich geglaubt.
DER GATTE
Ob ich eine hab' oder nicht — man macht keinesolche Bemerkungen.
Er ist aufgestanden.
DAS SÜSSE MÄDEL
Karl, na Karl, was ist denn? Bist bös? Schau,ich hab's ja wirklich nicht gewußt, daß du verheiratet bist. Ich hab' ja nur so g'redt. Geh,komm und sei wieder gut.
DER GATTE
kommt nach ein paar Sekunden zu ihr.
Ihr seid wirklich sonderbare Geschöpfe,ihr... Weiber.
Er wird wieder zärtlich an ihrerSeite.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh... nicht... es ist auch schon sospät. —
DER GATTE
Also jetzt hör mir einmal zu. Reden wir einmal im Ernst miteinander. Ich möcht' dichwiedersehen, öfter wiedersehen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Is wahr?
DER GATTE
Aber dazu ist notwendig... also verlassenmuß ich mich auf dich können. Aufpassen kannich nicht auf dich.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ah, ich pass' schon selber auf mich auf.
DER GATTE
Du bist... na also, unerfahren kann manja nicht sagen — aber jung bist du — und —die Männer sind im allgemeinen ein gewissenloses Volk.
DAS SÜSSE MÄDEL
O jeh!
DER GATTE
Ich mein' das nicht nur in moralischer Hinsicht. — Na, du verstehst mich sicher. —
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja, sag mir, was glaubst du denn eigentlichvon mir?
DER GATTE
Also — wenn du mich lieb haben willst —nur mich — so können wirs uns schon einrichten — wenn ich auch für gewöhnlich in Graz wohne. Da wo jeden Moment werhereinkommen kann, ist es ja doch nicht dasrechte.
Das süsse Mädel schmiegt sich an ihn.
Das nächste Mal... werden wir woanderszusammen sein, ja?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja.
DER GATTE
Wo wir ganz ungestört sind.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja.
DER GATTE
umfängt sie heiß.
Das andere besprechen wir im Nachhausfahren.Steht auf, öffnet die Tür. Kellner... die Rechnung!
DAS SÜSSE MÄDEL UNDDER DICHTER
Ein kleines Zimmer, mit behaglichem Geschmack eingerichtet. Vorhänge, welche das Zimmer halbdunkelmachen. Rote Stores. Großer Schreibtisch, auf dem Papiereund Bücher herumliegen. Ein Pianino an der Wand.Das süße Mädel. Der Dichter.Sie kommen eben zusammen herein. Der Dichter schließt zu.
DER DICHTER
So, mein Schatz.
küßt sie.
DAS SÜSSE MÄDEL
mit Hut und Mantille.
Ah! Da ist aber schön! Nur sehen tut mannichts!
DER DICHTER
Deine Augen müssen sich an das Halbdunkel gewöhnen. — Diese süßen Augen —
küßt sie auf die Augen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Dazu werden die süßen Augen aber nicht Zeitgenug haben.
DER DICHTER
Warum denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
Weil ich nur eine Minuten dableib'.
DER DICHTER
Den Hut leg ab, ja?
DAS SÜSSE MÄDEL
Wegen der einen Minuten?
DER DICHTER
nimmt die Nadel aus ihrem Hut undlegt den Hut fort.
Und die Mantille —
DAS SÜSSE MÄDEL
Was willst denn? — Ich muß ja gleich wiederfortgehen.
DER DICHTER
Aber du mußt dich doch ausruhn! Wir sindja drei Stunden gegangen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Wir sind gefahren.
DER DICHTER
Ja nach Haus — aber in Weidling am Bachsind wir doch drei volle Stunden herumgelaufen. Also setz dich nur schön nieder, meinKind... wohin du willst; — hier an denSchreibtisch; — aber nein, das ist nicht bequem.Setz dich auf den Diwan. So. Er drückt sienieder. Bist du sehr müd, so kannst du dichauch hinlegen. So. Er legt sie auf den Diwan.Da das Kopferl auf den Polster.
DAS SÜSSE MÄDEL
lachend.
Aber ich bin ja gar nicht müd!
DER DICHTER
Das glaubst du nur. So — und wenn duschläfrig bist, kannst du auch schlafen. Ich werdeganz still sein. Übrigens kann ich dir einSchlummerlied vorspielen... von mir...
Geht zum Pianino.
DAS SÜSSE MÄDEL
Von dir?
DER DICHTER
Ja.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ich hab' glaubt, Robert, du bist ein Doktor.
DER DICHTER
Wieso? Ich hab' dir doch gesagt, daß ichSchriftsteller bin.
DAS SÜSSE MÄDEL
Die Schriftsteller sind doch alle Dokters.
DER DICHTER
Nein, nicht alle. Ich zum Beispiel nicht. Aber wiekommst du jetzt darauf.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, weil du sagst, das Stück, was du daspielen tust, ist von dir.
DER DICHTER
Ja... vielleicht ist es auch nicht von mir. Dasist ja ganz egal. Was? Überhaupt wer's gemacht hat, das ist immer egal. Nur schön mußes sein — nicht wahr?
DAS SÜSSE MÄDEL
Freilich... schön muß es sein — das ist dieHauptsach'! —
DER DICHTER
Weißt du, wie ich das gemeint hab'?
DAS SÜSSE MÄDEL
Was denn?
DER DICHTER
Na, was ich eben gesagt hab'.
DAS SÜSSE MÄDEL
schläfrig.
Na freilich.
DER DICHTER
steht auf; zu ihr, ihr das Haar streichelnd.
Kein Wort hast du verstanden.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, ich bin doch nicht so dumm.
DER DICHTER
Freilich bist du so dumm. Aber geradedarum hab' ich dich lieb. Ah, das ist so schön,wenn ihr dumm seid. Ich mein' in der Artwie du.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, was schimpfst denn?
DER DICHTER
Engel, kleiner. Nicht wahr, es liegt sich gutauf dem weichen, persischen Teppich?
DAS SÜSSE MÄDEL
O ja. Geh, willst nicht weiter Klavierspielen?
DER DICHTER
Nein, ich bin schon lieber da bei dir.
Streichelt sie.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, willst nicht lieber Licht machen?
DER DICHTER
O nein... Diese Dämmerung tut ja sowohl. Wir waren heute den ganzen Tag wiein Sonnenstrahlen gebadet. Jetzt sind wir sozusagen aus dem Bad gestiegen und schlagen... die Dämmerung wie einen Bademantel —lacht — ah nein — das muß anders gesagt werden... Findest du nicht?
DAS SÜSSE MÄDEL
Weiß nicht.
DER DICHTER
sich leicht von ihr entfernend.
Göttlich, diese Dummheit!
Nimmt ein Notizbuchund schreibt ein paar Worte hinein.
DAS SÜSSE MÄDEL
Was machst denn? Sich nach ihm umwendend. Was schreibst dir denn auf?
DER DICHTER
leise.
Sonne, Bad, Dämmerung, Mantel... so...steckt das Notizbuch ein. Laut. Nichts... Jetztsag einmal, mein Schatz, möchtest du nichtetwas essen oder trinken?
DAS SÜSSE MÄDEL
Durst hab' ich eigentlich keinen. Aber Appetit.
DER DICHTER
Hm... mir wär' lieber, du hättest Durst.Kognak hab' ich nämlich zu Haus, aber Essenmüßte ich erst holen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Kannst nichts holen lassen?
DER DICHTER
Das ist schwer, meine Bedienerin ist jetzt nichtmehr da — na wart — ich geh' schon selber... was magst du denn?
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber es zahlt sich ja wirklich nimmer aus, ichmuß ja sowieso zu Haus.
DER DICHTER
Kind, davon ist keine Rede. Aber ich werd'dir was sagen: wenn wir weggehn, gehn wirzusammen wohin nachtmahlen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Oh nein. Dazu hab' ich keine Zeit. Und dann,wohin sollen wir denn? Es könnt' uns ja werBekannter sehn.
DER DICHTER
Hast du denn gar so viel Bekannte?
DAS SÜSSE MÄDEL
Es braucht uns ja nur einer zu sehn, ist'sMalheur schon fertig.
DER DICHTER
Was ist denn das für ein Malheur?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, was glaubst, wenn die Mutter was hört...
DER DICHTER
Wir können ja doch irgendwohin gehen, wo unsniemand sieht, es gibt ja Gasthäuser mit einzelnen Zimmern.
DAS SÜSSE MÄDEL
singend.
Ja, beim Souper im Chambre séparée!
DER DICHTER
Warst du schon einmal in einem Chambreséparée?
DAS SÜSSE MÄDEL
Wenn ich die Wahrheit sagen soll — ja.
DER DICHTER
Wer war der Glückliche?
DAS SÜSSE MÄDEL
Oh das ist nicht, wie du meinst... ich warmit meiner Freundin und ihrem Bräutigam.Die haben mich mitgenommen.
DER DICHTER
So. Und das soll ich dir am End' glauben?
DAS SÜSSE MÄDEL
Brauchst mir ja nicht zu glauben!
DER DICHTER
nah bei ihr.
Bist du jetzt rot geworden? Man sieht nichtsmehr! Ich kann deine Züge nicht mehr ausnehmen. Mit seiner Hand berührt er ihre Wangen. Aber auch so erkenn' ich dich.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, pass' nur auf, daß du mich mit keiner andernverwechselst.
DER DICHTER
Es ist seltsam, ich kann mich nicht mehr erinnern,wie du aussiehst.
DAS SÜSSE MÄDEL
Dank' schön!
DER DICHTER
ernst.
Du, das ist beinah unheimlich, ich kannmir dich nicht vorstellen — In einem gewissenSinne hab' ich dich schon vergessen — Wennich mich auch nicht mehr an den Klang deinerStimme erinnern könnte... was wärst duda eigentlich? — Nah und fern zugleich...unheimlich.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, was red'st denn —?
DER DICHTER
Nichts, mein Engel, nichts. Wo sind deineLippen...
Er küßt sie.
DAS SÜSSE MÄDEL
Willst nicht lieber Licht machen?
DER DICHTER
Nein... Er wird sehr zärtlich. Sag, ob du michliebhast.
DAS SÜSSE MÄDEL
Sehr... o sehr!
DER DICHTER
Hast du schon irgendwen so liebgehabt wiemich?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ich hab' dir ja schon gesagt — nein.
DER DICHTER
Aber...
er seufzt.
DAS SÜSSE MÄDEL
Das ist ja mein Bräutigam gewesen.
DER DICHTER
Es wär mir lieber, du würdest jetzt nicht anihn denken.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh... was machst denn... schau...
DER DICHTER
Wir können uns jetzt auch vorstellen, daß wirin einem Schloß in Indien sind.
DAS SÜSSE MÄDEL
Dort sind s' gewiß nicht so schlimm wie du.
DER DICHTER
Wie blöd! Göttlich — Ah wenn du ahntest,was du für mich bist...
DAS SÜSSE MÄDEL
Na?
DER DICHTER
Stoß mich doch nicht immer weg; ich tu' dirja nichts — vorläufig.
DAS SÜSSE MÄDEL
Du, das Mieder tut mir weh.
DER DICHTER
einfach.
Zieh's aus.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja. Aber du darfst deswegen nicht schlimmwerden.
DER DICHTER
Nein.
Das süsse Mädel hat sich erhoben und zieht in derDunkelheit ihr Mieder aus.
DER DICHTER
der währenddessen auf dem Diwan sitzt:
Sag, interessiertes dich denn gar nicht, wie ichmit dem Zunamen heiß'?
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja, wie heißt du denn?
DER DICHTER
Ich werd' dir lieber nicht sagen, wie ich heiß',sondern wie ich mich nenne.
DAS SÜSSE MÄDEL
Was ist denn da für ein Unterschied?
DER DICHTER
Na, wie ich mich als Schriftsteller nenne.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ah, du schreibst nicht unter deinem wirklichenNamen?
Der Dichternah zu ihr.
Ah... geh!... nicht.
DER DICHTER
Was einem da für ein Duft entgegensteigt.Wie süß.
Er küßt ihren Busen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Du zerreißt ja mein Hemd.
DER DICHTER
Weg... weg... alles das ist überflüssig.
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber Robert!
DER DICHTER
Und jetzt komm in unser indisches Schloß.
DAS SÜSSE MÄDEL
Sag mir zuerst, ob du mich wirklich liebhast.
DER DICHTER
Aber ich bete dich ja an. Küßt sie heiß. Ich betedich ja an, mein Schatz, mein Frühling...mein...
DAS SÜSSE MÄDEL
Robert... Robert...!
DER DICHTER
Das war überirdische Seligkeit... Ich nennemich...
DAS SÜSSE MÄDEL
Robert, oh mein Robert!
DER DICHTER
Ich nenne mich Biebitz.
DAS SÜSSE MÄDEL
Warum nennst du dich Biebitz?
DER DICHTER
Ich heiße nicht Biebitz — ich nenne michso... nun, kennst du den Namen vielleichtnicht?
DAS SÜSSE MÄDEL
Nein.
DER DICHTER
Du kennst den Namen Biebitz nicht? Ah —göttlich! Wirklich? Du sagst es nur, daß duihn nicht kennst, nicht wahr?
DAS SÜSSE MÄDEL
Meiner Seel, ich hab' ihn nie gehört!
DER DICHTER
Gehst du denn nie ins Theater?
DAS SÜSSE MÄDEL
Oh ja — ich war erst neulich mit einem —weißt, mit dem Onkel von meiner Freundinund meiner Freundin sind wir in der Oper gewesen bei der Cavalleria.
DER DICHTER
Hm, also ins Burgtheater gehst du nie.
DAS SÜSSE MÄDEL
Da krieg ich nie Karten geschenkt.
DER DICHTER
Ich werde dir nächstens eine Karte schicken.
DAS SÜSSE MÄDEL
Oh ja! Aber nicht vergessen! Zu was Lustigemaber.
DER DICHTER
Ja... lustig... zu was Traurigem willstdu nicht gehn?
DAS SÜSSE MÄDEL
Nicht gern.
DER DICHTER
Auch wenn's ein Stück von mir ist.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh — ein Stück von dir? Du schreibst fürsTheater?
DER DICHTER
Erlaube, ich will nur Licht machen. Ich habedich noch nicht gesehen, seit du meine Geliebte bist. — Engel!
Er zündet eine Kerze an.
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, ich schäm' mich ja. Gib mir wenigstenseine Decke.
DER DICHTER
Später!
Er kommt mit dem Licht zu ihr, betrachtet sielang.
DAS SÜSSE MÄDEL
bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.
Geh, Robert!
DER DICHTER
Du bist schön, du bist die Schönheit, du bistvielleicht sogar die Natur, du bist die heiligeEinfalt.
DAS SÜSSE MÄDEL
Oh weh, du tropfst mich ja an! Schau, was gibstdenn nicht acht!
DER DICHTER
stellt die Kerze weg.
Du bist das, was ich seit langem gesuchthabe. Du liebst nur mich, du würdest michauch lieben, wenn ich Schnittwarenkommiswäre. Das tut wohl. Ich will dir gestehen,daß ich einen gewissen Verdacht bis zudiesem Moment nicht losgeworden bin. Sagehrlich, hast du nicht geahnt, daß ich Biebitzbin?
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber geh, ich weiß gar nicht, was du von mirwillst. Ich kenn' ja gar kein Biebitz.
DER DICHTER
Was ist der Ruhm! Nein, vergiß, was ichgesagt habe, vergiß sogar den Namen, den ichdir gesagt hab'. Robert bin ich und will ich fürdich bleiben. Ich hab' auch nur gescherzt. Leicht. Ich bin ja nicht Schriftsteller, ich bin Commisund am Abend spiel' ich bei VolkssängernKlavier.
DAS SÜSSE MÄDEL
Ja, jetzt kenn' ich mich aber nicht mehraus... nein, und wie du einen nur anschaust. Ja, was ist denn, ja was hast denn?
DER DICHTER
Es ist sehr sonderbar — was mir beinah nochnie passiert ist, mein Schatz, mir sind dieTränen nah. Du ergreifst mich tief. Wirwollen zusammenbleiben, ja? Wir werdeneinander sehr liebhaben.
DAS SÜSSE MÄDEL
Du, ist das wahr mit den Volkssängern?
DER DICHTER
Ja, aber frag nicht weiter. Wenn du mich liebhast, frag überhaupt nichts. Sag, kannst dudich auf ein paar Wochen ganz frei machen?
DAS SÜSSE MÄDEL
Wieso ganz frei?
DER DICHTER
Nun, vom Hause weg?
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber!! Wie kann ich das! Was möcht' dieMutter sagen? Und dann, ohne mich ging jaalles schief zu Haus.
DER DICHTER
Ich hatte es mir schön vorgestellt, mit dir zusammen, allein mit dir, irgendwo in der Einsamkeit draußen, im Wald, in der Natur ein paar Wochen zu leben. Natur... in der Natur.Und dann, eines Tages adieu — voneinandergehen, ohne zu wissen, wohin.
DAS SÜSSE MÄDEL
Jetzt red'st schon vom Adieusagen! Und ichhab' gemeint, daß du mich so gern hast.
DER DICHTER
Gerade darum — beugt sich zu ihr und küßt sie aufdie Stirn. Du süßes Geschöpf!
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, halt mich fest, mir ist so kalt.
DER DICHTER
Es wird Zeit sein, daß du dich ankleidest.Warte, ich zünde dir noch ein paar Kerzenan.
DAS SÜSSE MÄDEL
erhebt sich.
Nicht herschauen.
DER DICHTER
Nein. Am Fenster. Sag mir, mein Kind, bistdu glücklich?
DAS SÜSSE MÄDEL
Wie meinst das?
DER DICHTER
Ich mein' im allgemeinen, ob du glücklich bist?
DAS SÜSSE MÄDEL
Es könnt schon besser gehen.
DER DICHTER
Du mißverstehst mich. Von deinen häuslichenVerhältnissen hast du mir ja schon genug erzählt. Ich weiß, daß du keine Prinzessin bist.Ich mein', wenn du von alledem absiehst, wenndu dich einfach leben spürst. Spürst du dichüberhaupt leben?
DAS SÜSSE MÄDEL
Geh, hast kein Kamm?
DER DICHTER
geht zum Toilettentisch, gibt ihr denKamm, betrachtet das süße Mädel.
Herrgott, siehst du so entzückend aus!
DAS SÜSSE MÄDEL
Na... nicht!
DER DICHTER
Geh, bleib noch da, bleib da, ich hol' was zumNachtmahl und...
DAS SÜSSE MÄDEL
Aber es ist ja schon viel zu spät.
DER DICHTER
Es ist noch nicht neun.
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, sei so gut, da muß ich mich aber tummeln.
DER DICHTER
Wann werden wir uns denn wiedersehen?
DAS SÜSSE MÄDEL
Na, wann willst mich denn wiedersehen?
DER DICHTER
Morgen.
DAS SÜSSE MÄDEL
Was ist denn morgen für ein Tag?
DER DICHTER
Samstag.
DAS SÜSSE MÄDEL
Oh da kann ich nicht, da muß ich mit meinerkleinen Schwester zum Vormund.
DER DICHTER
Also Sonntag... hm... Sonntag...am Sonntag... jetzt werd' ich dir waserklären. — Ich bin nicht Biebitz, aberBiebitz ist mein Freund. Ich werd' dir ihneinmal vorstellen. Aber Sonntag ist das Stückvon Biebitz, — ich werd' dir eine Karte schickenund werde dich dann vom Theater abholen.Du wirst mir sagen, wie dir das Stück gefallenhat, ja?
DAS SÜSSE MÄDEL
Jetzt, die G'schicht mit dem Biebitz — da binich schon ganz blöd.
DER DICHTER
Völlig werd' ich dich erst kennen, wenn ichweiß, was du bei diesem Stück empfundenhast.
DAS SÜSSE MÄDEL
So... ich bin fertig.
DER DICHTER
Komm, mein Schatz!
Sie gehen.
DER DICHTER UND DIESCHAUSPIELERIN
Ein Zimmer in einem Gasthof auf dem Land.Es ist ein Frühlingsabend, über den Wiesen und Hügelnliegt der Mond, — die Fenster stehen offen.Große Stille.Der Dichter und die Schauspielerin treten ein, — wie siehereintreten, verlöscht das Licht, das der Dichter in derHand hält.
DICHTER
Oh...
SCHAUSPIELERIN
Was ist denn?
DICHTER
Das Licht. — Aber wir brauchen keins. Schau,es ist ganz hell. Wunderbar!
Schauspielerin sinkt am Fenster plötzlich nieder mit gefalteten Händen.
DICHTER
Was hast du denn?
Schauspielerin schweigt.
DICHTER
zu ihr hin:
Was machst du denn?
SCHAUSPIELERIN
empört:
Siehst du nicht, daß ich bete? —
DICHTER
Glaubst du an Gott?
SCHAUSPIELERIN
Gewiß, ich bin ja kein blasser Schurke.
DICHTER
Ach so!
SCHAUSPIELERIN
Komm doch zu mir, knie dich neben mich hin.Kannst wirklich auch einmal beten. Wird dirkeine Perle aus der Krone fallen.
Dichter kniet neben sie hin und umfaßt sie.
SCHAUSPIELERIN
Wüstling! — Erhebt sich. Und weißt du auch,zu wem ich gebetet habe?
DICHTER
Zu Gott, nehm' ich an.
SCHAUSPIELERIN
Großer Hohn.
Jawohl! Zu dir hab' ich gebetet.
DICHTER
Warum hast du denn da zum Fenster hinausgeschaut?
SCHAUSPIELERIN
Sag mir lieber, wo du mich da hingeschleppthast, Verführer!
DICHTER
Aber Kind, das war ja deine Idee. Du wolltestja aufs Land — und gerade hieher.
SCHAUSPIELERIN
Nun, hab' ich nicht recht gehabt?
DICHTER
Gewiß, es ist ja entzückend hier. Wennman bedenkt, zwei Stunden von Wien — unddie völlige Einsamkeit. Und was für eineGegend!
SCHAUSPIELERIN
Was? Da könntest du wohl mancherlei dichten,wenn du zufällig Talent hättest.
DICHTER
Warst du hier schon einmal?
SCHAUSPIELERIN
Ob ich hier schon war? Ha! Hier hab' ich jahrelang gelebt!
DICHTER
Mit wem?
SCHAUSPIELERIN
Nun, mit Fritz natürlich.
DICHTER
Ach so!
SCHAUSPIELERIN
Den Mann hab' ich wohl angebetet! —
DICHTER
Das hast du mir bereits erzählt.
SCHAUSPIELERIN
Ich bitte — ich kann auch wieder gehen, wennich dich langweile!
DICHTER
Du mich langweilen?... Du ahnst ja garnicht, was du für mich bedeutest... Dubist eine Welt für sich... Du bist dasGöttliche, du bist das Genie... Du bist — Du bist eigentlich die heilige Einfalt...Ja, du... Aber du solltest jetzt nicht vonFritz reden.
SCHAUSPIELERIN
Das war wohl eine Verirrung! Na! —
DICHTER
Es ist schön, daß du das einsiehst.
SCHAUSPIELERIN
Komm her, gib mir einen Kuß!
DICHTER küßt sie.
Jetzt wollen wir uns aber eine gute Nacht sagen!Leb wohl, mein Schatz!
DICHTER
Wie meinst du das?
SCHAUSPIELERIN
Nun, ich werde mich schlafen legen!
DICHTER
Ja — das schon, aber was das Gutenachtsagen anbelangt... Wo soll denn ich übernachten?
SCHAUSPIELERIN
Es gibt gewiß noch viele Zimmer in diesemHaus.
DICHTER
Die anderen haben aber keinen Reiz für mich.Jetzt werd' ich übrigens Licht machen, meinstdu nicht?
SCHAUSPIELERIN
Ja.
DICHTER
zündet das Licht an, das auf dem Nachtkästchen steht.
Was für ein hübsches Zimmer... undfromm sind die Leute hier. Lauter Heiligenbilder... Es wäre interessant, eine Zeitunter diesen Menschen zu verbringen...doch eine andre Welt. Wir wissen eigentlichso wenig von den andern.
SCHAUSPIELERIN
Rede keinen Stiefel und reiche mir lieber dieseTasche vom Tisch herüber.
DICHTER
Hier, meine Einzige!
Schauspielerin nimmt aus dem Täschchen ein kleines, gerahmtes Bildchen, stellt es auf das Nachtkästchen.
Was ist das?
SCHAUSPIELERIN
Das ist die Madonna.
DICHTER
Die hast du immer mit?
SCHAUSPIELERIN
Die ist doch mein Talisman. Und jetzt geh,Robert!
DICHTER
Aber was sind das für Scherze? Soll ich dirnicht helfen?
SCHAUSPIELERIN
Nein, du sollst jetzt gehn.
DICHTER
Und wann soll ich wiederkommen?
SCHAUSPIELERIN
In zehn Minuten.
DICHTER
küßt sie.
Auf Wiedersehen!
SCHAUSPIELERIN
Wo willst du denn hin?
DICHTER
Ich werde vor dem Fenster auf und ab gehen.Ich liebe es sehr, nachts im Freien herumzuspazieren. Meine besten Gedanken kommenmir so. Und gar in deiner Nähe, von deinerSehnsucht sozusagen umhaucht... in deinerKunst webend.
SCHAUSPIELERIN
Du redest wie ein Idiot...
DICHTER
schmerzlich.
Es gibt Frauen, welche vielleicht sagen würden... wie ein Dichter.
SCHAUSPIELERIN
Nun geh endlich. Aber fang mir kein Verhältnis mit der Kellnerin an. —
Dichter geht.
SCHAUSPIELERIN
kleidet sich aus. Sie hört, wie derDichter über die Holztreppe hinuntergeht und hört jetztseine Schritte unter dem Fenster. Sie geht, sobald sieausgekleidet ist, zum Fenster, sieht hinunter, er steht da;sie ruft flüsternd hinunter.
Komm!
Dichter kommt rasch herauf, stürzt zu ihr, die sich unterdessen ins Bett gelegt und das Licht ausgelöscht hat;er sperrt ab.
SCHAUSPIELERIN
So, jetzt kannst du dich zu mir setzen und mirwas erzählen.
DICHTER
setzt sich zu ihr aufs Bett.
Soll ich nicht das Fenster schließen? Ist dir nichtkalt?
SCHAUSPIELERIN
Oh nein!
DICHTER
Was soll ich dir denn erzählen?
SCHAUSPIELERIN
Nun, wem bist du in diesem Moment untreu?
DICHTER
Ich bin es ja leider noch nicht.
SCHAUSPIELERIN
Nun, tröste dich, ich betrüge auch jemanden.
DICHTER
Das kann ich mir denken.
SCHAUSPIELERIN
Und was glaubst du, wen?
DICHTER
Ja Kind, davon kann ich keine Ahnunghaben.
SCHAUSPIELERIN
Nun, rate.
DICHTER
Warte... Na, deinen Direktor.
SCHAUSPIELERIN
Mein Lieber, ich bin keine Choristin.
DICHTER
Nun, ich dachte nur.
SCHAUSPIELERIN
Rate noch einmal.
DICHTER
Also du betrügst deinen Kollegen... Benno —
SCHAUSPIELERIN
Ha! Der Mann liebt ja überhaupt keineFrauen... weißt du das nicht? Der Mannhat ja ein Verhältnis mit seinem Briefträger!
DICHTER
Ist das möglich! —
SCHAUSPIELERIN
So gib mir lieber einen Kuß.
Dichter umschlingt sie.
Aber was tust du denn?
DICHTER
So quäl mich doch nicht so.
SCHAUSPIELERIN
Höre, Robert, ich werde dir einen Vorschlagmachen. Leg dich zu mir ins Bett.
DICHTER
Angenommen!
SCHAUSPIELERIN
Komm schnell, komm schnell!
DICHTER
Ja... wenn es nach mir gegangen wäre,wär ich schon längst... Hörst du...
SCHAUSPIELERIN
Was denn?
DICHTER
Draußen zirpen die Grillen.
SCHAUSPIELERIN
Du bist wohl wahnsinnig, mein Kind, hier gibtes ja keine Grillen.
DICHTER
Aber du hörst sie doch.
SCHAUSPIELERIN
Nun so komm endlich!
DICHTER
Da bin ich.
Zu ihr.
SCHAUSPIELERIN
So, jetzt bleib schön ruhig liegen...Pst... nicht rühren.
DICHTER
Ja, was fällt dir denn ein?
SCHAUSPIELERIN
Du möchtest wohl gerne ein Verhältnis mitmir haben?
DICHTER
Das dürfte dir doch bereits klar sein.
SCHAUSPIELERIN
Nun, das möchte wohl mancher...
DICHTER
Es ist aber doch nicht zu bezweifeln, daßin diesem Moment ich die meisten Chancenhabe.
SCHAUSPIELERIN
So komm, meine Grille! Ich werde dich vonnun an Grille nennen.
DICHTER
Schön...
SCHAUSPIELERIN
Nun, wen betrüg' ich?
DICHTER
Wen?... Vielleicht mich...
SCHAUSPIELERIN
Mein Kind, du bist schwer gehirnleidend.
DICHTER
Oder einen... den du selbst nie gesehen... einen, den du nicht kennst, einen —der für dich bestimmt ist und den du nie findenkannst...
SCHAUSPIELERIN
Ich bitte dich, rede nicht so märchenhaft blöd.
DICHTER
... Ist es nicht sonderbar... auch du —und man sollte doch glauben. — Aber nein,es hieße dir dein Bestes rauben, wollte mandir... komm, komm — — komm —
SCHAUSPIELERIN
Das ist noch schöner, als in blödsinnigen Stückenspielen... was meinst du?
DICHTER
Nun, ich mein', es ist gut, daß du doch zuweilen in vernünftigen zu spielen hast.
SCHAUSPIELERIN
Du arroganter Hund meinst gewiß wieder dasdeine?
DICHTER
Jawohl!
SCHAUSPIELERIN
ernst.
Das ist wohl ein herrliches Stück!
DICHTER
Nun also!
SCHAUSPIELERIN
Ja, du bist ein großes Genie, Robert!
DICHTER
Bei dieser Gelegenheit könntest du mir übrigens sagen, warum du vorgestern abgesagthast. Es hat dir doch absolut gar nichts gefehlt.
SCHAUSPIELERIN
Nun, ich wollte dich ärgern.
DICHTER
Ja warum denn? Was hab' ich dir denngetan?
SCHAUSPIELERIN
Arrogant bist du gewesen.
DICHTER
Wieso?
SCHAUSPIELERIN
Alle im Theater finden es.
DICHTER
So.
SCHAUSPIELERIN
Aber ich hab' ihnen gesagt: Der Mann hatwohl ein Recht, arrogant zu sein.
DICHTER
Und was haben die anderen geantwortet?
SCHAUSPIELERIN
Was sollen mir denn die Leute antworten?Ich rede ja mit keinem.
DICHTER
Ach so.
SCHAUSPIELERIN
Sie möchten mich am liebsten alle vergiften.Aber das wird ihnen nicht gelingen.
DICHTER
Denke jetzt nicht an die anderen Menschen.Freue dich lieber, daß wir hier sind und sagemir, daß du mich liebhast.
SCHAUSPIELERIN
Verlangst du noch weitere Beweise?
DICHTER
Bewiesen kann das überhaupt nicht werden.
SCHAUSPIELERIN
Das ist aber großartig! Was willst du dennnoch?
DICHTER
Wie vielen hast du es schon auf diese Art beweisen wollen... hast du alle geliebt?
SCHAUSPIELERIN
Oh nein. Geliebt hab' ich nur einen.
DICHTER
umarmt sie.
Mein...
SCHAUSPIELERIN
Fritz.
DICHTER
Ich heiße Robert. Was bin denn ich für dich,wenn du jetzt an Fritz denkst?
SCHAUSPIELERIN
Du bist eine Laune.
DICHTER
Gut, daß ich es weiß.
SCHAUSPIELERIN
Nun sag, bist du nicht stolz?
DICHTER
Ja, weshalb soll ich denn stolz sein?
SCHAUSPIELERIN
Ich denke, daß du wohl einen Grund dazuhast.
DICHTER
Ach deswegen.
SCHAUSPIELERIN
Jawohl, deswegen, meine blasse Grille!Nun, wie ist das mit dem Zirpen? Zirpen sienoch?
DICHTER
Ununterbrochen. Hörst du's denn nicht?
SCHAUSPIELERIN
Freilich hör' ich. Aber das sind Frösche, meinKind.
DICHTER
Du irrst dich, die quaken.
SCHAUSPIELERIN
Gewiß quaken sie.
DICHTER
Aber nicht hier, mein Kind, hier wird gezirpt.
SCHAUSPIELERIN
Du bist wohl das Eigensinnigste, was mir jeuntergekommen ist. Gib mir einen Kuß, meinFrosch!
DICHTER
Bitte sehr, nenn mich nicht so. Das macht michdirekt nervös.
SCHAUSPIELERIN
Nun, wie soll ich dich nennen.
DICHTER
Ich hab' doch einen Namen: Robert.
SCHAUSPIELERIN
Ach, das ist zu dumm.
DICHTER
Ich bitte dich aber, mich einfach so zu nennen,wie ich heiße.
SCHAUSPIELERIN
Also Robert, gib mir einen Kuß... Ah! Sieküßt ihn. Bist du jetzt zufrieden, Frosch? Hahahaha.
DICHTER
Würdest du mir erlauben, mir eine Zigaretteanzuzünden?
SCHAUSPIELERIN
Gib mir auch eine.
Er nimmt die Zigarettentasche vom Nachtkästchen, entnimmt ihr zwei Zigaretten, zündet beide an, gibt ihr eine.
SCHAUSPIELERIN
Du hast mir übrigens noch kein Wort übermeine gestrige Leistung gesagt.
DICHTER
Über welche Leistung?
SCHAUSPIELERIN
Nun.
DICHTER
Ach so. Ich war nicht im Theater.
SCHAUSPIELERIN
Du beliebst wohl zu scherzen.
DICHTER
Durchaus nicht. Nachdem du vorgesternabgesagt hast, habe ich angenommen, daßdu auch gestern noch nicht im Vollbesitzedeiner Kräfte sein würdest und da hab' ichlieber verzichtet.
SCHAUSPIELERIN
Du hast wohl viel versäumt.
DICHTER
So.
SCHAUSPIELERIN
Es war sensationell. Die Menschen sind blaßgeworden.
DICHTER
Hast du das deutlich bemerkt?
SCHAUSPIELERIN
Benno sagte: Kind, du hast gespielt wie eineGöttin.
DICHTER
Hm!... Und vorgestern noch sokrank.
SCHAUSPIELERIN
Jawohl; ich war es auch. Und weißt du warum?Vor Sehnsucht nach dir.
DICHTER
Früher hast du mir erzählt, du wolltest michärgern und hast darum abgesagt.
SCHAUSPIELERIN
Aber was weißt du von meiner Liebe zu dir.Dich läßt ja alles kalt. Und ich bin schonnächtelang im Fieber gelegen. VierzigGrad!
DICHTER
Für eine Laune ist das ziemlich hoch.
SCHAUSPIELERIN
Laune nennst du das? Ich sterbe vor Liebe zudir und du nennst es Laune — ?!
DICHTER
Und Fritz...
SCHAUSPIELERIN
Fritz?... Rede mir nicht von diesemGaleerensträfling! —
DIE SCHAUSPIELERINUND DER GRAF
Das Schlafzimmer der Schauspielerin. Sehr üppig eingerichtet. Es ist zwölf Uhr mittags, die Rouleaux sindnoch herunter gelassen, auf dem Nachtkästchen brennteine Kerze, die Schauspielerin liegt noch in ihrem Himmelbett. Auf der Decke liegen zahlreiche Zeitungen.Der Graf tritt ein in der Uniform eines Dragonerrittmeisters.Er bleibt an der Tür stehen. —
SCHAUSPIELERIN
Ah, Herr Graf.
GRAF
Die Frau Mama hat mir erlaubt, sonst wär'ich nicht —
SCHAUSPIELERIN
Bitte, treten Sie nur näher.
GRAF
Küß die Hand. Pardon — wenn man vonder Straßen hereinkommt... ich seh'nämlich noch rein gar nichts. So... da wärenwir ja am Bett: Küß die Hand.
SCHAUSPIELERIN
Nehmen Sie Platz, Herr Graf.
GRAF
Frau Mama sagte mir, Fräulein sind unpäßlich... Wird doch hoffentlich nichts ernstes sein.
SCHAUSPIELERIN
Nichts ernstes? Ich bin dem Tode nahegewesen!
GRAF
Um Gottes willen, wie ist denn das möglich?
SCHAUSPIELERIN
Es ist jedenfalls sehr freundlich, daß Sie sichzu mir bemühen.
GRAF
Dem Tode nahe! Und gestern abend habenSie noch gespielt wie eine Göttin.
SCHAUSPIELERIN
Es war wohl ein großer Triumph.
GRAF
Kolossal!... Die Leute waren auch allehingerissen. Und von mir will ich gar nichtreden.
SCHAUSPIELERIN
Ich danke für die schönen Blumen.
GRAF
Aber bitt' Sie Fräulein.
SCHAUSPIELERIN
mit den Augen auf einen großenBlumenkorb weisend, der auf einem kleinen Tischchenauf dem Fenster steht.
Hier stehen sie.
GRAF
Sie sind gestern förmlich überschüttet wordenmit Blumen und Kränzen.
SCHAUSPIELERIN
Das liegt noch alles in meiner Garderobe.Nur Ihren Korb habe ich mit nach Hausegebracht.
GRAF
küßt ihr die Hand.
Das ist lieb von Ihnen.
Schauspielerinnimmt die seine plötzlich und küßt sie.
Aber Fräulein.
SCHAUSPIELERIN
Erschrecken Sie nicht, Herr Graf, das verpflichtet Sie zu gar nichts.
GRAF
Sie sind ein sonderbares Wesen... rätselhaft könnte man fast sagen. —
Pause.
SCHAUSPIELERIN
Das Fräulein Birken ist wohl leichter aufzulösen.
GRAF
Ja die kleine Birken ist kein Problem, obzwar... ich kenne sie ja auch nur oberflächlich.
SCHAUSPIELERIN
Ha!
GRAF
Sie können mir's glauben. Aber Sie sindein Problem. Danach hab' ich immer Sehnsucht gehabt. Es ist mir eigentlich eingroßer Genuß entgangen, dadurch, daß ichSie gestern... das erste Mal spielen gesehen habe.
SCHAUSPIELERIN
Ist das möglich?
GRAF
Ja. Schauen Sie, Fräulein, es ist so schwermit dem Theater. Ich bin gewöhnt, spätzu dinieren... also wenn man dannhinkommt, ist's beste vorbei. Ist's nichtwahr?
SCHAUSPIELERIN
So werden Sie eben von jetzt an früheressen.
GRAF
Ja, ich hab' auch schon daran gedacht. Odergar nicht. Es ist ja wirklich kein Vergnügen,das Dinieren.
SCHAUSPIELERIN
Was kennen Sie jugendlicher Greis eigentlichnoch für ein Vergnügen?
GRAF
Das frag ich mich selber manchmal! Aber einGreis bin ich nicht. Es muß einen anderenGrund haben.
SCHAUSPIELERIN
Glauben Sie?
GRAF
Ja. Der Lulu sagt beispielsweise, ich bin einPhilosoph. Wissen Sie, Fräulein, er meint, ichdenk' zu viel nach.
SCHAUSPIELERIN
Ja... denken, das ist das Unglück.
GRAF
Ich hab' zu viel Zeit, drum denk' ich nach.Bitt' Sie, Fräulein, schauen S', ich hab' mirgedacht, wenn s' mich nach Wien transferieren, wird's besser. Da gibt's Zerstreuung,Anregung. Aber es ist im Grund doch nicht anders als da oben.
SCHAUSPIELERIN
Wo ist denn das da oben?
GRAF
Na, da unten, wissen S' Fräulein, in Ungarn,in die Nester, wo ich meistens in Garnisonwar.
SCHAUSPIELERIN
Ja, was haben Sie denn in Ungarn gemacht?
GRAF
Na, wie ich sag', Fräulein, Dienst.
SCHAUSPIELERIN
Ja, warum sind Sie denn so lang in Ungarn geblieben?
GRAF
Ja, das kommt so.
SCHAUSPIELERIN
Da muß man ja wahnsinnig werden.
GRAF
Warum denn? Zu tun hat man eigentlichmehr wie da. Wissen S' Fräulein, Rekrutenausbilden, Remonten reiten... und dannist's nicht so arg mit der Gegend, wie mansagt. Es ist schon ganz was schönes, dieTiefebene — und so ein Sonnenuntergang,es ist schade, daß ich kein Maler bin, ichhab mir manchmal gedacht, wenn ich einMaler wär', tät' ich's malen. Einen habenwir gehabt beim Regiment, einen jungenSplany, der hat's können. — Aber was erzähl ich Ihnen da für fade G'schichten, Fräulein.
SCHAUSPIELERIN
Oh bitte, ich amüsiere mich königlich.
GRAF
Wissen S' Fräulein, mit Ihnen kann manplaudern, das hat mir der Lulu schon g'sagt,und das ist's, was man so selten find't.
SCHAUSPIELERIN
Nun freilich, in Ungarn.
GRAF
Aber in Wien gradso! Die Menschen sindüberall dieselben; da wo mehr sind, ist halt dasGedräng' größer, das ist der ganze Unterschied.Sagen S' Fräulein, haben Sie die Menscheneigentlich gern?
SCHAUSPIELERIN
Gern — ?? Ich hasse sie! Ich kann keine sehn!Ich seh' auch nie jemanden. Ich bin immer allein,dieses Haus betritt niemand.
GRAF
Sehn S', das hab' ich mir gedacht, daß Sieeigentlich eine Menschenfeindin sind. Beider Kunst muß das oft vorkommen. Wennman so in den höheren Regionen... na,Sie haben's gut, Sie wissen doch wenigstens,warum Sie leben!
SCHAUSPIELERIN
Wer sagt Ihnen das? Ich habe keine Ahnung,wozu ich lebe!
GRAF
Ich bitt' Sie, Fräulein, — berühmt — gefeiert —
SCHAUSPIELERIN
Ist das vielleicht ein Glück?
GRAF
Glück? Bitt' Sie Fräulein, Glück gibt's nicht.Überhaupt gerade die Sachen, von denen ammeisten g'redt wird, gibt's nicht... zum Beispiel Liebe.Das ist auch so was.
SCHAUSPIELERIN
Da haben Sie wohl recht.
GRAF
Genuß... Rausch... also gut, da läßtsich nichts sagen... das ist was Sicheres.Jetzt genieße ich... gut, weiß ich, ichgenieß'. Oder ich bin berauscht, schön. Dasist auch sicher. Und ist's vorbei, so ist es haltvorbei.
SCHAUSPIELERIN
groß.
Es ist vorbei!
GRAF
Aber sobald man sich nicht, wie soll ichmich denn ausdrücken, sobald man sichnicht dem Moment hingibt, also an späterdenkt oder an früher... na, ist es doch gleichaus. Später... ist traurig... früher istungewiß... mit einem Wort... man wirdnur konfus. Hab' ich nicht recht?
SCHAUSPIELERIN
nickt mit großen Augen.
Sie haben wohl den Sinn erfaßt.
GRAF
Und sehen S', Fräulein, wenn einem das einmal klar geworden ist, ist's ganz egal, obman in Wien lebt oder in der Pußta oder inSteinamanger. Schaun S' zum Beispiel...wo darf ich denn die Kappen hinlegen? So,ich dank' schön... wovon haben wir dennnur gesprochen?
SCHAUSPIELERIN
Von Steinamanger.
GRAF
Richtig. Also wie ich sag', der Unterschiedist nicht groß. Ob ich am Abend imKasino sitz' oder im Klub, ist doch alleseins.
SCHAUSPIELERIN
Und wie verhält sich denn das mit derLiebe?
GRAF
Wenn man dran glaubt, ist immer eine da,die einen gern hat.
SCHAUSPIELERIN
Zum Beispiel das Fräulein Birken.
GRAF
Ich weiß wirklich nicht, Fräulein, warumSie immer auf die kleine Birken zu redenkommen.
SCHAUSPIELERIN
Das ist doch Ihre Geliebte.
GRAF
Wer sagt denn das?
SCHAUSPIELERIN
Jeder Mensch weiß das.
GRAF
Nur ich nicht, es ist merkwürdig.
SCHAUSPIELERIN
Sie haben doch ihretwegen ein Duell gehabt!
GRAF
Vielleicht bin ich sogar tot geschossen wordenund hab's gar nicht bemerkt.
SCHAUSPIELERIN
Nun, Herr Graf, Sie sind ein Ehrenmann.Setzen Sie sich näher.
GRAF
Bin so frei.
SCHAUSPIELERIN
Hierher. Sie zieht ihn an sich, fährt ihm mit der Handdurch die Haare. Ich hab' gewußt, daß Sie heutekommen werden!
GRAF
Wieso denn?
SCHAUSPIELERIN
Ich hab' es bereits gestern im Theater gewußt.
GRAF
Haben Sie mich denn von der Bühne aus gesehen?
SCHAUSPIELERIN
Aber Mann! Haben Sie denn nicht bemerkt,daß ich nur für Sie spiele?
GRAF
Wie ist das denn möglich?
SCHAUSPIELERIN
Ich bin ja so geflogen, wie ich Sie in der erstenReihe sitzen sah!
GRAF
Geflogen? Meinetwegen? Ich hab' keine Ahnunggehabt, daß Sie mich bemerken!
SCHAUSPIELERIN
Sie können einen auch mit Ihrer Vornehmheitzur Verzweiflung bringen.
GRAF
Ja, Fräulein...
SCHAUSPIELERIN
„Ja, Fräulein”!... So schnallen Sie doch wenigstens Ihren Säbel ab!
GRAF
Wenn es erlaubt ist.
Schnallt ihn ab, lehnt ihn ans Bett.
SCHAUSPIELERIN
Und gib mir endlich einen Kuß.
Graf küßt sie, sie läßt ihn nicht los.
Dich hätte ich auch lieber nie erblickensollen.
GRAF
Es ist doch besser so!
SCHAUSPIELERIN
Herr Graf, Sie sind doch ein Poseur!
GRAF
Ich — warum denn?
SCHAUSPIELERIN
Was glauben Sie, wie glücklich wär' mancher,wenn er an Ihrer Stelle sein dürfte!
GRAF
Ich bin sehr glücklich.
SCHAUSPIELERIN
Nun, ich dachte, es gibt kein Glück. Wieschaust du mich denn an? Ich glaube Sie habenAngst vor mir, Herr Graf!
GRAF
Ich sag's ja, Fräulein, Sie sind ein Problem.
SCHAUSPIELERIN
Ach laß du mich in Frieden mit der Philosophie... komm zu mir. Und jetzt bitt' mich umirgendwas... du kannst alles haben, was duwillst. Du bist zu schön.
GRAF
Also ich bitte um die Erlaubnis ihre Handküssend, daß ich heute abends wiederkommendarf.
SCHAUSPIELERIN
Heut abend... ich spiele ja.
GRAF
Nach dem Theater.
SCHAUSPIELERIN
Um was anderes bittest du nicht?
GRAF
Um alles andere werde ich nach dem Theaterbitten.
SCHAUSPIELERIN
verletzt.
Da kannst du lange bitten, du elender Poseur.
GRAF
Ja schauen Sie, oder schau, wir sind dochbis jetzt so aufrichtig miteinander gewesen...Ich fände das alles viel schöner am Abendnach dem Theater... gemütlicher als jetzt,wo... ich hab' immer so die Empfindung, alskönnte die Tür aufgehn...
SCHAUSPIELERIN
Die geht nicht von außen auf.
GRAF
Schau, ich find', man soll sich nicht leichtsinnigvon vornherein was verderben, was möglicherweise sehr schön sein könnte.
SCHAUSPIELERIN
Möglicherweise!...
GRAF
In der Früh, wenn ich die Wahrheit sagensoll, find' ich die Liebe gräßlich.
SCHAUSPIELERIN
Nun — du bist wohl das Irrsinnigste, was mirje vorgekommen ist!
GRAF
Ich red' ja nicht von beliebigen Frauenzimmern... schließlich im allgemeinenist's ja egal. Aber Frauen wie du... nein,du kannst mich hundertmal einen Narrenheißen. Aber Frauen wie du... nimmt mannicht vor dem Frühstück zu sich. Und so...weißt... so...
SCHAUSPIELERIN
Gott, was bist du süß!
GRAF
Siehst du das ein, was ich g'sagt hab', nichtwahr. Ich stell' mir das so vor —
SCHAUSPIELERIN
Nun, wie stellst du dir das vor?
GRAF
Ich denk' mir... ich wart' nach dem Theaterauf dich in ein Wagen, dann fahren wir zusammen also irgendwohin soupieren —
SCHAUSPIELERIN
Ich bin nicht das Fräulein Birken.
GRAF
Das hab' ich ja nicht gesagt. Ich find' nur,zu allem g'hört Stimmung. Ich komm' immererst beim Souper in Stimmung. Das ist danndas Schönste, wenn man so vom Souper zusamm nach Haus fahrt, dann...
SCHAUSPIELERIN
Was ist dann?
GRAF
Also dann... liegt das in der Entwicklungder Dinge.
SCHAUSPIELERIN
Setz dich doch näher. Näher.
GRAF
sich aufs Bett setzend.
Ich muß schon sagen, aus den Polstern kommtso ein... Reseda ist das — nicht?
SCHAUSPIELERIN
Es ist sehr heiß hier, findest du nicht?
Graf neigt sich und küßt ihren Hals.
Oh, Herr Graf, das ist ja gegen Ihr Programm.
GRAF
Wer sagt denn das? Ich hab' kein Programm.
SCHAUSPIELERIN zieht ihn an sich.
Es ist wirklich heiß.
SCHAUSPIELERIN
Findest du? Und so dunkel, wie wenn'sAbend wär... reißt ihn an sich. Es istAbend... es ist Nacht... Mach dieAugen zu, wenn's dir zu licht ist. Komm!Komm!...
Graf wehrt sich nicht mehr.
SCHAUSPIELERIN
Nun, wie ist das jetzt mit der Stimmung, duPoseur?
GRAF
Du bist ein kleiner Teufel.
SCHAUSPIELERIN
Was ist das für ein Ausdruck?
GRAF
Na, also ein Engel.
SCHAUSPIELERIN
Und du hättest Schauspieler werden sollen!Wahrhaftig! Du kennst die Frauen! Undweißt du, was ich jetzt tun werde?
GRAF
Nun?
SCHAUSPIELERIN
Ich werde dir sagen, daß ich dich nie wiedersehen will.
GRAF
Warum denn?
SCHAUSPIELERIN
Nein, nein. Du bist mir zu gefährlich! Dumachst ja ein Weib toll. Jetzt stehst du plötzlich vor mir, als wär nichts geschehn.
GRAF
Aber...
SCHAUSPIELERIN
Ich bitte sich zu erinnern, Herr Graf, ich binsoeben Ihre Geliebte gewesen.
GRAF
Ich werd's nie vergessen!
SCHAUSPIELERIN
Und wie ist das mit heute abend?
GRAF
Wie meinst du das?
SCHAUSPIELERIN
Nun du wolltest mich ja nach dem Theatererwarten?
GRAF
Ja, also gut, zum Beispiel übermorgen.
SCHAUSPIELERIN
Was heißt das, übermorgen? Es war doch vonheute die Rede.
GRAF
Das hätte keinen rechten Sinn.
SCHAUSPIELERIN
Du Greis!
GRAF
Du verstehst mich nicht recht. Ich mein' dasmehr, was, wie soll ich mich ausdrücken, wasdie Seele anbelangt.
SCHAUSPIELERIN
Was geht mich deine Seele an.
GRAF
Glaub mir, sie gehört mit dazu. Ich halte dasfür eine falsche Ansicht, daß man das so voneinander trennen kann.
SCHAUSPIELERIN
Laß mich mit deiner Philosophie in Frieden.Wenn ich das haben will, lese ich Bücher.
GRAF
Aus Büchern lernt man ja doch nie.
SCHAUSPIELERIN
Das ist wohl wahr! Drum sollst du michheut abend erwarten. Wegen der Seelewerden wir uns schon einigen, du Schurke!
GRAF
Also wenn du erlaubst, so werde ich mitmeinem Wagen...
SCHAUSPIELERIN
Hier in meiner Wohnung wirst du mich erwarten —
GRAF
... Nach dem Theater.
SCHAUSPIELERIN
Natürlich.
Er schnallt den Säbel um.
SCHAUSPIELERIN
Was machst du denn da?
GRAF
Ich denke, es ist Zeit, daß ich geh'. Für einenAnstandsbesuch bin ich doch eigentlich schonein bissel lang geblieben.
SCHAUSPIELERIN
Nun, heut abend soll es kein Anstandsbesuchwerden.
GRAF
Glaubst du?
SCHAUSPIELERIN
Dafür laß nur mich sorgen. Und jetzt gibmir noch einen Kuß, mein kleiner Philosoph.So, du Verführer, du... süßes Kind, duSeelenverkäufer, du Iltis... du...Nachdem sie ihn ein paarmal heftig geküßt, stößt sie ihn heftig von sich. Herr Graf, es war mir eine große Ehre!
GRAF
Ich küss' die Hand, Fräulein! Bei der Tür. AufWiederschaun.
SCHAUSPIELERIN
Adieu, Steinamanger!
DER GRAFUND DIE DIRNE
Morgen, gegen sechs Uhr.Ein ärmliches Zimmer, einfenstrig, die gelblichschmutzigenRouletten sind heruntergelassen. Verschlissene grünlicheVorhänge. Eine Kommode, auf der ein paar Fotografienstehen und ein auffallend geschmackloser, billiger Damenhut liegt. Hinter dem Spiegel billige japanische Fächer.Auf dem Tisch, der mit einem rötlichen Schutztuch überzogen ist, steht eine Petroleumlampe, die schwach brenzlichbrennt, papierener, gelber Lampenschirm, daneben einKrug, in dem ein Rest von Bier ist, und ein halbgeleertesGlas. Auf dem Boden neben dem Bett liegen unordentlichFrauenkleider, als wenn sie eben rasch abgeworfen wordenwären. Im Bett liegt schlafend die Dirne, sie atmet ruhig.— Auf dem Diwan, völlig angekleidet, liegt der Graf, imDrapp-Überzieher, der Hut liegt zu Häupten des Diwansauf dem Boden.
GRAF
bewegt sich, reibt die Augen, erhebt sich rasch,bleibt sitzen, schaut um sich.
Ja, wie bin ich denn... Ah so... Alsobin ich richtig mit dem Frauenzimmer nachHaus... Er steht rasch auf, sieht ihr Bett. Daliegt s' ja... Was einem noch alles inmeinem Alter passieren kann. Ich hab' keineIdee, haben s' mich da heraufgetragen?Nein... ich hab' ja gesehn — ich kommin das Zimmer... ja... da bin ich nochwach gewesen oder wach worden...oder... oder ist vielleicht nur, daß michdas Zimmer an was erinnert?... MeinerSeel, na ja... gestern hab' ich's haltg'sehn Sieht auf die Uhr. Was! Gestern, vor ein paar Stunden — Aber ich hab's g'wußt, daßwas passieren muß... ich hab's g'spürt — wie ich ang'fangen hab' zu trinken gestern,hab' ich's g'spürt, daß... Und was istdenn passiert?... Also nichts...Oder ist was...? Meiner Seel...seit... also seit zehn Jahren ist mir sowas nicht vorkommen, daß ich nicht weiß...Also kurz und gut, ich war halt b'soffen. Wennich nur wüßt', von wann an... Also das weißich noch ganz genau, wie ich in dasHurenkaffeehaus hinein bin mit dem Luluund... nein, nein... vom Sacher sind wir janoch weggangen... und dann auf dem Wegist schon... Ja richtig, ich bin ja in meinem Wageng'fahren mit'm Lulu... Was zerbrich ich mirdenn viel den Kopf. Ist ja egal. Schaun wir,daß wir weiterkommen. Steht auf. Die Lampewackelt. Oh! Sieht auf die Schlafende. Die hathalt einen g'sunden Schlaf. Ich weiß zwarvon gar nix — aber ich werd' ihr 's Geldaufs Nachtkastel legen... und Servus...Er steht vor ihr, sieht sie lange an. Wenn mannicht wüßt, was sie ist! Betrachtet sie lang. Ichhab' viel kennt, die haben nicht einmal imSchlafen so tugendhaft ausg'sehn. MeinerSeel... also der Lulu möcht' wieder sagen,ich philosophier', aber es ist wahr, derSchlaf macht auch schon gleich, kommt mirvor; — wie der Herr Bruder, also derTod... Hm, ich möcht' nur wissen, ob...Nein, daran müßt' ich mich ja erinnern...Nein, nein, ich bin gleich da auf den Diwanherg'fallen... und nichts is g'schehn...Es ist unglaublich, wie sich manchmal alleWeiber ähnlich schauen... Na, gehn wir.Er will gehen. Ja richtig.
Er nimmt die Brieftascheund ist eben daran eine Banknote herauszunehmen.
DIRNE
wacht auf.
Na ... wer ist denn in aller Früh — ?Erkennt ihn. Servus, Bubi!
GRAF
Guten Morgen. Hast gut g'schlafen?
DIRNE
reckt sich.
Ah, komm her. Pussi geben.
GRAF
beugt sich zu ihr herab, besinnt sich, wieder fort.
Ich hab' grad fortgehen wollen ...
DIRNE
Fortgehn?
GRAF
Es ist wirklich die höchste Zeit.
DIRNE
So willst du fortgehn?
GRAF
fast verlegen.
So...
DIRNE
Na, Servus; kommst halt ein anderes Mal.
GRAF
Ja, grüß dich Gott. Na, willst nicht dasHanderl geben?
nimmt die Hand und küßt sie mechanisch, bemerktes, lacht.
Wie einer Prinzessin. Übrigens, wenn mannur...
DIRNE
Was schaust mich denn so an?
GRAF
Wenn man nur das Kopferl sieht, wiejetzt... beim Aufwachen sieht doch einejede unschuldig aus... meiner Seel, allesmögliche könnt' man sich einbilden, wenn'snicht so nach Petroleum stinken möcht'...
DIRNE
Ja, mit der Lampen ist immer ein G'frett.
GRAF
Wie alt bist denn eigentlich?
DIRNE
Na, was glaubst?
GRAF
Vierundzwanzig.
DIRNE
Ja freilich.
GRAF
Bist schon älter?
DIRNE
Ins Zwanzigste geh' i.
GRAF
Und wie lang bist du schon...
DIRNE
Bei dem G'schäft bin i ein Jahr.
GRAF
Da hast du aber früh ang'fangen.
DIRNE
Besser zu früh als zu spät.
GRAF
setzt sich aufs Bett.
Sag mir einmal, bist du eigentlich glücklich?
DIRNE
Was?
GRAF
Also ich mein', geht's dir gut?
DIRNE
Oh, mir geht's alleweil gut.
GRAF
So... Sag, ist dir noch nie eing'fallen, daßdu was anderes werden könntest?
DIRNE
Was soll i denn werden?
GRAF
Also... Du bist doch wirklich ein hübschesMädel. Du könntest doch zum Beispiel einen Geliebtenhaben.
DIRNE
Meinst vielleicht, ich hab' kein?
GRAF
Ja, das weiß ich — ich mein' aber einen,weißt, einen, der dich aushalt, daß du nichtmit einem jeden zu gehn brauchst.
DIRNE
I geh' auch nicht mit ein jeden. Gott seiDank, das hab' i net notwendig, ich such' mirs' schon aus.
Graf sieht sich im Zimmer um.
DIRNE
bemerkt das.
Im nächsten Monat ziehn wir in die Stadt, indie Spiegelgasse.
GRAF
Wir? Wer denn?
DIRNE
Na, die Frau, und die paar anderen Mädeln,die noch da wohnen.
GRAF
Da wohnen noch solche —
DIRNE
Da daneben... hörst net... das ist dieMilli, die auch im Kaffeehaus g'wesen ist.
GRAF
Da schnarcht wer.
DIRNE
Das ist schon die Milli, die schnarcht jetztweiter 'n ganzen Tag bis um zehn auf d'Nacht. Dann steht s' auf und geht ins Kaffeehaus.
GRAF
Das ist doch ein schauderhaftes Leben.
DIRNE
Freilich. Die Frau gift sich auch genug.Ich bin schon um zwölfe Mittag immer aufder Gassen.
GRAF
Was machst denn um zwölf auf der Gassen?
DIRNE
Was werd' ich denn machen? Auf den Strichgeh' ich halt.
GRAF
Ah so... natürlich... steht auf, nimmt dieBrieftasche heraus, legt ihr eine Banknote auf das Nachtkastel. Adieu!
DIRNE
Gehst schon... Servus... Komm baldwieder.
Legt sich auf die Seite.
GRAF
bleibt wieder stehen.
Du, sag einmal, dir ist schon alles egal —was?
DIRNE
Was?
GRAF
Ich mein', dir macht's gar keine Freud mehr.
DIRNE
gähnt.
Ein Schlaf hab' ich.
GRAF
Dir ist alles eins ob einer jung ist oder alt oderob einer...
DIRNE
Was fragst denn?
GRAF
... Also — plötzlich auf etwas kommend — meinerSeel, jetzt weiß ich, an wen du mich erinnerst,das ist...
DIRNE
Schau i wem gleich?
GRAF
Unglaublich, unglaublich, jetzt bitt' ich dich abersehr, red gar nichts, eine Minute wenigstens... Schaut sie an. Ganz dasselbe G'sicht, ganzdasselbe G'sicht.
Er küßt sie plötzlich auf die Augen.
DIRNE
Na...
GRAF
Meiner Seel, es ist schad, daß du... nichtsandres bist... Du könntst ja dein Glückmachen!
DIRNE
Du bist grad wie der Franz.
GRAF
Wer ist Franz?
DIRNE
Na der Kellner von unserm Kaffeehaus...
GRAF
Wieso bin ich grad so wie der Franz?
DIRNE
Der sagt auch alleweil, ich könnt' mein Glückmachen und ich soll ihn heiraten.
GRAF
Warum tust du's nicht?
DIRNE
Ich dank' schön... ich möcht' nicht heiraten, nein, um keinen Preis. Später einmalvielleicht.
GRAF
Die Augen... ganz die Augen... DerLulu möcht' sicher sagen, ich bin ein Narr —aber ich will dir noch einmal die Augenküssen... so... und jetzt grüß dich Gott,jetzt geh' ich.
DIRNE
Servus...
GRAF
bei der Tür.
Du... sag... wundert dich das gar nicht...
DIRNE
Was denn?
GRAF
Daß ich nichts von dir will.
DIRNE
Es gibt viele Männer, die in der Früh nicht aufgelegt sind.
GRAF
Na ja... Für sich. Zu dumm, daß ich will,sie soll sich wundern... Also Servus...Er ist bei der Tür. Eigentlich ärger' ich mich.Ich weiß doch, daß es solchen Frauenzimmernnur aufs Geld ankommt... was sag' ich —solchen... es ist schön... daß sie sich wenigstens nicht verstellt, das sollte einen eherfreuen... Du — weißt, ich komm nächstenswieder zu dir.
DIRNE
mit geschlossenen Augen.
Gut.
GRAF
Wann bist du immer zu Haus?
DIRNE
Ich bin immer zu Haus. Brauchst nur nach derLeocadia zu fragen.
GRAF
Leocadia... Schön — Also grüß dich Gott.Bei der Tür. Ich hab' doch noch immer denWein im Kopf. Also das ist doch das Höchste... ich bin bei so einer und hab' nichts getan,als ihr die Augen geküßt, weil sie mich an wenerinnert hat... Wendet sich zu ihr. Du, Leocadia, passiert dir das öfter, daß man so weggehtvon dir?
DIRNE
Wie denn?
GRAF
So wie ich?
DIRNE
In der Früh?
GRAF
Nein... ob schon manchmal wer bei dir war,— und nichts von dir wollen hat?
DIRNE
Nein, das ist mir noch nie g'schehn.
GRAF
Also, was meinst denn? Glaubst, du g'fallstmir nicht?
DIRNE
Warum soll ich dir denn nicht g'fallen? Beider Nacht hab' ich dir schon g'fallen.
GRAF
Du g'fallst mir auch jetzt.
DIRNE
Aber bei der Nacht hab' ich dir besser g'fallen.
GRAF
Warum glaubst du das?
DIRNE
Na, was fragst denn so dumm?
GRAF
Bei der Nacht... ja, sag', bin ich denn nichtgleich am Diwan hing'fallen?
DIRNE
Na freilich... mit mir zusammen.
GRAF
Mit dir?
DIRNE
Ja, weißt denn du das nimmer?
GRAF
Ich hab'... wir sind zusammen... ja...
DIRNE
Aber gleich bist eing'schlafen.
GRAF
Gleich bin ich... So... Also so wardas!...
DIRNE
Ja, Bubi. Du mußt aber ein ordentlichenRausch g'habt haben, daß dich nimmer erinnerst.
GRAF
So... — Und doch... es ist eine entfernteÄhnlichkeit... Servus... Lauscht. Was istdenn los?
DIRNE
Das Stubenmädl ist schon auf. Geh, gib ihrwas beim Hinausgehn. Das Tor ist auch offen,ersparst den Hausmeister.
GRAF
Ja. Im Vorzimmer. Also... Es wär' doch schön gewesen, wenn ich sie nur auf die Augen geküßt hätt'. Das wäre beinahe ein Abenteuergewesen... Es war mir halt nicht bestimmt.Das Stubenmädel steht da, öffnet die Tür. Ah — dahaben S'... Gute Nacht. —
STUBENMÄDCHEN
Guten Morgen.
GRAF
Ja freilich... guten Morgen... guten Morgen.