drukowana A5
17.4
Vigilien

Bezpłatny fragment - Vigilien

Objętość:
47 str.
Blok tekstowy:
papier offsetowy 90 g/m2
Format:
145 × 205 mm
Okładka:
miękka
Rodzaj oprawy:
blok klejony
ISBN:
978-83-288-0775-4

An mein Weib

I

Gestern ist sie von mir gegangen.

Da saßen wir vor diesem Tisch und starrtenuns an. Am Tage waren wir ausgegangen, versuchten fröhlich zu sein, tranken Wein, sprachenuns sehr freundlich an, aber in uns war erwartungsvolle, schwüle Stille. Wir wussten beide:jetzt müssen wir uns auseinandersetzen, jetztist der Augenblick gekommen.

Ich war sehr ruhig. Nur einmal bin ichähnlich ruhig gewesen und erinnerte mich jetztdaran. Damals hatt' ich meine wissenschaftliche Zukunft geopfert, um Künstler zu werden.Es war schwer, sehr schwer. Weder der Vater,noch irgend jemand wollte etwas davon wissen.Und ich wusste selbst, was kommen würde;Not und Elend. Aber ich musste. Der Künstlerwille war zu stark. Und so tat ich es.Eine stille Mondnacht war es, das Silberlichtfüllte mein ganzes Zimmer; plötzlich war ichaufgewacht und setzte mich mit reifem Entschluss im Bette hoch. Ich empfand nichts,hatte keinen einzigen Gedanken, war mir meineseigenen Beschlusses durchaus nicht bewusst;ganz naiv, wie ein grausames, unabwendbaresVerhängnis empfand ich nur jenen Willen. Erkam von außen, er legte sich auf mein Gehirn;wie ein Riesenkeil zerschob er alle Gründe, diemir mein Bewusstsein gegen mein Gelüste aufgeschichtet hatte. Ich fühlte mich unschuldigmeiner Zukunft, überantwortet dem Schicksal;ich freute mich, dass meine eigene Willenstätigkeit mir abgenommen war.

O diese Ruhe, diese stiere, starre, empfindungslose Ruhe, wenn sie jetzt nur wiederkommen möchte: so friedsam brütend.

Wir saßen uns gegenüber. Sie war unruhig, nervös; sie wusste, was jetzt kommen,unfehlbar kommen musste.

Überrock und Handschuh hatt' ich abgeworfen, den Hut hatte ich noch auf dem Kopfe,ich drückte ihn mir fester in die Stirne. Ichfühlte ihn wie einen Reifen, und das tat mirwohl; es kam mir vor, dass sonst mein Kopfzerplatzen müsste.

Meine Stimme vibrierte; im Halse fühlteich ein eigentümliches, unheimliches Würgen,und um die Mundwinkel zuckte es mirschmerzlich.

Ich sah meine Finger unstet auf dem Tischherumfühlen.

Plötzlich fesselte mich ein Couvert miteiner wild orangeroten, seltsamen Marke;auf dem Couvert in festen, zerhackten Schriftzügen mein Name. In diesem Augenblick jedoch war mein Name mir vergessen, ich sahetwas fremdes, wildfremdes, und wundertemich, wie dies Couvert auf meinen Tisch zuliegen kam.

Nun drückt’ ich mir den Hut noch tieferin die Augen und sah sie halb im Traume an.

Etwas wie boshafte Schadenfreude glaubteich in ihren Augen gesehen zu haben, gemischtmit einer lauernden, beinahe schmerzlichenSpannung.

Eine Weile verging; ich fing an mich zusammeln.

Niemals bohrte sich mein Blick tiefer inein menschliches Auge, gieriger in eine Seele;ich fühlte deutlich die Gewalt des Blickes, ermachte meinen eigenen Augen Schmerz.

Verlegen, mit boshaftem Lächeln versuchtesie ihn auszuhalten, dann wich sie aus. Ichempfand ein leises künstlerisches Entzückenan den langen, schlaffen Wimpern ihrer Augenlider; wie seh’ ich deutlich diese schlaffen,adlig müden Lider mit den langen Wimpern.

— Du! Ein Wort...

Ich sprach gemessen, beinah' mit pedantischer Würde; ein kindliches Gefühl, wieedelmütig ich im Grunde sei, rührte mich fastbis zu Tränen.

— Ja, und?...

— Du, ganz europäisch und objektiv...

— Ja selbstverständlich...

Es war ja ihre schwache Seite, das Europäische und Objektive; sie schwärmte für diemännliche Intelligenz, die etwas objektivierenkann.

— Hör’ mal... Wieder empfand ichdas eigentümliche, zitternde Würgen. MeineStimme wollte umkippen. Ich stand auf undtrank ein Glas Wasser. Wieder setzt’ ichmich; die Rolle eines objektiven, edelmütigenRichters gefiel mir.

— Wir wollen vernünftig sein und vorallen Dingen uns ganz ruhig aussprechen —meine Stimme wurde immer fester und härter— ganz ruhig, mein’ ich; nicht wahr?Was sollen wir uns quälen? du liebst michnicht mehr, ich verstehe es sehr gut, unserVerhältnis hatte keine Ansprüche auf Ewigkeit. Übrigens hast du das Recht, einenandern zu lieben, das ist selbstverständlich;ich nehm’ es dir nicht übel. Unsere Instinktesind so ziemlich von uns unabhängig.

Sie schwieg und sah mich prüfend an;etwas wie Trotz stach aus ihren Augen, einfrecher Trotz, ein kühnes Eingestehenwollen,ganz so, wie man Vorwürfen begegnen will.Aber ich hatte keine Vorwürfe, ich sprach nichtgereizt, nur eine unendliche, würgende Traurigkeit wand sich in mir, die Gelassenheit eines,der das Verhängnis über sich, um sich, injeder Handlung, jeder Willensäußerung erkannt hat.

Der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich;nichts als Mitleid und die Ungeduld, endlicheinmal zu Ende zu kommen, sah ich nun indiesen Augen.

Ich schob meinen Hut zurück, goss Spiritusin die Teemaschine und sprach trocken, abgerissen, fast geschäftlich:

— Ich hindere dich nicht, ich stehe dirgarnicht im Wege, ich habe ihm das auchschon mitgeteilt, du kannst gehen...

Sie stand auf, halb trotzig, halb beschämt,nahm ihren Mantel und Hut und wollte gehen.

— Du, einen Augenblick... Ich sprachganz ruhig, erkünstelt, beinah' mit herzlichemEntgegenkommen.

— Wir scheiden nicht als Feinde, wirsind Kameraden; denk dich doch mal in dieRolle eines meiner männlichen Kameraden hinein. Siehst du, ich meine das Technischean der Geschichte: Geld, Kleider und ähnliches. Das Technische ist immer die großeHauptsache.

Ich versuchte freundlich zu lachen.

— Ich denke, das beste wird sein,dass du gleich gehst; deine Sachen schick’ich dir nach. Um offen und europäisch zusprechen, nämlich, siehst du, kann ichnicht mehr länger zusammen mit Dir bleiben;man kann alles verstehen, aber so bleibt dochimmer so ein Vorurteil, eine Idiosynkrasie, soein malgré tout...

Meine Stimme brach allmählich, ich fingan zu beben, noch ein Wort und ich hättemich nicht länger halten können. MeineHände sah ich in zweckwidrigen Bewegungennach etwas suchen, autonom, ohne bewusstenWillensantrieb.

Tränen rollten über ihre Wangen —Tränen, wie sie nur Frauen haben; siekommen so mir nichts dir nichts, irgendwelche physiologische Nebenwirkung ist nicht zu bemerken, es kommt beinah wie Schweißtropfen.

Sie versuchte, mich zu beschwichtigen:

— Aber glaub' mir doch; willst du michdurchaus los werden, so geh' ich, aber meineLiebe zu dir hab’ ich nicht verloren...

Der Schlusssatz interessierte mich; wiewunderbar sie das »Ich liebe dich« umschriebenhatte. Sie wusste, dass ich dabei aufgelachthätte. Übrigens war sie ihrer Lüge sich sehrgut bewusst; es kam so zaghaft, wie ein verzweifelter und eigentlich sinnloser Versuch.

Ich lächelte sehr überlegen.

— Nein, lass nur, lass; Du hast zuviel Ehrlichkeit im Leibe... Und wiederlächelte ich: die »Ehrlichkeit im Leibe« kammir so bedeutsam und so trivial vor.

— Lass; es würde doch zu nichts führen.Ich werde allein mit meinem Kinde bleiben,vielleicht wird es mich lieben; ich war niemalsgeliebt, ich war immer allein.

Ich hatte boshafte Lust, sie zu quälen,ihr den Abschied ein klein bisschen schwer zumachen; aber dies Gefühl war so mit Selbstbedauerung vermischt, dass ich große Mühehatte, nicht loszuheulen.

Sie machte Miene, sich um meinen Halszu werfen.

Plötzlich verspürte ich etwas wie Ekel,wurde kühl und sehr freundlich.

— Du darfst nicht glauben, dass ich sehrleide, oh nein; ich habe Gehirn genug,um dich und mich und unser Verhältnisobjektivieren zu können.

Jetzt fing ich an sehr müde und resigniertzu sprechen; ich suchte instinktiv einen starkenEindruck hervorzurufen.

— Nein, im Gegenteil; ich empfinde einegroße, ästhetische Freude, wenn ich Euchbeide ansehe. Ihr passt so wunderbar zusammen!

Sie weinte.

— Herrgott, so sei doch vernünftig; wirsind doch sozusagen freie Menschen, nichtwie Sklaven aneinander gebunden.

Ich zitterte; in jedem Augenblick müssteganz spontan ein fürchterlicher Ausbruch kommen, mit Krämpfen oder dergleichen. Ich rissmeine Augen weit auf, legte die Stirn in tiefeFalten, ich spannte meine Muskeln an, umdiesem Anfall zu begegnen, aber mein Kopfwurde schwer, das Eigenlicht wurde zu glänzenden Feuerschlangen, jetzt, jetzt...

Nein, es verging.

Ich atmete auf.

— Du, wir sind Kameraden; ich werde diretwas Geld leihen, und dann gehen wir ganzruhig auseinander, wie es freien, vernünftigenMenschen geziemt.

Das »geziemt« gefiel mir sehr gut, es erinnerte mich an die wohlüberdachte, dozierendeProfessorensprache; ganz wunderbar.

Sie schwieg eine Weile.

— Aber das Kind?!

— Lass, ich werde es gut erziehen,deinem Glücke würde es im Wege stehen, eswird es gut bei mir haben, sehr gut, und —es wird mich lieben...

Ein Sprühregen von flüssigem Feuer tanztein meinen Augen, mein Kehlkopf kam inKrämpfe, meine Stimme brach vollständig, einunheimlicher Fistelton stieg mir pfeifend ausder Brust, jetzt ist es da... Nein, wiederverging es.

Ich überbot mich in Edelmut.

Ganz leise schob ich ihr eine Banknote indie Hand, die ich die ganze Zeit lang krampfhaft zerknittert und halb zerrissen hatte.

Wir standen uns eine Weile gegenüber.Vor meinen Augen war es wie ein feuchterNebel; ich sah sie nicht.

— Nun, auf Nimmerwiedersehn —

Ich bewunderte mich, dass ich so brav war,aber plötzlich wurde es auf einen Augenblickganz dunkel in meinen Augen, der Bodenwankte unter mir, wich mir aus, ich sank undsank...

Alles übrige tat ich automatisch; ichweiß nur, dass ich etwas getan habe, dassplötzlich ein frischer Luftzug mich sehr unangenehm berührte. Als ich wieder zu mirkam, fand ich mich in meinem Atelier allein.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch,öffnete ein Buch und las; las wohl zweioder drei Seiten, ohne mich zu unterhaltenoder zu langweilen, ich verstand nämlich nichts,nicht ein Wort.

Mein Kopf war leer, alle Gedanken wieausgefegt.

Raumlose Klarheit! hörte ich mich etlicheMale wiederholen.

Darauf entkleidete ich mich, legte mich insBett, wobei ich den Bettschirm zurechtschob,und schlief ein.

Plötzlich wacht' ich auf.

Es war mir, als ob jemand die Treppenheraufkäme.

Ich setzte mich hoch, und mit unsagbaremEntsetzen hört' ich einen Riesenleib sich überberstende Treppen ächzend und keuchend heraufarbeiten. Ich hörte nur Krachen undBersten und Ächzen, und plötzlich, mit einemRuck, wurde die Tür aufgerissen, ein Teilder Wand flog weg, und herein trat ein wandelndes Lichtmeer; alles schwamm im Lichte,alles versank, floss zusammen, tauchte unterin dieser grässlichen Lichtatmosphäre.

Licht goss sich in meine Kehle, Lichtbrannte mir meine Finger auf, ich erstickte,ich ging unter in diesem Lichte.

Ich riss mich auf.

Deutlich sah ich sie vor mir, schlaftrunkenstreckte ich ihr beide Hände entgegen: nur eineSekunde, nur ein Tausendstel einer Sekundeihren Leib auf meinem fühlen! nur einenHauch ihrer Körperwärme, nur von weitem,ein Vorüberstreifen nur, einen Hauch an mirentlang, einen Hauch von dieser fliederweichen, kühlen Körperwärme!

Meine Hände wollten qualvoll aus den Gelenken heraus.

Eine wüste Raserei befiel mich; ich grubmich mit den Nägeln in meinen Körper, ichschlug mit wütenden Fäusten gegen meinenKopf:

O Gott, allmächtiger, barmherziger Gott!

Endlich wurd' ich ruhiger, ich fing an lautzu sprechen; es war mir eine Freude, mich indieser tauben Einsamkeit sprechen zu hören.Und ich flennte wie ein Kind, und winseltewie ein geschlagenes Tier, und bat und bat,und stürzte mich auf die Knie und rang dieHände, wild, wüst, krank.

— O komm, komm; lege Deine warmen,weichen Hände an mein Herz! O, sieh', ichbin krank und brauche Liebe und Wärme;oh, komm, lege behutsam Deine weichen Händeum mein Herz.

Ich sah mich mit einem Male in der Kirche,ich sah mich als Knaben in der unendlichenAtmosphäre gottbegnadeter Seligkeit, einerSeligkeit von weicher Seidenwolle, gesponnenaus leise fächelnden Rhythmen, oh ja —damals, als ich das erste Mal die heilige Kommunion genoss: das Glück, das wunde, heilige Glück des Gottgenusses.

Mein Herz wurde zum Gottesleibe, zurgottesewigen Hostie.

— O komm, lege behutsam Deine weichenHände um die Hostie meines Herzens, kommund nimm ein seidenes, goldgesticktes Priesterornat um Deine Schultern, und jetzt reckeDeine Hände empor, langsam in gemessener,würdevoller Bewegung.

Wir stehen vor der Kirche, auf den Stufender gen Osten gerichteten Kirche. Zuckende,flirrende Mittagshitze um uns, Korngarbenringsum auf den Äckern, golden glänzt dasStoppelfeld, und weit im Hintergrunde unsentgegen, in dem schwülen Nebelflor der allesaufsaugenden Hitze, gähnt der schwarze Waldsaum.

Und über der Mittagshitze, über den goldenen Garben, in Deinen Händen zuckend, blutend, ragt die Hostie meines Herzens.

Und die Welt bebt, still neigt sich ringsder Brotsegen des Korns, schauernd rauschtder Wald:

Tantum ergo sacramentum!

Ich zitterte, alles um mich zitterte inkreisenden Schauern, ich griff mit beiden Händen um meinen Kopf, ich betastete meinenKörper: die Vision verschwand, ich wurdelangsam ruhiger...

Ich zog mich notdürftig an.

Das Mondlicht fiel in dichten, breiten Strahlengarben durch die achtzehn Scheibenquadrate des Atelierfensters; ringsherum, in Silberglanz getaucht, standen auf den Staffeleien meine Bilder.

Dort traf ein schamlos nackter Sphinxblick meine Augen; von dort her wand sich mir durch mein Gehirn ein Strahl, geborenaus den Augen einer blassen, hysterischenSerpentinetänzerin; aus der Ecke krochen wieein körperlicher Wollustschauer die Reize einertrunkenen Hetäre auf mich zu.

Ich fühlte wieder meinen Kopf anschwellen; maßlos. Ich war nicht mehr die blöde, in Raum und Zeit begrenzte Persönlichkeit;ich wurde die reine, nackte Individualität, soalt wie alle Welten zusammen, so endlos wiedie Weltenräume alle.

Und in sprühendem Gischte sah ich dieJahrhunderte und Jahrtausende in einen endlosen Abgrund stürzen, etwas kam von beidenSeiten, das den ziellosen Raum einengte, undweit und breit schweifte mein unsterblicherBlick über die Gefilde der Mutterlands. Ichsah in endlosem Aufbau die ganze Kulturzum Himmel ragen, und weit und breitlagen die Fundamente meinem Auge sichtbar:die Herrschaft des Weibes — das Matriarchat.

Und deutlicher und sicherer fühlt' ichmeiner Bilder Sinn. Die Landschaft da entformte sich zu einem tiefen, tief abgründigen,rätselhaften Auge. Aus dem Meeresstrandetauchte ein weißer, glänzender Riesenleib;wie eine Wunde quoll ihm aus der Abenddämmerung der lüsterne, mystische Mund. Aus allen Rahmen meiner Bilder tauchte das Weibhervor, der kosmische Weltwille, die Allmutter,die Herrscherin:

Mylitta, die babylonische Hure, die niemalsein Verlangen stillte, die den Begnadeten denFlammen preisgab —

Isis, die eine Sonne in unbefleckter Empfängnis gebar: kein Sterblicher hat ihr die Röckehochgehoben! Isis, die Mutter der Könige,Gattin des Mondstiers, die heilige Kuh, dieKönigin der ganzen Erde —

Athene, die niemals die Dunkelheit desMutterschoßes sah, geboren aus dem lichtenGefilde des Gehirnes —

Die heilige Jungfrau der teutonischenWälder, in der sich Odins Schöpferwille offenbarte —

Und Du, du höher als Isis, heiliger alsAthene, weil dich Mein Gehirn geboren hat:Ich Dein Erzeuger und Dein Sohn, Ichhabe mit den Mutterbrüsten meines Gehirnesdich großgesäugt, ich an Deinen Brüstenmich großgesäugt: du Mutter meiner Seele,du mein Kind!

Hohn dir, alter Jahväh — warum hast dugelogen, als du sprachst: in Schmerzen wirstdu deine Kinder gebären, unter dem Willendeines Mannes wirst du stehen, und er wirddich unterjochen —

Hohn dir, Hohn! denn über alles Seiende,trotz deiner Worte, herrscht das Weib! —

II

Und ich sitze und sitze und brüte, warummusste ich dich lieben?

Und eine Stimmung wird in mir lebendig,die mein Innerstes, mein Tiefstes in regenbogener Lichtpracht nach außen reflektiert.

Ich stehe in der Kirche. Abenddämmerung.Tiefe, tiefste Stille. Stille in dem kauerndenErwarten, Stille in dem schwülen Rausch derWeihrauchdüfte, Stille in dem dumpfen, unterirdischen Orgelbrausen.

Dicke, schwarze Schatten von den steinernenSäulen: geheimnisvolle, uralt mystische Riesenschatten, scharf umrissen am Hochaltar, in einer Flut von Kerzen strahlt er, weich verschwommen im Mittelschiff, und sanft zusammenfließend mit der lauen, wollustsüßenDämmerung unter dem Orgelchor. Und wie ein wachsendes Zittern geht es durch die Kirche, wie ein leises, schauerndes Entsetzen,und jäh und plötzlich wird die Stille zerbrochen, mächtig dröhnen Orgeltöne, und aus der kauernden, keuchenden Erwartung erlöstsich ein Lied, so tief, so sehnlich, so schwellend:Salve Regina!

Und wieder Nacht. Der Himmel beglänzt,o so beglänzt, wie die weite Niederung da untenunter der Brücke, auf der die eisernen Zügerasen. Millionen Lichter, eines an das anderegepflanzt, in seltsamen Linien, vielfältigenFarben, unter-- über einander, eine weite Wiesemit leuchtenden Blumen.

Und Duft von Rosen wie weiches Nebelleuchten durch die laue Sommernacht. Ein Zug voll Menschen mit Kerzen in den Händen,und ein Verhängnis über ihren Köpfen, undwieder Gesang, Gesang in unendlich tiefen,monotonen, halbverhaltenen Tönen, kauerndenTönen, die explodieren können, die das Gehirnmit ihrer schmerzlichen Wut zerreißen können.

Und das Lied wird zur Linie, Düfte werden zu Flächen und die Stimmungen zu Farben, ein seltsam verwirrtes Gemenge von Farben,Linien, Düften, aber immer die eine Stimmung,der eine Stimmungstrieb.

Und in den Tiefen, da wird die Stimmung,die mein Herz in Beben und Erschüttern brachte,zu der Fläche, dieser seltsam weichen, leiseausgebuchteten Fläche deiner Wange von denBackenknochen bis zum Rand des Kinns. Undin der Tiefe wird der kauernde Gesang zuder Sehnsucht deiner Sprache — oh, ja, ja...

Ich bin ein Knabe, ein schwacher, zarterKnabe von vierzehn Jahren.

Blaue Fernen vor mir, weißblau flimmerndeFernen. Die Sonnenhitze schwillt dumpf an,sie sengt den Boden, auf dem Seespiegelsteht sie mit flirrenden, stechenden Lichtern,und über mir aufschießend, steil geästet, ragtdie Wipfelspitze einer Pappel.

Irrend schwimmen meine Knabenaugenin die blauweiße Ferne, in die flirrende,flimmernde, weiße Hitze, und in heißerBrandung schwillt das Blut zum kochenden Strom.

Dies Flirren und Flimmern der Sommerhitze,das hattest Du, Du unter den wollustseligenAugen — damals, als du heiß und glücklichin meinen Armen lagst.

Da vor mir das Gemälde, das du so geliebt hast: eine dürre, trübe Fläche, gelbeGrashalme und ausgedörrtes Unkraut. Ein Bachmit Binsen bewachsen, ein stiller, flacher Bach,mit den herrlichen Himmelsreflexen der beginnenden Abendröte. Paar struppige Weidenmit vertrockneten Ästen steh'n am Bach, undim Hintergrunde, im schwachen Nebel zerfließend, eine Hütte, halb zerfallen.

Das bist Du!

Und ich sehe den Himmel zerfließen inallen Farben, in allen Gluten, in wolkigemWechsel, in fliehender Hast. Gelbgrün anden Rändern, aschfarben über dem purpurvioletten Horizontrand, und von Orten nach Westen ein zackiger, tausendfach gebrochenerRing von gelbem Purpur: eine breiteklaffende Wunde auf der Riesenstirn desHimmels.

Den Himmel seh' ich und den schwindenden, weißen Tag. Die Wunde wird breiter zum feurigen Gangrän, zum Abgrund geronnenen Blutes. Um sie herum der Himmel matter und matter, und dunkler und tiefer deraschfarb'ne Erdschatten, von zuckenden, goldnenReflexen zerrissen, und allmählich dunkelt allesnach, tiefer und tiefer in ein schweres,schwarzes Blau hinein.

Das bist Du!

In meinen Ohren klingt ein Lied; schwarzgrauer Tiefton, gesprenkelt mit hellblauenLichtern. Da plötzlich von hinten nach vorneeine Schlange von heißem, begehrlichemLachen in kreischender, jauchzender Bewegung.

Aus deinen Augen sprangen manchmal dieseweichen, schillernden Schlangen an mein Herz.Sie umringelten es, sie rieben sich wollüstigan ihm und legten sich züngelnd in seinerweichen Wärme schlafen.

Und meine Kunst, das bist Du. Und dasheilige Werkzeug, das mir alle Töne der Erscheinungswelt auf diese eine Dominante abgestimmt hat, das bist Du. Und Ich bin Du!

Und weil du die Fläche zu meinem Liedewarst, und weil du mir die Linien meinerErlebnisse lebtest, und weil du die Farbemeiner Düfte bist, musste ich dich lieben...

Bevor ich dich sah, warst du in mir; bevor ich dich in meinen Armen hielt, lebtest du in meinen Farben, zucktest du aus meinenTönen, und wie ein Abendlicht mildernd undversöhnend lagst du über meinen Erlebnissen,lagst und leuchtetest hinein mit seltsamenAugen, und wobst sie mir mit weichen,leuchtenden Händen zu einer mystischen, verhallenden, zerfließenden Melodie.

Bevor ich dich sah, lagst du so in unbefleckter Reinheit als ein Urbild keusch in meinem Gehirn, eine rein angeschaute Idee, duheilige Jungfrau, die niemals die Dunkelheitdes Mutterschoßes sah. Noch war mein Geschlecht aus dir nicht geboren: nur eine große, reine Wollust schöpferischer Sehnsucht.

Und da kamst du!

Und in einem Nu hattest du die Fäden zwischen meinem schaffenden Gehirn und der schlummernd brütenden Tierseele des Geschlechtes gesponnen, tausend Verbindungen eingefädelt zwischen deinem Leibe, den brünstig mein Geschlecht umfing, und meiner Gehirnidee; und Du Geschlechtstier bist mit Dir, dem Urbild meines Hirnes, ineinandergeflossenund wurdest eine große Einheit, eine heiligeSynthese von fleischgewordenem Worte, dasherrliche Eden, darein das Anfangslose sichverkleidete.

Und das war meiner Kraft werdenderFrühling, das war meiner Macht aufblühenderStolz, denn du warst mir die purpurne, ahnendeBangigkeit des Zwielichts und die zitterndeFarbenunruh' des jungen Tages, die jeden Nervmit heißer, beglückender Frühpracht sättigt.

Und du sitzest auf meinen Knien.Warme Dämmerung im Atelier. Nur hier undda taucht wie ein glänzender Fleck ein Gegenstand hervor. Draußen wiehert der Dezemberwind, Schneeflocken schlagen eisig gegen dasFenster: windige, schneidende Kälte. Aber indem großen Kamine vor uns knistert lustigdas Feuer uNd wirft Purpurscheine auf deinGesicht, herrlich purpurgelbe Flecke, wiedie untergegangene Sonne der Erde ihreletzten Abschiedsgrüße zuwirft. Du auf meinenKnien, und in meinen Händen hob' ichdeine kleinen Füße und halte sie gegen dasFeuer; weißt du, ganz so lag ich als Knabeauf dem Schoß meiner Mutter, wenn ich Hustenbekam, ganz so hielt sie meine Füße gegendas Feuer und rieb mir die Sohlen mitZwiebeln ein.

O, ich liebe dich! liebe dich als meineKunst in Farbe, Ton und Wort, ich liebedich als meiner Vorzeit endlose Vergangenheit,ich liebe dich als den Geruch meiner Heimatserde, als meiner Kirche mystischen Rausch, aber über alles lieb' ich dich als meinen kosmischen Sehnsuchtsschmerz, als meine höchsteLebensbejahung in meiner grässlichsten Qual,in meinem Siechtum, meiner Ohnmacht.

Die Uridee, die dich geboren hat, aus der mirmeine Kunst gewachsen ist, hast du zerstört: auftausend Wegen, in tausend Fäden floss jederEindruck in den Abgrund des Geschlechtes, undwas makellos im Gehirne wuchs, erstarb in dergeschlechtlichen Sehnsucht nach dir.

Aber meine Qual war dein Recht!

Dazu meine Vergangenheit, dass ich durchdich die Ewigkeit fortpflanzte. Dazu dieFarben. Töne, Linien, dass ich in erlesenster Zuchtwahl dich aus allen Weibern derErde wählte, dem Grundgesetze der NaturGenüge zu tun.

Und die Kunst, die erbärmliche Kunst!Eine Spielerei, die das Geschlecht mit demGehirne treibt! Die ganze menschliche Kunst:ein Liedchen, das nicht mal ein Weibchen anlocken kann, ein Bild von Farbenpracht, dasdoch nicht mal die Macht von einem Pfauenschwanz erreicht!

Doch wozu? wozu Vernunft, wozu Raisonnement? Die Sehnsucht blieb, die große Sehnsucht...

Verschwunden ist mir das Weib mit ihrerMission und ihrer Kulturmacht, verschwunden du mit dem Geheimnis meiner Individualität, dem Sinn meiner Kunst, dem Willenmeiner Ewigkeitsbegierden — nur eines blieb:das Riesensymbol, das nun mein Weib geworden ist: die Sehnsucht.

Die Sehnsucht, die im Künstler zeugt, diedie Hände zu Gott emporringt, die das Gehirnim Triebe nach Erkenntnis sich zerquälen lässt;die schmerzhafte, ewige Sehnsucht des Daseins:aufjauchzend, aufwirbelnd in heißen Stürmen,wühlend mit tausend glühenden Nadeln, zerstörend, vermählend und wieder zerstörend, in ewigem Gleichmaß, ewiger Unrast, ewigerQual und Seligkeit.

III

Um dein Haupt ein Kranz welkerBlumen wie ein Gurt erloschener Sterne, unddein Antlitz strahlt von den Spuren einstigerSchönheit.

An deine Füße brandet in wilden, zerschäumenden Wogen die Flut meines Lebens, und wie ein Wirbel kreist um dich die kranke Brut meiner Seele.

Mit grauen Flügeln schlägt um dich meinSchicksal rauschende Ringe, du meine Wiege,du mein Sarg.

Aus dem Meere meines Urgrunds bist duemporgestiegen, in der gebrechlichen Perlenmuschel meines Daseins fährst du einher, du schmerzhafte Schönheit, die du über alle Schönheit thronst, o Sehnsucht du!

Und warum musstest du zu meinem Sargewerden, warum musste dein Zukunftsjauchzenmir als Rabengekrächz mein Ende künden, unddie Fackeln, die du Andern auf den Weg zumfernen Berg des Glückes stellst, mir als Totenkerzen um mein Bette stehen?

Das heilige Gotteswort, das Welten aus demNichts ruft, Du dem Einen! Die Adamsrippe,die ein neues, ungeahntes Urbild in sich trägt,dem Andern! der zukunftgährende Sauerteigdes Lebens Du für Alle! nur auf Mein Haupthast du mir mit dürren Stacheln bohrend einenDornenkranz gedrückt, du schmerzhafte Schönheit, die du über alle Schönheit thronst, o Sehnsucht du!

Und dennoch stand es über meinem Hauptgeschrieben, dass meine Seele, deiner göttlichenUrkraft schwanger, alle Kreatur und Welt inleuchtender Neugestalt gebären sollte. DennMir und all der Welt war von Anbeginnderselbe Anfang.

Meine Seele sollte Dir kraft Deiner Machtdie Atmosphäre sein, in der sich alle Kreaturmit neuer Lust belebte; das ganze Allseinsollte sie umfangen, in jede Pore seiner Heimlichkeiten dringen, und über die Sterne, voneinem zum andern, sollte sie sich wie ein Purpurmantel spannen, deiner königlichen Heilandsmajestät als Ruheteppich.

Und in der Unzucht meiner Träume hastdu gelebt und in mein Wort dich einkerkernlassen und mir den Ton zur wüsten Heimatsfläche hingebreitet, um nur in Mir dein neues Reich, deine Erlösung zu finden.

Über den Bergen solltest du in roterSonnenglut aufgehen für das Reich, das neue,meines Gehirnes. Und nie, nie solltest du versinken, denn in meinem Reiche sollte die Sonnenie untergehen.

Zur neuen Zukunft, zum dritten Reiche, inMir erlöst werden wolltest Du.

Da throne Ich, deine Erlösung; Ich, deineVerdammnis. Da breitet meine Majestät sichüber alles Wesen: Ich, dein letztes Wort, dasmit weiten, langen Händen die gottgeboreneTat, die Tat des dritten Reiches, die Tatder wissenden Herrschaft, in die Zukunftschreibt.

Da sitz' ich da und brüte, wie ich dicherlösen könnt’.

Und jetzt seh’ ich dich.

Um dein Haupt ein Kranz tausend nackter Blitze. Die Stürme von Jahrhundertenhaben dein Haar zerrissen; eine Ewigkeit vonMenschenglück, eine Unendlichkeit von Menschenjammer ist in dir brünstig geworden. Aufdem Regenbogen gährender Kräfte fährst dueinher, und dein Wille wie ein Abgrund schäumender Macht.

O gib mir den Akkord, in dem sich deineMacht umfassen lässt! gib mir das Riesenwort,das dich sagen könnte! das Wort, den Akkord,der wie zuckende Fieberglut die Welt durchrast! den Akkord, den ein Himmel brennenderSterne mit der hektischen Röte des Wahnsinns färbt! stärker noch, mächtiger noch,— haa, wer kennt das grausige Lied des blutenden, wissenden Gehirns, wer kennt das Wort der neuen Tat?!

Ich, ich kenne das Lied, ich kenne dasWort: ich, der Sohn deiner ewigen Stürme,der Sohn deiner Nöte und Irrgänge.

Gib mir her den neuen Akkord! O,näher! oh, mächtiger! Schon braust er mitFlügeln in meinem Gehirn, schon schüttet sichdie Brandung seiner Macht in meine Adern,schon dehnt sich mein Leib zum bäumendenAufschwung, schon bersten die Wellen, schon...

Vergebens, versunken...

Wie ein Holzwurm bohrtest du dich in dieFüße meines Thrones, bohrtest unablässig, biser zu wanken begann, bis die Königskronemeines Hauptes wackelte und der Sessel derCaesaren morsch mit mir zu Boden brach,um mich her in Lumpen und Fetzen meinherrlicher Purpurmantel...

Müde strahlt dein Antlitz von den Spureneinstiger Pracht; um dein Haupt ein Kranzwelker Blumen, und in der gebrechlichen Perlenmuschel meines Siechtums führst du dahin, duschmerzhafte Schönheit, die du über alleSchönheit thronst, o Sehnsucht du!

IV

In Qual und Ohnmacht zuckt mein Hirnund ich will mich quälen. Ich will mich weidenan seinem Schmerz, denn ich liebe denSchmerz, er ist das Ewige; die ganze Vergangenheit beherbergt sein Vaterschoß undalle Zukunft wird aus ihm geboren. Ja, ichwill mich weiden an meinem Schmerz! —

Wir waren alle so betrunken, so betrunken.

Ein wilder Rausch, der unsre Geisteskräfteherrlich potenzierte, der das Denken mit verjüngten Energien speiste, ließ uns alles tiefer,heftiger empfinden.

Es war der schöne, mystische, grandioseDurchbruch, den allein die sexuelle Spannungin den ersten Stadien der Geschlechtsbrunstleisten kann, wenn noch alles in verklärterSchönheit erscheint und in tausendfach gesteigerten Verhältnissen genossen wird.

Er saß dort in der großen Fensternische.Von der Seite fiel auf sein dämonisch blasses,furchenwildes Gesicht grelles Lampenlicht.Jeder seiner scharf geschnittenen Züge tratnoch schärfer, deutlicher, beinahe karikierthervor, jeder Zug ein Abgrund unbezwinglichen, unentrinnbar suggestiven Willens.

Ein Fatum lag in diesen Zügen. Ichkann mich deutlich erinnern, dass ich ihndamals garnicht als Persönlichkeit empfand,sondern als verkörperlichte Macht, als dasWerkzeug einer Macht, die auf uns alle,brütend, lauernd, ihre Hand gelegt hielt. Sosah ich Menschen, die in wenigen Stundensterben oder verunglücken sollten. So sahich Menschen, auf deren Stirn sich ein entsetzlicher Entschluss kundtat.

Er sprach mit seiner Schicksalsstimme dasmächtige Gedicht eines Freundes. Ich konntenicht dem Sinn der einzelnen Sätze folgen,ich empfand nur ihren grauenstiefen, schmerzlichen Gefühlsuntergrund, eine Stimmung auszuckenden Blitzen und keuchenden Sehnsuchtsstürmen gewoben. In mir fühlte ich die ringenden Hände, sah sie, wie sich jeder Muskelkrampfhaft spannte, ihre Blutgefäße zu blauenAderbeulen schwollen. Aus tiefen Grüftensah ich diese Hände sich nach Oben strecken,die ringenden Hände der schmerzhaftenBrunst:

»Niemals sah ich die Nacht beglänzter,

Diamantisch reizen die Fernen...«

Sie spielte weich, gedämpft eine Begleitung auf dem Klavier. Ich weiß nicht wie es kam, aber plötzlich richtete sich meineganze Seele auf ihr Spiel. Ich kroch in jedenTon, ich fasste sie mühsam zusammen, mittausend Händen umfasste ich krampfhafttausend Sätze, tausend Töne kribbelten undkrochen mir in meine Nerven, und so standich da mit tausend geballten Fäusten, tausendLanzettenstichen durch mein Hirn — undplötzlich verstand ich...

Diese aus tausend Tiefen dumpf aufjauchzende Sehnsucht, diese in tausend Tönen schillernde Innigkeit der Brunst — o Gott,o Gott, wie schmerzte das...

Und Wort und Ton verflochten sich; Ton umTon klammerte sich, wie eine Klette an das sturmgepeitschte Haar des Wortes, und an seinenflatternden Strahlen sehnte sich der Ton hinauf zum Himmel, zur Sonne des Glückes.

Und es waren nicht Töne, nicht Worte,zwei Riesenseelen waren es, die sich an einander klammerten, in steigender Macht sichumschlungen hielten; eine rang sich an derandern hin, empor, hernieder, und immer festerverschlangen sich die Hände, immer wilderpressten sie sich in einander, und es wurdeeine Orgie geschlechtlicher Sehnsucht, zuckender Schmerzensschreie, winselnder, lechzenderGier.

Ich verstand diesen stummen, satanischenGeschlechtsakt, ich verstand dies Ringen undErsterben in der Abgrundstiefe der verschmolzenen Seelen, mein Kopf wollte bersten, ausmeinen Augen musste Blut spritzen, und hineinin einen leisen, innigen Refrain schrie ich mitder wilden Stimme brechenden Schmerzes:

»Niemals sah ich die Nacht beglänzter

Diamantisch reizen die Fernen...«

Plötzlich wurde ich ruhig, matt und boshaft.

Niemand gab auf mich acht. Wir warenja so betrunken, so betrunken...

Jetzt musste ich mich quälen, den bitternKelch bis auf die Hefe leeren, ich musste michmit unerhörter Lüsternheit selbst quälen, wennich auch dabei vergehen, hu — verreckensollte.

Die Deklamation war zu Ende, ich heuchelteeine maßlose Begeisterung:

— Jetzt musst du ihn küssen! Du musst;dem Künstler schenk' ich mein Weib, ichKönig, königlich mein Preis — schrie ichihr zu und setzte mich in meinem Sessel zurecht, um alles besser, tiefer, in der schärfstenLichtlage gemessen zu können.

Das war alles so selbstverständlich, indieser Rauschglut und Begeisterung so zwingend, dass es keinem auffallen konnte.

Und nun kam der große Keulenschlag.

Ich sehe sie beide vor mir, ganz deutlich,da vor dem Klavier. Sie standen sich gegenüber wartend, keuchend; es kam mir vor, alshätte irgend etwas Mächtiges ihre Muskelngelähmt.

Eine Ewigkeit verging. Ich sog mich gierigin jeden Schauer, jedes Zucken ihrer Körper,in diese Stille, die den Sturm gebären sollte.Ich lenkte, berechnete, setzte sie in mir zurecht, diese schauernden Innervationsgefühleihrer Muskelfibern, nach der Richtung meinesintensivsten Schmerzempfindens.

Noch standen sie wie verzaubert. Da plötzlich legte sie sich ihre Hände um den Kopf,reckte ihren Körper auf den Zehen hoch, in derLinie des geschwungenen Bogens — sie sahihn an! O Gott, wie sie ihn ansah! Diesebrünstige Innigkeit, diese schamhafte, schamlose Hingebung; eine ganze Welt von Brunstlag in dieser Bewegung, und ihre Brust keuchte.Dann seh ich ihn, wie er auf sie zustürzt, sieauf seine Hände nimmt; mit beiden Händennahm er sie und schnellte sie empor, dann sahich ihre Lippen sich ineinander wühlen undgraben, dann fing mein Atelier an, um michherum zu tanzen, ich griff krampfhaft um dieLehnen meines Sessels und schrie wütend:Fester noch, fester!

Ich hetzte sie auf einander: mein schreiender Wille war wie eine Peitsche, die sie aufeinander loshieb, ich fühlte mich als einetausendköpfige Menge, die mit ihrem Wutgeschrei zwei Gladiatoren auf einander jagt.

Sie keuchte, und ich sah sie auf den Bodengleiten zu seinen Füßen, und sie blickte zuihm auf.

O, diese Unendlichkeit von ungesättigterSeligkeit in ihrem Blick, diese bettelnde Bitte:Nimm mich, nimm mich doch!

Ja schamlos, schamlos!

Freilich brauchte man auf mich ja keineRücksicht zu nehmen; ich war ja so maßlosbetrunken...

Wieder richtete ich meine Augen auf ihrGesicht. Jede Fiber an ihr bekam mir selbstständiges Leben; jeder Schauer, der ihr Gesichtdurchzuckte, wurde mir zu einem Abgrund vonBrunstwillen, und mit tausend Fibern, wiemit tausend Natternzungen, stach sie, biss sie,sog sie sich in mich hinein.

Ich lief hinaus.

Vielleicht wollt' ich ihnen Zeit geben, sichin befriedigungswütiger Orgie auszutoben.

Ich blieb lange draußen, sehr lange.

Als ich zurückkam, lag er zu ihren Füßen,umklammerte und küsste sie und war so glücklich, so glücklich.

Jetzt litt ich nicht mehr; ich war kalt, undsehr, sehr nüchtern. Ich fühlte keinen Schmerzmehr, keine Eifersucht: die Sache war abgetan für mich.

Ich warf mich auf das Sofa, rauchte eineZigarette an und heuchelte eine maßloseMüdigkeit.

Meine letzte Empfindung war eine ranzige,bittere Geschmackshalluzination, wie von eineralten, verdorbenen Speise.

Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich schlief ein.

Als ich am andern Mittag erwachte, standsie angekleidet vor meinem Sofa und sah michoffen, sehr offen an.

Scham, Reue, Trotz, Frechheit, die ganze Tonleiter der Ehebruchsgefühle sah ich in ihrem Blick.

Ach Gott, ich wusste alles; alles wusste, ich, was sollten denn die Blicke zwischen uns. Zwischen uns beiden waren alle Fäden zerschnitten.

V

Heute versuchte ich zu arbeiten:

Es geht nicht!

Die ziellose Sehnsucht fehlt mir. Sie hatmit ihrer lächerlichen Leiblichkeit mir ihr Urbild zerstört. Was einst unbewusst hier in mirruhte, durch alle Empfindungen hingestreut,wie Goldfäden in alle Erinnerungen eingewoben, duftend aus dem breitgesponnenenGewebe meiner Heimatsmelodien, das hat siewie in einem Brennspiegel in sich gesammelt.Was sich einst in steigender Potenz demunbekannten Reich entgegenreckte, das gipfeltjetzt nur in der leiblichen Sehnsucht nach ihr.

Aus jedem Pinselstrich, aus jedem Tonsatzgrinst mir ihr Gesicht entgegen, ihre Bewegungen seh ich unter meinen Fingern entstehen, ihr heißes Lachen trübt mir jedengoldreinen Klang.

Anders, an ihr vorbei, kann ich nichtschaffen. Ich kann sie nicht bei Seite schieben.Meine Kunst ist nur der einzige Typus: ihrTypus.

Ich kann nicht mehr arbeiten, wenn ichnicht verbluten soll.

Die unpersönliche, undifferenzierte Sehnsucht fehlt mir.

Oh, die Sehnsucht, die mich als Knabenin Mondscheinnächten auf den nassen, weichenFrühlingsacker warf, dass ich mich mit meinenHänden in die frische Krume grub, meineheimatliche Erde über mich schüttend wie einweiches, wollüstiges Daunenbett.

Die Sehnsucht des Künstlers, in dessenSeele etwas auf und nieder wogt, von einemPol zum andern, ohne die Achse finden zukönnen, und in wilden Strömen dem Gehirnezukreist, den Urbildern zu, die dort vomWeibe aufgespeichert liegen und die nachWiedergeburt, nach neuer Schönheit, neuerKraft verlangen.

Oh, die herrliche Sehnsucht des reifendenKnaben und hoffenden Weibes und des zeugenden Künstlers, die Sehnsucht des Beginnens und des Werdens, die große Sehnsuchtder Dämmerung, die sich in das Nachtbettlegen, und die Sehnsucht des Morgengrauens,die in dem blutigen Erlöser-Rot der Auferstehung ihr Begehren stillen will.

Die heilige, zeugende, zukunftschwangereSehnsucht Deines Urbildes: Geliebte, Du!

Ich hasse dich, im kranken Schmerz hass’ ichdein Blut, weil du dich in mir zerstört hast,weil du, Blut, die Quelle meines Schaffens vergiftet hast.

Jetzt hab’ ich eine andere Sehnsucht, eineschauerliche, körperliche Sehnsucht.

Im Granite meines einstmals festgefügtenWesens zieht sie sich hin, wie Gänge fremdenGesteins, bis der Granit auswittert und brüchigwird an seinen kranken Adern.

In jede meiner Sensationen biss sie sich,saugt ihnen das Mark des Willens aus, zernagt den Lebensstrang, der mein Empfindenmit der Urkraft der Instinkte füllte; sie wickeltsich wie eine Scheide um den nackten, lebenslüsternen, nach Licht und Sonne klopfendenNerven und sperrt ihn ein in eine dunkleHöhle qualvoll träumender Schmerzensmysterien,weitentrückten Ringens zwischen Ohnmacht undfiebrigem Wünschen.

Aber in der Tiefe, da ringt etwas nachGlück; etwas streckt da seine Hände inächzender Verzweiflung nach dem Becher dererlösenden Arzenei, etwas windet und zucktund dreht sich nach der Lichtseite, wie diePflanze, die in stetem Schatten steht, und zweiSchritte weiter lacht das helle, licht-- undfarbentrunkene Erdreich.

O Gott, vielleicht doch ein klein wenigGlückt vielleicht das Glück des Tieres bloß,das unwissende, unbewusste Glück der Herde,sonnenhaft umstrahlt von der verblutendenHeilandsmajestät meines wissenden Gehirnes!

In der starken Mutterkrippe des Sonnengeflechtes müsste es von selbst, wie mit derWünschelrute hingezaubert, plötzlich liegen;von dort, ja, von dort müsste es kommen,das prometheische Licht der Erlösung.

Und mit weit gen Westen offenem Portalsteht die Kirche meiner Seele da, das zertrümmerte Jerusalem meines Gehirns, palmengeschmückt, um den Bräutigam zu empfangen,den Sohn der Gottestrunkenheit, der neuen,ewigen Beglückung.

Und wie ein Erzpriester steh’ ich armerMenschensohn auf den Stufen des Altars undwarte. Mit ausgestreckten Armen, mit starrgen Morgen gerichteten Augen steh ich daund warte.

Palmenwedel um mich, die Hand getauchtins heilige Feuer des Opferbeckens, vom geweihten Rauch der Glut und Räucherwerkumdampft, so steh’ ich da, ich alter Simeondes Gehirnes, um das Kindlein, das neue, zuempfangen, — das Kindlein, den neuen Heilandder Erlösung.

Erlösung — Erlösung!

VI

Ich denke drei Jahre zurück.

Wie viel Glückseligkeit damals, wie vielBegierden, die mir seitdem zum Ekel wurden,wie viel Hoffnungen, die nun zerstört sind,und wie viel Herzenswärme — oh ja, Herz,Herz...

Um meinen Schreibtisch spielt mein zweijähriger, blonder Sohn. Schmerz hat ihn geboren, Schmerz spricht aus seinen Zügen,schmerzhafte, kranke, alte Wehmut aus seinenBewegungen. Denn Schmerz ist das Ewige,das alles geboren hat; Schmerz ist das, wasendlos die Vergangenheit enträtselt, und ausSchmerz wird alle Zukunft geboren.

Ich und mein Sohn, wir beide ewig undschmerzgeboren, wir beide mächtig in demGrößenwahne unsrer Nichtigkeit.

Um meinen Schreibtisch spielt mein Sohnmit dem Kaninchen, dem weißen, rotäugigenKaninchen. Ich liebe meinen Sohn; er ist diegroße Idee meiner Vernichtung. Tag für Tagzerstört er mir ein Stück meines Daseins durchseine Mutter.

Und mein blonder Sohn ist schön und klugmit diesen mystischen Augen und den schmerzhaften Zügen.

Und eine Flut von Erinnerungen stürztüber mich; mein Gehirn wühlt sich zurückund sieht die Zeit, als der Jubel des werdenden Vaters in mir jauchzte.

Damals warst du so jung, und deiner Brüsteschwellende Keime pochten scheu an deineharte, frische Haut mit wachem Verlangen.

Damals warst du so schön, und über deinGesicht hin lag es wie ein Dunsthauch überder hoffenden Frühlingserde.

Mit zwei Sternaugen sahst du mich an,unschuldig, sündlos, unwissend; dein Blick kamüber mich, wie aus einer fremden Welt, auseiner grauen Vergangenheit.

Etwas Fremdes, Fernes — ja; denn ausdiesen Mädchenaugen zuckte zu mir her derStrahl des Willens, der das Daseinswort, dasuns geschaffen, erst erfüllen sollte.

Kind, Geliebte! Der Messiasgedanke einesgroßen Gottes, auf dass der Menschenewigkeitkein Ende werde.

Und erinnerst du dich?

Unter meinem Arme führt’ ich dich, stolz,weil alle Menschen uns um unser Glück beneideten. Durch den schwarzen, einsamenPark, durch das heimliche Rauschen derBlätter, durch das mystisch hochzeitliche Zittern der Natur führten wir uns an den Teich.Rings im Kreise standen silberblass die Pappeln, und der Himmel tauchte unter in derglatten Flut mit seiner sternenglühenden Ewigkeit und blickte so verführerisch zu uns heraufmit seiner selbstgewissen Pracht.

Und da war es still und Wollust in uns,und du zittertest in meinen Armen.

Nachtschauer schnitten mir mit leisen,sammetweichen Stichen durch die Glieder, undder Himmel blühte von Millionen sechsblätteriger Sternenkelche — hei, wie lachte dieHimmelswiese mit den glühenden Sternenblumen!

Und wir beide so trunken von unsermGlück, und wir beide in einander versinkendund verflochten wie zwei Sterne zweier Hemisphären, und wir beide in einander gewirkt wieTugend und Sünde, Unschuld und Verbrechen.Und schwellend keimte der Same.

Geliebte, Weib. Heilige, du meiner Seelezuckendes Herz, du meines Weltenhirneskreisende Achse: meiner Zukunft ewiges Schicksal gebierst du mir!

Um deine Stirne wind' ich einen Kranz,gewunden aus den großen, blutenden,schwarzen Blumen meiner Sehnsucht, und indas taube, weite Sturmgewand meiner verzweifelten Nöte hülle ich dich ein, und einenSternenregen goldener Kindesvergangenheitschütte ich auf dich herab, du meine Heilige,Gottgeschwängerte!

Und alles schwindet, sinkt. Nur Du: Duüber tausend Jahre hingestreckt. Du durchMillionen Weltenräume ausgebreitet. Du anmeinem Herzen —

Ehebrecherin du!

VII

Eine Sonne sah ich, sie war rot wie Purpurblut, und die Wolken ringsherum, wie wenn der Himmel verbluten wollte.

Mein Malraum wurde mir zur Hölle; unstet, rastlos lief ich hin und her und litt, litt, wie nur einer leiden kann, der mit seiner ganzenSeele, seiner ganzen Kunst in einem Weibewurzelt, das ihn nicht mehr liebt.

Ja, ich hatte es lange gemerkt; ich wusstees, ich brauchte keine Beweise. Ich fühlte esin mir, in ihr; ich sah's in ihren Blicken, ichlas es von ihrer kleinsten Bewegung ab. Ichsah in ihrer Seele so klar, wie in einem Wasser,wenn die ersten Tinten der Abenddämmerungsich durch den Sonnenhimmel gießen.

Ich wusste es schon, als der erste Gedankean ihn in ihrer Seele Keime schlug. Ich verfolgte von Minute zu Minute, wie es wuchs;sah, wie sie sich das erstemal begehrlich ansahn, wie sie ihn umfing mit ihren Blicken,wie er mit den Augen einer Königsschlangesie zu bannen wüsste und sie an sich zog undmit sich schleppte, dass sie gehen musste.

Und immer sah ich jenes blutige Purpurrotder Sonne und jenen verblutenden Himmel,ganz so wie ich ihn einmal als Kind gesehen.Von Anfang an war diese längst verblicheneErinnerung in mir wach geworden, dominiertein meinem Gehirn, beherrschte mein Denken,trieb und zwang meinen Willen, und immerzwang sie ihn in eine einzige Richtung hin:in das Verbrechen.

Wie seh ich deutlich den großen Hofmeines Vaters, sehe die Scheune mit demgroßen Storchnest auf dem Giebel und dasStorchenweibchen, das den halben Sommerdurch dort saß und brütete. Und auf derWiese hinter der Scheune, an dem großen,dicht mit Schilf und Binsen bewachsenen Teich,schritt das Männchen stundenlang mit gravitätischem Stolz einher und suchte nach Fröschen und Würmern. Ich seh ihn, wie erunbeweglich, starr auf einem Beine steht, bisunser Kindergeschrei ihn aufscheucht und erlangsam und in weiten Kreisen sich zum Nesteschwingt. Aber plötzlich war er verschwunden.Jemand hatte ihn zufällig angeschossen; imbenachbarten Dorfe wurde er aufgefunden undvon einem Bauern in Pflege genommen. Nichtlange, da erschien ein neuer Storch und kreisteum das Nest des kranken Männchens; nacheinigem Zögern ließ das Weibchen ihn hereinund lebte jetzt mit diesem. Und jetzt erinnereich mich so deutlich, wie wenn der ganze Vorgang gestern geschehen wäre:

Eines Tages saß ich auf dem Hofe vordem Brunnen und spielte. Plötzlich höre ichein seltsam lautes Geklapper in der Luft. Esist der alte Storch, der mit gesträubten Flügelnauf das Nest zustößt. Er ist schon fast amDache, da schwingt er sich von Neuem in dieHöhe, als wollte er die Lage erst recht klarüberblicken. Auf dem Neste entstand nun eineunbeschreibliche Bewegung. Ein kurzes, ängstliches Geklapper, unruhiges Hin-- und Herlaufen,dann wurde es still; der Liebhaber spannte dieFlügel aus, streckte mit weit vorgerecktem Halseden Schnabel in die Luft, sprang zwei-- dreimalin die Höhe, als ob er Mut fassen wollte, underhob sich zur Wehr. Im selben Augenblickstürzte der alte Storch auf ihn los. BeideVögel fingen mit bestialischer Wut zu kämpfenan. Sie hieben mit den roten Schnäbeln aufeinander los, schlugen mit den Flügeln umsich, fielen herunter, wälzten sich am Boden;sie stiegen wieder hoch, ihr Gefieder färbtesich mit Blut. Federn flogen in der Luftherum, immer wüster tobte die Raserei. Bisder alte Storch mit einem furchtbaren Schlageplötzlich seinem Rivalen einen Flügel zerbrach.Der lahme Vogel schwankte einen Augenblickin der Luft, fiel auf das Dach, suchte sichmit den Beinen im Stroh festzuhalten, aberder Rächer hatte schon zum letzten Schlageausgeholt: mitten in den Brustkorb hinein.Man sah die Wollust, wie er seinen Schnabeltief in den warmen Körper bohrte, dass dasBlut hoch herausspritzte. Noch ein taumelnderFlügelschlag und der zu Tode getroffene Vogelfiel herunter auf den Boden, warf sich imSchmerzkrampf, streckte sich, grub den Schnabelin den Sand, das Blut quoll schäumend umdie Wunden hervor und rötete das Gras.

Aber die Wut des Siegers war noch nichtgestillt. Er warf sich auf das Nest, hieb aufdas Weibchen ein, trieb sie aus dem Bette,und nun zerhackte er in wilder Raserei dieEier, schmiss die Schalen heraus, dann flog erauf die Wiese, wo er blutbefleckt in unbeweglicher Starrheit eine Weile stehen blieb. Plötzlich schwang er sich empor und flog davon.Das Weibchen kroch in das Nest zurück.

Der Abend kam.

Niemals sah ich den Himmel in dieserfurchtbaren Glut auflodern. Es schien, alswären fremde Welten in Brand geraten undnun züngelten die Flammen hinter dem Horizonte am Himmel empor. Ein blutiger Widerschein ergoss sich über das Himmelsgewölbe,bis zum Zenith hinauf zogen sich feurigblaueStriemen, und über all das furchtbare Rotblautriumphierte die untergehende Sonne mit ihrerblendenden Brunstgewalt.

Auf einmal erscholl von der Wiese her einfurchtbares Geklapper, in wechselndem Tempomit deutlichem Ausdruck und Rhythmus. Mindestens zwanzig Störche waren versammelt.

Eine Weile wurde es ganz still.

Plötzlich erhoben sich alle und steuertenin weiten Kreisen auf das Nest zu.

Das Weibchen stand zuerst hochaufgerichtet,lief nun unruhig hin und her, ließ von Zeitzu Zeit ein eigentümlich heiseres Geklapperhören.

Die Störche kamen in majestätischen Kreisenauf sie zu.

Jetzt schien sie einen verzweifelten Entschluss gefasst zu haben. Sie spannte dieFlügel aus, flog eine Strecke weit dem Teichezu, wollte in die Binsen laufen. Sie wurdeeingeholt; mit einem kräftigen Hieb streckteihr Männchen, über und über von Blut bedeckt, sie zu Boden. Sie versuchte aufzufliegen, aber schon umringte sie die ganzeSchar.

Wieder verging eine Weile in tätlichemSchweigen. Dann, wie auf geheimnisvollenWink, stürzten sie sich alle auf die Störchin;in einem Nu wurde sie in Stücke zerhauen,dass der zerrissene Körper in blutenden Gliedern herumflog und das blutige Gefieder in dieLuft aufwirbelte. Fetzen warmen Fleisches,eine zuckende Lache Blut, herumliegendes Gedärm bezeichnete die Stelle, wo man Gerichtgehalten hatte über die Ehebrecherin.

Seit diese Erinnerung in mir lebendig geworden, wurde ich sie nicht mehr los. Immersah ich das Blut des Weibchens, roch an ihm,sah Fetzen warmen Fleisches herumliegen.Es quälte mich unerhört.

Aus den abgründigsten Tiefen meines Seinskrochen merkwürdige Empfindungen empor;neue, immer neue, unbekannte, wilde, verbrecherische Instinkte wurden wach, und grell,voll Höllenröte lag vor meinem grauendenBlick der finstre Abgrund in mir aufgetan:die grässliche Vergangenheit voll wüster Verbrechen, tierischer Lüste, die Vergangenheit des Tieres und des Wilden, und ich saß vordieser Hölle und stierte hinein und sah dasEkle, Furchtbare aus allen Ritzen kriechen.

Und dann fühlte ich Gedanken aufsteigen,langsam, allmählich, wie schmutzig grüneBlasen aus einem Sumpfe, und ich sah tiefunten auf dem Grund das Riesenmeer uralterSchlingpflanzen, in die ich mich verstrickt,aus denen nicht mehr loszukommen war.

Alles schrie in mir nach Rache und Verbrechen.

Und einmal abends, da quirlten wieder dieSumpfblasen brodelnd hoch und der Hollenbrodem kroch wieder an mein Herz. Mein Gehirn verstrickte sich noch fester, immer festerin die Schlingen der uralten, tückischen Sumpfpflanzen. Zu Zeiten sah ich nichts vor Augen,alles wirbelte und floss in braunen Nebelkreisenum mich; zu Zeiten hörte ich ein wildes Stöhnen in den Ohren, ein Gedröhne, als ob Blutgefäße, eines nach dem andern, im Gehirne platztenund das Blut sich über die graue Rindenschicht in alle Falten, alle Buchten ergösse.

Dann sah ich wieder den Weltenbrand im blutigen Widerschein des Himmels und das zerrissene Storchenweibchen auf der Wiese.

Jäh sprang ich auf.

Sie fuhr in wilder Angst empor.

Ich sah den schreckgelähmten Blick, ichsah die fahle Blässe ihres Gesichtes, mein Blickkroch in den ihren, ich sah eine schwarze, ödeLeere, und dann hört' ich einen Schrei in mir:Morde sie!

Es schrie so furchtbar, dass ich wie taubwurde; nur ein Empfinden blieb — ein Empfinden, wie wenn sich ungeheure Nebelkreise zuRiesenfäusten ballten, und dann fühlte ichganz deutlich, wie der Willensimpuls aufmeine Muskeln überging und ich beide Händein die Höhe hob, wie zu einem Schlag, deralles zertrümmern, tief in die Erde einstampfensollte.

Da plötzlich fühlte ich etwas leuchtendNacktes, doch nicht in den Augen; es warrings um das Herz herum, kalt, gleißend,leuchtend. Es war nichts Leibliches, auchnichts von dieser Welt; es war, wie wenn sichetwas ungeheuer Weiches, Flüchtiges in mirmit etwas Verwandtem berührt hätte.

Ich fühlte sie.

Ich wurde plötzlich nüchtern, ich bebte undzitterte, meine Hände waren ausgestreckt undliefen wie im Fieber herum, ich sah ihre Gestaltdeutlich aus den kreisenden Nebeln tauchen.

Noch stand sie da, aber jetzt spreizte siedie Arme auseinander, und mit höhnendem,zynischem Blick, mit spitzem Lachen schrie,kreischte sie mir zu: Ja, würge, würg' michdoch!

Eine wahnsinnige Wut befuhr mich, ichpackte sie mit eisernen Krallen, schleifte, risssie durch das Atelier, und dann, mit heiseremKreischen, das mir wie das Knirschen berstender Porzellanscherben in die Ohren kreilte,stieß ich sie wie einen Haufen Lumpen von mir.

Und da, da aus der Ecke da, traf mich ausden weit, stier aufgerissenen Augen ein Blick,der aus einer Hölle dumpf abgründiger Machthervorgestoßen schien, ein Blick, in dem derganze ekle, lauernde, heimtückische Hass derSklavenohnmacht keuchte.

Und sie rächte sich. Ich wurde Zeuge, wiesie ihn, in meiner Gegenwart, brutal begehrte.Ich sah es, ich als Zeuge, und der Mann blutetin mir. Tropfen für Tropfen seh ich ihn meinBlut verlieren; ja, es rieselt, ja es tropft, dasstolze Mannesblut. Und leiden ließ sie mich,leiden — nicht mich allein: eine ganze Menschheit in mir. Alle die Zuchtwahlsempfindungen, durch Millionen Jahre in mir angehäuft, durchendlose Wogen von Geschlechtern zu mir fortgeerbt, krümmen sich und zischeln und bäumensich und schäumen vor Wut, wie wenn einRiesenfuß auf sie getreten hätte.

O, das elende Weib, das eine ganze Menschheit zertrümmern darf!

Ja, sie rächt sich. Noch immer sehe ichdie Sonne am verblutenden Himmel, undimmer fühle ich sie um mich. Sie steht dahinter meinem Stuhl, sie beugt sich über michmit grinsendem Hohngelächter, sie geht herumwie ein Gespenst auf leisen, bösen, unhörbarenZehen. Ich höre sie draußen, ich seh' sie inder Tür. Ich höre ihre Stimme, immer istsie da. Dreh’ ich mich dann um, seh' ich indie schwarze Leere, in die schwarze Hölleihres Hasses.

VIII

Ich stehe auf der Straße. Um die Wurzeldieses in die Erde eingerammten Gaskandelabers spielen so seltsam gerippte, schwarze,eckige Schatten der Nacht.

Dir das Opfer, du neuer Gott: du Gott desSchweigens und der Nacht!

Ich stehe auf der Straße. Hinter dir, dukrankes, schlankes Reh, schleicht fremderSchritte wankende Trunkenheit, und in meinemOhr tost fernes, hohles Rädergeroll.

Da — vor mir, in endloser, unförmigerMasse, ein ungestaltes schwarzes Riesentier:der Gott meines Schattens, der Gott meinesSchweigens.

Blödsinn! Mein Schatten.

Auf der Straße eine große, nasse Pfütze,und silbern und in stiller Ruhe ruht auf ihm,gefingert, eine weiße Riesenhand. Nein, derSchein des elektrischen Lichtes.

Gott, was ruht die Riesenhand auf derPfütze?!

Die Hand des Gottes auf der Pfütze desLebens — wie schwer sie ruht, wie breit gefingert!

Und da: daneben steht ein Kerl mit fürchterlichem Knüppel und schlägt hinein, dassspritzende Kotmassen weit herumfliegen undmein Gesicht beschmutzen.

Tötet er endlich die breitgefingerte Hand?

Dass er’s doch täte! Dass ich mit eigenenFingern in mein Leben packen, in sein Räderwerk mit eigenen Zähnen hineinbeißen könnte!

Ruhe — Stille.

Und jetzt den Damm entlang.

Das schwarze Wasser da unten; Unendlichkeit von Tiefe, von Gram.

Ich beuge mich über die Ballustrade, blickedie Böschung hinab.

Und wieder Lichter. Weiße, schmale Streifen, und jeder Streifen ein runder, großer Zylinder; weißer Strich in der Mitte, verfließend nach den Rändern hin mit tief und tiefer blauen Schatten, und weiter feinen,feinsten Abstufungen ins Schwarze hinein.

Das sind die Gedanken meiner unbewussten,dunklen, maßlosen Tierseele; wie spärlich, wieärmlich, wie verfließend.

Ein Meer von Licht, ein endloses Bewusstsein will ich haben, um mit eigenen Zähnenin das Räderwerk meines Schicksals hineinzubeißen! —

Vorn im Straßendunkel tauchen zwei glühende Reihen Laternenlichter auf, parallel nachbeiden Seiten hin verschwindend; ein Lichtkreis in den andern eingekeilt, mit spielendstrahlenden Protuberanzen. Und diese beidenReihen stehen vor der schwarzen Wand desHimmels, der die Erde im nächtlichen Schweigenküsst. Sie stehn wie Flammenschwerter vordem Tore des verlornen Paradieses und hütendie Geheimnisse überweltlicher Lüste; sie, dieschweigenden Paradieserzengel.

Und ich gehe und gehe in die schwarzeNacht hinein. Weitab verschwimmt die Stadt,nur von ferne zucken flimmernde Reflexe,Fäulnisphosphoreszenzen eines Sarkophages.

Im feuchten, taubehangenen Moose lieg’ ich;über mir der Sternenhimmel, dunkle Fernenvor mir, und in meinem Herzen Angst undGrauen.

Ja, mir graut vor diesen schweigenden Geheimnissen, Angst steigt in mir auf, zittert,wühlt in allen meinen Fibern; jeder Grashalm,der sich zu mir neigt, wird mir zur Angst,das Säuseln des Windes, die ganze Welt istmir zur Angst geworden. Das Weib lebt undzuckt in ihr, treibt und ängstigt mich; siepeitscht mein Herz in wilde Raserei, wie eineFlutwelle staut sie sich in mir, grinst in mirempor, wächst sich aus zu langen Fingern undumkrallt meinen Kehlkopf — oh, das fürchterliche Gesicht mit den dumpf abgründigenAugen! ich sehe es, ich seh’ es wieder.

Die Lichter erlöschen. Über den weiten,öden Feldern brütet die Angst des Todes.Kalt, öde stehen am Wege die Stümpfekahler Bäume. Von Zeit zu Zeit streicht derWind über die toten, schwarzen Felder undpfeift ein schauriges Nachtlied.

Ich gehe an der Hand meiner Mutter aufdem kotigen Landweg. Wilde, unheimlicheAngst lähmt meine Glieder.

Hinter uns auf einem Hügel, eine dickeschwarze Masse, steht die Kirche.

Es ist Allerseelentag.

Über, um uns, wie ein Alpdruck wahnsinnigsten Grauens, die Nacht.

Jetzt werden die Toten aus ihren Gräbernauferstehn und in die Kirche gehen. Der altetote Priester wird das Ornat umnehmen, dasauf dem Altar liegt, wird das große, silberbeschlagene Messbuch lesen, und in der ganzenKirche nichts als das schaurige Geklappervon Gerippen, nichts als das öde Grabesschwarz, das in den dumpfen Augenhöhlenbrütet, nichts als das Grinsen der weißen Zähneund das Leuchten weißer Leinentücher. Undsie stehen da, um den schwarzen Sarg, derauf dem Katafalk steht; sie stehen da, in demunheimlichen, schwachen, gelblichen Schein derfaustdicken Totenkerzen.

Angstschweiß bricht aus allen Poren meinesKörpers, fester halt’ ich die Hand der Mutter,und ich fühle, wie sie zittert.

Wir gehen schneller und schneller, ichkeuche, kaum kann ich mehr atmen.

Da plötzlich, an einem Baum, ein Geräusch, wie vom Anstreichen eines Schwefelhölzchens, und im selben Nu taucht aus demDunkel eine Gestalt in schwarzen, kotigenLumpen, einen jungen Baumstamm in dereinen Hand, in der andern eine Totenkerze.

Ich sehe das gelbe, flackernde Licht, ichsehe das grässliche Grinsen und zwei Augen,aus denen der Wahnsinn wilde Phosphoreszenzen wirft.

Und jetzt ein pfeifender Ton: der Wahnsinnige hebt seine Keule hoch, er schwingtdie Kerze hin und her.

Meine Mutter fällt in die Knie, ich willschreien, bringe keinen Laut von mir.

Plötzlich hebt sich meine Mutter auf:

— Gelobt sei Jesus Christus! keucht siemühsam hervor.

Der Mann leuchtet ihr mit der Kerze indie Augen; über sein grässlich entstelltes,blutig zerkratztes und zerrissenes Gesicht gehtein wildes, grauenhaftes Grinsen, seine Augenquellen hervor, die tollgewordene Hyäne glotztaus ihnen heraus.

Er hebt die Keule hoch und schwingt undschüttelt sie mit wildem Jauchzen in rasendenSprüngen über unsern Köpfen.

In diesem Augenblicke wird die Kerze vomWinde ausgelöscht, der Wahnsinnige gleitet ineiner Kotlache aus, fällt um.

Die Mutter rennt, wie nur in fürchterlichster Todesgefahr Menschen rennen können, siezerrt, schleppt mich mit, aber der Irre hat unsschon eingeholt und tanzt vor uns in wilden,affenartigen Sprüngen.

Jetzt können wir uns kaum noch schleppen;in letzter Verzweiflung sprechen wir beide lautein Gebet.

Der Mann verzerrt entsetzlich das Gesicht, knirscht mit den Zähnen, lallt undschreit und schwingt seine Keule; ein Schlagschon hätte genügt, uns beide zu Boden zustrecken. Dann stellt er sich hinter uns, äfftunsern Gang nach, und mit dämonischemLachen wiederholt er unaufhörlich:

Eins — Zwei! Eins — Zwei!

Da plötzlich ein Kreuz am Wege. DerWahnsinnige bleibt bedächtig stehen, pflanztdie Kerze in den Boden und springt über sie,hin und zurück, hin und zurück.

Die Mutter fällt mit mir in einen tiefenGraben, wir sind gerettet...

Nein, jetzt seh' ich sie schon wieder, diewahnsinnigen Augen; sie leuchten über mirwie zwei erstorbene Sonnen in mattem, metallischem Glanz, ich sehe sie in mir, mitkalten Strahlen kriechen sie an jedem meinerNerven in die innersten Wurzeltiefen herab,mein Herz stockt.

Ist das der Wahnsinn?

Sie — das Weib war in ihm; er — siekommt mir als Vorbote, als ein Ölzweig desewigen Bewusstseinsfriedens im Wahnsinn, desöden, toten Friedens der Novemberfelder amAllerseelentag.

Und dann wird die Nacht kommen — undich am Kreuze mit der Kerze — her mit derKeule und der Kerze!

Und jetzt das Wiehern der Hölle in ihrergottbewussten Seligkeit; mit stampfendem Fußreißt mir der Teufel das Herz aus der Brustund zündet Feuer an im Gehirne, und ichwie ein Stier mit dem Bündel angezündetenReisigs — toll, wild, rasend.

Nein, nein, das ist zu furchtbar.

Und einen Gesang höre ich, singend auftausend Nervenpfeifen, zuckend mit tausendnackten Tastkörperchen, einen physischen,schmerzenden Würgegesang. Und ein Herz,ein Herz voll wüster Liebe fühle ich, wie esBlut in diesen Gesang hineingießt und ihnfüllt mit Siedehitze, immer heißer, zuckenderund wütender, bis er birst und sich um mich,über mich, in mich hinein ergießt mit feuchter,warmer, dampfender Blutatmosphäre. ..

Nein, es klingt anders: weiß, ganz weiß,hoch auf den höchsten Bergen geschmolzen.Im Strom fließt es hernieder ins Tal, lautlosglitscht es herab auf den breiten Eisfiesenund wird so weich und flüssig; ausgebreitetüber tausend Bergabhänge, strömend über tausend nackte Felsen.

Ich höre es so mild, so weich, dies uralteGnadenlied der nächtlichen Himmelsseligkeitmit den milden, tränenden Blicken...

Und da geschah es!

Auf meiner Seele trauerflorumflossenenAcker fiel eine blasse Rose herab.

Ich weiß nicht, welchen Engels Hand siemir zugeworfen, ich weiß nicht, welcherLebenssturm sie mir zugeweht hatte.

Ist sie auf Gräbern im Schatten düstererTrauerweiden geboren? Ist sie aus bleichenStrahlen längst erstorbener Welten gesponnen?Floss sie zu mir her auf silbernen Todeswellenweicher Nebeldünste?

Auf den weiten Acker meiner Seele ist dieblasse Rose gefallen.

Zitternd dämmert hinter den Bergen inlichtem Golde die Sonne, und in wildem, verwegenem Bogen wölbt sich der Morgen empor.

Weib, du in mir. Ich — Du. Du — Ich.

Und in einander geschlungen wie dieüppigen Triebe wilder Lianen, und in einandergefädelt wie des menschlichen Wirkens endlose Fäden, so ruhen wir, du Herz von meinemHerzen, Hirn von meinem Gehirn. —

Du mit den Knabenbrüsten —

Androgyne!

IX

Und nun still, so still, dass jeder Ton inder Luft hängen bleibt, dass jeder Lichtstrahlin der Atmosphäre taub wird.

Kein Ton und kein Licht...

Ich liege da, so weich gebettet, so still ummich herum, so weich und still.

Und dieses melancholische Dunkel, dieseslustmüde, kranke Dunkel mit den fieberheißen,pochenden Schläfen.

Die Rosen ganz welk. Wie sie zittern indem düstern Flor des Dunkels, und in denUrnen ihrer Kelche ruht der Tod, und dieBlätter fallen ab — wie Töne einer berührtenSaite...

Und wieder seh ich dich wie einst, indeiner nackten Gliederpracht; doch du bistmir fern, und ich sehe dich an mit dem kaltenBlick gestillter Brünste.

Mein großes Auge, die Weltensonne, hatdich aus der Dunkelheit herausgehoben. Meinkosmischer Wille hat in dir die Ewigkeit besucht. Du warst das lächerliche Spielzeug,das unter meinen Händen zum Fetisch, zumheiligen Idol wurde. Ich habe in dir dieLüste geweckt und dir ewig neue Reize angedichtet — doch jetzt ist mein Blick für dicherloschen, nicht mehr schlägt das Herz in denRhythmen deiner Lust.

Nein, nein!

Du nicht, mit deines Leibes lockendenLüsten.

Du nicht, mit deines Schoßes tierischerBrut.

Dich brauch ich nicht, und gleichgültig istmir mein blonder Knabe, dies lächerliche StückUnsterblichkeit...

Doch Du in mir, Du meines Hirnes ewigeGefährtin. Du meines Herzens uferlose Macht —

Du nur, Du zerlegt in tausend Flächen, Duzerstäubt in tausende Stäubchen Duftreiz —

Du in Milliarden Lichtfunken —

Du, zersiebt, zerflockt, zerfasert in tausendStimmungen, in tausend träufelnde Gefühle —

Du, die Abendröte über dem herbstlichenFeld —

Du, der mystische Reiz der Religionen,Du warst und bist meine Unsterblichkeit:

Du meine große, heilige Kunst!

Verschwunden ist mir deines Leibes Prachtund vergessen; doch Du in Mir bist der Aufgang einer neuen Welt. Neue Instinkte habeich geschaffen, tausend schlummernde Organezum Genuss erweckt, tausend neue Verbindungen in hundert Gehirnen gestiftet, und dasalles seh’ ich zeugen fort und fort, und dasalles seh ich sich durch kommende Geschlechtermehren, und sehe neue Kulturen wachsen, undfeinere Zuchtwahl seh ich tätig — in die Unendlichkeit des Menschengeschlechtes lebe Ichdurch Dich...

Und eine lange, — weiche Hund seh’ ich sichzu mir herüberschieben, wie Sternenlicht imNebel dämmert sie aus der Dunkelheit.

Licht im Zimmer, — eine Gestalt in sonnenhafter Herrlichkeit:

Abel!

Wie bist du auferstanden von der Bahre? Habe ich dich nicht getötet?

Komm, komm, mein Herzensbruder — eintiefes Geheimnis!

An den Brüsten Einer Mutter haben wirgesogen, von derselben Muttermilch sind wirstark geworden, wir Kinder des Sündenfalls.

Verstehst du, dass ich dich töten musste?Herzensbruder, weißt du's?

Du warst das starke, jungfräuliche Ja inmir, die zeugungskräftige Sehnsucht, die wiedas heilige Werde ein neues Chaos brauchte,sich zu offenbaren.

Ja, ich musste dich töten; denn die Machtmeiner Lüste, die nach neuen Brünsten ihreHände ringen, war zu groß für die gesättigteRuhe deines Urwillens.

Bruder, komm nahe; ganz, ganz nahe...

Ich Kain, ich der große Geheimnisse geschaut, ich der Geist der Erkenntnis und des Bösen, ich älter als du, weil ich Sünde undVerbrechen bin, ich weiß es:

Wir Beide sind Fehlgeburten, unsre Muttereine Afteroffenbarung, und er selber, der dieMutter gezeugt hat, ist der Hohn Eines, derda über ihm ist.

Ja: ER ist da, und in einen neuen Geschlechtswillen wird ER sich kleiden, bis duund ich Eines werden.

Abel, Abel, Du wirst Ich!

Doch jetzt still — still...

Die Rosen so welk, und die pochende,fieberheiße Stille um mich...

Komm, mein blonder Sohn du; komm, dumein winziges Stück Unsterblichkeit! Wir beidein der Grandiosität unserer Nichtigkeit, wirarmen Erdenwürmer.

Du, ich, und das weiße, rotäugige Kaninchen...

13. Nov. 93.

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