PERSONEN
Sultan Saladin
Sittah, dessen Schwester
Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem
Recha, dessen angenommene Tochter
Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, alsGesellschafterin der Recha
Ein junger Tempelherr
Ein Derwisch
Der Patriarch von Jerusalem
Ein Klosterbruder
Ein Emir nebst verschiedenen Mameluken des Saladin
Die Szene ist in Jerusalem.
ERSTER AUFZUG
ERSTER AUFTRITT
Szene: Flur in Nathans Hause.Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.
DAJA
Er ist es! Nathan! — Gott sei ewig Dank,
Dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt.
NATHAN
Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?
Hab ich denn eher wiederkommen wollen?
Und wiederkommen können? Babylon
Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,
Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
Und Schulden einkassieren, ist gewiss
Auch kein Geschäft, das merklich fördert, das
So von der Hand sich schlagen lässt.
DAJA
O Nathan,
Wie elend, elend hättet Ihr indes
Hier werden können! Euer Haus ...
NATHAN
Das brannte.
So hab ich schon vernommen. — Gebe Gott,
Dass ich nur alles schon vernommen habe!
DAJA
Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.
NATHAN
Dann, Daja, hätten wir ein neues uns
Gebaut; und ein bequemeres.
DAJA
Schon wahr! —
Doch Recha wär bei einem Haare mit
Verbrannt.
NATHAN
Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? —
Das hab ich nicht gehört. — Nun dann! So hätte
Ich keines Hauses mehr bedurft. — Verbrannt
Bei einem Haare! — Ha! sie ist es wohl!
Ist wirklich wohl verbrannt! — Sag nur heraus!
Heraus nur! — Töte mich, und martre mich
Nicht länger. — Ja, sie ist verbrannt.
DAJA
Wenn sie
Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?
NATHAN
Warum erschreckest du mich denn? — O Recha!
O meine Recha!
DAJA
Eure? Eure Recha?
NATHAN
Wenn ich mich wieder je entwöhnen müsste,
Dies Kind mein Kind zu nennen!
DAJA
Nennt Ihr alles,
Was Ihr besitzt, mit eben so viel Rechte
Das Eure?
NATHAN
Nichts mit größerm! Alles, was
Ich sonst besitze, hat Natur und Glück
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
Dank ich der Tugend.
DAJA
O wie teuer lasst
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,
Noch Güte heißen kann!
NATHAN
In solcher Absicht?
In welcher?
DAJA
Mein Gewissen...
NATHAN
Daja, lass
Vor allen Dingen dir erzählen ...
DAJA
Mein
Gewissen, sag ich ...
NATHAN
Was in Babylon
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
Für Recha selbst kaum einen schönern mit.
DAJA
Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muss ich Euch
Nur sagen, lässt sich länger nicht betäuben.
NATHAN
Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
Wie Ring und Kette dir gefallen werden,
Die in Damaskus ich dir ausgesucht:
Verlanget mich zu sehn.
DAJA
So seid Ihr nun!
Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!
NATHAN
Nimm du so gern, als ich dir geb; — und schweig!
DAJA
Und schweig! — Wer zweifelt, Nathan, dass Ihr nicht
Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?
Und doch ...
NATHAN
Doch bin ich nur ein Jude. — Gelt,
Das willst du sagen?
DAJA
Was ich sagen will,
Das wisst Ihr besser.
NATHAN
Nun so schweig!
DAJA
Ich schweige.
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann —
Nicht kann, — komm’ über Euch!
NATHAN
Komm’ über mich! —
Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? — Daja,
Wenn du mich hintergehst! — Weiß sie es denn,
Dass ich gekommen bin?
DAJA
Das frag ich Euch!
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
Noch malet Feuer ihre Phantasie
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger
Als Tier, bald mehr als Engel.
NATHAN
Armes Kind!
Was sind wir Menschen!
DAJA
Diesen Morgen lag
Sie lange mit verschlossnem Aug', und war
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: „Horch! horch!
Da kommen die Kamele meines Vaters!
Horch! seine sanfte Stimme selbst!” — Indem
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
Dem seines Armes Stütze sich entzog,
Stürzt auf das Kissen. — Ich, zur Pfort' hinaus!
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich!
Was Wunder! ihre ganze Seele war
Die Zeit her nur bei Euch — und ihm. —
NATHAN
Bei ihm?
Bei welchem Ihm?
DAJA
Bei ihm, der aus dem Feuer
Sie rettete.
NATHAN
Wer war das! wer? — Wo ist er?
Wer rettete mir meine Recha? Wer?
DAJA
Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage
Zuvor, man hier gefangen eingebracht,
Und Saladin begnadigt hatte.
NATHAN
Wie?
Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin
Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder
War Recha nicht zu retten? Gott!
DAJA
Ohn ihn,
Der seinen unvermuteten Gewinst
Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.
NATHAN
Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? —
Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.
Ihr gabt ihm doch vors Erste, was an Schätzen
Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?
Verspracht ihm mehr? weit mehr?
DAJA
Wie konnten wir?
NATHAN
Nicht? nicht?
DAJA
Er kam, und niemand weiß woher.
Er ging, und niemand weiß wohin. — Ohn alle
Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr
Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,
Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,
Die uns um Hülfe rief. Schon hielten wir
Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme
Mit eins er vor uns stand, im starken Arm
Empor sie tragend. Kalt und ungerührt
Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute
Er nieder, drängt sich unters Volk und ist —
Verschwunden!
NATHAN
Nicht auf immer, will ich hoffen.
DAJA
Nachher die ersten Tage sahen wir
Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,
Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.
Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,
Erhob, entbot, beschwor — nur einmal noch
Die fromme Kreatur zu sehen, die
Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank
Zu seinen Füßen ausgeweinet.
NATHAN
Nun?
DAJA
Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;
Und goss so bittern Spott auf mich besonders ...
NATHAN
Bis dadurch abgeschreckt ...
DAJA
Nichts weniger!
Ich trat ihn jeden Tag von neuem an;
Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.
Was litt ich nicht von ihm! Was hätt ich nicht
Noch gern ertragen! — Aber lange schon
Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,
Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;
Und niemand weiß, wo er geblieben ist. —
Ihr staunt? Ihr sinnt?
NATHAN
Ich überdenke mir,
Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl
Für Eindruck machen muss. Sich so verschmäht
Von dem zu finden, den man hochzuschätzen
Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,
Und doch so angezogen werden; — Traun,
Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,
Ob Menschenhass, ob Schwermut siegen soll
Oft siegt auch keines; und die Phantasie,
Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,
Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald
Das Herz den Kopf muss spielen. — Schlimmer Tausch! —
Das Letztere, verkenn ich Recha nicht,
Ist Rechas Fall: sie schwärmt.
DAJA
Allein so fromm,
So liebenswürdig!
NATHAN
Ist doch auch geschwärmt!
DAJA
Vornehmlich eine — Grille, wenn Ihr wollt,
Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr
Kein irdischer und keines irdischen;
Der Engel einer, deren Schutze sich
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,
In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,
Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr
Hervorgetreten, — Lächelt nicht! — Wer weiß?
Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
In dem sich Jud' und Christ und Muselmann
Vereinigen; — so einen süßen Wahn!
NATHAN
Auch mir so süß! — Geh, wackre Daja, geh;
Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. —
Sodann such ich den wilden, launigen
Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,
Hienieden unter uns zu wallen; noch
Beliebt, so ungesittet Ritterschaft
Zu treiben: find ich ihn gewiss, und bring
Ihn her.
DAJA
Ihr unternehmet viel.
NATHAN
Macht dann
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: —
Denn, Daja, glaube mir, dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel —
So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,
Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?
DAJA
Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!
Ich geh! — Doch hört! — doch seht! — Da kommt sie selbst.
ZWEITER AUFTRITT
Recha und die Vorigen.
RECHA
So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?
Ich glaubt, Ihr hättet Eure Stimme nur
Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,
Für Wüsten, was für Ströme trennen uns
Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,
Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?
Die arme Recha, die indes verbrannte! —
Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!
Es ist ein garst’ger Tod, verbrennen.
NATHAN
Mein Kind! Mein liebes Kind!
RECHA
Ihr musstet über
Den Euphrat, Tigris, Jordan; über — wer
Weiß was für Wasser all? — Wie oft hab ich
Um Euch gezittert, eh das Feuer mir
So nahe kam! Denn seit das Feuer mir
So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben
Erquickung, Labsal, Rettung. — Doch Ihr seid
Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht
Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,
Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen
Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel
Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,
Er winkte meinem Engel, dass er sichtbarAuf seinem weißen Fittiche mich durch
Das Feuer trüge —
NATHAN
beiseite
Weißem Fittiche!
Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel
Des Tempelherrn.
RECHA
Er sichtbar, sichtbar mich
Durchs Feuer trüg, von seinem Fittiche
Verweht. — Ich also, ich hab einen Engel
Von Angesicht zu Angesicht gesehn;
Und meinen Engel.
NATHAN
Recha wär es wert;
Und würd an ihm nichts Schönres sehn, als er
An ihr.
RECHA
lächelnd
Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? Wem?
Dem Engel, oder Euch?
NATHAN
Doch hätt auch nur
Ein Mensch — ein Mensch, wie die Natur sie täglich
Gewährt — dir diesen Dienst erzeigt, er müsste
Für dich ein Engel sein. Er müsst und würde.
RECHA
Nicht so ein Engel, nein! ein wirklicher;
Es war gewiss ein wirklicher! — Habt Ihr,
Ihr selbst die Möglichkeit, dass Engel sind,
Dass Gott zum Besten derer, die ihn lieben,
Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?
Ich lieb ihn ja.
NATHAN
Und er liebt dich; und tut
Für dich und deinesgleichen, stündlich Wunder;
Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit
Für euch getan.
RECHA
Das hör ich gern.
NATHAN
Wie? Weil
Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,
Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr
Gerettet hätte: sollt es darum weniger
Ein Wunder sein? — Der Wunder höchstes ist,
Dass uns die wahren, echten Wunder so
Alltäglich werden können, werden sollen.
Ohn dieses allgemeine Wunder hätte
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
Genannt, was Kindern bloß so heißen müsste,
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
Das Neuste nur verfolgen.
DAJA
zu Nathan
Wollt Ihr denn
Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn
Durch solcherlei Subtilitäten ganz
Zersprengen?
NATHAN
Lass mich! — Meiner Recha wär
Es Wunders nicht genug, dass sie ein MenschGerettet, welchen selbst kein kleines Wunder
Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!
Denn wer hat schon gehört, dass Saladin
Je eines Tempelherrn verschont? dass je
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden
Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit
Mehr als den ledern Gurt geboten, der
Sein Eisen schleppt, und höchstens seinen Dolch?
RECHA
Das schließt für mich, mein Vater — Darum eben
War das kein Tempelherr; er schien es nur. —
Kommt kein gefangner Tempelherr je anders
Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;
Geht keiner in Jerusalem so frei
Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig
Denn einer retten können?
NATHAN
Sieh! wie sinnreich.
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja
Von dir, dass er gefangen hergeschickt
Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.
DAJA
Nun ja. — So sagt man freilich; — doch man sagt
Zugleich, dass Saladin den Tempelherrn
Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,
Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.
Doch da es viele zwanzig Jahre her,
Dass dieser Bruder nicht mehr lebt — er hieß,
Ich weiß nicht wie — er blieb, ich weiß nicht wo: —
So klingt das ja so gar — so gar unglaublich,
Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist.
NATHAN
Ei, Daja! Warum wäre denn das so
Unglaublich? Doch wohl nicht — wie’s wohl geschieht —
Um lieber etwas noch Unglaublichers
Zu glauben? — Warum hätte Saladin,
Der sein Geschwister insgesamt so liebt,
In jüngern Jahren einen Bruder nicht
Noch ganz besonders lieben können? — Pflegen
Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? — Ist
Ein alter Eindruck ein verlorner? — Wirkt
Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? —
Seit wann? — Wo steckt hier das Unglaubliche? —
Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich
Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur
Bedürf ... verdienen, will ich sagen, Glauben.
DAJA
Ihr spottet.
NATHAN
Weil du meiner spottest. — Doch
Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung
Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten
Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe
Der Könige, sein Spiel — wenn nicht sein Spott —
Gern an den schwächsten Fäden lenkt.
RECHA
Mein Vater!
Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wisst, ich irre
Nicht gern.
NATHAN
Vielmehr, du lässt dich gern belehren. —
Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;
Der Rücken einer Nase, so vielmehr
Als so geführet; Augenbraunen, die
Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen
So oder so sich schlängeln; eine Linie,
Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,
Ein Nichts, auf eines wilden Europäers
Gesicht: — und du entkommst dem Feu’r in Asien!
Das wär kein Wunder, wundersücht’ges Volk?
Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?
DAJA
Was schadet’s — Nathan, wenn ich sprechen darf —
Bei alledem, von einem Engel lieber
Als einem Menschen sich gerettet denken?
Fühlt man der ersten unbegreiflichen
Ursache seiner Rettung nicht sich so
Viel näher?
NATHAN
Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf
Von Eisen will mit einer silbern Zange
Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
Ein Topf von Silber sich zu dünken. — Pah! —
Und was es schadet, fragst du? Was es schadet?
Was hilft es? dürft ich nur hinwieder fragen. —
Denn dein „Sich Gott um so viel näher fühlen”
Ist Unsinn oder Gotteslästerung. —
Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. —
Kommt! hört mir zu. — Nicht wahr? dem Wesen, das
Dich rettete — es sei ein Engel oder
Ein Mensch — dem möchtet ihr, und du besonders,
Gern wieder viele große Dienste tun?
Nicht wahr? — Nun, einem Engel, was für Dienste,
Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?
Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;
Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;
Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,
Almosen spenden — Alles nichts. — Denn mich
Däucht immer, dass ihr selbst und euer Nächster
Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird
Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich
Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher
Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger
Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!
DAJA
Ei freilich hätt ein Mensch, etwas für ihn
Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.
Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!
Allein er wollte ja, bedurfte ja
So völlig nichts; war in sich, mit sich so
Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel
Sein können.
RECHA
Endlich, als er gar verschwand...
NATHAN
Verschwand? — Wie denn verschwand? — Sich untern Palmen
Nicht ferner sehen ließ? — Wie? oder habt
Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?
DAJA
Das nun wohl nicht.
NATHAN
Nicht, Daja? nicht? — Da sieh
Nun, was es schad’t! — Grausame Schwärmerinnen! —
Wenn dieser Engel nun — nun krank geworden!
RECHA
Krank!
DAJA
Krank? Er wird doch nicht!
RECHA
Welch kalter Schauer
Befällt mich! — Daja! — Meine Stirne, sonst
So warm, fühl! ist auf einmal Eis.
NATHAN
Er ist
Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt!
Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,
Des Hungerns, Wachens ungewohnt.
RECHA
Krank! krank!
DAJA
Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.
NATHAN
Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld,
Sich Freunde zu besolden.
RECHA
Ah, mein Vater!
NATHAN
Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach,
Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!
RECHA
Wo? Wo?
NATHAN
Er, der für eine, die er nie
Gekannt, gesehn — genug, es war ein Mensch —
Ins Feu’r sich stürzte ...
DAJA
Nathan, schonet ihrer!
NATHAN
Der, was er rettete, nicht näher kennen,
Nicht weiter sehen mocht, um ihm den Dank
Zu sparen ...
DAJA
Schonet ihrer, Nathan!
NATHAN
Weiter
Auch nicht zu sehn verlangt, es wäre denn,
Dass er zum zweiten Mal es retten sollte —
Denn g'nug, es ist ein Mensch ...
DAJA
Hört auf, und seht!
NATHAN
Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts —
Als das Bewusstsein dieser Tat!
DAJA
Hört auf!
Ihr tötet sie!
NATHAN
Und du hast ihn getötet! —
Hättest so ihn töten können. — Recha! Recha!
Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.
Er lebt! — komm zu dir! — ist auch wohl nicht krank;
Nicht einmal krank!
RECHA
Gewiss? — nicht tot? nicht krank?
NATHAN
Gewiss, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier
Getan, auch hier noch. — Geh! — Begreifst du aber,
Wie viel andächtig schwärmen leichter, alsGut handeln ist? Wie gern der schlaffste Mensch
Andächtig schwärmt, um nur, — ist er zu Zeiten
Sich schön der Absicht deutlich nicht bewusst —
Um nur gut handeln nicht zu dürfen?
RECHA
Ah,
Mein Vater! lasst, lasst Eure Recha, doch
Nie wiederum allein! — Nicht wahr, er kann
Auch wohl verreist nur sein? —
NATHAN
Geht! — Allerdings. —
Ich seh, dort mustert mit neugier’gem Blick
Ein Muselmann mir die beladenen
Kamele. Kennt ihr ihn?
DAJA
Ha! Euer Derwisch.
NATHAN
Wer?
DAJA
Euer Derwisch; Euer Schachgesell!
NATHAN
Al-Hafi? das Al-Hafi?
DAJA
Jetzt des Sultans
Schatzmeister.
NATHAN
Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder? —
Er ist’s! — wahrhaftig ist’s! — kommt auf uns zu.
Hinein mit Euch, geschwind! — Was werd’ ich hören!
DRITTER AUFTRITT
Nathan und der Derwisch.
DERWISCH
Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!
NATHAN
Bist du’s? Bist du es nicht? — In dieser Pracht,
Ein Derwisch! ...
DERWISCH
Nun! Warum denn nicht! Lässt sich
Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?
NATHAN
Ei wohl, genug! — Ich dachte mir nur immer,
Der Derwisch — so der rechte Derwisch — woll'
Aus sich nichts machen lassen.
DERWISCH
Beim Propheten!
Dass ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
Zwar wenn man muss —
NATHAN
Muss! Derwisch! — Derwisch muss?
Kein Mensch muss müssen, und ein Derwisch müsste?
Was müsst er denn?
DERWISCH
Warum man ihn recht bittet,
Und er für gut erkennt: das muss ein Derwisch.
NATHAN
Bei unserm Gott! da sagst du wahr. — Lass dich
Umarmen, Mensch. — Du bist doch noch mein Freund?
DERWISCH
Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?
NATHAN
Trotz dem, was du geworden!
DERWISCH
Könnt ich nicht
Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
Euch ungelegen wäre?
NATHAN
Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wag ich’s drauf. Der Kerl
Im Staat ist nur dein Kleid.
DERWISCH
Das auch geehrt
Will sein. — Was meint Ihr? ratet! — Was wär ich
An Eurem Hofe?
NATHAN
Derwisch, weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich — Koch!
DERWISCH
Nun ja!
Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. — Koch!
Nicht Kellner auch? — Gesteht, dass Saladin.
Mich besser kennt. — Schatzmeister bin ich bei
Ihm worden.
NATHAN
Du? — bei ihm?
DERWISCH
Versteht:
Des kleinem Schatzes; denn des größern waltet
Sein Vater noch — des Schatzes für sein Haus.
NATHAN
Sein Haus ist groß.
DERWISCH
Und größer, als Ihr glaubt;
Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.
NATHAN
Doch ist den Bettlern Saladin so feind —
DERWISCH
Dass er mit Stumpf und Stiel sie zu vertilgen
Sich vorgesetzt, — und sollt er selbst darüber
Zum Bettler werden.
NATHAN
Brav! so mein ich’s eben.
DERWISCH
Er ist’s auch schon, trotz einem! — Denn sein Schatz
Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
Sie Morgens eintritt, ist des Mittags längst
Verlaufen —
NATHAN
Weil Kanäle sie zum Teil
Verschlingen, die zu füllen oder zu
Verstopfen, gleich unmöglich ist.
DERWISCH
Getroffen!
NATHAN
Ich kenne das!
DERWISCH
Es taugt nun freilich nichts,
Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt’s
Noch zehnmal weniger.
NATHAN
O nicht doch, Derwisch!
Nicht doch!
DERWISCH
Ihr habt gut reden, Ihr! — Kommt an:
Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'
Euch ab.
NATHAN
Was bringt dir deine Stelle?
DERWISCH
Mir?
Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern:
Denn ist es Ebb’ im Schatz, — wie öfters ist, —
So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.
NATHAN
Auch Zins vom Zins der Zinsen?
DERWISCH
Freilich!
NATHAN
Bis
Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.
DERWISCH
Das lockt Euch nicht? So schreibet unsrer Freundschaft
Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab
Ich sehr auf Euch gerechnet.
NATHAN
Wahrlich? Wie
Denn so? Wie so denn?
DERWISCH
Dass Ihr mir mein Amt
Mit Ehren würdet führen helfen; dass
Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. —
Ihr schüttelt?
NATHAN
Nun, verstehn wir uns nur recht!
Hier gibt’s zu unterscheiden. — Du? warum
Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
Was ich vermag, mir stets willkommen. — Aber
Al-Hafi Defterdar des Saladin,
Der — dem —
DERWISCH
Erriet ich’s nicht? Dass Ihr doch immer
So gut als klug, so klug als weise seid? —
Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,
Soll bald geschieden wieder sein. — Seht da
Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
Eh es verschossen ist, eh es zu Lumpen
Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
Hängt’s in Jerusalem am Nagel, und
Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.
NATHAN
Dir ähnlich g'nug!
DERWISCH
Und Schach mit ihnen spiele.
NATHAN
Dein höchstes Gut!
DERWISCH
Denkt nur, was mich verführte! —
Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?
Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?
Vermögend wär im Hui den reichsten Bettler
In einen armen Reichen zu verwandeln?
NATHAN
Das nun wohl nicht.
DERWISCH
Weit etwas Abgeschmackteres!
Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;
Durch Saladins gutherz’gen Wahn geschmeichelt.
NATHAN
Der war?
DERWISCH
„Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern
Zumute sei; ein Bettler habe nur
Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.
Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,
Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab;
Erkundigte so ungestüm sich erst
Nach dem Empfänger; nie zufrieden, dass
Er nur den Mangel kenne, wollt er auch
Des Mangels Ursach' wissen, um die Gabe
Nach dieser Ursach' filzig abzuwägen.
Das wird Ai-Hafi nicht! So unmild mild
Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!
Ai-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,Die ihre klar und still empfangnen Wasser
So unrein und so sprudelnd wieder geben.
Al-Hafi denkt, Al-Hafi fühlt wie ich!” —
So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis
Der Gimpel in dem Netze war. — Ich Geck!
Ich eines Gecken Geck!
NATHAN
Gemach, mein Derwisch,
Gemach!
DERWISCH
Ei was! — Es wär nicht Geckerei,
Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,
Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und
Ein Menschenfreund an Einzeln scheinen wollen?
Es wär nicht Geckerei, des Höchsten Milde,
Die sonder Auswahl über Bös' und Gute
Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein
Und Regen sich verbreitet — nachzuäffen,
Und nicht des Höchsten immer volle Hand
Zu haben? Was? es wär nicht Geckerei ...
NATHAN
Genug! hör auf!
DERWISCH
Laszt meiner Geckerei
Mich doch nur auch erwähnen! — Was? Es wäre
Nicht Geckerei, an solchen Geckereien
Die gute Seite dennoch auszuspüren,
Um Anteil, dieser guten Seite wegen,
An dieser Geckerei zu nehmen? He?
Das nicht?
NATHAN
Al-Hafi, mache, dass du bald
In deine Wüste wieder kommst. Ich fürchte,
Grad unter Menschen möchtest du ein Mensch
Zu sein verlernen.
DERWISCH
Recht, das fürcht ich auch.
Lebt wohl!
NATHAN
So hastig? — Warte doch, Al-Hafi.
Entläuft dir denn die Wüste? — Warte doch! —
Dass er mich hörte! — He, Al-Hafi! hier! —
Weg ist er; und ich hätt ihn noch so gern
Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,
Dass er ihn kennt.
VIERTER AUFTRITT
Daja eilig herbei. Nathan.
DAJA
O Nathan, Nathan!
NATHAN
Nun?
Was gibt’s?
DAJA
Er lässt sich wieder sehn! Er lässt
Sich wieder sehn!
NATHAN
Wer, Daja? wer?
DAJA
Er! er!
NATHAN
Er? Er? Wann lässt sich der nicht sehn! — Ja so
Nur Euer Er heißt er. — Das sollt er nicht!
Und wenn er auch ein Engel wäre, nicht!
DAJA
Er wandelt untern Palmen wieder auf
Und ab, und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln!
NATHAN
Sie essend? — und als Tempelherr?
DAJA
Was quält
Ihr mich? — Ihr gierig Aug' erriet ihn hinter
Den dicht verschränkten Palmen schon, und folgt
Ihm unverrückt. Sie lässt Euch bitten — Euch
Beschwören, ungesäumt ihn anzugehn.
O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,
Ob er hinaufgeht oder weiter ab
Sich schlägt. O eilt!
NATHAN
So wie ich vom Kamele
Gestiegen? — Schickt sich das? — Geh, eile du
Ihm zu, und meld ihm meine Wiederkunft.
Gib Acht, der Biedermann hat nur mein Haus
In meinem Absein nicht betreten wollen;
Und kommt nicht ungern, wenn der Vater selbst
Ihn laden lässt. Geh, sag, ich lass ihn bitten,
Ihn herzlich bitten ...
DAJA
All umsonst! Er kömmt
Euch nicht. — Denn kurz: er kommt zu keinem Juden.
NATHAN
So geh, geh wenigstens ihn anzuhalten,
Ihn wenigstens mit deinen Augen zu
Begleiten. — Geh, ich komme gleich dir nach.
Nathan eilt hinein, und Daja heraus.
FÜNFTER AUFTRITT
Szene: ein Platz mit Palmen,unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. EinKlosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von derSeite, immer als ob er ihn anreden wolle.
TEMPELHERR
Der folgt mir nicht vor langer Weile! — Sieh,
Wie schielt er nach den Händen! — Guter Bruder,
Ich kann Euch auch wohl Vater nennen, nicht?
KLOSTERBRUDER
Nur Bruder. — Laienbruder nur; zu dienen.
TEMPELHERR
Ja, guter Bruder, wer nur selbst was hätte!
Bei Gott! bei Gott! ich habe nichts —
KLOSTERBRUDER
Und doch
Recht warmen Dank! Gott geb’ Euch tausendfach,
Was Ihr gern geben wolltet. Denn der Wille
Und nicht die Gabe macht den Geber. — Auch
Ward ich dem Herrn Almosens wegen gar
Nicht nachgeschickt.
TEMPELHERR
Doch aber nachgeschickt?
KLOSTERBRUDER
Ja, aus dem Kloster.
TEMPELHERR
Wo ich eben jetzt
Ein kleines Pilgermahl zu finden hoffte?
KLOSTERBRUDER
Die Tische waren schon besetzt: komm' aber
Der Herr nur wieder mit zurück.
TEMPELHERR
Wozu?
Ich habe Fleisch wohl lange nicht gegessen
Allein was tut’s? Die Datteln sind ja reif.
KLOSTERBRUDER
Nehm' sich der Herr in Acht mit dieser Frucht.
Zu viel genossen taugt sie nicht; verstopft
Die Milz, macht melancholisches Geblüt.
TEMPELHERR
Wenn ich nun melancholisch gern mich fühlte? —
Doch dieser Warnung wegen wurdet Ihr
Mir doch nicht nachgeschickt?
KLOSTERBRUDER
O nein! — Ich soll
Mich nur nach Euch erkunden, auf den Zahn
Euch fühlen.
TEMPELHERR
Und das sagt Ihr mir so selbst?
KLOSTERBRUDER
Warum nicht?
TEMPELHERR
(Ein verschmitzter Bruder!) — Hat
Das Kloster Euresgleichen mehr?
KLOSTERBRUDER
Weiss nicht.
Ich muss gehorchen, lieber Herr.
TEMPELHERR
Und da
Gehorcht Ihr denn auch, ohne viel zu klügeln?
KLOSTERBRUDER
Wär’s sonst gehorchen, lieber Herr?
TEMPELHERR
(Dass doch
Die Einfalt immer Recht behält!) — Ihr dürft
Mir doch auch wohl vertrauen, wer mich gern
Genauer kennen möchte? — Dass Ihr’s selbst
Nicht seid, will ich wohl schwören.
KLOSTERBRUDER
Ziemte mir's?
Und frommte mir’s?
TEMPELHERR
Wem ziemt und frommt es denn,
Dass er so neubegierig ist? Wem denn?
KLOSTERBRUDER
Dem Patriarchen; muss ich glauben. — Denn
Der sandte mich Euch nach.
Tempelherr
Der Patriarch?
Kennt der das rote Kreuz auf weißem Mantel
Nicht besser?
KLOSTERBRUDER
Kenn ja ich’s!
TEMPELHERR
Nun, Bruder? Nun: —
Ich bin ein Tempelherr; und ein gefangner —
Setz ich hinzu: gefangen bei Tebnin,
Der Burg, die mit des Stillstands letzter, Stunde
Wir gern erstiegen hätten, um sodann
Auf Sidon loszugehn; — setz ich hinzu:
Selbzwanzigster gefangen und allein
Vom Saladin begnadiget: so weiß
Der Patriarch, was er zu wissen braucht —
Mehr, als er braucht.
KLOSTERBRUDER
Wohl aber schwcrlich mehr,
Als er schon weiß. — Er wüsst auch gern, warum
Der Herr vom Saladin begnadigt worden;
Er ganz allein.
TEMPELHERR
Weiß ich das selber? — Schon
Den Hals entblößt, kniet ich auf meinem Mantel;
Den Streich erwartend, als mich schärfer Saladin
Ins Auge faßt, mir näher springt, und winkt.
Man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will
Ihm danken; seh sein Aug’ in Tränen; stumm
Ist er, bin ich; er geht, ich bleibe. — Wie
Nun das zusammenhängt, enträtsle sich
Der Patriarche selbst.
KLOSTERBRUDER
Er schließt daraus,
Dass Gott zu großen, großen Dingen Euch
Müss' aufbehalten haben.
TEMPELHERR
Ja, zu großen!
Ein Judenmädchen aus dem Feu’r zu retten;
Auf Sinai neugier’ge Pilger zu
Geleiten, und dergleichen mehr.
KLOSTERBRUDER
Wird schon
Noch kommen! — Ist inzwischen auch nicht übel. —
Vielleicht hat selbst der Patriarch bereits
Weit wicht’gere Geschäfte für den Herrn.
TEMPELHERR
So? Meint Ihr, Bruder? — Hat er gar Euch schon
Was merken lassen?
KLOSTERBRUDER
Ei, ja wohl! — Ich soll
Den Herrn nur erst ergründen, ob er so
Der Mann wohl ist.
TEMPELHERR
Nun ja, ergründet nur!
(Ich will doch sehn, wie der ergründet!) — Nun?
KLOSTERBRUDER
Das Kürz'ste wird wohl sein, dass ich dem Herrn
Ganz gradezu des Patriarchen Wunsch
Eröffne.
TEMPELHERR
Wohl!
KLOSTERBRUDER
Er hätte durch den Herrn
Ein Briefchen gern bestellt.
TEMPELHERR
Durch mich? Ich bin
Kein Bote. — Das, das wäre das Geschäft,
Das weit glorreicher sei, als Judenmädchen
Dem Feu’r entreißen?
KLOSTERBRUDER
Muss doch wohl! Denn — sagt
Der Patriarch — an diesem Briefchen sei
Der ganzen Christenheit sehr viel gelegen.
Dies Briefchen wohl bestellt zu haben — sagt
Der Patriarch — werd einst im Himmel Gott
Mit einer ganz besondem Krone lohnen.
Und dieser Krone — sagt der Patriarch —
Sei niemand würd’ger, als mein Herr.
TEMPELHERR
Als ich?
KLOSTERBRUDER
Denn diese Krone zu verdienen — sagt
Der Patriarch — sei schwerlich jemand auch
Geschickter, als mein Herr.
TEMPELHERR
Als ich?
KLOSTERBRUDER
Er sei
Hier frei; könn' überall sich hier besehn;
Versteh', wie eine Stadt zu stürmen und
Zu schirmen; könne — sagt der Patriarch —
Die Stärk’ und Schwäche der von Saladin
Neu aufgeführten, innern, zweiten Mauer
Am besten schätzen, sie am deutlichsten
Den Streitern Gottes — sagt der Patriarch —Beschreiben.
TEMPELHERR
Guter Bruder, wenn ich doch
Nun auch des Briefchens nähern Inhalt wüßte.
KLOSTERBRUDER
Ja den, — den weiß ich nun wohl nicht so recht.
Das Briefchen aber ist an König Philipp —
Der Patriarch ... Ich hab mich oft gewundert,
Wie doch ein Heiliger, der sonst so ganz
Im Himmel lebt, zugleich so unterrichtet
Von Dingen dieser Welt zu sein herab
Sich lassen kann. Es muss ihm sauer werden.
TEMPELHERR
Nun denn? Der Patriarch? —
KLOSTERBRUDER
Weiß ganz genau,
Ganz zuverlässig, wie und wo, wie stark,
Von welcher Seite Saladin, im Fall
Es völlig wieder los geht, seinen Feldzug
Eröffnen wird.
TEMPELHERR
Das weiß er?
KLOSTERBRUDER
Ja, und möcht
Es gern den König Philipp wissen lassen:
Damit der ungefähr ermessen könne,
Ob die Gefahr denn gar so schrecklich, um
Mit Saladin den Waffenstillstand,
Den Euer Orden schon so brav gebrochen,
Es koste was es wolle, wiederher-
Zustellen.
TEMPELHERR
Welch ein Patriarch! — Ja so!
Der liebe, tapfre Mann will mich zu keinem
Gemeinen Boten; will mich — zum Spion. —
Sagt Euerm Patriarchen, guter Bruder,
So viel Ihr mich ergründen können, wär
Das meine Sache nicht. — Ich müsse mich
Noch als Gefangenen betrachten; und
Der Tempelherren einziger Beruf
Sei, mit dem Schwerte dreinzuschlagen, nicht
Kundschafterei zu treiben.
KLOSTERBRUDER
Dacht ich’s doch! —
Will's auch dem Herrn nicht eben sehr verübeln.
Zwar kommt das Beste noch. — Der Patriarch
Hiernächst hat ausgegattert, wie die Veste
Sich nennt, und wo auf Libanon sie liegt,
In der die ungeheuren Summen stecken,
Mit welchen Saladins vorsicht’ger Vater
Das Heer besoldet, und die Zurüstungen
Des Kriegs bestreitet. Saladin verfügt
Von Zeit zu Zeit auf abgelegnen Wegen
Nach dieser Veste sich, nur kaum begleitet. —
Ihr merkt doch?
TEMPELHERR
Nimmermehr!
KLOSTERBRUDER
Was wäre da
Wohl leichter, als des Saladins sich zu
Bemächtigen? den Garaus ihm zu machen? —
Ihr schaudert? — O es haben schon ein Paar
Gottsfürcht’ge Maroniten sich erboten,
Wenn nur ein wackrer Mann sie führen wolle,
Das Stück zu wagen.
TEMPELHERR
Und der Patriarch
Hätt auch zu diesem wackern Manne mich
Ersehn?
KLOSTERBRUDER
Er glaubt, dass König Philipp wohl
Von Ptolemais aus die Hand hierzu
Am besten bieten könne.
TEMPELHERR
Mir? mir, Bruder?
Mir? Habt Ihr nicht gehört? nur erst gehört,
Was für Verbindlichkeit dem Saladin
Ich habe?
KLOSTERBRUDER
Wohl hab ich’s gehört.
TEMPELHERR
Und doch?
KLOSTERBRUDER
Ja — meint der Patriarch — das wär’ schon gut;
Gott aber und der Orden ...
TEMPELHERR
Ändern nichts!
Gebieten mir kein Bubenstück!
KLOSTERBRUDER
Gewiss nicht! —
Nur — meint der Patriarch — sei Bubenstück
Vor Menschen nicht auch Bubenstück vor Gott.
TEMPELHERR
Ich wär dem Saladin mein Leben schuldig:
Und raubt ihm seines?
KLOSTERBRUDER
Pfui! — Doch bliebe — meint
Der Patriarch — noch immer Saladin
Ein Feind der Christenheit, der Euer Freund
Zu sein, kein Recht erwerben könne.
TEMPELHERR
Freund?
An dem ich bloß nicht will zum Schurken werden,
Zum undankbaren Schurken?
KLOSTERBRUDER
Allerdings! —
Zwar — meint der Patriarch — des Dankes sei
Man quitt, vor Gott und Menschen quitt, wenn uns
Der Dienst um unsertwillen nicht geschehen.
Und da verlauten wolle — meint der Patriarch —
Dass Euch nur darum Saladin begnadet,
Weil ihm in Eurer Mien', in Euerm Wesen,
So was von seinem Bruder eingeleuchtet ...
TEMPELHERR
Auch dieses weiß der Patriarch; und doch? —
Ah! wäre das gewiss! Ah, Saladin! —
Wie? die Natur hätt auch nur Einen Zug
Von mir in deines Bruders Form gebildet:
Und dem entspräche nichts in meiner Seele?
Was dem entspräche, könnt ich unterdrücken,
Um einem Patriarchen zu gefallen? —
Natur, so lügst du nicht! So widerspricht
Sich Gott in seinen Werken nicht! — Geht, Bruder! —
Erregt mir meine Galle nicht! — Geht! geht!
KLOSTERBRUDER
Ich geh; und geh vergnügter als ich kam.
Verzeihe mir der Herr. Wir Klosterleute
Sind schuldig, unsern Obern zu gehorchen.
SECHSTER AUFTRITT
Der Tempelherr und Daja, die den Tempelherrn schon eineZeitlang von weitem beobachtet hatte, und sich nun ihmnähert.
DAJA
Der Klosterbruder, wie mich dünkt, ließ in
Der besten Laun' ihn nicht. — Doch muss ich mein
Paket nur wagen.
TEMPELHERR
Nun, vortrefflich! — Lügt
Das Sprichwort wohl: dass Mönch und Weib, und Weib
Und Mönch des Teufels beide Krallen sind?
Er wirft mich heut aus einer in die andre.
DAJA
Was seh ich? — Edler Ritter! Euch? — Gott Dank!
Gott tausend Dank! — Wo habt Ihr denn
Die ganze Zeit gesteckt? — Ihr seid doch wohl
Nicht krank gewesen?
TEMPELHERR
Nein.
DAJA
Gesund doch?
TEMPELHERR
Ja.
DAJA
Wir waren Euertwegen wahrlich ganz
Bekümmert.
TEMPELHERR
So?
DAJA
Ihr wart gewiss verreist?
TEMPELHERR
Erraten!
DAJA
Und kamt heut erst wieder?
TEMPELHERR
Gestern.
DAJA
Auch Recha’s Vater ist heut angekommen.
Und nun darf Recha doch wohl hoffen?
TEMPELHERR
Was?
DAJA
Warum sie Euch so öfters bitten lassen.
Ihr Vater ladet Euch nun selber bald
Aufs dringlichste. Er kommt von Babylon,
Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen,
Und allem, was an edeln Spezereien,
An Steinen und an Stoffen, Indien
Und Persien und Syrien, gar Sina,
Kostbares nur gewähren.
TEMPELHERR
Kaufe nichts.
DAJA
Sein Volk verehret ihn als einen Fürsten.
Doch dass es ihn den weisen Nathan nennt,
Und nicht vielmehr den reichen, hat mich oft
Gewundert.
TEMPELHERR
Seinem Volk ist reich und weise
Vielleicht das Nämliche.
DAJA
Vor allem aber
Hätt’s ihn den Guten nennen müssen. Denn
Ihr stellt Euch gar nicht vor, wie gut er ist.
Als er erfuhr, wie viel Euch Recha schuldig:
Was hätt, in diesem Augenblicke, nicht
Er alles Euch getan, gegeben!
TEMPELHERR
Ei!
DAJA
Versucht's, und kommt und seht!
TEMPELHERR
Was denn? Wie schnell
Ein Augenblick vorüber ist?
DAJA
Hätt ich,
Wenn er so gut nicht wär, es mir so lange
Bei ihm gefallen lassen! Meint Ihr etwa,
Ich fühle meinen Wert als Christin nicht?
Auch mir ward’s vor der Wiege nicht gesungen,
Dass ich nur darum meinem Ehgemahl
Nach Palästina folgen würd, um da
Ein Judenmädchen zu erziehn. Es war
Mein lieber Ehgemahl ein edler Knecht
In Kaiser Friedrichs Heere —
TEMPELHERR
Von Geburt
Ein Schweizer, dem die Ehr' und Gnade ward,
Mit Seiner Kaiserlichen Majestät
In einem Flusse zu ersaufen. — Weib!
Wie vielmal habt Ihr mir das schon erzählt?
Hört Ihr denn gar nicht auf, mich zu verfolgen?
DAJA
Verfolgen! Lieber Gott!
TEMPELHERR
Ja, ja, verfolgen.
Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
Nicht hören! Will von Euch an eine Tat
Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke,
Zum Rätsel von mir selbst mir wird. Zwar möcht
Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht,
Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
Seid Schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
Ich mich vorher erkund — und brennen lasse,
Was brennt.
DAJA
Bewahre Gott!
TEMPELHERR
Von heut an tut
Mir den Gefallen wenigstens, und kennt
Mich weiter nicht. Ich bitt Euch drum. Auch lasst
Den Vater mir vom Halse. Jud’ ist Jude.
Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
Ist längst aus meiner Seele, wenn es je
Da war.
DAJA
Doch Eures ist aus ihrer nicht.
TEMPELHERR
Was soll’s nun aber da? was soll’s?
DAJA
Wer weiß!
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.
TEMPELHERR
Doch selten etwas Bessers.
Er geht.
DAJA
Wartet doch!
Was eilt Ihr?
TEMPELHERR
Weib, macht mir die Palmen nicht
Verhasst, worunter ich so gern sonst wandle.
DAJA
So geh, du deutscher Bär! so geh! — Und doch
Muss ich die Spur des Tieres nicht verlieren.
Sie geht ihm von weitem nach.
ZWEITER AUFZUG
ERSTER AUFTRITT
Szene: des Sultans Palast.Saladin und Sittah spielen Schach.
SITTAH
Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?
SALADIN
Nicht gut? Ich dächte doch.
SITTAH
Für mich; und kaum.
Nimm diesen Zug zurück.
SALADIN
Warum?
SITTAH
Der Springer
Wird unbedeckt.
SALADIN
Ist wahr. Nun so!
SITTAH
So zieh
Ich in die Gabel.
SALADIN
Wieder wahr. — Schach dann!
SITTAH
Was hilft dir das? Ich setze vor, und du
Bist, wie du warst.
SALADIN
Aus dieser Klemme, seh
Ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen.
Mag's! Nimm den Springer nur.
SITTAH
Ich will ihn nicht.
Ich geh vorbei.
SALADIN
Du schenkst mir nichts. Dir liegt
An diesem Platze mehr, als an dem Springer.
SITTAH
Kann sein.
SALADIN
Mach deine Rechnung nur nicht ohne
Den Wirt. Denn sieh! Was gilt’s, das warst du nicht
Vermuten?
SITTAH
Freilich nicht. Wie konnt ich auch
Vermuten, dass du deiner Königin
So müde wärst?
SALADIN
Ich meiner Königin?
SITTAH
Ich seh nun schon: ich soll heut meine tausend
Dinar, kein Naserinchen mehr gewinnen.
SALADIN
Wieso?
SITTAH
Frag noch! — Weil du mit Fleiß, mit aller
Gewalt verlieren willst. — Doch dabei find
Ich meine Rechnung nicht. Denn außer, dass
Ein solches Spiel das unterhaltendste
Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten
Mit dir, wenn ich verlor? Wann hast du mir
Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen
Zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?
SALADIN
Ei sieh! so hättest du ja wohl, wenn du
Verlorst, mit Fleiß verloren, Schwesterchen?
SITTAH
Zum wenigsten kann gar wohl sein, dass deine
Freigebigkeit, mein liebes Brüderchen,
Schuld ist, dass ich nicht besser spielen lernen.
SALADIN
Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!
SITTAH
So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!
SALADIN
Nun freilich, dieses Abschach hab ich nicht
Gesehn, das meine Königin zugleich
Mit niederwirft.
SITTAH
War dem noch abzuhelfen?
Lass sehn.
SALADIN
Nein, nein; nimm nur die Königin.
Ich war mit diesem Steine nie recht glücklich.
SITTAH
Bloß mit dem Steine?
SALADIN
Fort damit! — Das tut
Mir nichts. Denn so ist alles wiederum
Geschützt.
SITTAH
Wie höflich man mit Königinnen
Verfahren müsse: hat mein Bruder mich
Zu wohl gelehrt.
Sie lässt sie stehen.
SALADIN
Nimm, oder nimm sie nicht!
Ich habe keine mehr.
SITTAH
Wozu sie nehmen?
Schach! — Schach!
SALADIN
Nur weiter.
SITTAH
Schach! — und Schach! — und Schach! —
SALADIN
Und matt!
SITTAH
Nicht ganz; du ziehst den Springer noch
Dazwischen, oder was du machen willst.
Gleichviel!
SALADIN
Ganz recht! — Du hast gewonnen, und
Al-Hafi zahlt. Man lass’ ihn rufen! gleich! —
Du hattest, Sittah, nicht so Unrecht: ich
War nicht so ganz beim Spiele, war zerstreut.
Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine
Beständig, die an nichts erinnern, nichts
Bezeichnen? Hab ich mit dem Iman denn
Gespielt? — Doch was? Verlust will Vorwand. NichtDie ungeformten Steine, Sittah, sind’s,
Die mich verlieren machten: deine Kunst,
Dein ruhiger und schneller Blick.
SITTAH
Auch so
Willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen.
Genug, du warst zerstreut, und mehr als ich.
SALADIN
Als du? Was hätte dich zerstreuet?
SITTAH
Deine
Zerstreuung freilich nicht! — O Saladin,
Wann werden wir so fleißig wieder spielen!
SALADIN
So spielen wir um so viel gieriger! —
Ah! weil es wieder losgeht, meinst du? — Mag's! —
Nur zu! — Ich habe nicht zuerst gezogen;
Ich hätte gern den Stillestand aufs Neue
Verlängert; hätte meiner Sittah gern,
Gern einen guten Mann zugleich verschafft.
Und das muss Richards Bruder sein: er ist
Ja Richards Bruder.
SITTAH
Wenn du deinen Richard
Nur loben kannst!
SALADIN
Wenn unserm Bruder Melek
Dann Richards Schwester wär zu Teile worden:
Ha! welch ein Haus zusammen! Ha, der ersten,
Der besten Häuser in der Welt das beste! —
Du hörst, ich bin mich selbst zu loben auch
Nicht faul. Ich dünk mich meiner Freunde wert. —
Das hätte Menschen geben sollen! das!
SITTAH
Hab ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?
Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.
Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn
Selbst das, was noch von ihrem Stifter her,
Mit Menschlichkeit den Aberglauben wirzt,
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:
Weil’s Christus lehrt; weil’s Christus hat getan. —
Wohl ihnen, dass er ein so guter Mensch
Noch war: Wohl ihnen, dass sie seine Tugend
Auf Treu und Glauben nehmen können! — Doch
Was Tugend? — Seine Tugend nicht; sein Name
Soll überall verbreitet werden; soll
Die Namen aller guten Menschen schänden,Verschlingen. Um den Namen, um den Namen
Ist ihnen nur zu tun.
SALADIN
Du meinst: warum
Sie sonst verlangen würden, dass auch ihr,
Auch du und Melek, Christen hießet, eh
Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?
SITTAH
Ja wohl! Als wär von Christen nur, als Christen,
Die Liebe zu gewärtigen, womit
Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet!
SALADIN
Die Christen glauben mehr Armseligkeiten,
Als dass sie die nicht auch noch glauben könnten! —
Und gleichwohl irrst du dich. — Die Tempelherren,
Die Christen nicht, sind Schuld: sind nicht, als Christen,
Als Tempelherren Schuld. Durch die allein
Wird aus der Sache nichts. Sie wollen Acca,
Das Richards Schwester unserm Bruder Melek
Zum Brautschatz bringen müsste, schlechterdings
Nicht fahren lassen. Dass des Ritters Vorteil
Gefahr nicht laufe, spielen sie den Mönch,
Den albern Mönch. Und ob vielleicht im Fluge
Ein guter Streich gelänge, haben sie
Des Waffenstillestandes Ablauf kaum
Erwarten können. — Lustig! Nur so weiter!
Ihr Herren, nur so weiter! — Mir schon recht!
Wär alles sonst nur, wie es müsste.
SITTAH
Nun
Was irrte dich denn sonst? Was könnte sonst
Dich aus der Fassung bringen?
SALADIN
Was von je
Mich immer aus der Fassung hat gebracht.
Ich war auf Libanon, bei unserm Vater.
Er unterliegt den Sorgen noch ...
SITTAH
O weh!
SALADIN
Er kann nicht durch; es klemmt sich allerorten;
Es fehlt bald da, bald dort —
SITTAH
Was klemmt? Was fehlt?
SALADIN
Was sonst, als was ich kaum zu nennen würd’ge?
Was, wenn ich’s habe, mir so überflüssig,
Und hab ich’s nicht, so unentbehrlich scheint.
Wo bleibt Al-Hafi denn? Ist niemand nach
Ihm aus? — Das leidige, verwünschte Geld! —
Gut, Hafi, dass du kömmst.
ZWEITER AUFTRITT
Der Derwisch Al-Hafi. Saladin. Sittah.
AL-HAFI
Die Gelder aus
Ägypten sind vermutlich angelangt.
Wenn’s nur fein viel ist.
SALADIN
Hast du Nachricht?
AL-HAFI
Ich?
Ich nicht. Ich denke; dass ich hier sie in
Empfang soll nehmen.
SALADIN
Zahl an Sittah tausend
Dinare!
In Gedanken hin und her gehend.
AL-HAFI
Zahl! anstatt, empfang! O schön!
Das ist für Was noch weniger als Nichts. —
An Sittah? — wiederum an Sittah? Und
Verloren? — wiederum im Schach verloren? —
Da steht es noch, das Spiel!
SITTAH
Du gönnst mir doch
Mein Glück?
AL-HAFI
das Spiel betrachtend
Was gönnen? Wenn — Ihr wißt ja wohl.
SITTAH
ihm winkend
Bst! Hafi! bst!
AL-HAFI
noch auf das Spiel gerichtet
Gönnt's Euch nur selber erst!
SITTAH
Al-Hafi, bst!
AL-HAFI
zu Sittah
Die Weißen waren Euer?
Ihr bietet Schach?
SITTAH
Gut, dass er nichts gehört.
AL-HAFI
Nun ist der Zug an ihm?
SITTAH
ihm näher tretend
So sage doch,
Dass ich mein Geld bekommen kann.
AL-HAFI
noch auf das Spiel geheftet
Nun ja;
Ihr sollt’s bekommen, wie Ihr’s stets bekommen.
SITTAH
Wie? bist du toll?
AL-HAFI
Das Spiel ist ja nicht aus.
Ihr habt ja nicht verloren, Saladin.
SALADIN
kaum hinhörend
Doch! doch! Bezahl! bezahl!
AL-HAFI
Bezahl! bezahl!
Da steht ja Eure Königin.
SALADIN
noch so
Gilt nicht;
Gehört nicht mehr ins Spiel.
SITTAH
So mach, und sag,
Dass ich das Geld mir nur kann holen lassen.
AL-HAFI
noch immer in das Spiel vertieft
Versteht sich, so wie immer. — Wenn auch schon;
Wenn auch die Königin nichts gilt: Ihr seid
Doch darum noch nicht matt.
SALADIN
tritt hinzu und wirft das Spiel um
Ich bin es, will
Es sein.
AL-HAFI
Ja so! — Spiel wie Gewinst! So wie
Gewonnen, so bezahlt.
SALADIN
zu Sittah
Was sagt er? was?
SITTAH
von Zeit zu Zeit dem Hafi winkend
Du kennst ihn ja. Er sträubt sich gern; lässt gern
Sich bitten; ist wohl gar ein wenig neidisch. —
SALADIN
Auf dich doch nicht? Auf meine Schwester nicht? —
Was hör ich, Hafi? Neidisch, du?
AL-HAFI
Kann sein!
Kann sein! — Ich hätt ihr Hirn wohl lieber selbst;
Wär lieber selbst so gut, als sie.
SITTAH
Indes
Hat er doch immer richtig noch bezahlt.
Und wird auch heut bezahlen. Lass ihn nur!
Geh nur, Al-Hafi, geh! Ich will das Geld
Schon holen lassen.
AL-HAFI
Nein, ich spiele länger
Die Mummerei nicht mit. Er muss es doch
Einmal erfahren.
SALADIN
Wer? und was?
SITTAH
Al-Hafi!
Ist dieses dein Versprechen? Hältst du so
Mir Wort?
AL-HAFI
Wie konnt ich glauben, dass es so
Weit gehen würde.
SALADIN
Nun? erfahr ich nichts?
SITTAH
Ich bitte dich, Al-Hafi, sei bescheiden.
SALADIN
Das ist doch sonderbar! Was könnte Sittah
So feierlich, so warm bei einem Fremden,
Bei einem Derwisch lieber, als bei mir,
Bei ihrem Bruder, sich verbitten wollen.
Al-Hafi, nun befehl ich. — Rede, Derwisch!
SITTAH
Lass eine Kleinigkeit, mein Bruder, dir
Nicht näher treten, als sie würdig ist,
Du weißt, ich habe zu verschiednen Malen
Dieselbe Summ' im Schach von dir gewonnen.
Und weil ich jetzt das Geld nicht nötig habe;
Weil jetzt in Hafis Kasse doch das Geld
Nicht eben allzu häufig ist, so sind
Die Posten stehn geblieben. Aber sorgt
Nur nicht! Ich will sie weder dir, mein Bruder,
Noch Hafi, noch der Kasse schenken.
AL-HAFI
Ja,
Wenn’s das nur wäre! das!
SITTAH
Und mehr dergleichen. —
Auch das ist in der Kasse stehn geblieben,
Was du mir einmal ausgeworfen; ist
Seit wenig Monden stehn geblieben.
AL-HAFI
Noch
Nicht alles.
Saladin.
Noch nicht? — Wirst du reden?
AL-HAFI
Seit aus Ägypten wir das Geld erwarten,
Hat sie ...
SITTAH
zu Saladin
Wozu ihn hören?
AL-HAFI
Nicht nur Nichts
Bekommen ...
SALADIN
Gutes Mädchen! — Auch beiher
Mit vorgeschossen. Nicht?
AL-HAFI
Den ganzen Hof
Erhalten; Euern Aufwand ganz allein
Bestritten.
SALADIN
Ha! das, das ist meine Schwester!
Sie umarmend.
SITTAH
Wer hatte, dies zu können, mich so reich
Gemacht, als du, mein Bruder?
AL-HAFI
Wird schon auch
So bettelarm sie wieder machen, als
Er selber ist.
SALADIN
Ich arm? Der Bruder arm?
Wann hab ich mehr? wann weniger gehabt? —
Ein Kleid, ein Schwert, ein Pferd — und einen Gott! —
Was brauch ich mehr? wann kann's an dem mir fehlen?
und doch, Al-Hafi, könnt ich mit dir schelten.
SITTAH
Schilt nicht, mein Bruder. Wenn ich unserm Vater
Auch seine Sorgen so erleichtern könnte!
SALADIN
Ah! Ah! Nun schlägst du meine Freudigkeit
Auf einmal wieder nieder! — Mir, für mich
Fehlt nichts, und kann nichts fehlen. Aber ihm,
Ihm fehlet; und in ihm uns allen. — Sagt,
Was soll ich machen? — Aus Ägypten kommt
Vielleicht noch lange nichts. Woran das liegt,
Weiß Gott. Es ist doch da noch alles ruhig. —
Abbrechen, einziehn, sparen, will ich gern,
Mir gern gefallen lassen, wenn es mich,
Bloß mich betrifft; bloß ich, und niemand sonst
Darunter leidet. — Doch was kann das machen?
Ein Pferd, ein Kleid, ein Schwert, muß ich doch haben.
Und meinem Gott ist auch nichts abzudingen.
Ihm g’nügt schon so mit wenigem genug;
Mit meinem Herzen. — Auf den Überschuss
Von deiner Kasse, Hafi, hatt ich sehr
Gerechnet.
AL-HAFI
Überschuss? — Sagt selber, ob
Ihr mich nicht hättet spießen, wenigstens
Mich drosseln lassen, wenn auf Überschuss
Ich von Euch wär ergriffen worden. Ja,
Auf Unterschleif! das war zu wagen.
SALADIN
Nun,
Was machen wir denn aber? — Konntest du
Vorerst bei niemand anderm borgen, als
Bei Sittah?
SITTAH
Würd ich dieses Vorrecht, Bruder,
Mir haben nehmen lassen? Mir von ihm?
Auch noch besteh ich drauf. Noch bin ich auf
Dem Trocknen völlig nicht.
SALADIN
Nur völlig nicht!
Das fehlte noch! — Geh gleich, mach Anstalt, Hafi!
Nimm auf, bei wem du kannst! und wie du kannst!
Geh, borg, versprich. — Nur, Hafi, borge nicht
Bei denen, die ich reich gemacht. Denn borgen
Von diesen, möchte wiederfordern heißen.
Geh zu den Geizigsten; die werden mir
Am liebsten leihen. Denn sie wissen wohl,
Wie gut ihr Geld in meinen Händen wuchert.
AL-HAFI
Ich kenne deren keine.
SITTAH
Eben fällt
Mir ein, gehört zu haben, Hafi, dass
Dein Freund zurückgekommen.
AL-HAFI
betroffen
Freund? mein Freund?
Wer wär denn das?
SITTAH
Dein hochgepriesner Jude.
AL-HAFI
Gepriesner Jude? hoch von mir?
SITTAH
Dem Gott, —
Mich denkt des Ausdrucks noch recht wohl, des einst
Du selber dich von ihm bedientest, — dem
Sein Gott von allen Gütern dieser Welt
Das Kleinst’ und Größte so in vollem Maß
Erteilet habe. —
AL-HAFI
Sagt’ ich so? — Was meint
Ich denn damit?
SITTAH
Das Kleinste: Reichtum. Und
Das Größte: Weisheit.
AL-HAFI
Wie? von einem Juden?
Von einem Juden hätt ich das gesagt?
SITTAH
Das hättest du von deinem Nathan nicht
Gesagt?
AL-HAFI
Ja so! von dem! vom Nathan! — Fiel
Mir der doch gar nicht bei. — Wahrhaftig? Der
Ist endlich wieder heim gekommen? Ei!
So mag’s doch gar so schlecht mit ihm nicht stehn. —
Ganz recht: den nannt einmal das Volk den Weisen!
Den Reichen auch.
SITTAH
Den Reichen nennt es ihn
Jetzt mehr als je. Die ganze Stadt erschallt,
Was er für Kostbarkeiten! was für Schätze
Er mitgebracht.
AL-HAFI
Nun, ist’s der Reiche wieder:
So wird’s auch wohl der Weise wieder sein.
SITTAH
Was meinst du, Hafi, wenn du diesen angingst?
AL-HAFI
Und was bei ihm? — Doch wohl nicht borgen? — Ja,
Da kennt Ihr ihn! — Er borgen! — Seine Weisheit
Ist eben, dass er niemand borgt.
SITTAH
Du hast
Mir sonst doch ganz ein ander Bild von ihm
Gemacht.
AL-HAFI
Zur Not wird er Euch Waren borgen.
Geld aber, Geld? Geld nimmermehr. — Es ist
Ein Jude freilich übrigens, wie’s nicht
Viel Juden gibt. Er hat Verstand; er weiß
Zu leben; spielt gut Schach. Doch zeichnet er
Im Schlechten sich nicht minder, als im Guten,
Vor allen andern Juden aus. — Auf den,
Auf den nur rechnet nicht. — Den Armen gibt
Er zwar, und gibt vielleicht trotz Saladin;
Wenn schon nicht ganz so viel, doch ganz so gern;
Doch ganz so sonder Ansehn, Jud’ und Christ
Und Muselmann und Parsi, alles ist
Ihm eins.
SITTAH
Und so ein Mann...
SALADIN
Wie kommt es denn,
Dass ich von diesem Manne nie gehört? ...
SITTAH
Der sollte Saladin nicht borgen? nicht
Dem Saladin, der nur für andre braucht,
Nicht sich?
AL-HAFI
Da seht nun gleich den Juden wieder;
Den ganz gemeinen Juden! — Glaubt mir’s doch! —
Er ist aufs Geben Euch so eifersüchtig,
So neidisch! Jedes Lohn von Gott, das in
Der Welt gesagt wird, zög er lieber ganz
Allein. Nur darum eben leiht er keinem,
Damit er stets zu geben habe. Weil
Die Mild' ihm im Gesetz geboten, die
Gefälligkeit ihm aber nicht geboten, macht
Die Mild’ ihn zu dem ungefälligsten
Gesellen auf der Welt. Zwar bin ich seit
Geraumer Zeit ein wenig übern Fuß
Mit ihm gespannt; doch denkt nur nicht, dass ich
Ihm darum nicht Gerechtigkeit erzeige.
Er ist zu allem gut, bloß dazu nicht;
Bloß dazu wahrlich nicht. Ich will auch gleich
Nur gehn, an andre Türen klopfen ... Da
Besinn ich mich so eben eines Mohren,
Der reich und geizig ist. — Ich geh, ich geh.
SITTAH
Was eilst du, Hafi?
SALADIN
Lass ihn! lass ihn!
DRITTER AUFTRITT
Sittah. Saladin.
SITTAH
Eilt
Er doch, als ob er mir nur gern entkäme! —
Was heißt das? — Hat er wirklich sich in ihm
Betrogen, oder — möcht er uns nur gern
Betrügen?
SALADIN
Wie? das fragst du mich? Ich weiß
Ja kaum, von wem die Rede war; und höre
Von eurem Juden, eurem Nathan, heut
Zum ersten Mal.
SITTAH
Ist’s möglich, dass ein Mann
Dir so verborgen blieb, von dem es heißt,
Er habe Salomons und Davids Gräber
Erforscht, und wisse deren Siegel durch
Ein mächtiges geheimes Wort zu lösen?
Aus ihnen bring’ er dann von Zeit zu Zeit
Die unermesslichen Reichtümer an
Den Tag, die keinen mindern Quell verrieten.
SALADIN
Hat seinen Reichtum dieser Mann aus Gräbern,
So waren’s sicherlich nicht Salomons,
Nicht Davids Gräber. Narren lagen da
Begraben!
SITTAH
Oder Bösewichter! — Auch
Ist seines Reichtums Quelle weit ergiebiger,
Weit unerschöpflicher, als so ein Grab
Voll Mammon.
SALADIN
Denn er handelt, wie ich hörte.
SITTAH
Sein Saumtier treibt auf allen Straßen, zieht
Durch alle Wüsten; seine Schiffe liegen
In allen Häfen. Das hat mir wohl eh'
Al-Hafi selbst gesagt, und voll Entzücken
Hinzugefügt, wie groß, wie edel dieser
Sein Freund anwende, was so klug und emsig
Er zu erwerben für zu klein nicht achte;
Hinzugefügt, wie frei von Vorurteilen
Sein Geist, sein Herz wie offen jeder Tugend,
Wie eingestimmt mit jeder Schönheit sei.
SALADIN
Und jetzt sprach Hafi doch so ungewiss,
So kalt von ihm.
SITTAH
Kalt nun wohl nicht; verlegen,
Als halt' er’s für gefährlich, ihn zu loben,
Und woll' ihn unverdient doch auch nicht tadeln.
Wie? oder wär es wirklich so, dass selbst
Der Beste seines Volkes seinem Volke
Nicht ganz entfliehen kann? dass wirklich sich
Al-Hafi seines Freunds von dieser Seite
Zu schämen hätte? — Sei dem, wie ihm wolle! —
Der Jude sei mehr oder weniger
Als Jud’, ist er nur reich: genug für uns!
SALADIN
Du willst ihm aber doch das Seine mit
Gewalt nicht nehmen, Schwester?
SITTAH
Ja, was heißt
Bei dir Gewalt? Mit Feu’r und Schwert? Nein! nein!
Was braucht es mit den Schwachen für Gewalt,
Als ihre Schwäche? — Komm für jetzt nur mit
In meinen Harem, eine Sängerin
Zu hören, die ich gestern erst gekauft.
Es reift indes bei mir vielleicht ein Anschlag,
Den ich auf diesen Nathan habe. — Komm!
VIERTER AUFTRITT
Szene: vor dem Hause des Nathan, wo es an die Palmen stößt. Recha und Nathan kommen heraus. Zu ihnen Daja.
RECHA
Ihr habt Euch sehr verweilt, mein Vater. Er
Wird kaum noch mehr zu treffen sein.
NATHAN
Nun, nun;
Wenn hier, hier untern Palmen schon nicht mehr:
Doch anderwärts. — Sei jetzt nur ruhig. — Sieh!
Kommt dort nicht Daja auf uns zu?
RECHA
Sie wird
Ihn ganz gewiss verloren haben.
NATHAN
Auch
Wohl nicht.
RECHA
Sie würde sonst geschwinder kommen.
NATHAN
Sie hat uns wohl noch nicht gesehn ...
RECHA
Nun sieht
Sie uns.
NATHAN
Und doppelt ihre Schritte. Sieh!
Sei doch nur ruhig! ruhig!
RECHA
Wolltet Ihr
Wohl eine Tochter, die hier ruhig wäre?
Sich unbekümmert ließe, wessen Wohltat
Ihr Leben sei? Ihr Leben, — das ihr nur
So lieb, weil sie es Euch zuerst verdanket.
NATHAN
Ich möchte dich nicht anders, als du bist:
Auch wenn ich wüßte, dass in deiner Seele
Ganz etwas anders noch sich rege.
RECHA
Was,
Mein Vater?
NATHAN
Fragst du mich? so schüchtern mich?
Was auch in deinem Innern vorgeht, ist
Natur und Unschuld. Lass es keine Sorge
Dir machen. Mir, mir macht es keine. Nur
Versprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher
Sich einst erklärt, mir seiner Wünsche keinen
Zu bergen.
RECHA
Schon die Möglichkeit, mein Herz
Euch lieber zu verhüllen, macht mich zittern.
NATHAN
Nichts mehr hiervon! Das ein für allemal
Ist abgetan. — Da ist ja Daja. — Nun?
DAJA
Noch wandelt er hier untern Palmen, und
Wird gleich um jene Mauer kommen. — Seht,
Da kommt er!
RECHA
Ah! und scheinet unentschlossen,
Wohin? ob weiter? ob hinab? ob rechts?
Ob links?
DAJA
Nein, nein; er macht den Weg ums Kloster
Gewiss noch öfter, und dann muss er hier
Vorbei. — Was gilt’s?
RECHA
Recht! recht! — Hast du ihn schon
Gesprochen? Und wie ist er heut?
DAJA
Wie immer.
NATHAN
So macht nur, dass er Euch hier nicht gewahr
Wird. Tretet mehr zurück. Geht lieber ganz
Hinein.
RECHA
Nur einen Blick noch! — Ah! die Hecke,
Die mir ihn stiehlt!
DAJA
Kommt! kommt! Der Vater hat
Ganz recht Ihr lauft Gefahr, wenn er Euch sieht,
Dass auf der Stell' er umkehrt.
RECHA
Ah! die Hecke!
NATHAN
Und kommt er plötzlich dort aus ihr hervor,
So kann er anders nicht, er muss Euch sehen.
Drum geht doch nur!
DAJA
Kommt! kommt! Ich weiß ein Fenster,
Aus dem wir sie bemerken können.
RECHA
Ja?
Beide hinein.
FÜNFTER AUFTRITT
Nathan und bald darauf der Tempelherr.
NATHAN
Fast scheu ich mich des Sonderlings. Fast macht
Mich seine rauhe Tugend stutzen. Dass
Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen
Soll machen können! — Ha! er kommt. — Bei Gott!
Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl,
Den guten, trotz’gen Blick! den drallen Gang!
Die Schale kann nur bitter sein: der Kern
Ist’s sicher nicht. — Wo sah ich doch dergleichen? —
Verzeihet, edler Franke ...
TEMPELHERR
Was?
NATHAN
Erlaubt...
TEMPELHERR
Was, Jude? was?
NATHAN
Dass ich mich untersteh,
Euch anzureden.
TEMPELHERR
Kann ich’s wehren? Doch
Nur kurz!
NATHAN
Verzieht, und eilet nicht so stolz,
Nicht so verächtlich einem Mann vorüber,
Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt.
TEMPELHERR
Wie das? — Ah, fast errat ich’s. Nicht? Ihr seid ...
NATHAN
Ich heiße Nathan, bin des Mädchens Vater,
Das Eure Großmut aus dem Feu’r gerettet;
Und komme ...
TEMPELHERR
Wenn zu danken: — spart’s! Ich hab
Um diese Kleinigkeit des Dankes schon
Zu viel erdulden müssen. — Vollends Ihr,
Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wusst ich denn
Dass dieses Mädchen Eure Tochter war?
Es ist der Tempelherren Pflicht, dem Ersten
Dem Besten beizuspringen, dessen Not
Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem
In diesem Augenblicke lästig. Gern,
Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit,
Es für ein andres Leben in die Schanze
Zu schlagen: für ein andres — wenn’s auch nur
Das Leben einer Jüdin wäre.
NATHAN
Groß!
Groß und abscheulich! — Doch die Wendung lässt
Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet
Sich hinter das Abscheuliche, um der
Bewundrung auszuweichen. — Aber wenn
Sie so das Opfer der Bewunderung
Verschmäht, was für ein Opfer denn verschmäht
Sie minder? — Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd
Und nicht gefangen wäret, würd ich Euch
So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit
Kann man Euch dienen?
TEMPELHERR
Ihr? Mit nichts.
NATHAN
Ich bin
Ein reicher Mann.
TEMPELHERR
Der reichre Jude war
Mir nie der bessre Jude.
NATHAN
Dürft Ihr denn
Darum nicht nützen, was dem ungeachtet
Er Besseres hat? nicht seinen Reichtum nützen?
TEMPELHERR
Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden,
Um meines Mantels willen nicht. Sobald
Der ganz und gar verschlissen, weder Stich
Noch Fetze länger halten will: komm ich
Und borge mir bei Euch zu einem neuen
Tuch oder Geld. — Seht nicht mit eins so finster!
Noch seid Ihr sicher; noch ist’s nicht so weit
Mit ihm. Ihr seht, er ist so ziemlich noch
Im Stande. Nur der eine Zipfel da
Hat einen garst’gen Fleck: er ist versengt.
Und das bekam er, als ich Eure Tochter
Durchs Feuer trug.
NATHAN
der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet
Es ist doch sonderbar,
Dass so ein böser Fleck, dass so ein Brandmal
Dem Mann ein bessres Zeugnis redet, als
Sein eigner Mund. Ich möcht ihn küssen gleich
Den Flecken! — Ah, verzeiht! — Ich tat es ungern.
TEMPELHERR
Was?
NATHAN
Eine Träne fiel darauf.
TEMPELHERR
Tut nichts!
Er hat der Tropfen mehr. — (Bald aber fängt
Mich dieser Jud' an zu verwirren.)
NATHAN
Wärt
Ihr wohl so gut und schicktet Euerm Mantel
Auch einmal meinem Mädchen?
TEMPELHERR
Was damit?
NATHAN
Auch ihren Mund auf diesen Fleck zu drücken.
Denn Eure Kniee selber zu umfassen,
Wünscht sie nun wohl vergebens.
TEMPELHERR
Aber, Jude —
Ihr heißet Nathan? — Aber, Nathan — Ihr
Setzt Eure Worte sehr — sehr gut — sehr spitz —
Ich bin betreten — Allerdings — ich hätte ...
NATHAN
Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find
Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder,
Um höflicher zu sein. — Das Mädchen, ganz
Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz
Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt —
Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge;
Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen.
Auch dafür dank ich Euch —
TEMPELHERR
Ich muss gestehn,
Ihr wisst, wie Tempelherren denken sollten.
NATHAN
Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß,
Weil es die Ordensregeln so gebieten?
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,
Dass alle Länder gute Menschen tragen.
TEMPELHERR
Mit Unterschied doch hoffentlich?
NATHAN
Jawohl;
An Farb', an Kleidung, an Gestalt verschieden.
TEMPELHERR
Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.
NATHAN
Mit diesem Unterschied ist’s nicht weit her.
Der große Mann braucht überall viel Boden;
Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen
Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,
Find’t sich hingegen überall in Menge.
Nur muss der eine nicht den andern mäkeln.
Nur muss der Knorr den Knuppen hübsch vertragen.
Nur muss ein Gipfelchen sich nicht vermessen,
Dass es allein der Erde nicht entschossen.
TEMPELHERR
Sehr wohl gesagt! — Doch kennt Ihr auch das Volk,
Das diese Menschenmäkelei zuerst
Getrieben? Wisst Ihr, Nathan, welches Volk
Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?
Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht hasste,
Doch wegen seines Stolzes zu verachten
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes,
Den es auf Christ und Muselmann vererbte,
Nur sein Gott sei der rechte Gott! — Ihr stutzt,
Dass ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?
Wenn hat, und wo die fromme Raserei,
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern
Der ganzen Welt als besten aufzudringen,
In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr
Gezeigt, als hier, als jetzt? Wem hier, wem jetzt
Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch
Sei blind, wer will! — Vergesst, was ich gesagt,
Und lasst mich!
Will gehen.
NATHAN
Ha! Ihr wisst nicht, wie viel fester
Ich nun mich an Euch drängen werde. — Kommt,
Wir müssen, müssen Freunde sein! — Verachtet
Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind
Wir etwa unser Volk? Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch
Gefunden hätte, dem es g’nügt, ein Mensch
Zu heißen!
TEMPELHERR
Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan!
Das habt Ihr! — Eure Hand! — Ich schäme mich,
Euch einen Augenblick verkannt zu haben.
NATHAN
Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine
Verkennt man selten.
TEMPELHERR
Und das Seltene
Vergisst man schwerlich. — Nathan, ja,
Wir müssen, müssen Freunde werden.
NATHAN
Sind
Es schon. — Wie wird sich meine Recha freuen! —
Und ah! welch eine heitre Ferne schließt
Sich meinen Blicken auf! — Kennt sie nur erst!
TEMPELHERR
Ich brenne vor Verlangen. — Wer stürzt dort
Aus Eurem Hause? Ist’s nicht ihre Daja?
NATHAN
Jawohl. So ängstlich?
TEMPELHERR
Unsrer Recha ist
Doch nichts begegnet?
SECHSTER AUFTRITT
Die Vorigen und Daja eilig.
DAJA
Nathan! Nathan!
NATHAN
Nun?
DAJA
Verzeihet, edler Ritter, dass ich Euch
Muss unterbrechen.
NATHAN
Nun, was ist’s?
TEMPELHERR
Was ist’s?
DAJA
Der Sultan hat geschickt. Der Sultan will
Euch sprechen. Gott, der Sultan!
NATHAN
Mich? Der Sultan?
Er wird begierig sein, zu sehen, was
Ich Neues mitgebracht. Sag nur, es sei
Noch wenig oder gar nichts ausgepackt.
DAJA
Nein, nein; er will nichts sehen; will Euch sprechen,
Euch in Person, und bald, so bald Ihr könnt.
NATHAN
Ich werde kommen. — Geh nur wieder, geh!
DAJA
Nehmt ja nicht übel auf, gestrenger Ritter. —
Gott, wir sind so bekümmert, was der Sultan
Doch will.
NATHAN
Das wird sich zeigen. Geh nur, geh!
SIEBENTER AUFTRITT
Nathan und der Tempelherr.
TEMPELHERR
So kennt Ihr ihn noch nicht? — Ich meine, von
Person.
NATHAN
Den Saladin? Noch nicht. Ich habe
Ihn nicht vermieden, nicht gesucht zu kennen.
Der allgemeine Ruf sprach viel zu gut
Von ihm, dass ich nicht lieber glauben wollte,
Als sehn. Doch nun — wenn anders dem so ist —
Hat er durch Sparung Eures Lebens ...
TEMPELHERR
Ja;
Dem allerdings ist so. Das Leben, das
Ich leb, ist sein Geschenk.
NATHAN
Durch das er mir
Ein doppelt, dreifach Leben schenkte. Dies
Hat alles zwischen uns verändert; hat
Mit eins ein Seil mir umgeworfen, das
Mich seinem Dienst auf ewig fesselt. Kaum,
Und kaum kann ich es nun erwarten, was
Er mir zuerst befehlen wird. Ich bin
Bereit zu allem; bin bereit ihm zu
Gestehn, dass ich es Euertwegen bin.
TEMPELHERR
Noch hab ich selber ihm nicht danken können,
So oft ich auch ihm in den Weg getreten.
Der Eindruck, den ich auf ihn machte, kam
So schnell, als schnell er wiederum verschwunden.
Wer weiß, ob er sich meiner gar erinnert.
Und dennoch muss er, einmal wenigstens,
Sich meiner noch erinnern, um mein Schicksal
Ganz zu entscheiden. Nicht genug, dass ich
Auf sein Geheiß noch bin, mit seinem Willen
Noch leb: ich muss nun auch von ihm erwarten,Nach wessen Willen ich zu leben habe.
NATHAN
Nicht anders; um so mehr will ich nicht säumen. —
Es fällt vielleicht ein Wort, das mir, auf Euch
Zu kommen, Anlass gibt. — Erlaubt, verzeiht —
Ich eile. — Wann, wann aber sehn wir Euch
Bei uns?
TEMPELHERR
Sobald ich darf.
NATHAN
Sobald Ihr wollt.
TEMPELHERR
Noch heut.
NATHAN
Und Euer Name? — muss ich bitten.
TEMPELHERR
Mein Name war — ist Curd von Stauffen. — Curd! Nathan.
NATHAN
Von Stauffen? — Stauffen? — Stauffen?
TEMPELHERR
Warum fällt
Euch das so auf?
NATHAN
Von Stauffen? — Des Geschlechts
Sind wohl schon mehrere ...
TEMPELHERR
O ja! hier waren,
Hier faulen des Geschlechts schon mehrere.
Mein Oheim selbst — mein Vater will ich sagen —
Doch warum schärft sich Euer Blick auf mich
Je mehr und mehr?
NATHAN
O nichts! o nichts! Wie kann
Ich Euch zu sehn ermüden?
TEMPELHERR
Drum verlass
Ich Euch zuerst. Der Blick des Forschers fand
Nicht selten mehr, als er zu finden wünschte.
Ich fürcht ihn, Nathan. Lasst die Zeit allmählich,
Und nicht die Neugier, unsre Kundschaft machen.
Er geht.
NATHAN
der ihm mit Erstaunen nachsieht)
„Der Forscher fand nicht selten mehr, als er
Zu finden wünschte.” — Ist es doch, als ob
In meiner Seel’ er lese! — Wahrlich ja,
Das könnt auch mir begegnen. — Nicht allein
Wolfs Wuchs, Wolfs Gang: auch seine Stimme . So,
Vollkommen so, warf Wolf sogar den Kopf;
Trug Wolf sogar das Schwert im Arm; strich Wolf
Sogar die Augenbraunen mit der Hand,
Gleichsam das Feuer seines Blicks zu bergen. —
Wie solche tiefgeprägte Bilder doch
Zu Zeiten in uns schlafen können, bis
Ein Wort, ein Laut sie weckt! — Von Stauffen! —
Ganz recht, ja, ja! ganz recht; Filnek und Stauffen. —
Ich will das bald genauer wissen, bald.
Nur erst zum Saladin. — Doch wie? lauscht dort
Nicht Daja? — Nun, so komm nur näher, Daja.
ACHTER AUFTRITT
Daja. Nathan.
NATHAN
Was gilt’s? nun drückt’s euch beiden schon das Herz,
Noch ganz was anders zu erfahren, als
Was Saladin mir will.
DAJA
Verdenkt Ihr’s ihr?
Ihr fingt so eben an, vertraulicher
Mit ihm zu sprechen, als des Sultans Botschaft
Uns von dem Fenster scheuchte.
NATHAN
Nun so sag
Ihr nur, dass sie ihn jeden Augenblick
Erwarten darf.
DAJA
Gewiss? gewiss?
NATHAN
Ich kann
Mich doch auf dich verlassen, Daja? Sei
Auf deiner Hut, ich bitte dich. Es soll
Dich nicht gereuen. Dein Gewissen selbst
Soll seine Rechnung dabei finden. Nur
Verdirb mir nichts in meinem Plane. Nur
Erzähl und frage mit Bescheidenheit,
Mit Rückhalt ...
DAJA
Dass Ihr doch noch erst so was
Erinnern könnt! — Ich geh; geht Ihr nur auch.
Denn seht! ich glaube gar, da kommt vom Sultan
Ein zweiter Bot’, Al-Hafi, Euer Derwisch.
Geht ab.
NEUNTER AUFTRITT
Nathan. Al-Hafi.
AL-HAFI
Ha! ha! zu Euch wollt ich nun eben wieder.
NATHAN
Ist’s denn so eilig? Was verlangt er denn
Von mir?
AL-HAFI
Wer?
NATHAN
Saladin. — Ich komm, ich komme.
AL-HAFI
Zu wem? Zum Saladin?
NATHAN
Schickt Saladin
Dich nicht?
AL-HAFI
Mich? nein. Hat er denn schon geschickt?
NATHAN
Ja freilich hat er.
AL-HAFI
Nun, so ist es richtig.
NATHAN
Was? was ist richtig?
AL-HAFI
Dass — ich bin nicht Schuld;
Gott weiß, ich bin nicht Schuld. — Was hab ich nicht
Von Euch gesagt, gelogen, um es abzuwenden!
NATHAN
Was abzuwenden? Was ist richtig?
AL-HAFI
Dass
Nun Ihr sein Defterdar geworden. Ich
Bedaur' Euch. Doch mit ansehn will ich’s nicht.
Ich geh von Stund an, geh, Ihr habt es schon
Gehört, wohin, und wisst den Weg. — Habt Ihr
Des Wegs was zu bestellen, sagt: ich bin
Zu Diensten. Freilich muss es mehr nicht sein,
Als was ein Nackter mit sich schleppen kann.
Ich geh, sagt bald.
NATHAN
Besinn dich doch, Al-Hafi.
Besinn dich, dass ich noch von gar nichts weiß.
Was plauderst du denn da?
AL-HAFI
Ihr bringt sie doch
Gleich mit, die Beutel?
NATHAN
Beutel?
AL-HAFI
Nun, das Geld,
Das Ihr dem Saladin vorschießen sollt.
NATHAN
Und weiter ist es nichts?
AL-HAFI
Ich sollt’ es wohl
Mit ansehn, wie er Euch von Tag zu Tag
Aushöhlen wird bis auf die Zehen? Sollt’
Es wohl mit ansehn, dass Verschwendung aus
Der weisen Milde sonst nie leeren Scheuern
So lange borgt, und borgt, und borgt, bis auch
Die armen eingebornen Mäuschen drin
Verhungern? — Bildet Ihr vielleicht Euch ein,
Wer Eures Gelds bedürftig sei, der werde
Doch Euerm Rate wohl auch folgen? — Ja,
Er Rate folgen! Wenn hat Saladin
Sich raten lassen? — Denkt nur, Nathan, was
Mir eben jetzt mit ihm begegnet.
NATHAN
Nun?
AL-HAFI
Da komm ich zu ihm, eben dass er Schach
Gespielt mit seiner Schwester. Sittah spielt
Nicht übel; und das Spiel, das Saladin
Verloren glaubte, schon gegeben hatte,
Das stand noch ganz so da. Ich seh Euch hin,
Und sehe, dass das Spiel noch lange nicht
Verloren.
NATHAN
Ei! das war für dich ein Fund!
AL-HAFI
Er durfte mit dem König an den Bauer
Nur rücken, auf ihr Schach. — Wenn ich’s Euch gleich
Nur zeigen könnte!
NATHAN
O ich traue dir!
AL-HAFI
Denn so bekam der Roche Feld: und sie
War hin. — Das alles will ich ihm nun weisen
Und ruf ihn. — Denkt! ...
NATHAN
Er ist nicht deiner Meinung?
AL-HAFI
Er hört mich gar nicht an, und wirft verächtlich
Das ganze Spiel in Klumpen.
NATHAN
Ist das möglich?
AL-HAFI
Und sagt: Er wolle matt nun einmal sein:
Er wolle! Heißt das spielen?
NATHAN
Schwerlich wohl;
Heißt mit dem Spiele spielen.
AL-HAFI
Gleichwohl galt
Es keine taube Nuss.
NATHAN
Geld hin, Geld her!
Das ist das Wenigste. Allein dich gar
Nicht anzuhören! über einen Punkt
Von solcher Wichtigkeit dich nicht einmal
Zu hören! deinen Adlerblick nicht zu
Bewundern! das, das schreit um Rache; nicht?
AL-HAFI
Ach was? Ich sag Euch das nur so, damit
Ihr sehen könnt, was für ein Kopf er ist.
Kurz, ich, ich halt’s mit ihm nicht länger aus.
Da lauf ich nun bei allen schmutz’gen Mohren
Herum, und frage, wer ihm borgen will.
Ich, der ich nie für mich gebettelt habe,
Soll nun für andre borgen. Borgen ist
Viel besser nicht als betteln; so wie leihen,
Auf Wucher leihen, nicht viel besser ist,
Als stehlen. Unter meinen Gebern, an
Dem Ganges, brauch ich beides nicht, und brauche
Das Werkzeug beider nicht zu sein. Am Ganges,
Am Ganges nur gibt’s Menschen. Hier seid Ihr
Der Einzige, der noch so würdig wäre,
Dass er am Ganges lebte. — Wollt Ihr mit? —
Lasst ihm mit eins den Plunder ganz im Stiche,
Um den es ihm zu tun. Er bringt Euch nach
Und nach doch drum. So wär die Plackerei
Auf einmal aus. Ich schaff Euch einen Delk.
Kommt! kommt!
NATHAN
Ich dächte zwar, das blieb uns ja
Noch immer übrig. Doch, Al-Hafi, will
Ich’s überlegen. Warte ...
AL-HAFI
Überlegen?
Nein, so was überlegt sich nicht.
NATHAN
Nur bis
Ich von dem Sultan wiederkomme; bis
Ich Abschied erst ...
AL-HAFI
Wer überlegt, der sucht
Bewegungsgründe, nicht zu dürfen. Wer
Sich Knall und Fall, ihm selbst zu leben, nicht
Entschließen kann, der lebet andrer Sklav'
Auf immer. — Wie Ihr wollt! — Lebt wohl! wie’s Euch
Wohl dünkt. — Mein Weg liegt dort, und Eurer da.
NATHAN
Al-Hafi! Du wirst selbst doch erst das deine
Berichtigen?
AL-HAFI
Ach Possen! Der Bestand
Von meiner Kass’ ist nicht des Zählens wert;
Und meine Rechnung bürgt — Ihr oder Sittah.
Lebt wohl! (Ab.)
NATHAN
ihm nachsehend
Die bürg ich! — Wilder, guter, edler —
Wie nenn ich ihn? — Der wahre Bettler ist
Doch einzig und allein der wahre König!
Von einer andern Seite ab.
DRITTER AUFZUG
ERSTER AUFTRITT
Szene: In Nathans Hause.Recha und Daja.
RECHA
Wie, Daja, drückte sich mein Vater aus?
,,Ich dürf ihn jeden Augenblick erwarten?”
Das klingt — nicht wahr? — als ob er noch so bald
Erscheinen werde. — Wie viel Augenblicke
Sind aber schon vorbei! — Ah nun; wer denkt
An die verflossenen? — Ich will allein
In jedem nächsten Augenblicke leben.
Er wird doch einmal kommen, der ihn bringt.
DAJA
O der verwünschten Botschaft von dem Sultan!
Denn Nathan hätte sicher ohne sie
Ihn gleich mit hergebracht.
RECHA
Und wenn er nun
Gekommen dieser Augenblick; wenn denn
Nun meiner Wünsche wärmster, innigster
Erfüllet ist: was dann? — was dann?
DAJA
Was dann?
Dann hoff ich, dass auch meiner Wünsche wärmster
Soll in Erfüllung gehen.
RECHA
Was wird dann
In meiner Brust an dessen Stelle treten,
Die schon verlernt, ohn einen herrschenden
Wunsch aller Wünsche sich zu dehnen? — Nichts?
Ah, ich erschrecke! ...
DAJA
Mein, mein Wunsch wird dann
An des erfüllten Stelle treten, meiner.
Mein Wunsch, dich in Europa, dich in Händen
Zu wissen, welche deiner würdig sind.
RECHA
Du irrst. — Was diesen Wunsch zu deinem macht,
Das Nämliche verhindert, dass er meiner
Je werden kann. Dich zieht dein Vaterland:
Und meines, meines sollte mich nicht halten?
Ein Bild der deinen, das in deiner Seele
Noch nicht verloschen, sollte mehr vermögen,
Als die ich sehn, und greifen kann, und hören,
Die Meinen?
DAJA
Sperre dich, so viel du willst!
Des Himmels Wege sind des Himmels Wege.
Und wenn es nun dein Retter selber wäre,
Durch den sein Gott, für den er kämpft, dich in
Das Land, dich zu dem Volke führen wollte,
Für welche du geboren wurdest?
RECHA
Daja!
Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja!
Du hast doch wahrlich deine sonderbaren
Begriffe! „Sein, sein Gott! für den er kämpft!”
Wem eignet Gott! Was ist das für ein Gott,
Der einem Menschen eignet? der für sich
Muss kämpfen lassen! — Und wie weiß
Man denn, für welchen Erdkloß man geboren,
Wenn man’s für den nicht ist, auf welchem man
Geboren? — Wenn mein Vater dich so hörte! —
Was tat er dir, mir immer nur mein Glück
So weit von ihm als möglich vorzuspiegeln?
Was tat er dir, den Samen der Vernunft,
Den er so rein in meine Seele streute,
Mit deines Landes Unkraut oder Blumen,
So gern zu mischen? — Liebe, liebe Daja,
Er will nun deine bunten Blumen nicht
Auf meinem Boden! — Und ich muss dir sagen,
Ich selber fühle meinen Boden, wenn
Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet,
So ausgezehrt durch deine Blumen; fühle
In ihrem Dufte, sauersüßem Dufte,
Mich so betäubt, so schwindelnd! — Dein Gehirn
Ist dessen mehr gewohnt. Ich tadle drum
Die stärkern Nerven nicht, die ihn vertragen.
Nur schlägt er mir nicht zu; und schon dein Engel,
Wie wenig fehlte, dass er mich zur Närrin
Gemacht? — Noch schäm ich mich vor meinem Vater
Der Posse!
DAJA
Posse! — Als ob der Verstand
Nur hier zu Hause wäre! — Posse! Posse! —
Wenn ich nur reden dürfte!
RECHA
Darfst du nicht?
Wann war ich nicht ganz Ohr, so oft es dir
Gefiel, von deinen Glaubenshelden mich
Zu unterhalten? Hab ich ihren Taten
Nicht stets Bewunderung, und ihren Leiden
Nicht immer Tränen gern gezollt? Ihr Glaube
Schien freilich mir das Heldenmäßigste
An ihnen nie. Doch so viel tröstender
War mir die Lehre, dass Ergebenheit
In Gott von unserm Wähnen über Gott
So ganz und gar nicht abhängt. — Liebe Daja,
Das hat mein Vater uns so oft gesagt;
Darüber hast du selbst mit ihm so oft
Dich einverstanden; warum untergräbst
Du denn allein, was du mit ihm zugleich
Gebauet? — Liebe Daja, das ist kein
Gespräch, womit wir unserm Freund am besten
Entgegensehn. Für mich zwar, ja! Denn mir,
Mir liegt daran unendlich, ob auch er ...
Horch, Daja! — Kommt es nicht an unsre Türe?
Wenn er es wäre! Horch!
ZWEITER AUFTRITT
Recha, Daja und der Tempelherr, dem jemand vonaußen die Türe öffnet, mit den Worten:
Nur hier herein!
RECHA
fährt zusammen, fasst sich, und will ihm zu Füßen fallen.
Er ist’s — Mein Retter, ah!
TEMPELHERR
Dies zu vermeiden
Erschien ich bloß so spät: und doch —
RECHA
Ich will
Ja zu den Füßen dieses stolzen Mannes
Nur Gott noch einmal danken, nicht dem Manne.
Der Mann will keinen Dank, will ihn so wenig
Als ihn der Wassereimer will, der bei
Dem Löschen so geschäftig sich erwiesen.
Der ließ sich füllen, ließ sich leeren, mir
Nichts, dir nichts: also auch der Mann. Auch der
Ward nur so in die Glut hineingestoßen;
Da fiel ich ungefähr ihm in den Arm;
Da blieb ich ungefähr, so wie ein Funken
Auf seinem Mantel, ihm in seinen Armen;
Bis wiederum, ich weiß nicht was, uns beide
Herausschmiss aus der Glut. — Was gibt es da
Zu danken? — In Europa treibt der Wein
Zu noch weit andern Taten. — Tempelherren,
Die müssen einmal nun so handeln; müssen
Wie etwas besser zugelernte Hunde,
Sowohl aus Feuer, als aus Wasser holen.
TEMPELHERR
der sie mit Erstaunen und Unruhe die ganze Zeit über betrachtet.
O Daja, Daja! Wenn in AugenblickenDes Kummers und der Galle, meine Laune
Dich übel anließ, warum jede Torheit,
Die meiner Zung’ entfuhr, ihr hinterbringen?
Das hieß sich zu empfindlich rächen, Daja!
Doch wenn du nur von nun an besser mich
Bei ihr vertreten willst.
DAJA
Ich denke, Ritter,
Ich denke nicht, dass diese kleinen Stacheln,
Ihr an das Herz geworfen, Euch da sehr
Geschadet haben.
RECHA
Wie? Ihr hattet Kummer?
Und wart mit Euerm Kummer geiziger
Als Euerm Leben?
TEMPELHERR
Gutes, holdes Kind! —
Wie ist doch meine Seele zwischen Auge
Und Ohr geteilt! — Das war das Mädchen nicht,
Nein, nein, das war es nicht, das aus dem Feuer
Ich holte. — Denn wer hätte die gekannt,
Und aus dem Feuer nicht geholt? Wer hätte
Auf mich gewartet? — Zwar — verstellt — der Schreck.
Pause, unter der er in Anschauung ihrer sich wie verliert.
RECHA
Ich aber find Euch noch den Nämlichen. —desgleichen, bis sie fortfährt, um ihn in seinem Anstaunen zu unterbrechen.Nun, Ritter, sagt uns doch, wo Ihr so lange
Gewesen? — Fast dürft ich auch fragen: wo
Ihr itzo seid?
TEMPELHERR
Ich bin, — wo ich vielleicht
Nicht sollte sein. —
RECHA
Wo Ihr gewesen? — Auch
Wo Ihr vielleicht nicht solltet sein gewesen?
Das ist nicht gut.
TEMPELHERR
Auf — auf — wie heißt der Berg?
Auf Sinai.
RECHA
Auf Sinai? — Ah schön!
Nun kann ich zuverlässig doch einmal
Erfahren, ob es wahr ...
TEMPELHERR
Was? was? Ob’s wahr,
Dass noch daselbst der Ort zu sehn, wo Moses
Vor Gott gestanden, als ...
RECHA
Nun das wohl nicht.
Denn wo er stand, stand er vor Gott. Und davon
Ist mir zur G’nüge schon bekannt. — Ob’s wahr,
Möcht ich nur gern von Euch erfahren, dass —
Dass es bei weitem nicht so mühsam sei,
Auf diesen Berg hinaufzusteigen, als
Herab? — Denn seht, so viel ich Berge noch
Gestiegen bin, war’s just das Gegenteil. —
Nun, Ritter? — Was? — Ihr kehrt Euch von mir ab?
Wollt mich nicht sehn?
TEMPELHERR
Weil ich Euch hören will.
RECHA
Weil Ihr mich nicht wollt merken lassen, dass
Ihr meiner Einfalt lächelt; dass Ihr lächelt,
Wie ich Euch doch so gar nichts Wichtigers
Von diesem heil’gen Berge aller Berge
Zu fragen weiß? Nicht wahr?
TEMPELHERR
So muss
Ich doch Euch wieder in die Augen sehn. —
Was? Nun schlagt Ihr sie nieder? nun verbeißt
Das Lächeln Ihr? wie ich noch erst in Mienen
In zweifelhaften Mienen lesen will,
Was ich so deutlich hör, Ihr so vernehmlich
Mir sagt — verschweigt? — Ah Recha! Recha! Wie
Hat er so wahr gesagt; „Kennt sie nur erst!”
RECHA
Wer hat? — von wem? — Euch das gesagt?
TEMPELHERR
„Kennt sie
Nur erst!” hat Euer Vater mir gesagt,
Von Euch gesagt.
DAJA
Und ich nicht etwa auch?
Ich denn nicht auch?
TEMPELHERR
Allein wo ist er denn?
Wo ist denn Euer Vater? Ist er noch
Beim Sultan?
RECHA
Ohne Zweifel.
TEMPELHERR
Noch, noch da? —
O mich Vergesslichen! Nein, nein; da ist
Er schwerlich mehr. — Er wird dort unten bei
Dem Kloster meiner warten; ganz gewiss.
So red’ten, mein ich, wir es ab. Erlaubt!
Ich geh, ich hol ihn ...
DAJA
Das ist meine Sache.
Bleibt, Ritter, bleibt. Ich bring ihn unverzüglich.
TEMPELHERR
Nicht so, nicht so! Er sieht mir selbst entgegen,
Nicht Euch. Dazu, er könnte leicht — wer weiß? —
Er könnte bei dem Sultan leicht — Ihr kennt
Den Sultan nicht! — leicht in Verlegenheit
Gekommen sein. — Glaubt mir, es hat Gefahr,
Wenn ich nicht geh.
RECHA
Gefahr? Was für Gefahr?
TEMPELHERR
Gefahr für mich, für Euch, für ihn: wenn ich
Nicht schleunig, schleunig geh.
Ab.
DRITTER AUFTRITT
Recha und Daja.
RECHA
Was ist das, Daja? —
So schnell? — Was kommt ihn an? Was fiel ihm auf?
Was jagt ihn?
DAJA
Lasst nur, lasst. Ich denk, es ist
Kein schlimmes Zeichen.
RECHA
Zeichen? Und wovon?
DAJA
Dass etwas vorgeht innerhalb. Es kocht,
Und soll nicht überkochen. Lasst ihn nur.
Nun ist’s an Euch.
RECHA
Was ist an mir? Du wirst,
Wie er, mir unbegreiflich.
DAJA
Bald nun könnt
Ihr ihm die Unruh' all vergelten, die
Er Euch gemacht hat. Seid nur aber auch
Nicht allzu streng, nicht allzu rachbegierig.
RECHA
Wovon du sprichst, das magst du selber wissen.
DAJA
Und seid denn Ihr bereits so ruhig wieder?
RECHA
Das bin ich; ja, das bin ich ...
DAJA
Wenigstens
Gesteht, dass Ihr Euch seiner Unruh’ freut,
Und seiner Unruh’ danket, was Ihr jetzt
Von Ruh’ genießt.
RECHA
Mir völlig unbewusst!
Denn was ich höchstens dir gestehen könnte,
Wär, dass es mich — mich selbst befremdet, wie
Auf einen solchen Sturm in meinem Herzen
So eine Stille plötzlich folgen können.
Sein voller Anblick, sein Gespräch, sein Ton
Hat mich ...
DAJA
Gesättigt schon?
RECHA
Gesättigt, will
Ich nun nicht sagen; nein — bei weitem nicht —
DAJA
Den heißen Hunger nur gestillt.
RECHA
Nun ja,
Wenn du so willst.
DAJA
Ich eben nicht.
RECHA
Er wird
Mir ewig wert, mir ewig werter, als
Mein Leben bleiben, wenn auch schon mein Puls
Nicht mehr bei seinem bloßen Namen wechselt;
Nicht mehr mein Herz, so oft ich an ihn denke,
Geschwinder, stärker schlägt. — Was schwatz ich? Komm,
Komm, liebe Daja, wieder an das Fenster,
Das auf die Palmen sieht.
DAJA
So ist er doch
Wohl noch nicht ganz gestillt, der heiße Hunger.
RECHA
Nun werd ich auch die Palmen wieder sehn,
Nicht ihn bloß untern Palmen.
DAJA
Diese Kälte
Beginnt auch wohl ein neues Fieber nur.
RECHA
Was Kält'? Ich bin nicht kalt. Ich sehe wahrlich
Nicht minder gern, was ich mit Ruhe sehe.
VIERTER AUFTRITT
Szene; ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin.Saladin und Sittah.
SALADIN
im Hereintreten, gegen die Türe
Hier bringt den Juden her, sobald er kommt.
Er scheint sich eben nicht zu übereilen.
SITTAH
Er war auch wohl nicht bei der Hand, nicht gleich
Zu finden.
SALADIN
Schwester! Schwester!
SITTAH
Tust du doch,
Als stünde dir ein Treffen vor.
SALADIN
Und das
Mit Waffen, die ich nicht gelernt zu führen.
Ich soll mich stellen; soll besorgen lassen;
Soll Fallen legen; soll auf Glatteis führen.
Wann hätt ich das gekonnt? Wo hätt ich das
Gelernt? — Und soll das alles, ah, wozu?
Wozu? — Um Geld zu fischen! Geld! — Um Geld,
Geld einem Juden abzubangen? Geld!
Zu solchen kleinen Listen wär ich endlich
Gebracht, der Kleinigkeiten kleinste mir
Zu schaffen?
SITTAH
Jede Kleinigkeit, zu sehr
Verschmäht, die rächt sich, Bruder.
SALADIN
Leider wahr. —
Und wenn nun dieser Jude gar der gute,
Vernünft’ge Mann ist, wie der Derwisch dir
Ihn ehedem beschrieben?
SITTAH
O nun dann!
Was hat es dann für Not! Die Schlinge liegt
Ja nur dem geizigen, besorglichen,
Furchtsamen Juden; nicht dem guten, nicht
Dem weisen Manne. Dieser ist ja so
Schon unser, ohne Schlinge. Das Vergnügen,
Zu hören, wie ein solcher Mann sich ausred’t;
Mit welcher dreisten Stärk' entweder er
Die Stricke kurz zerreißet, oder auch
Mit welcher schlauen Vorsicht er die Netze
Vorbei sich windet: dies Vergnügen hast
Du obendrein.
SALADIN
Nun, das ist wahr. Gewiss,
Ich freue mich darauf.
SITTAH
So kann dich ja
Auch weiter nichts verlegen machen. Denn
Ist’s einer aus der Menge bloß; ist’s bloß
Ein Jude, wie ein Jude: gegen den
Wirst du dich doch nicht schämen, so zu scheinen,
Wie er die Menschen all sich denkt? Vielmehr,
Wer sich ihm besser zeigt, der zeigt sich ihm
Als Geck, als Narr.
SALADIN
So muss ich ja wohl gar
Schlecht handeln, dass von mir der Schlechte nicht
Schlecht denke?
SITTAH
Traun! wenn du schlecht handeln nennst,
Ein jedes Ding nach seiner Art zu brauchen.
SALADIN
Was hätt ein Weiberkopf erdacht, das er
Nicht zu beschönen wüsste!
SITTAH
Zu beschönen!
SALADIN
Das feine, spitze Ding, besorg ich nur,
In meiner plumpen Hand zerbricht! — So was
Will ausgeführt sein, wie’s erfunden ist:
Mit aller Pfiffigkeit, Gewandtheit; — Doch,
Mag’s doch nur, mag’s! Ich tanze, wie ich kann;
Und könnt es freilich, lieber — schlechter noch
Als besser.
SITTAH
Trau dir auch nur nicht zu wenig!
Ich stehe dir für dich! Wenn du nur willst. —
Dass uns die Männer deinesgleichen doch
So gern bereden möchten, nur ihr Schwert,
Ihr Schwert nur habe sie so weit gebracht.
Der Löwe schämt sich freilich, wenn er mit
Dem Fuchse jagt — des Fuchses, nicht der List.
SALADIN
Und dass die Weiber doch so gern den Mann
Zu sich herunter hätten! — Geh nur, geh! —
Ich glaube meine Lektion zu können.
SITTAH
Was? Ich soll gehn?
SALADIN
Du wolltest doch nicht bleiben?
SITTAH
Wenn auch nicht bleiben ... im Gesicht euch bleiben —
Doch hier im Nebenzimmer —
SALADIN
Da zu horchen?
Auch das nicht, Schwester, wenn ich soll bestehn. —
Fort, fort! der Vorhang rauscht; er kommt! — Doch dass
Du ja nicht da verweilst! Ich sehe nach.
Indem sie sich durch die eine Türe entfernt, tritt Nathan zu der andern herein, und Saladin hat sich gesetzt.
FÜNFTER AUFTRITT
Saladin und Nathan.
SALADIN
Tritt näher, Jude! — Näher! — Nur ganz her! —
Nur ohne Furcht!
NATHAN
Die bleibe deinem Feinde!
SALADIN
Du nennst dich Nathan?
NATHAN
Ja.
SALADIN
Den weisen Nathan?
NATHAN
Nein.
SALADIN
Wohl! nennst du dich nicht, nennt dich das Volk.
NATHAN
Kann sein, das Volk!
SALADIN
Du glaubst doch nicht, dass ich
Verächtlich von des Volkes Stimme denke? —
Ich habe längst gewünscht, den Mann zu kennen,
Den es den Weisen nennt.
NATHAN
Und wenn es ihn
Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise
Nichts weiter wär als klug? und klug nur der,
Der sich auf seinen Vorteil gut versteht?
SALADIN
Auf seinen wahren Vorteil, meinst du doch?
NATHAN
Dann freilich wär der Eigennützigste
Der Klügste. Dann wär freilich klug und weise
Nur eins.
SALADIN
Ich höre dich erweisen, was
Du widersprechen willst. — Des Menschen wahre
Vorteile, die das Volk nicht kennt, kennst du,
Hast du zu kennen wenigstens gesucht;
Hast drüber nachgedacht: das auch allein
Macht schon den Weisen.
NATHAN
Der sich jeder dünkt
Zu sein.
SALADIN
Nun der Bescheidenheit genug!
Denn sie, nur immerdar zu hören, wo
Man trockene Vernunft erwartet, ekelt. Er springt auf.Lass uns zur Sache kommen! Aber, aber
Aufrichtig, Jud', aufrichtig!
NATHAN
Sultan, ich
Will sicherlich dich so bedienen, dass
Ich deiner fernern Kundschaft würdig bleibe.
SALADIN
Bedienen? Wie?
NATHAN
Du sollst das Beste haben
Von allem; sollst es um den billigsten
Preis haben.
SALADIN
Wovon sprichst du? Doch wohl nicht
Von deinen Waren? — Schachern wird mit dir
Schon meine Schwester. (Das der Horcherin!)
Ich habe mit dem Kaufmann nichts zu tun.
NATHAN
So wirst du ohne Zweifel wissen wollen,
Was ich auf meinem Wege von dem Feinde,
Der allerdings sich wieder reget, etwa
Bemerkt, getroffen? — Wenn ich unverhohlen ...
SALADIN
Auch darauf bin ich eben nicht mit dir
Gesteuert. Davon weiß ich schon, so viel
Ich nötig habe. — Kurz: —
NATHAN
Gebiete, Sultan.
SALADIN
Ich heische deinen Unterricht in ganz
Was anderm, ganz was anderm. — Da du nun
So weise bist: so sage mir doch einmal —
Was für ein Glaube, was für ein Gesetz
Hat dir am meisten eingeleuchtet?
NATHAN
Sultan,
Ich bin ein Jud'.
SALADIN
Und ich ein Muselmann.
Der Christ ist zwischen uns. — Von diesen drei
Religionen kann doch eine nur
Die wahre sein. — Ein Mann, wie du, bleibt da
Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt
Ihn hingeworfen; oder wenn er bleibt,
Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern
Wohlan! so teile deine Einsicht mir
Denn mit. Lass mich die Gründe hören, denen
Ich selber nachzugrübeln nicht die Zeit
Gehabt. Lass mich die Wahl, die diese Gründe
Bestimmt — versteht sich, im Vertrauen — wissen,
Damit ich sie zu meiner mache. — Wie?
Du stutzest? wägst mich mit dem Auge? — Kann
Wohl sein, dass ich der erste Sultan bin,
Der eine solche Grille hat, die mich
Doch eines Sultans eben nicht so ganz
Unwürdig dünkt. — Nicht wahr? So rede doch!
Sprich! — Oder willst du einen Augenblick,
Dich zu bedenken? Gut, ich geb ihn dir. ---
(Ob sie wohl horcht? Ich will sie doch belauschen;
Will hören, ob ich’s recht gemacht.) Denk nach,
Geschwind denk nach! Ich säume nicht, zurück
Zu kommen.
Er geht in das Nebenzimmer, nach welchem sich Sittah begeben.
SECHSTER AUFTRITT
Nathan allein.
Hm! hm! — wunderlich! — Wie ist
Mir denn? — Was will der Sultan? Was? — Ich bin
Auf Geld gefasst, und er will — Wahrheit. Wahrheit!
Und will sie so, — so bar, so blank, — als ob
Die Wahrheit Münze wäre! — Ja, wenn noch
Uralte Münze, die gewogen ward! —
Das ginge noch! Allein so neue Münze,
Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett
Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht!
Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf
Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude?
Ich oder er? — Doch wie? Sollt er auch wohl,
Die Wahrheit nicht in Wahrheit fordern? — Zwar,
Zwar der Verdacht, dass er die Wahrheit nur
Als Falle brauche, wär auch gar zu klein! —
Zu klein? — Was ist für einen Großen denn
Zu klein? — Gewiss, gewiss: er stürzte mit
Der Türe so ins Haus! Man pocht doch, hört
Doch erst, wenn man als Freund sich naht. — Ich muss
Behutsam gehn! — Und wie? wie das? — So ganz
Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. —
Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder.
Denn, wenn kein Jude, dürft er mich nur fragen,
Warum kein Muselmann? — Das war’s! Das kann
Mich retten! — Nicht die Kinder bloß speist man
Mit Märchen ab. — Er kömmt. Er komme nur!
SIEBENTER AUFTRITT
Saladin tuid Nathan.
SALADIN
(So ist das Feld hier rein! ) — Ich komm dir doch
Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande
Mit deiner Überlegung? — Nun so rede!
Es hört uns keine Seele.
NATHAN
Möcht auch doch
Die ganze Welt uns hören.
SALADIN
So gewiss
Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn
Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu
Verhehlen! für sie alles auf das Spiel
Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut!
NATHAN
Ja! ja! wann’s nötig ist und nutzt.
SALADIN
Von nun
An darf ich hoffen, einen meiner Titel,
Verbesserer der Welt und des Gesetzes,
Mit Recht zu führen.
NATHAN
Traun, ein schöner Titel!
Doch, Sultan, eh ich mich dir ganz vertraue,
Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu
Erzählen?
SALADIN
Warum das nicht? Ich bin stets
Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut
Erzählt.
NATHAN
Ja, gut erzählen, das ist nun
Wohl eben meine Sache nicht.
SALADIN
Schon wieder
So stolz bescheiden? — Mach! erzähl, erzähle!
NATHAN
Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann im Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
dass ihn der Mann im Osten darum nie
Vom Finger ließ, und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der Liebste sei; und stets der Liebste,
Ohn Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. —
Versteh mich, Sultan.
SALADIN
Ich versteh dich. Weiter!
NATHAN
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen,
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der dritte, — sowie jeder sich mit ihm
Allein befand, und sein ergießend Herz
Die andern zwei nicht teilten, — würdiger
Des Ringes, den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.
Das ging nun so, so lang es ging. — Allein
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, so zu kränken. — Was zu tun?
Er sendet in geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondre;
Gibt jedem insbesondre seinen Segen, —
Und seinen Ring, — und stirbt. — Du hörst doch, Sultan?
SALADIN
der betroffen sich von ihm gewandt
Ich hör, ich höre! — Komm mit deinem Märchen
Nur bald zu Ende. — Wird's?
NATHAN
Ich bin zu Ende.
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. —
Kaum war der Vater tot, so kommt ein jeder
Mit seinem Ring und jeder will der Fürst
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich —Nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet.
Fast so unerweislich als
Uns jetzt — der rechte Glaube.
SALADIN
Wie? das soll
Die Antwort sein auf meine Frage? ...
Nathan
Soll
Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe
Mir nicht getrau zu unterscheiden, die
Der Vater in der Absicht machen ließ,
Damit sie nicht zu unterscheiden wären.
SALADIN
Die Ringe! — Spiele nicht mit mir! — Ich dächte,
dass die Religionen, die ich dir
Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären.
Bis auf die Kleidung; bis auf Speis und Trank!
NATHAN
Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. —
Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?
Geschrieben oder überliefert! — Und
Geschichte muss doch wohl allein auf Treu
Und Glauben angenommen werden? — Nicht? —
Nun wessen Treu und Glauben zieht man denn
Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?
Doch deren Blut wir sind? Doch deren, die
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? —
Wie kann ich meinen Vätern weniger,
Als du den deinen glauben? Oder, umgekehrt:
Kann ich von dir verlangen, dass du deine
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.
Das Nämliche gilt von den Christen. Nicht? —
SALADIN
(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat Recht.
Ich muss verstummen.)
NATHAN
Lass auf unsre Ring'
Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand
Den Ring zu haben — wie auch wahr! — nachdem
Er von ihm lange das Versprechen schon
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
Genießen. — Wie nicht minder wahr! — Der Vater,
Beteu’rte jeder, könne gegen ihn
Nicht falsch gewesen sein; und eh er dieses
Von ihm, von einem solchen lieben Vater,
Argwohnen lass': eh müss’ er seine Brüder,
So gern er sonst von ihnen nur das Beste
Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels
Bezeihen; und er wolle die Verräter
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.
SALADIN
Und nun, der Richter? — Mich verlangt zu hören
Was du den Richter sagen lässest. Sprich!
NATHAN
Der Richter sprach: wenn Ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich Euch
Von meinem Stuhle. Denkt Ihr, dass ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret Ihr,
Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? —
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! — Nun, wen lieben zwei
Von Euch am meisten? — Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? — O so seid Ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen.
SALADIN
Herrlich! Herrlich!
NATHAN
Und also, fuhr der Richter fort, wenn Ihr
Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:
Geht nur! — Mein Rat ist aber der: Ihr nehmt
Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater,
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. — Möglich, dass der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! — Und gewiss,
dass er Euch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. — Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von Euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott,
Zu Hülf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei Euem Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad ich über tausend tausend JahreSie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weis’rer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich, und sprechen. Geht! — So sagte der
Bescheidne Richter.
SALADIN
Gott! Gott!
NATHAN
Saladin,
Wenn du dich fühlest, dieser weisere
Versprochne Mann zu sein ...
SALADIN
der auf ihn zustürzt, und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren lässt.
Ich Staub? Ich Nichts?
O Gott!
NATHAN
Was ist dir, Sultan?
SALADIN
Nathan, lieber Nathan! —
Die tausend tausend Jahre deines Richters
Sind noch nicht um. — Sein Richterstuhl ist nicht
Der meine. — Geh! — Geh! — Aber sei mein Freund.
NATHAN
Und weiter hätte Saladin mir nichts
Zu sagen?
SALADIN
Nichts.
NATHAN
Nichts?
SALADIN
Gar nichts. — Und warum?
NATHAN
Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht,
Dir eine Bitte vorzutragen.
SALADIN
Braucht's
Gelegenheit zu einer Bitte? — Rede!
NATHAN
Ich komm von einer weiten Reis’, auf welcher
Ich Schulden eingetrieben. — Fast hab ich
Des baren Gelds zu viel. — Die Zeit beginnt
Bedenklich wiederum zu werden; — und
Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. —
Da dacht ich, ob nicht du vielleicht, — weil doch
Ein naher Krieg des Geldes immer mehr
Erfordert, — etwas brauchen könntest.
SALADIN
ihm steif in die Augen sehend
Nathan! —
Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon
Bei dir gewesen: — will nicht untersuchen,
Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses
Erbieten freierdings zu tun ...
NATHAN
Ein Argwohn?
SALADIN
Ich bin ihn wert. — Verzeih mir! — denn was hilft’s?
Ich muss dir nur gestehen, — dass ich im
Begriffe war —
NATHAN
Doch nicht, das Nämliche
An mich zu suchen?
SALADIN
Allerdings.
NATHAN
So wär
Uns beiden ja geholfen! Dass ich aber
Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken,
Das macht der junge Tempelherr. — Du kennst
Ihn ja. — Ihm hab ich eine große Post
Vorher noch zu bezahlen.
SALADIN
Tempelherr?
Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht
Mit deinem Geld auch unterstützen wollen?
NATHAN
Ich spreche von dem einen nur, dem du
Das Leben spartest ...
SALADIN
Ah! woran erinnerst
Du mich! — Hab ich doch diesen Jüngling ganz
Vergessen! — Kennst du ihn? — Wo ist er?
NATHAN
Wie?
So weißt du nicht, wie viel von deiner Gnade
Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er,
Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens,
Hat meine Tochter aus dem Feu’r gerettet.
SALADIN
Er? Hat er das? — Ha! danach sah er aus.
Das hätte traun mein Bruder auch getan,
Dem er so ähnelt! — Ist er denn noch hier?
So bring ihn her! — Ich habe meiner Schwester
Von diesem ihrem Bruder, den sie nicht
Gekannt, so viel erzählet, dass ich sie
Sein Ebenbild doch auch muss sehen lassen! —
Geh, hol ihn! — Wie aus einer guten Tat,
Gebar sie auch schon bloße Leidenschaft,
Doch so viel andre gute Taten fließen!
Geh, hol ihn!
NATHAN
indem er Saladins Hand fahren lässt.
Augenblicks! Und bei dem andern
Bleibt es doch auch?
SALADIN
Ah! dass ich meine Schwester
Nicht horchen lassen! — Zu ihr! Zu ihr! — Denn
Wie soll ich alles das ihr nun erzählen?
Ab von der andern Seite.
ACHTER AUFTRITT
Die Szene: unter den Palmen,in der Nähe des Klosters, wo der Tempelherr Nathans wartet.
TEMPELHERR
geht, mit sich selbst kämpfend, auf und ab, bis er losbricht.
— Hier hält das Opfertier ermüdet still. —
Nun gut! Ich mag nicht, mag nicht näher wissen,
Was in mir vorgeht; mag voraus nicht wittern,
Was vorgehn wird. — Genug, ich bin umsonst
Geflohn; umsonst. — Und weiter könnt ich doch
Auch nichts, als fliehn! — Nun komm’, was kommen soll! —
Ihm auszubeugen, war der Streich zu schnell
Gefallen, unter den zu kommen, ich
So lang und viel mich weigerte. — Sie sehn,
Die ich zu sehn so wenig lüstern war, —
Sie sehn, und der Entschluß, sie wieder aus
Den Augen nie zu lassen — Was Entschluss?
Entschluss ist Vorsatz, Tat: und ich, ich litt’,
Ich litte bloß. — Sie sehn, und das Gefühl,
An sie verstrickt, in sie verwebt zu sein
War eins. — Bleibt eins. — Von ihr getrennt
Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär
Mein Tod, — und wo wir immer nach dem Tode
Noch sind, auch da mein Tod. --- Ist das nun Liebe:
So — liebt der Tempelritter freilich, — liebt
Der Christ das Judenmädchen freilich. — Hm!
Was tut’s? — Ich hab in dem gelobten Lande, —
Und drum auch mir gelobt auf immerdar! —
Der Vorurteile mehr schon abgelegt. —
Was will mein Orden auch? Ich Tempelherr
Bin tot; war von dem Augenblick ihm tot,
Der mich zu Saladins Gefangnen machte.
Der Kopf, den Saladin mir schenkte, war
Mein alter? — Ist ein neuer, der von allem
Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward,
Was jenen band; — und ist ein bessrer; für
Den väterlichen Himmel mehr gemacht
Das spür ich ja. Denn erst mit ihm beginn
Ich so zu denken, wie mein Vater hier
Gedacht muss haben; wenn man Märchen nicht
Von ihm mir vorgelogen. — Märchen? — doch
Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie,
Als jetzt geschienen, da ich nur Gefahr
Zu straucheln laufe, wo er fiel — Er fiel?
Ich will mit Männern lieber fallen, als
Mit Kindern stehn. — Sein Beispiel bürget mir
Für seinen Beifall. Und an wessen Beifall
Liegt mir denn sonst? — An Nathans? — O an dessen
Ermuntrung mehr, als Beifall, kann es mir
Noch weniger gebrechen. — Welch ein Jude! —
Und der so ganz nur Jude scheinen will!
Da kommt er; kommt mit Hast; glüht heitre Freude.
Wer kam vom Saladin je anders? He!
He, Nathan!
NEUNTER AUFTRITT
Nathan und der Tempelherr.
NATHAN
Wie? seid Ihr’s?
TEMPELHERR
Ihr habt
Sehr lang Euch bei dem Sultan aufgehalten.
NATHAN
So lange nun wohl nicht. Ich ward im Hingehn
Zu viel verweilt. — Ah, wahrlich Curd; der Mann
Steht seinen Ruhm. Sein Ruhm ist bloß sein Schatten. —
Doch lasst vor allen Dingen Euch geschwind
Nur sagen ...
TEMPELHERR
Was?
NATHAN
Er will Euch sprechen; will,
dass ungesäumt Ihr zu ihm kommt. Begleitet
Mich nur nach Hause, wo ich noch für ihn
Erst etwas anders zu verfügen habe:
Und dann, so gehn wir.
TEMPELHERR
Nathan, Euer Haus
Betret ich wieder eher nicht ...
NATHAN
So seid
Ihr doch indes schon da gewesen? Habt
Indes sie doch gesprochen? — Nun? — Sagt: wie
Gefällt Euch Recha?
TEMPELHERR
Über allen Ausdruck!
Allein — sie wiedersehn — das werd ich nie!
Nie! nie! — Ihr müsstet mir zur Stelle denn
Versprechen: — dass ich sie auf immer, immer —
Soll können sehn.
NATHAN
Wie wollt Ihr, dass ich das
Versteh?
TEMPELHERR
nach einer kurzen Pause ihm plötzlich um den Hals fallend
Mein Vater!
NATHAN
— Junger Mann!
TEMPELHERR
ihn eben so plötzlich wieder lassend
Nicht Sohn? —
Ich bitt Euch, Nathan! —
NATHAN
Lieber junger Mann!
TEMPELHERR
Nicht Sohn? — Ich bitt Euch, Nathan! — Ich beschwör
Euch bei den ersten Banden der Natur! —
Zieht ihnen spätere Fesseln doch nicht vor! —
Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein! — Stoßt mich
Nicht von Euch!
NATHAN
Lieber, lieber Freund!...
TEMPELHERR
Und Sohn?
Sohn nicht? — Auch dann nicht, dann nicht einmal, wenn
Erkenntlichkeit zum Herzen Eurer Tochter
Der Liebe schon den Weg gebahnet hätte?
Auch dann nicht einmal, wenn in Eins zu schmelzen
Auf Euern Wink nur beide warteten? —
Ihr schweigt?
NATHAN
Ihr überrascht mich, junger Ritter.
TEMPELHERR
Ich überrasch Euch? — überrasch Euch, Nathan,
Mit Euem eigenen Gedanken? — Ihr
Verkennt sie doch in meinem Munde nicht?
Ich überrasch Euch?
NATHAN
Eh ich einmal weiß,
Was für ein Stauffen Euer Vater denn
Gewesen ist!
TEMPELHERR
Was sagt Ihr, Nathan? was? —
In diesem Augenblicke fühlt Ihr nichts,
Als Neubegier?
NATHAN
Denn seht! Ich habe selbst
Wohl einen Stauffen ehedem gekannt,
Der Conrad hieß.
TEMPELHERR
Nun — wenn mein Vater denn
Nun eben so geheißen hätte?
NATHAN
Wahrlich?
TEMPELHERR
Ich heiße selber ja nach meinem Vater: Curd
Ist Conrad.
NATHAN
Nun — so war mein Conrad doch
Nicht Euer Vater. Denn mein Conrad war,
Was Ihr; war Tempelherr; war nie vermählt.
TEMPELHERR
O darum!
NATHAN
Wie?
TEMPELHERR
O darum könnt er doch
Mein Vater wohl gewesen sein.
NATHAN
Ihr scherzt.
TEMPELHERR
Und Ihr nehmt’s wahrlich zu genau! — Was wär’s
Denn nun? So was von Bastard oder Bankert!
Der Schlag ist auch nicht zu verachten. — Doch
Entlasst mich immer meiner Ahnenprobe.
Ich will Euch Eurer wiederum entlassen.
Nicht zwar, als ob ich den geringsten Zweifel
In Euern Stammbaum setzte. Gott behüte!
Ihr könnt ihn Blatt vor Blatt bis Abraham
Hinauf belegen. Und von da so weiter,
Weiß ich ihn selbst; will ich ihn selbst beschwören.
NATHAN
Ihr werdet bitter. — Doch verdien ich’s? — Schlug
Ich denn Euch schon was ab? — Ich will Euch ja
Nur bei dem Worte nicht den Augenblick
So fassen. — Weiter nichts.
TEMPELHERR
Gewiss? — Nichts weiter?
O so vergebt! ...
NATHAN
Nun kommt nur, kommt!
TEMPELHERR
Wohin?
Nein! — Mit in Euer Haus? — Das nicht! das nicht! —
Da brennt’s! — Ich will Euch hier erwarten. Geht! —
Soll ich sie wiedersehn: so seh ich sie
Noch oft genug. Wo nicht: so sah ich sie
Schon viel zu viel ...
NATHAN
Ich will mich möglichst eilen.
ZEHNTER AUFTRITT
Der Tempelherr und bald darauf Daja.
TEMPELHERR
Schon mehr als g’nug! — Des Menschen Hirn fasst so
Unendlich viel; und ist doch manchmal auch
So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit
So plötzlich voll! — Taugt nichts, taugt nichts; es sei
Auch voll, wovon es will. — Doch nur Geduld!
Die Seele wirkt den aufgedunsenen Stoff
Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht
Und Ordnung kommen wieder. — Lieb ich denn
Zum ersten Male? Oder war, was ich
Als Liebe kenne, Liebe nicht? — Ist Liebe
Nur was ich jetzt empfinde? ...
DAJA
die sich von der Seite herbeigeschlichen
Ritter! Ritter!
TEMPELHERR
Wer ruft? — Ha, Daja, Ihr?
DAJA
Ich habe mich
Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch
Könnt er uns sehn, wo Ihr da steht — Drum kommt
Doch näher zu mir, hinter diesen Baum.
TEMPELHERR
Was gibt’s denn? — So geheimnisvoll? — Was ist’s?
DAJA
Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was
Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes.
Das eine weiß nur ich; das andre wisst
Nur Ihr. — Wie wär es, wenn wir tauschten?
Vertraut mir Euers, so vertrau ich Euch
Das meine.
TEMPELHERR
Mit Vergnügen. — Wenn ich nur
Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch
Das wird aus Euerm wohl erhellen. — Fangt
Nur immer an.
DAJA
Ei denkt doch! — Nein, Herr Ritter:
Erst Ihr; ich folge. — Denn versichert, mein
Geheimnis kann Euch gar nichts nützen, wenn
Ich nicht zuvor das Eure habe. — Nur
Geschwind! — Denn frag ich’s Euch erst ab: so habt
Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann
Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid
Ihr los. — Doch, armer Ritter! — dass ihr Männer
Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben
Zu können auch nur glaubt!
TEMPELHERR
Das wir zu haben
Oft selbst nicht wissen.
DAJA
Kann wohl sein. Drum muss
Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt
Zu machen, schon die Freundschaft haben. — Sagt:
Was hieß denn das, dass Ihr so Knall und Fall
Euch aus dem Staube machtet? dass Ihr uns
So sitzen ließet? — dass Ihr nun mit Nathan
Nicht wiederkommt? — Hat Recha denn so wenig
Auf Euch gewirkt? Wie? oder auch, so viel? —
So viel! so viel! — Lehrt Ihr des armen Vogels,
Der an der Rute klebt, Geflattre mich
Doch kennen! — Kurz: gesteht es mir nur gleich,
dass Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und
Ich sag Euch was ...
TEMPELHERR
Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr
Versteht Euch trefflich drauf.
DAJA
Nun gebt mir nur
Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch
Erlassen.
TEMPELHERR
Weil er sich von selbst versteht? —
Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! ...
DAJA
Scheint freilich wenig Sinn zu haben. — Doch
Zuweilen ist des Sinns in einer Sache
Auch mehr, als wir vermuten; und es wäre
So unerhört doch nicht, dass uns der Heiland
Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge
Von selbst nicht leicht betreten würde.
TEMPELHERR
Das
So feierlich? — (Und setz ich statt des Heilands
Die Vorsicht: hat sie denn nicht Recht? —) Ihr macht
Mich neubegieriger, als ich wohl sonst
Zu sein gewohnt bin.
DAJA
O! das ist das Land
Der Wunder!
TEMPELHERR
(Nun! — des Wunderbaren. Kann
Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt
Drängt sich ja hier zusammen.) — Liebe Daja,
Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt:
dass ich sie liebe; dass ich nicht begreife,
Wie ohne sie ich leben werde; dass ...
DAJA
Gewiss? gewiss? — So schwört mir, Ritter, sie
Zur Eurigen zu machen; sie zu retten;
Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten.
TEMPELHERR
Und wie? — Wie kann ich? — Kann ich schwören, was
In meiner Macht nicht steht?
DAJA
In Eurer Macht
Steht es. Ich bring es durch ein einzig Wort
In Eure Macht.
TEMPELHERR
Dass selbst der Vater nichts
Dawider hätte?
DAJA
Ei, was Vater! Vater!
Der Vater soll schon müssen.
TEMPELHERR
Müssen, Daja? —
Noch ist er unter Räuber nicht gefallen.
Er muss nicht müssen.
DAJA
Nun, so muss er wollen;
Muss gern am Ende wollen.
TEMPELHERR
Muss? und gern? —
Doch Daja, wenn ich Euch nun sage, dass
Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen
Bereits versucht?
DAJA
Was? und er fiel nicht ein?
TEMPELHERR
Er fiel mit einem Misslaut ein, der mich —
Beleidigte.
DAJA
Was sagt Ihr? — Wie? Ihr hättet
Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha
Ihm blicken lassen: und er wär vor Freuden
Nicht aufgesprungen? — hätte frostig sich
Zurückgezogen? — hätte Schwierigkeiten
Gemacht?
TEMPELHERR
So ungefähr.
DAJA
So will ich denn
Mich länger keinen Augenblick bedenken. —Pause.
TEMPELHERR
Und Ihr bedenkt Euch doch?
DAJA
Der Mann ist sonst
So gut! — Ich selber bin so viel ihm schuldig! —
Dass er doch gar nicht hören will! — Gott weiß,
Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.
TEMPELHERR
Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut
Aus dieser Ungewissheit. Seid Ihr aber
Noch selber ungewiss, ob, was Ihr vorhabt,
Gut oder böse, schändlich oder löblich
Zu nennen: schweigt! Ich will vergessen, dass
Ihr etwas zu verschweigen habt.
DAJA
Das spornt,
Anstatt zu halten. — Nun; so wisst denn: Recha
Ist keine Jüdin; ist — ist eine Christin.
TEMPELHERR
kalt
So? Wünsch Euch Glück! Hat’s schwer gehalten? Lasst
Euch nicht die Wehen schrecken! Fahret ja
Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern;
Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!
DAJA
Wie, Ritter?
Verdienet meine Nachricht diesen Spott?
dass Recha eine Christin ist, das freuet
Euch, einen Christen, einen Tempelherrn,
Der Ihr sie liebt, nicht mehr?
TEMPELHERR
Besonders, da
Sie eine Christin ist von Eurer Mache.
DAJA
Ah! so versteht Ihr’s? So mag’s gelten! — Nein!
Den will ich sehn, der die bekehren soll!
Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden
Verdorben ist.
TEMPELHERR
Erklärt Euch, oder — geht!
DAJA
Sie ist ein Christenkind; von Christeneltern
Geboren; ist getauft ...
TEMPELHERR
hastig
Und Nathan?
DAJA
Nicht
Ihr Vater!
TEMPELHERR
Nathan nicht ihr Vater? — Wisst
Ihr, was Ihr sagt?
DAJA
Die Wahrheit, die so oft
Mich blut’ge Tränen weinen machen. — Nein,
Er ist ihr Vater nicht ...
TEMPELHERR
Und hätte sie
Als seine Tochter nur erzogen? hätte
Das Christenkind als eine Jüdin sich
Erzogen?
DAJA
Ganz gewiss.
TEMPELHERR
Sie wüsste nicht,
Was sie geboren sei? — Sie hätt es nie
Von ihm erfahren, dass sie eine Christin
Geboren sei, und keine Jüdin?
DAJA
Nie!
TEMPELHERR
Er hätt in diesem Wahne nicht das Kind
Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch
In diesem Wahne?
DAJA
Leider!
TEMPELHERR
Nathan — Wie? —
Der weise, gute Nathan hätte sich
Erlaubt, die Stimme der Natur so zu
Verfälschen? — Die Ergießung eines Herzens
So zu verlenken, die, sich selbst gelassen,
Ganz andre Wege nehmen würde? — Daja,
Ihr habt mir allerdings etwas vertraut —
Von Wichtigkeit, — was Folgen haben kann,
Was mich verwirrt, — worauf ich gleich nicht weiß,
Was mir zu tun. — Drum lasst mir Zeit. — Drum geht!
Er kommt hier wiederum vorbei. Er möcht
Uns überfallen. Geht!
DAJA
Ich wär des Todes!
TEMPELHERR
Ich bin ihn jetzt zu sprechen ganz und gar
Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt
Ihm nur, dass wir einander bei dem Sultan
Schon finden würden.
DAJA
Aber lasst Euch ja
Nichts merken gegen ihn. — Das soll nur so
Den letzten Druck dem Dinge geben; soll
Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur
Benehmen! — Wenn Ihr aber dann sie nach
Europa führt, so lasst Ihr doch mich nicht
Zurück?
TEMPELHERR
Das wird sich finden. Geht nur! geht!
VIERTER AUFZUG
ERSTER AUFTRITT
Szene: in den Kreuzgängen des Klosters.Der Klosterbruder und bald darauf der Tempelherr.
KLOSTERBRUDER
Ja, ja! er hat schon Recht, der Patriarch!
Es hat mir freilich noch von alledem
Nicht viel gelingen wollen, was er mir
So aufgetragen. — Warum trägt er mir
Auch lauter solche Sachen auf? — Ich mag
Nicht fein sein; mag nicht überreden; mag
Mein Näschen nicht in alles stecken; mag
Mein Händchen nicht in allem haben. — Bin
Ich darum aus der Welt geschieden, ich
Für mich, um mich für andre mit der Welt
Noch erst recht zu verwickeln?
TEMPELHERR
mit Hast auf ihn zukommend
Guter Bruder!
Da seid Ihr ja. Ich hab Euch lange schon
Gesucht.
KLOSTERBRUDER
Mich, Herr?
TEMPELHERR
Ihr kennt mich schon nicht mehr?
KLOSTERBRUDER
Doch, doch! Ich glaubte nur, dass ich den Herrn
In meinem Leben wieder nie zu sehn
Bekommen würde. Denn ich hofft es zu
Dem lieben Gott. — Der liebe Gott, der weiß,
Wie sauer mir der Antrag ward, den ich
Dem Herrn zu tun verbunden war. Er weiß,
Ob ich gewünscht, ein offnes Ohr bei Euch
Zu finden; weiß, wie sehr ich mich gefreut,
Im Innersten gefreut, dass Ihr so rund
Das alles, ohne viel Bedenken, von
Euch wies’t, was einem Ritter nicht geziemt. —
Nun kommt Ihr doch! Nun hat’s doch nachgewirkt!
TEMPELHERR
Ihr wisst es schon, warum ich komme? Kaum
Weiß ich es selbst.
KLOSTERBRUDER
Ihr habt’s nun überlegt;
Habt nun gefunden, dass der Patriarch
So Unrecht doch nicht hat: dass Ehr' und Geld
Durch seinen Anschlag zu gewinnen; dass
Ein Feind ein Feind ist, wenn er unser Engel
Auch siebenmal gewesen wäre. Das,
Das habt Ihr nun mit Fleisch und Blut erwogen,
Und kommt, und tragt Euch wieder an. — Ach Gott!
TEMPELHERR
Mein frommer, lieber Mann! gebt Euch zufrieden.
Deswegen komm ich nicht; deswegen will
Ich nicht den Patriarchen sprechen. Noch,
Noch denk ich über jenen Punkt, wie ich
Gedacht, und wollt um alles in der Welt
Die gute Meinung nicht verlieren, deren
Mich ein so grader, frommer, lieber Mann
Einmal gewürdiget. — Ich komme bloß,
Den Patriarchen über eine Sache
Um Rat zu fragen ...
KLOSTERBRUDER
Ihr den Patriarchen?
Ein Ritter einen — Pfaffen?
Sich schüchtern umsehend.)
TEMPELHERR
Ja; — die Sach'
Ist ziemlich pfäffisch.
KLOSTERBRUDER
Gleichwohl fragt der Pfaffe
Den Ritter nie, die Sache sei auch noch
So ritterlich.
TEMPELHERR
Weil er das Vorrecht hat,
Sich zu vergehn, das unsereiner ihm
Nicht sehr beneidet. — Freilich, wenn ich nur
Für mich zu handeln hätte; freilich, wenn
Ich Rechenschaft nur mir zu geben hätte:
Was braucht' ich Eures Patriarchen? Aber
Gewisse Dinge will ich lieber schlecht,
Nach andrer Willen, machen; als allein
Nach meinem, gut. — Zudem, ich seh nun wohl,
Religion ist auch Partei; und wer
Sich drob auch noch so unparteiisch glaubt,
Hält, ohn es selbst zu wissen, doch nur seiner
Die Stange. Weil das einmal nun so ist;
Wird’s so wohl recht sein.
KLOSTERBRUDER
Dazu schweig ich lieber.
Denn ich versteh den Herrn nicht recht.
TEMPELHERR
Und doch! —
(lass sehn, warum mir eigentlich zu tun!
Um Machtspruch oder Rat? — Um lautern, oder
Gelehrten Rat?) — Ich dank Euch Bruder; dank
Euch für den guten Wink. — Was Patriarch? —
Seid Ihr mein Patriarch! Ich will ja doch
Den Christen mehr im Patriarchen, als
Den Patriarchen in dem Christen fragen. —
Die Sach’ ist die ...
KLOSTERBRUDER
Nicht weiter, Herr, nicht weiter!
Wozu? — Der Herr verkennt mich. — Wer viel weiß,
Hat viel zu sorgen; und ich habe ja
Mich einer Sorge nur gelobt. — O gut!
Hört! seht! Dort kommt, zu meinem Glück, er selbst
Bleibt hier nur stehn. Er hat Euch schon erblickt.
ZWEITER AUFTRITT
Der Patriarch, welcher mit allem geistlichen Pomp den einenKreuzgang heraufkommt, und die Vorigen.
TEMPELHERR
Ich wich' ihm lieber aus. — Wär nicht mein Mann? —
Ein dicker, roter, freundlicher Prälat!
Und welcher Prunk!
KLOSTERBRUDER
Ihr solltet ihn erst sehn
Nach Hofe sich erheben. Itzo kommt
Er nur von einem Kranken.
TEMPELHERR
Wie sich da
Nicht Saladin wird schämen müssen!
PATRIARCH
indem er näher kommt, winkt dem Bruder
Hier! —
Das ist ja wohl der Tempelherr. Was will
Er?
KLOSTERBRUDER
Weiß nicht.
PATRIARCH
auf ihn zu gehend, indem der Bruder und das Gefolge zurücktreten
Nun, Herr Ritter! — Sehr erfreut
Den braven jungen Mann zu sehn! — Ei, noch
So gar jung! — Nun, mit Gottes Hülfe, daraus
Kann etwas werden.
TEMPELHERR
Mehr, ehrwürd’ger Herr,
Wohl schwerlich, als schon ist. Und eher noch
Was weniger.
PATRIARCH
Ich wünsche wenigstens,
dass so ein frommer Ritter lange noch
Der lieben Christenheit, der Sache Gottes
Zu Ehr' und Frommen blühn und grünen möge!
Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein
Die junge Tapferkeit dem reifen Rate
Des Alters folgen will! — Womit wär sonst
Dem Herrn zu dienen?
TEMPELHERR
Mit dem Nämlichen,
Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.
PATRIARCH
Recht gern! — Nur ist der Rat auch anzunehmen.
TEMPELHERR
Doch blindlings nicht?
PATRAIARCH
Wer sagt denn das? — Ei freilich
muss niemand die Vernunft, die Gott ihm gab,
Zu brauchen unterlassen — wo sie hin--
Gehört. Gehört sie aber überall
Denn hin? — O nein! — Zum Beispiel: wenn uns Gott
Durch einen seiner Engel, — ist zu sagen,
Durch einen Diener seines Worts — ein Mittel
Bekannt zu machen würdiget, das Wohl
Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche
Auf irgendeine ganz besondre WeiseZu fördern, zu befestigen: wer darf
Sich da noch unterstehn, die Willkür des,
Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft
Zu untersuchen? und das ewige
Gesetz der Herrlichkeit des Himmels nach
Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre
Zu prüfen? — Doch hiervon genug. Was ist
Es denn, worüber unsern Rat für jetzt
Der Herr verlangt?
TEMPELHERR
Gesetzt, ehrwürd’ger Vater,
Ein Jude hätt ein einzig Kind, — es sei
Ein Mädchen, — das er mit der größten Sorgfalt
Zu allem Guten auferzogen, das
Er liebe mehr als seine Seele, das
Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe.
Und nun würd unsereinem hinterbracht,
Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht;
Er hab’ es in der Kindheit aufgelesen,
Gekauft, gestohlen — was Ihr wollt; man wisse,
Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei
Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdin
Erzogen; lass es nur als Jüdin und
Als seine Tochter so verharren: — sagt,
Ehrwürd’ger Vater, was wär hierbei wohl
Zu tun?
PATRIARCH
Mich schaudert! — Doch zu allerest
Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall
Ein Faktum oder eine Hypothes’.
Das ist zu sagen: ob der Herr sich das
Nur bloß so dichtet, oder ob’s geschehn,
Und fortfährt zu geschehn.
TEMPELHERR
Ich glaubte, das
Sei eins, um Euer Hochehrwürden Meinung
Bloß zu vernehmen.
PATRIARCH
Eins? — Da seh' der Herr,
Wie sich die stolze menschliche Vernunft
Im Geistlichen doch irren kann. — Mitnichten!
Denn ist der vorgetragene Fall nur so
Ein Spiel des Witzes, so verlohnt es sich
Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken.
Ich will den Herrn damit auf das Theater
Verwiesen haben, wo dergleichen proEt contra sich mit vielem Beifall könnte
Behandeln lassen. — Hat der Herr mich aber
Nicht bloß mit einer theatral’schen Schnurre
Zum Besten; ist der Fall ein Faktum; hätt
Er sich wohl gar in unsrer Diözes',
In unsrer lieben Stadt Jerusalem,
Ereignet: — ja alsdann —
TEMPELHERR
Und was alsdann —
PATRIARCH
Dann wäre an dem Juden fördersamst
Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches
Und kaiserliches Recht so einem Frevel,
So einer Lastertat bestimmen.
TEMPELHERR
So?
PATRIARCH
Und zwar bestimmen obbesagte Rechte
Dem Juden, welcher einen Christen zur
Apostasie verführt — den Scheiterhaufen, —
Den Holzstoß —
TEMPELHERR
So?
PATRIARCH
Und wie vielmehr dem Juden,
Der mit Gewalt ein armes Christenkind
Dem Bunde seiner Tauf entreißt! Denn ist
Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt? —
Zu sagen: — ausgenommen, was die Kirch'
An Kindern tut.
TEMPELHERR
Wenn aber nun das Kind,
Erbarmte seiner sich der Jude nicht,
Vielleicht im Elend umgekommen wäre?
PATRIARCH
Tut nichts! der Jude wird verbrannt. — Denn besser,
Es wäre hier im Elend umgekommen,
Als dass zu seinem ewigen Verderben
Es so gerettet ward. — Zudem, was hat
Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott
Kann, wen er retten will, schon ohn ihn retten.
TEMPELHERR
Auch trotz ihm, sollt ich meinen — selig machen.
PATRIARCH
Tut nichts! der Jude wird verbrannt.
TEMPELHERR
Das geht
Mir nah'! Besonders da man sagt, er habe
Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als
Vielmehr in keinem Glauben auferzogen,
Und sie von Gott nicht mehr, nicht weniger
Gelehrt, als der Vernunft genügt.
PATRIARCH
Tut nichts!
Der Jude wird verbrannt ... Ja, wär allein
Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt
Zu werden! — Was? ein Kind ohn allen Glauben
Erwachsen lassen? — Wie? die große Pflicht,
Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren?
Das ist zu arg! Mich wundert sehr, Herr Ritter,
Euch selbst ...
TEMPELHERR
Ehrwürd’ger Herr, das Übrige,
Wenn Gott will, in der Beichte.
will gehen
PATRIARCH
Was? mir nun
Nicht einmal Rede stehn? — Den Bösewicht;
Den Juden mir nicht nennen? — mir ihn nicht
Zur Stelle schaffen? — O da weiß ich Rat!
Ich geh sogleich zum Sultan. — Saladin,
Vermöge der Kapitulation,
Die er beschworen, muss uns, muss uns schützen:
Bei allen Rechten, allen Lehren schützen,
Die wir zu unsrer allerheiligsten
Religion nur immer rechnen dürfen!
Gottlob! wir haben das Original.
Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir! —
Auch mach ich ihm gar leicht begreiflich, wie
Gefährlich selber für den Staat es ist,
Nichts glauben! Alle bürgerliche Bande
Sind aufgelöset, sind zerrissen, wenn
Der Mensch nichts glauben darf. — Hinweg! hinweg
Mit solchem Frevel! ...
TEMPELHERR
Schade, dass ich nicht
Den trefflichen Sermon mit bessrer Muße
Genießen kann! Ich bin zum Saladin
Gerufen.
PATRIARCH
Ja? — Nun so — Nun freilich — Dann —
TEMPELHERR
Ich will den Sultan vorbereiten, wenn
Es Euer Hochehrwürden so gefällt.
PATRIARCH
O, oh! — Ich weiß, der Herr hat Gnade fanden
Vor Saladin! Ich bitte meiner nur
Im Besten bei ihm eingedenk zu sein. —
Mich treibt der Eifer Gottes lediglich.
Was ich zu viel tu, tu ich ihm. — Das wolle
Doch ja der Herr erwägen! — Und nicht wahr,
Herr Ritter, das vorhin Erwähnte von
Dem Juden war nur ein Problema? — ist
Zu sagen —
TEMPELHERR
Ein Problema.
Geht ab.
PATRIARCH
(Dem ich tiefer
Doch auf den Grund zu kommen suchen muss.
Das wär so wiederum ein Auftrag für
Den Bruder Bonafides.) — Hier, mein Sohn!
Er spricht im Abgehen mit dem Klosterbruder.
DRITTER AUFTRITT
Szene: ein Zimmer im Palaste des Saladin,in welches von Sklaven eine Menge Beutel getragen und auf dem Boden nebeneinander gestellt werden.Saladin und bald darauf Sittah.
SALADIN
der dazu kommt
Nun wahrlich! das hat noch kein Ende. — Ist
Des Dings noch viel zurück?
EIN SKLAVE
Wohl noch die Hälfte.
SALADIN
So tragt das Übrige zu Sittah. — Und
Wo bleibt Al-Hafi? Das hier soll sogleich
Al-Hafi zu sich nehmen. Oder ob
Ich’s nicht vielmehr dem Vater schicke? Hier
Fällt mir es doch nur durch die Finger. — Zwar
Man wird wohl endlich hart; und nun gewiss
Solls Künste kosten, mir viel abzuzwacken.
Bis wenigstens die Gelder aus Ägypten
Zur Stelle kommen, mag das Armut sehn,
Wie’s fertig wird! — Die Spenden bei dem Grabe,
Wenn die nur fortgehn! Wenn die Christenpilger
Mit leeren Händen nur nicht abziehn dürfen
Wenn nur —
SITTAH
Was soll nun das? Was soll das Geld
Bei mir?
SALADIN
Mach dich davon bezahlt; und leg
Auf Vorrat, wenn was übrig bleibt.
SITTAH
Ist Nathan
Noch mit dem Tempelherrn nicht da?
SALADIN
Er sucht
Ihn aller Orten.
SITTAH
Sieh doch, was ich hier
Indem mir so mein alt Geschmeide durch
Die Hände geht, gefunden.
Ihm ein kleines Gemälde zeigend.
SALADIN
Ha! mein Bruder!
Das ist er, ist er! — War er! war er! ah! —
Ah, wackrer lieber Junge, dass ich dich
So früh verlor! Was hätt ich erst mit dir,
An deiner Seit’ erst unternommen! — Sittah,
lass mir das Bild. Auch kenn ich’s schon: er gab
Es deiner ältern Schwester, seiner Lilla,
Die eines Morgens ihn so ganz und gar
Nicht aus den Armen lassen wollt. Es war
Der letzte, den er ausritt. — Ah, ich ließ
Ihn reiten, und allein! Ah, Lilla starb
Vor Gram, und hat mir’s nie vergeben, dass
Ich so allein ihn reiten lassen. — Er
Blieb weg!
SITTAH
Der arme Bruder!
SALADIN
Lass nur gut
Sein! — Einmal bleiben wir doch alle weg! —
Zudem, wer weiß? Der Tod ist’s nicht allein,
Der einem Jüngling seiner Art das Ziel
Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft
Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. — Nun,
Sei wie ihm sei! — Ich muss das Bild doch mit
Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muss
Doch sehn, wie viel mich meine Phantasie
Getäuscht.
SITTAH
Nur darum bring ich’s. Aber gib
Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das
Versteht ein weiblich Aug am besten.
SALADIN
zu einem Türsteher, der hereintritt
Wer
Ist da? — der Tempelherr? — Er komm’!
SITTAH
Euch nicht
Zu stören: ihn mit meiner Neugier nicht
Zu irren —
Sie setzt sich seitwärts auf einen Sofa und läßt den Schleier fallen.
SALADIN
Gut so! gut! — (Und nun sein Ton!
Wie der wohl sein wird! — Assads Ton
Schläft auch wohl wo in meiner Seele noch!)
VIERTER AUFTRITT
Der Tempelherr und Saladin.
TEMPELHERR
Ich, dein Gefangner, Sultan ...
SALADIN
Mein Gefangner?
Wem ich das Leben schenke, werd ich dem
Nicht auch die Freiheit schenken?
TEMPELHERR
Was dir ziemt
Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht
Vorauszusetzen. Aber, Sultan — Dank,
Besondern Dank dir für mein Leben zu
Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem
Charakter nicht. — Es steht in allen Fällen
Zu deinen Diensten wieder.
SALADIN
Brauch es nur
Nicht wider mich! — Zwar ein Paar Hände mehr,
Die gönnt ich meinem Feinde gern. Allein
Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt
Mir schwer. — Ich habe mich mit dir in nichts
Betrogen, braver junger Mann! Du bist
Mit Seel und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte
Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit
Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen?
In welchem Ginnistan, von welcher guten
Div diese Blume fort und fort so frisch
Erhalten worden? Sieht ich könnte dich
Erinnern wollen, was wir dort und dort
Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit
Dir zanken, dass du ein Geheimnis doch
Vor mir gehabt! ein Abenteuer mir
Doch unterschlagen: — Ja, das könnt ich; wenn
Ich dich nur säh', und nicht auch mich. — Nun mag’s!
Von dieser süßen Träumerei ist immer
Doch so viel wahr, dass mir in meinem Herbst
Ein Assad wieder blühen soll. — Du bist
Es doch zufrieden, Ritter?
TEMPELHERR
Alles, was
Von dir mir kommt, — sei was es will — das lag
Als Wunsch in meiner Seele.
SALADIN
Lass uns das
Sogleich versuchen. — Bliebst du wohl bei mir?
Um mich? — Als Christ, als Muselmann: gleichviel!
Im weißen Mantel, oder Jamerlonk;
Im Turban, oder deinem Filze: wie
Du willst! Gleichviel! Ich habe nie verlangt,
dass allen Bäumen eine Rinde wachse.
TEMPELHERR
Sonst wärst du wohl auch schwerlich, der du bist:
Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.
SALADIN
Nun denn; wenn du nicht schlechter von mir denkst,
So wären wir ja halb schon richtig?
TEMPELHERR
Ganz!
SALADIN
ihm die Hand bietend
Ein Wort!
TEMPELHERR
einschlagend
Ein Mann! — Hiermit empfange mehr
Als du mir nehmen konntest. Ganz der deine!
SALADIN
Zu viel Gewinn für einen Tag! zu viel! —
Kam er nicht mit?
TEMPELHERR
Wer?
SALADIN
Nathan.
TEMPELHERR
frostig
Nein. Ich kam
Allein.
SALADIN
Welch eine Tat von dir! Und welch
Ein weises Glück, dass eine solche Tat
Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug.
TEMPELHERR
Ja, ja!
SALADIN
So kalt? — Nein, junger Mann! wenn Gott
Was Gutes durch uns tut, muss man so kalt
Nicht sein! — selbst aus Bescheidenheit so kalt
Nicht scheinen wollen!
TEMPELHERR
Dass doch in der Welt
Ein jedes Ding so manche Seiten hat! —
Von denen oft sich gar nicht denken läßt,
Wie sie zusammenpassen!
SALADIN
Halte dich
Nur immer an die best’, und preise Gott!
Der weiß, wie sie zusammenpassen! Aber,
Wenn du so schwierig sein willst, junger Mann,
So werd auch ich ja wohl auf meiner Hut
Mich mit dir halten müssen? Leider bin
Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die
Oft nicht so recht zu passen scheinen mögen.
TEMPELHERR
Das schmerzt! — Denn Argwohn ist so wenig sonst
Mein Fehler —
SALADIN
Nun, so sage doch, mit wem
Du’s hast? — Es schien ja gar, mit Nathan. Wie?
Auf Nathan Argwohn? du? — Erklär dich! sprich!
Komm, gib mir deines Zutrauns erste Probe.
TEMPELHERR
Ich habe wider Nathan nichts. Ich zürn
Allein mit mir —
SALADIN
Und über was?
TEMPELHERR
Dass mir
Geträumt, ein Jude könn’ auch wohl ein Jude
Zu sein verlernen; dass mir wachend so
Geträumt.
SALADIN
Heraus mit diesem wachen Traume!
TEMPELHERR
Du weißt von Nathans Tochter, Sultan. Was
Ich für sie tat, das tat ich, — weil ich’s tat.
Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn
Nicht säete, verschmäht ich Tag für Tag,
Das Mädchen noch einmal zu sehn. Der Vater
War fern; er kömmt; er hört; er sucht mich auf;
Er dankt; er wünscht, dass seine Tochter mir
Gefallen möge; spricht von Aussicht, spricht
Von heitern Fernen. — Nun, ich lasse mich
Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich
Ein Mädchen ... Ah, ich muss mich schämen, Sultan! —
SALADIN
Dich schämen! — dass ein Judenmädchen auf
Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?
TEMPELHERR
Dass diesem Eindruck, auf das liebliche
Geschwätz des Vaters hin, mein rasches Herz
So wenig Widerstand entgegensetzte! —
Ich Tropf! ich sprang zum zweiten Mal ins Feuer. —
Denn nun warb ich, und nun ward ich verschmäht.
SALADIN
Verschmäht?
TEMPELHERR
Der weise Vater schlägt nun wohl
Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater
muss aber doch sich erst erkunden, erst
Besinnen. Allerdings! Tat ich denn das
Nicht auch? Erkundete, besann ich denn
Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie? —
Fürwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schönes,
So weise, so bedächtig sein!
SALADIN
Nun, nun!
So sieh doch einem Alten etwas nach!
Wie lange können seine Weigerungen
Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen,
dass du erst Jude werden sollst?
TEMPELHERR
Wer weiß!
SALADIN
Wer weiß? — der diesen Nathan besser kennt.
TEMPELHERR
Der Aberglaube in dem wir aufgewachsen,
Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum
Doch seine Macht nicht über uns. — Es sind
Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.
SALADIN
Sehr reif bemerkt! Doch Nathan, wahrlich Nathan ...
TEMPELHERR
Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen
Für den erträglichern zu halten ... —
SALADIN
Mag
Wohl sein! Doch Nathan ...
TEMPELHERR
Dem allein
Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis
Sie hellern Wahrheitstag gewöhne; dem
Allein ...
SALADIN
Gut! Aber Nathan! Nathans Los
Ist diese Schwachheit nicht.
TEMPELHERR
So dacht ich auch!...
Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen
So ein gemeiner Jude wäre, dass
Er Christenkinder zu bekommen suchte,
Um sie als Juden aufzuziehn — wie dann?
SALADIN
Wer sagt ihm so was nach?
TEMPELHERR
Das Mädchen selbst,
Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung
Er gern mir zu bezahlen schiene, was
Ich nicht umsonst für sie getan soll haben: —
Dies Mädchen selbst, ist seine Tochter — nicht;
Ist ein verzettelt Christenkind.
SALADIN
Das er
Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?
TEMPELHERR
heftig
Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt.
Der tolerante Schwätzer ist entdeckt!
Ich werde hinter diesen jüd’schen Wolf
Im philosoph’schen Schafspelz Hunde schon
Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!
SALADIN
ernst
Sei ruhig, Christ!
TEMPELHERR
Was? Ruhig Christ? Wenn Jud’
Und Muselmann auf Jud’, auf Muselmann
Bestehen: soll allein der Christ den Christen
Nicht machen dürfen?
SALADIN
noch ernster
Ruhig, Christ!
TEMPELHERR
Ich fühle
Des Vorwurfs ganze Last, — die Saladin
In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte,
Wie Assad, — Assad sich an meiner Stelle
Hierbei genommen hätte!
SALADIN
Nicht viel besser! —
Vermutlich, ganz so brausend! — Doch, wer hat
Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er
Mit einem Worte zu bestechen? Freilich,
Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest:
Kann ich mich selber kaum in Nathan finden. —
Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde
muss keiner mit dem andern hadern. — lass
Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht
Sofort den Schwärmern deines Pöbels preis!
Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihmZu rächen, mir so nahe legen würde!
Sei keinem Juden, keinem Muselmanne
Zum Trotz ein Christ!
TEMPELHERR
Bald wär’s damit zu spät!
Doch Dank der Blutbegier des Patriarchen,
Des Werkzeug mir zu werden graute!
SALADIN
Wie?
Du kamst zum Patriarchen eher, als
Zu mir?
TEMPELHERR
Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel
Der Unentschlossenheit! — Verzeih! — Du wirst
Von deinem Assad, fürcht ich, ferner nun
Nichts mehr in mir erkennen wollen.
SALADIN
Wär
Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß
Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt.
Pfleg diese ferner nur, und jene sollen
Bei mir dir wenig schaden. Aber geh!
Such du nun Nathan, wie er dich gesucht;
Und bring ihn her. Ich muss Euch doch zusammen
Verständigen. — Wär um das Mädchen dir
Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!
Auch soll es Nathan schon empfinden, dass
Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind
Erziehen dürfen! — Geh!
Der Tempelherr geht ab, und Sittah verlässt den Sofa.
FÜNFTER AUFTRITT
Saladin und Sittah.
SITTAH
Ganz sonderbar!
SALADIN
Gelt, Sittah? muss mein Assad nicht ein braver,
Ein schöner junger Mann gewesen sein?
SITTAH
Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde
Der Tempelherr vielmehr gesessen! — Aber
Wie hast du doch vergessen können, dich
Nach seinen Eltern zu erkundigen?
SALADIN
Und insbesondere wohl nach seiner Mutter?
Ob seine Mutter hierzulande nie
Gewesen sei? — Nicht wahr?
SITTAH
Das machst du gut!
SALADIN
O, möglicher wär nichts! Denn Assad war
Bei hübschen Christendamen so willkommen,
Auf hübsche Christendamen so erpicht,
Dass einmal gar die Rede ging — Nun, nun;
Man spricht nicht gern davon. — Genug; ich hab
Ihn wieder! — will mit allen seinen Fehlern,
Mit allen Launen seines weichen Herzens
Ihn wieder haben! — O! das Mädchen muss
Ihm Nathan geben. Meinst du nicht?
SITTAH
Ihm geben?
Ihm lassen!
SALADIN
Allerdings! Was hätte Nathan,
Sobald er nicht ihr Vater ist, für Recht
Auf sie? Wer ihr das Leben so erhielt,
Tritt einzig in die Rechte des, der ihr
Es gab.
SITTAH
Wie also, Saladin? wenn du
Nur gleich das Mädchen zu dir nähmst? Sie nur
Dem unrechtmäßigen Besitzer gleich
Entzögest?
SALADIN
Täte das wohl Not?
SITTAH
Not nun
Wohl eben nicht! — Die liebe Neubegier
Treibt mich allein, dir diesen Rat zu geben.
Denn von gewissen Männern mag ich gar
Zu gern, so bald wie möglich, wissen, was
Sie für ein Mädchen lieben können.
SALADIN
Nun,
So schick und lass sie holen.
SITTAH
Darf ich, Bruder?
SALADIN
Nur schone Nathans! Nathan muss durchaus
Nicht glauben, dass man mit Gewalt ihn von
Ihr trennen wolle.
SITTAH
Sorge nicht.
SALADIN
Und ich,
Ich muss schon selbst sehn, wo Al-Hafi bleibt.
SECHSTER AUFTRITT
Szene: Die offene Flur in Nathans Hause, gegen die Palmen zu;wie im ersten Auftritt des ersten Aufzuges.Ein Teil der Waren und Kostbarkeiten liegt ausgekramt, deren eben daselbst gedacht wird.Nathan und Daja.
DAJA
O, alles herrlich! alles auserlesen!
O, alles — wie nur Ihr es geben könnt.
Wo wird der Silberstoff mit goldnen Ranken
Gemacht? Was kostet er? — Das nenn ich noch
Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt
Es besser.
NATHAN
Brautkleid? Warum Brautkleid eben?
DAJA
Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht,
Als Ihr ihn kauftet. — Aber wahrlich, Nathan,
Der und kein andrer muss es sein! Er ist
Zum Brautkleid wie bestellt. Der weiße Grund:
Ein Bild der Unschuld; und die goldnen Ströme,
Die allerorten diesen Grund durchschlängeln:
Ein Bild des Reichtums. Seht Ihr? Allerliebst!
NATHAN
Was witzelst du mir da? Von wessen Brautkleid
Sinnbilderst du mir so gelehrt? — Bist du
Denn Braut?
DAJA
Ich?
NATHAN
Nun wer denn?
DAJA
Ich? — Lieber Gott!
NATHAN
Wer denn? Von wessen Brautkleid sprichst du denn?
Das alles ist ja dein, und keiner andern.
DAJA
Ist mein? Soll mein sein? — Ist für Recha nicht?
NATHAN
Was ich für Recha mitgebracht, das liegt
In einem andern Ballen. Mach! nimm weg!
Trag deine Siebensachen fort!
DAJA
Versucher!
Nein, wären es die Kostbarkeiten auch
Der ganzen Welt! Nicht rühr an! wenn Ihr mir
Vorher nicht schwört, von dieser einzigen
Gelegenheit, dergleichen Euch der Himmel
Nicht zweimal schicken wird, Gebrauch zu machen.
NATHAN
Gebrauch? von was? — Gelegenheit? wozu?
DAJA
O stellt Euch nicht so fremd! — Mit kurzen Worten:
Der Tempelherr liebt Recha; gebt sie ihm!
So hat doch einmal Eure Sünde, die
Ich länger nicht verschweigen kann, ein Ende.
So kommt das Mädchen wieder unter Christen;
Wird wieder, was sie ist; ist wieder, was
Sie war; und Ihr, Ihr habt mit all dem Guten,
Das wir Euch nicht genug verdanken können,
Nicht Feuerkohlen bloß auf Euer Haupt
Gesammelt.
NATHAN
Doch die alte Leier wieder? —
Mit einer neuen Saite nur bezogen,
Die, fürcht ich, weder stimmt noch hält.
DAJA
Wieso?
NATHAN
Mir wär der Tempelherr schon recht. Ihm gönnt
Ich Recha mehr als einem in der Welt.
Allein ... Nun, habe nur Geduld.
DAJA
Geduld?
Geduld, ist Eure alte Leier nun
Wohl nicht?
NATHAN
Nur wenig Tage noch Geduld!...
Sieh doch! — Wer kommt denn dort? Ein Klosterbruder?
Geh, frag ihn, was er will.
DAJA
Was wird er wollen?
Sie geht auf ihn zu und fragt.
NATHAN
So gib! — und eh er bittet. — (Wüsst ich nur
Dem Tempelherrn erst beizukommen, ohne
Die Ursach meiner Neugier ihm zu sagen!
Denn wenn ich sie ihm sag, und der Verdacht
Ist ohne Grund: so hab ich ganz umsonst
Den Vater auf das Spiel gesetzt) — Was ist’s?
DAJA
Er will Euch sprechen.
NATHAN
Nun, so lass ihn kommen;
Und geh indes.
SIEBENTER AUFTRITT
Nathan und der Klosterbruder.
NATHAN
(Ich bliebe Rechas Vater
Doch gar zu gern! — Zwar kann’ ich’s denn nicht bleiben,
Auch wenn ich aufhör, es zu heißen? — Ihr,
Ihr selbst werd ich’s doch immer auch noch heißen,
Wenn sie erkennt, wie gern ich’s wäre.) — Geh! —
Was ist zu Euren Diensten, frommer Bruder?
KLOSTERBRUDER
Nicht eben viel. — Ich freue mich, Herr Nathan,
Euch annoch wohl zu sehn.
NATHAN
So kennt Ihr mich?
KLOSTERBRUDER
Je nun; wer kennt Euch nicht? Ihr habt so manchem
Ja Euern Namen in die Hand gedrückt.
Er steht in meiner auch, seit vielen Jahren.
NATHAN
nach seinem Beutel langend
Kommt, Bruder, kommt; ich frisch’ ihn auf.
KLOSTERBRUDER
Habt Dank!
Ich würd’ es Ärmern stehlen; nehme nichts. —
Wenn Ihr mir nur erlauben wollt, ein wenig
Euch meinen Namen aufzufrischen. Denn
Ich kann mich rühmen, auch in Eure Hand
Etwas gelegt zu haben, was nicht zu
Verachten war.
NATHAN
Verzeiht! — Ich schäme mich —
Sagt, was? — und nehmt zur Buße siebenfach
Den Wert desselben von mir an.
KLOSTERBRUDER
Hört doch
Vor allen Dingen, wie ich selber nur
Erst heut’ an dies mein Euch vertrautes Pfand
Erinnert worden.
NATHAN
Mir vertrautes Pfand?
KLOSTERBRUDER
Vor Kurzem saß ich noch als Eremit
Auf Quarantana, unweit Jericho.
Da kam arabisch Raubgesindel, brach
Mein Gotteshäuschen ab, und meine Zelle,
Und schleppte mich mit fort. Zum Glück entkam
Ich noch, und floh hierher zum Patriarchen,
Um mir ein ander Plätzchen auszubitten,
Allwo ich meinem Gott in Einsamkeit
Bis an mein selig Ende dienen könne.
NATHAN
Ich steh auf Kohlen, guter Bruder. Macht
Es kurz. Das Pfand! das mir vertraute Pfand!
KLOSTERBRUDER
Sogleich, Herr Nathan. — Nun, der Patriarch
Versprach mir eine Siedelei auf Tabor,
Sobald als eine leer; und hieß inzwischen
Im Kloster mich als Laienbruder bleiben.
Da bin ich jetzt, Herr Nathan; und verlange
Des Tags wohl hundertmal auf Tabor. Denn
Der Patriarch braucht mich zu allerlei,
Wovor ich großen Ekel habe. Zum
Exempel:
NATHAN
Macht, ich bitt Euch!
KLOSTERBRUDER
Nun, es kommt! —
Da hat ihm jemand heut ins Ohr gesetzt:
Es lebe hierherum ein Jude, der
Ein Christenkind als seine Tochter sich
Erzöge.
NATHAN (betroffen)
Wie?
KLOSTERBRUDER
Hört mich nur aus! — Indem
Er mir nun aufträgt, diesem Juden stracks,
Wo möglich, auf die Spur zu kommen, und
Gewaltig sich ob eines solchen Frevels
Erzürnt, der ihm die wahre Sünde wider
Den heiligen Geist bedünkt; — das ist, die Sünde,
Die aller Sünden größte Sünd' uns gilt;
Nur dass wir, Gott sei Dank, so recht nicht wissen,
Worin sie eigentlich besteht: — da wacht
Mit einmal mein Gewissen auf; und mir
Fällt bei, ich könnte selber wohl vor Zeiten
Zu dieser unverzeihlich großen Sünde
Gelegenheit gegeben haben. — Sagt:
Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren
Ein Töchterchen gebracht von wenig Wochen?
NATHAN
Wie das? — Nun freilich — allerdings —
KLOSTERBRUDER
Ei, seht
Mich doch recht an! — Der Reitknecht, der bin ich!
NATHAN
Seid Ihr?
KLOSTERBRUDER
Der Herr, von welchem ich’s Euch brachte,
War — ist mir recht — ein Herr von Filneck. — Wolf
Von Filneck.
NATHAN
Richtig!
KLOSTERBRUDER
Weil die Mutter kurz
Vorher gestorben war, und sich der Vater
Nach — mein ich — Gazza plötzlich werfen musste,
Wohin das Würmchen ihm nicht folgen konnte,
So sandt er's Euch. Und traf ich Euch damit
Nicht in Darun?
NATHAN
Ganz recht!
KLOSTERBRUDER
Es wär kein Wunder,
Wenn mein Gedächtnis mich betrög'. Ich habe
Der braven Herrn so viel gehabt; und diesem
Hab ich nur gar zu kurze Zeit gedient.
Er blieb bald drauf bei Askalon; und war
Wohl sonst ein lieber Herr.
NATHAN
Jawohl! jawohl!
Dem ich so viel, so viel zu danken habe!
Der mehr als einmal mich dem Schwert entrissen!
KLOSTERBRUDER
O schön! So werd’t Ihr seines Töchterchens
Euch um so lieber angenommen haben.
NATHAN
Das könnt Ihr denken.
KLOSTERBRUDER
Nun, wo ist es denn?
Es ist doch wohl nicht etwa gar gestorben? —
Lasst’s lieber nicht gestorben sein! — Wenn sonst
Nur niemand um die Sache weiß, so hat
Es gute Wege.
NATHAN
Hat es?
KLOSTERBRUDER
Traut mir, Nathan!
Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute,
Das ich zu tun vermeine, gar zu nah
Was gar zu Schlimmes grenzt, so tu ich lieber
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
So ziemlich zuverlässig kennen, aber
Bei weitem nicht das Gute. — War ja wohl
Natürlich; wenn das Christentöchterchen
Recht gut von Euch erzogen werden sollte,
dass Ihr’s als Euer eigen Töchterchen
Erzögt. — Das hättet Ihr mit aller Lieb'
Und Treue nun getan, und müßtet so
Belohnet werden? Das will mir nicht ein.
Ei freilich, klüger hättet Ihr getan,
Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand
Als Christin auferziehen lassen: aber
So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,
Wär's eines wilden Tieres Lieb' auch nur,
In solchen Jahren mehr als Christentum.
Zum Christentume hat’s noch immer Zeit.
Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm
Vor Euern Augen aufgewachsen ist,
So blieb’s vor Gottes Augen, was es war.
Und ist denn nicht das ganze Christentum
Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft
Geärgert, hat mir Tränen g’nug gekostet,
Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,
dass unser Herr ja selbst ein Jude war.
NATHAN
Ihr, guter Bruder, müsst mein Fürsprach sein,
Wenn Hass und Gleisnerei sich gegen mich
Erheben sollten — wegen einer Tat —
Ah, wegen einer Tat! — Nur Ihr, Ihr sollt
Sie wissen! Nehmt sie aber mit ins Grab!
Noch hat mich nie die Eitelkeit versucht,
Sie jemand anderm zu erzählen. Euch
Allein erzähl ich sie. Der frommen Einfalt
Allein erzähl ich sie. Weil die allein
Versteht, was sich der gottergebne Mensch
Für Taten abgewinnen kann.
KLOSTERBRUDER
Ihr seid
Gerührt, und Euer Auge steht voll Wasser?
NATHAN
Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.
Ihr wisst wohl aber nicht, dass wenig Tage
Zuvor, in Gath die Christen alle Juden
Mit Weib und Kind ermordet hatten; wisst
Wohl nicht, dass unter diesen meine Frau
Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich
Befunden, die in meines Bruders Hause,
Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt
Verbrennen müssen.
KLOSTERBRUDER
Allgerechter!
NATHAN
Als
Ihr kamt, hatt ich drei Tag' und Nächt’ in Asch'
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. —
Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,
Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht:
Der Christenheit den unversöhnlichsten
Hass zugeschworen —
KLOSTERBRUDER
Ach! Ich glaub’s Euch wohl!
NATHAN
Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.
Sie sprach mit sanfter Stimm’: „Und doch ist Gott!
Doch war auch Gottes Ratschluss das! Wohlan!
Komm! übe, was du längst begriffen hast;
Was sicherlich zu üben schwerer nicht,
Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.
Steh auf!” Ich stand und rief zu Gott: ich will!
Willst du nur, dass ich will! — Indem stiegt Ihr
Vom Pferd’, und überreichtet mir das Kind,
ln Euerm Mantel eingehüllt. — Was Ihr
Mir damals sagtet, was ich Euch: hab ich
Vergessen. So viel weiß ich nur: ich nahm
Das Kind, trug’s auf mein Lager, küsst es, warf
Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! auf Sieben
Doch nun schon Eines wieder!
KLOSTERBRUDER
Nathan! Nathan!
Ihr seid ein Christ! — Bei Gott, Ihr seid ein Christ!
Ein bessrer Christ war nie!
NATHAN
Wohl uns! Denn was
Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir
Zum Juden! — Aber lasst uns länger nicht
Einander nur erweichen. Hier braucht’s Tat!
Und ob mich siebenfache Liebe schon
Bald an dies einz’ge fremde Mädchen band;
Ob der Gedanke mich schon tötet, dass
Ich meine sieben Söhn' in ihr aufs Neue
Verlieren soll: — wenn sie von meinen Händen
Die Vorsicht wieder fordert — ich gehorche!
KLOSTERBRUDER
Nun vollends! — Eben das bedacht ich mich
So viel, Euch anzuraten! Und so hat's
Euch Euer guter Geist schon angeraten!
NATHAN
Nur muss der erste Beste mir sie nicht
Entreißen wollen!
KLOSTERBRUDER
Nein, gewiss nicht!
NATHAN
Wer
Auf sie nicht größre Rechte hat, als ich,
muss frühere zum mind’sten haben —
KLOSTERBRUDER
Freilich!
NATHAN
Die ihm Natur und Blut erteilen.
KLOSTERBRUDER
So
Mein ich es auch!
NATHAN
Drum nennt mir nur geschwind
Den Mann, der ihr als Bruder oder Ohm,
Als Vetter oder sonst als Sipp' verwandt:
Ihm will ich sie nicht vorenthalten — sie,
Die jedes Hauses, jedes Glaubens Zierde
Zu sein erschaffen und erzogen ward. —
Ich hoff, Ihr wisst von diesem Euern Herrn
Und dem Geschlechte dessen mehr als ich.
KLOSTERBRUDER
Das, guter Nathan, wohl nun schwerlich! — Denn
Ihr habt ja schon gehört, dass ich nur gar
Zu kurze Zeit bei ihm gewesen.
NATHAN
Wisst
Ihr denn nicht wenigstens, was für Geschlechts
Die Mutter war? — War sie nicht eine Stauffin?
KLOSTERBRUDER
Wohl möglich! — Ja, mich dünkt.
NATHAN
Hieß nicht ihr Bruder
Conrad von Stauffen? — und war Tempelherr?
KLOSTERBRUDER
Wenn mich’s nicht trügt. Doch halt! Da fällt mir ein,
Dass ich vom sel’gen Herrn ein Büchelchen
Noch hab. Ich zog’s ihm aus dem Busen, als
Wir ihn bei Askalon verscharrten.
NATHAN
Nun?
KLOSTERBRUDER
Es sind Gebete drin. Wir nennen’s ein
Brevier — Das, dacht ich, kann ein Christenmensch
Ja wohl noch brauchen. — Ich nun freilich nicht —
Ich kann nicht lesen —
NATHAN
Tut nichts! — Nur zur Sache.
KLOSTERBRUDER
In diesem Büchelchen stehn vorn und hinten,
Wie ich mir sagen lassen, mit des Herrn
Selbsteigner Hand, die Angehörigen
Von ihm und ihr geschrieben.
NATHAN
O erwünscht!
Geht! lauft! holt mir das Büchelchen. Geschwind!
Ich bin bereit, mit Gold es aufzuwiegen;
Und tausend Dank dazu! Eilt! lauft!
KLOSTERBRUDER
Recht gern!
Es ist Arabisch aber, was der Herr
Hineingeschrieben.
Ab.
NATHAN
Einerlei! Nur her!
Gott! wenn ich doch das Mädchen noch behalten,
Und einen solchen Eidam mir damit
Erkaufen könnte! — Schwerlich wohl! — Nun, fall'
Es aus, wie’s will! — Wer mag es aber denn
Gewesen sein, der bei dem Patriarchen
So etwas angebracht? Das muss ich doch
Zu fragen nicht vergessen. — Wenn es gar
Von Daja käme?
ACHTER AUFTRITT
Daja und Nathan.
DAJA
eilig und verlegen
Denkt doch, Nathan!
NATHAN
Nun?
DAJA
Das arme Kind erschrak wohl recht darüber!
Da schickt ...
NATHAN
Der Patriarch?
DAJA
Des Sultans Schwester,
Prinzessin Sittah ...
NATHAN
Nicht der Patriarch?
DAJA
Nein, Sittah! — Hört Ihr nicht? — Prinzessin Sittah
Schickt her, und lässt sie zu sich holen.
NATHAN
Wen?
Lässt Recha holen? — Sittah lässt sie holen? —
Nun, wenn sie Sittah holen lässt, und nicht
Der Patriarch ...
DAJA
Wie kommt Ihr denn auf den?
NATHAN
So hast du kürzlich nichts von ihm gehört?
Gewiss nicht? Auch ihm nichts gesteckt?
DAJA
Ich? ihm?
NATHAN
Wo sind die Boten?
DAJA
Vorn.
NATHAN
Ich will sie doch
Aus Vorsicht selber sprechen. Komm! — Wenn nur
Vom Patriarchen nichts dahinter steckt.
Ab.
DAJA
Und ich — ich fürchte ganz was anders noch.
Was gilt’s? die einzige vermeinte Tochter
So eines reichen Juden wär auch wohl
Für einen Muselmann nicht übel? — Hui,
Der Tempelherr ist drum. Ist drum, wenn ich
Den zweiten Schritt nicht auch noch wage; nicht
Auch ihr noch selbst entdecke, wer sie ist! —Getrost! Lass mich den ersten Augenblick,
Den ich allein sie habe, dazu brauchen!
Und der wird sein — vielleicht nun eben, wenn
Ich sie begleite. — So ein erster Wink
Kann unterwegens wenigstens nicht schaden.
Ja, ja! Nur zu! Jetzt oder nie! Nur zu!
Ihm nach.
FÜNFTER AUFZUG
ERSTER AUFTRITT
Szene: Das Zimmer in Saladins Palaste,in welches die Beutel mit Geld getragen worden, die noch zu sehen.Saladin und bald darauf verschiedene Mamelucken.
SALADIN
im Hereintreten
Da steht das Geld nun noch! Und niemand weiß
Den Derwisch aufzufinden, der vermutlich
Ans Schachbrett irgendwo geraten ist,
Das ihn wohl seiner selbst vergessen macht; —
Warum nicht meiner? — Nun, Geduld! Was gibt’s?
EIN MAMELUCK
Erwünschte Nachricht, Sultan! Freude, Sultan!
Die Karavane von Kahira kommt;
Ist glücklich da! mit siebenjährigem
Tribut des reichen Nils.
SALADIN
Brav, Ibrahim!
Du bist mir wahrlich ein willkommner Bote! —
Ha! endlich einmal! endlich! — Habe Dank
Der guten Zeitung.
DER MAMELUCK
wartend
(Nun? nur her damit!)
SALADIN
Was wart’st du? — Geh nur wieder.
DER MAMELUCK
Dem Willkommnen
Sonst nichts?
SALADIN
Was denn noch sonst?
DER MAMELUCK
Dem guten Boten
Kein Botenbrot? — So wär ich ja der Erste,
Den Saladin mit Worten abzulohnen
Doch endlich lernte! — Auch ein Ruhm! Der Erste,
Mit dem er knickerte.
SALADIN
So nimm dir nur
Dort einen Beutel.
DER MAMELUCK
Nein, nun nicht! Du kannst
Mir nun sie alle schenken wollen.
SALADIN
Trotz! —
Komm her! Da hast du zwei. — Im Ernst? Er geht?
Tut mir’s an Edelmut zuvor? Denn sicher
muss ihm es saurer werden, auszuschlagen,
Als mir zu geben. — Ibrahim! — Was kommt
Mir denn auch ein, so kurz vor meinem Abtritt
Auf einmal ganz ein andrer sein zu wollen? —
Will Saladin als Saladin nicht sterben? —
So musst er auch als Saladin nicht leben.
EIN ZWEITER MAMELUCK
Nun, Sultan! ...
SALADIN
Wenn du mir zu melden kommst...
ZWEITER MAMELUCK
Dass aus Ägypten der Transport nun da!
SALADIN
Ich weiß schon.
ZWEITER MAMELUCK
Kam ich doch zu spät!
SALADIN
Warum
Zu spät? — Da nimm für deinen guten Willen
Der Beutel einen oder zwei.
ZWEITER MAMELUCK
Macht drei.
SALADIN
Ja, wenn du rechnen kannst! — So nimm sie nur.
ZWEITER MAMELUCK
Es wird wohl noch ein Dritter kommen — wenn
Er anders kommen kann.
SALADIN
Wie das?
ZWEITER MAMELUCK
Je nu!
Er hat auch wohl den Hals gebrochen! Denn
Sobald wir drei der Ankunft des Transports
Versichert waren, sprengte jeder frisch
Davon. Der Vorderste, der stürzt; und so
Komm ich nun vor, und bleib auch vor bis in
Die Stadt; wo aber Ibrahim, der Lecker,
Die Gassen besser kennt.
SALADIN
O der Gestürzte!
Freund, der Gestürzte! — Reit’ ihm doch entgegen.
ZWEITER MAMELUCK
Das werd ich ja wohl tun! — Und wenn er lebt,
So ist die Hälfte dieser Beutel sein.
Geht ab.
SALADIN
Sieh, welch ein guter edler Kerl auch das! —
Wer kann sich solcher Mamelucken rühmen?
Und wär mir denn zu denken nicht erlaubt,
Dass sie mein Beispiel bilden helfen? — Fort
Mit dem Gedanken, sie zu guter Letzt
Noch an ein andres zu gewöhnen! ...
EIN DRITTER MAMELUCK
Sultan...
SALADIN
Bist du's, der stürzte?
DRITTER MAMELUCK
Nein. Ich melde nur, —
Dass Emir Mansor, der die Karavane
Geführt, vom Pferde steigt ...
SALADIN
Bring ihn! geschwind! —
Da ist er ja! —
ZWEITER AUFTRITT
Emir Mansor und Saladin.
SALADIN
Willkommen, Emir! Nun,
Wie ist’s gegangen? — Mansor, Mansor, hast
Uns lange warten lassen!
MANSOR
Dieser Brief
Berichtet, was dein Abulkassem erst
Für Unruh' in Thebais dämpfen müssen:
Eh wir es wagen durften abzugehen.
Den Zug darauf hab ich beschleuniget,
So viel wie möglich war.
SALADIN
Ich glaube dir! —
Und nimm nur, guter Mansor, nimm sogleich ...
Du tust es aber doch auch gern? ... nimm frische
Bedeckung nur sogleich. Du musst sogleich
Noch weiter; musst der Gelder größern Teil
Auf Libanon zum Vater bringen.
MANSOR
Gern!
Sehr gern!
SALADIN
Und nimm dir die Bedeckung ja
Nur nicht zu schwach. Es ist um Libanon
Nicht alles mehr so sicher. Hast du nicht
Gehört? Die Tempelherrn sind wieder rege.
Sei wohl auf deiner Hut! — Komm nur! Wo hält
Der Zug? Ich will ihn sehn; und alles selbst
Betreiben. — Ihr! ich bin sodann bei Sittah.
Dritter Auftritt
Szene: die Palmen vor Nathans Hause.Der Tempelherr geht auf und nieder.
Ins Haus nun will ich einmal nicht. — Er wird
Sich endlich doch wohl sehen lassen! Man
Bemerkte mich ja sonst so bald, so gern! —
Will’s noch erleben, dass er sich’s verbittet,
Vor seinem Hause mich so fleißig finden
Zu lassen. — Hm! — ich bin doch aber auch
Sehr ärgerlich. — Was hat mich denn nun so
Erbittert gegen ihn? — Er sagte ja:
Noch schlüg’ er mir nichts ab. Und Saladin
Hat’s über sich genommen, ihn zu stimmen. —
Wie? sollte wirklich wohl in mir der Christ
Noch tiefer nisten, als in ihm der Jude? —
Wer kennt sich recht! Wie könnt ich ihm denn sonst
Den kleinen Raub nicht gönnen wollen, den
Er sich’s zu solcher Angelegenheit
Gemacht, den Christen abzujagen? Freilich,
Kein kleiner Raub, ein solch Geschöpf! — Geschöpf?
Und wessen? — Doch des Sklaven nicht, der auf
Des Lebens öden Strand den Block geflößt,
Und sich davon gemacht? Des Künstlers doch
Wohl mehr, der in dem hingeworfnen Blocke
Die göttliche Gestalt sich dachte, die
Er dargestellt? — Ach! Rechas wahrer Vater
Bleibt, trotz dem Christen, der sie zeugte — bleibt
In Ewigkeit der Jude. — Wenn ich mir
Sie lediglich als Christendirne denke,
Sie sonder alles das mir denke, was
Allein ihr so ein Jude geben konnte: —
Sprich, Herz, — was wär an ihr, das dir gefiel?
Nichts! Wenig! Selbst ihr Lächeln, wär es nichts
Als sanfte schöne Zuckung ihrer Muskeln;
Wär, was sie lächeln macht, des Reizes unwert,
In den es sich auf ihrem Munde kleidet: —
Nein, selbst ihr Lächeln nicht! Ich hab es ja
Wohl schöner noch an Aberwitz, an Tand,
An Höhnerei, an Schmeichler und an Buhler
Verschwenden sehn! — Hat’s da mich auch bezaubert?
Hat’s da mir auch den Wunsch entlockt, mein Leben
In seinem Sonnenscheine zu verflattern? —
Ich wüßte nicht! Und bin auf den doch launisch,
Der diesen hohem Wert allein ihr gab?
Wie das? warum? — Wenn ich den Spott verdiente,
Mit dem mich Saladin entließ! Schon schlimm
Genug, dass Saladin es glauben konnte!
Wie klein ich ihm da scheinen musste! wie
Verächtlich! — Und das alles um ein Mädchen? —
Curd! Curd! das geht so nicht. Lenk ein! Wenn vollends
Mir Daja nur was vorgeplaudert hätte,
Was schwerlich zu erweisen stünde? — Sieh,
Da tritt er endlich, im Gespräch vertieft,
Aus seinem Hause! — Ha! mit wem! — Mit ihm?
Mit meinem Klosterbruder? — Ha! so weiß
Er sicherlich schon alles! ist wohl gar
Dem Patriarchen schon verraten! — Ha!
Was hab ich Querkopf nun gestiftet! — dass
Ein einz’ger Funken dieser Leidenschaft
Doch unsers Hirns so viel verbrennen kann!
Geschwind entschließ dich, was nunmehr zu tun!
Ich will hier seitwärts ihrer warten; ob
Vielleicht der Klosterbruder ihn verlässt.
VIERTER AUFTRITT
Nathan und der Klosterbruder.
NATHAN
ihm näher kommend
Habt nochmals, guter Bruder, vielen Dank!
KLOSTERBRUDER
Und Ihr desgleichen!
NATHAN
Ich? von Euch? wofür?
Für meinen Eigensinn, Euch aufzudringen,
Was Ihr nicht braucht? — Ja, wenn ihm Eurer nur
Auch nachgegeben hätt; Ihr mit Gewalt
Nicht wolltet reicher sein, als ich.
KLOSTERBRUDER
Das Buch
Gehört ja ohnedem nicht mir; gehört
Ja ohnedem der Tochter; ist ja so
Der Tochter ganzes väterliches Erbe. —
Je nun, sie hat ja Euch. — Gott gebe nur,
dass Ihr es nie bereuen dürft, so viel
Für sie getan zu haben!
NATHAN
Kann ich das?
Das kann ich nie. Seid unbesorgt!
KLOSTERBRUDER
Nu, nu!
Die Patriarchen und die Tempelherren ...
NATHAN
Vermögen mir des Bösen nie so viel
Zu tun, dass irgendwas mich reuen könnte:
Geschweige, das! Und seid Ihr denn so ganz
Versichert, dass ein Tempelherr es ist,
Der Euern Patriarchen hetzt?
KLOSTERBRUDER
Es kann
Beinah kein andrer sein. Ein Tempelherr
Sprach kurz vorher mit ihm; und was ich hörte,
Das klang danach.
NATHAN
Es ist doch aber nur
Ein einziger jetzt in Jerusalem.
Und diesen kenn ich. Dieser ist mein Freund.
Ein junger, edler, offner Mann!
KLOSTERBRUDER
Ganz recht;
Der nämliche! — Doch was man ist, und was
Man sein muss in der Welt, das passt ja wohl
Nicht immer.
NATHAN
Leider nicht. — So tue, wer’s
Auch immer ist, sein Schlimmstes oder Bestes!
Mit Euerm Buche, Bruder, trotz ich allen:
Und gehe graden Wegs damit zum Sultan.
KLOSTERBRUDER
Viel Glücks! Ich will Euch denn nur hier verlassen.
NATHAN
Und habt sie nicht einmal gesehn! — Kommt ja
Doch bald, doch fleißig wieder. — Wenn nur heut
Der Patriarch noch nichts erfährt! — Doch was?
Sagt ihm auch heute, was Ihr wollt.
KLOSTERBRUDER
Ich nicht.
Lebt wohl!
Geht ab.
NATHAN
Vergesst uns ja nicht, Bruder! — Gott!
dass ich nicht hier gleich unter freiem Himmel
Auf meine Kniee sinken kann! Wie sich
Der Knoten, der so oft mir bange machte,
Nun von sich selber löset! — Gott! wie leicht
Mir wird, dass ich nun weiter auf der Welt
Nichts zu verbergen habe! dass ich vor
Den Menschen nun so frei kann wandeln, als
Vor dir, der du allein den Menschen nicht
Nach seinen Taten brauchst zu richten.
So selten seine Taten sind, o Gott! —
FÜNFTER AUFTRITT
Nathan und der Tempelherr, der von der Seite auf ihn znkommt.
TEMPELHERR
He! wartet, Nathan; nehmt mich mit!
NATHAN
Wer ruft? —
Seid Ihr es, Ritter? Wo gewesen, dass
Ihr bei dem Sultan Euch nicht treffen lassen?
TEMPELHERR
Wir sind einander fehl gegangen. Nehmt’s
Nicht übel!
NATHAN
Ich nicht; aber Saladin...
TEMPELHERR
Ihr wart nur eben fort ...
NATHAN
Und spracht ihn doch?
Nun, so ist’s gut.
TEMPELHERR
Er will uns aber beide
Zusammen sprechen.
NATHAN
Desto besser. Kommt
Nur mit. Mein Gang stand ohnehin zu ihm. —
TEMPELHERR
Ich darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer
Euch da verließ?
NATHAN
Ihr kennt ihn doch wohl nicht?
TEMPELHERR
War’s nicht die gute Haut, der Laienbruder,
Des sich der Patriarch so gern zum Stöber
Bedient?
NATHAN
Kann sein! Beim Patriarchen ist
Er allerdings.
TEMPELHERR
Der Pfiff ist gar nicht übel:
Die Einfalt vor der Schurkerei voraus
Zu schicken.
NATHAN
Ja, die dumme; — nicht die fromme.
TEMPELHERR
An fromme glaubt kein Patriarch.
NATHAN
Für den
Nun steh ich. Der wird seinem Patriarchen
Nichts Ungebührliches vollziehen helfen.
TEMPELHERR
So stellt er wenigstens sich an. — Doch hat
Er Euch von mir denn nichts gesagt?
NATHAN
Von Euch?
Von Euch nun namentlich wohl nichts. — Er weiß
Ja wohl auch schwerlich Euem Namen?
TEMPELHERR
Schwerlich.
NATHAN
Von einem Tempelherren freilich hat
Er mir gesagt ...
TEMPELHERR
Und was?
NATHAN
Womit er Euch
Doch ein für allemal nicht meinen kann!
TEMPELHERR
Wer weiß? Lasst doch nur hören.
NATHAN
Dass mich einer
Bei seinem Patriarchen angeklagt ...
TEMPELHERR
Euch angeklagt? — Das ist, mit seiner Gunst —
Erlogen. — Hört mich, Nathan! — Ich bin nicht
Der Mensch, der irgendetwas abzuleugnen
Im Stande wäre. Was ich tat, das tat ich!
Doch bin ich auch nicht der, der alles, was
Er tat, als wohlgetan verteid’gen möchte.
Was sollt ich eines Fehls mich schämen? Hab
Ich nicht den festen Vorsatz ihn zu bessern?
Und weiß ich etwa nicht, wie weit mit dem
Es Menschen bringen können? — Hört mich, Nathan! —
Ich bin des Laienbruders Tempelherr,
Der Euch verklagt soll haben, allerdings. —
Ihr wisst ja, was mich wurmisch machte! was
Mein Blut in allen Adern sieden machte!
Ich Gauch! — Ich kam, so ganz mit Leib und Seel
Euch in die Arme mich zu werfen. Wie
Ihr mich empfingt — Wie kalt — wie lau — denn lau
Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen
Mir auszubeugen Ihr beflissen wart;
Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen
Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet:
Das darf ich kaum mir jetzt noch denken, wenn
Ich soll gelassen bleiben. — Hört mich, Nathan! —
In dieser Gährung schlich mir Daja nach,
Und warf mir ihr Geheimnis an den Kopf,
Das mir den Aufschluss Euers rätselhaften
Betragens zu enthalten schien.
NATHAN
Wie das?
TEMPELHERR
Hört mich nur aus! — Ich bildete mir ein:
Ihr wolltet, was Ihr einmal nun den Christen
So abgejagt, an einen Christen wieder
Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein,
Euch kurz und gut das Messer an die Kehle
Zu setzen.
NATHAN
Kurz und gut? und gut? — Wo steckt
Das Gute?
TEMPELHERR
Hört mich, Nathan! — Allerdings:
Ich tat nicht recht! — Ihr seid wohl gar nicht schuldig. —
Die Närrin Daja weiß nicht, was sie spricht —
Ist Euch gehässig — sucht Euch nur damit
In einen bösen Handel zu verwickeln —
Kann sein! kann sein! — Ich bin ein junger Laffe,
Der immer nur an beiden Enden schwärmt;
Bald viel zu viel, bald viel zu wenig tut —
Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan.
NATHAN
Wenn
Ihr so mich freilich fasset —
TEMPELHERR
Kurz, ich ging
Zum Patriarchen! — Hab Euch aber nicht
Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt!
Ich hab ihm bloß den Fall ganz allgemein
Erzählt, um seine Meinung zu vernehmen. —
Auch das hätt unterbleiben können: ja doch! —
Denn kannt ich nicht den Patriarchen schon
Als einen Schurken? Könnt ich Euch nicht selber
Nur gleich zur Rede stellen? — musst ich der
Gefahr, so einen Vater zu verlieren,
Das arme Mädchen opfern? — Nun, was tut's!
Die Schurkerei des Patriarchen, die
So ähnlich immer sich erhält, hat mich
Des nächsten Weges wieder zu mir selbst
Gebracht. — Denn hört mich, Nathan; hört mich aus! —
Gesetzt; er wüsst auch Euern Namen: was
Nun mehr, was mehr? — Er kann Euch ja das Mädchen
Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer.
Er kann sie doch aus Eurem Hause nur
Ins Kloster schleppen. — Also — gebt sie mir!
Gebt sie nur mir, und lasst ihn kommen. Ha!
Er solls wohl bleiben lassen, mir mein Weib
Zu nehmen. — Gebt sie mir; geschwind! — Sie sei
Nun Eure Tochter, oder sei es nicht!
Sei Christin, oder Jüdin, oder keines!
Gleichviel! gleichviel! Ich werd Euch weder jetzt
Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben
Darum befragen. Sei, wie’s sei!
NATHAN
Ihr wähnt
Wohl gar, dass mir die Wahrheit zu verbergen
Sehr nötig?
TEMPELHERR
Sei, wie’s sei!
NATHAN
Ich hab es ja
Euch — oder wem es sonst zu wissen ziemt —
Noch nicht geleugnet, dass sie eine Christin,
Und nichts als meine Pflegetochter ist. —
Warum ich’s aber ihr noch nicht entdeckt? —
Darüber brauch ich nur bei ihr mich zu
Entschuldigen.
TEMPELHERR
Das sollt Ihr auch bei ihr
Nicht brauchen. — Gönnt’s ihr doch, dass sie Euch nie
Mit andern Augen darf betrachten! Spart
Ihr die Entdeckung doch! — Noch habt Ihr ja,
Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt
Sie mir! Ich bitt Euch, Nathan; gebt sie mir!
Ich bin’s allein, der sie zum zweiten Male
Euch retten kann — und will.
NATHAN
Ja — konnte! konnte!
Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spät.
TEMPELHERR
Wie so? Zu spät?
NATHAN
Dank sei dem Patriarchen...
TEMPELHERR
Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofür?
Dank hätte der bei uns verdienen wollen?
Wofür? wofür?
NATHAN
Dass wir nun wissen, wem
Sie anverwandt; nun wissen, wessen Händen
Sie sicher ausgeliefert werden kann.
TEMPELHERR
Das dank’ ihm — wer für mehr ihm danken wird!
NATHAN
Aus diesen müsst Ihr sie nun auch erhalten,
Und nicht aus meinen.
TEMPELHERR
Arme Recha! Was
Dir alles zustößt, arme Recha! Was
Ein Glück für andre Waisen wäre, wird
Dein Unglück! — Nathan! — Und wo sind sie, diese
Verwandte?
NATHAN
Wo sie sind?
TEMPELHERR
Und wer sie sind?
NATHAN
Besonders hat ein Bruder sich gefunden,
Bei dem Ihr um sie werben müsst.
TEMPELHERR
Ein Bruder?
Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat?
Ein Geistlicher? — Lasst hören, was ich mir
Versprechen darf.
NATHAN
Ich glaube, dass er keines
Von beiden — oder beides ist. Ich kenn
Ihn noch nicht recht.
TEMPELHERR
Und sonst?
NATHAN
Ein braver Mann!
Bei dem sich Recha gar nicht übel wird
Befinden.
TEMPELHERR
Doch ein Christ! — Ich weiß zu Zeiten
Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll: —
Nehmt mir’s nicht ungut, Nathan! — Wird sie nicht
Die Christin spielen müssen unter Christen?
Und wird sie, was sie lange g’nug gespielt,
Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen,
Den Ihr gesä’t, das Unkraut endlich nicht
Ersticken? — Und das kümmert Euch so wenig?
Dem ungeachtet könnt Ihr sagen — Ihr? —
Dass sie bei ihrem Bruder sich nicht übel
Befinden werde?
NATHAN
Denk ich! hoff ich! — Wenn
Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat
Sie Euch und mich denn nicht noch immer?
TEMPELHERR
Oh!
Was wird bei ihm ihr mangeln können? Wird
Das Brüderchen mit Essen und mit Kleidung,
Mit Naschwerk und mit Putz das Schwesterchen
Nicht reichlich g'nug versorgen? Und was braucht
Ein Schwesterchen denn mehr? — Ei freilich: auch
Noch einen Mann! — Nun, nun; auch den, auch den
Wird ihr das Brüderchen zu seiner Zeit
Schon schaffen; wie er immer nur zu finden!
Der Christlichste der Beste! — Nathan, Nathan!
Welch einen Engel hattet Ihr gebildet,
Den Euch nun andre so verhunzen werden!
NATHAN
Hat keine Not! Er wird sich unsrer Liebe
Noch immer wert genug behaupten.
TEMPELHERR
Sag
Das nicht! Von meiner Liebe sagt das nicht!
Denn die lässt nichts sich unterschlagen; nichts.
Es sei auch noch so klein! Auch keinen Namen! —
Doch halt! — Argwohnt sie wohl bereits, was mit
Ihr vorgeht?
NATHAN
Möglich; ob ich schon nicht wüsste,
Woher?
TEMPELHERR
Auch eben viel. Sie soll — sie muss
In beiden Fällen, was ihr Schicksal droht,
Von mir zuerst erfahren. Mein Gedanke,
Sie eher wieder nicht zu sehn, zu sprechen,
Als bis ich sie die Meine nennen dürfe,
Fällt weg. Ich eile ...
NATHAN
Bleibt! wohin?
TEMPELHERR
Zu ihr!
Zu sehn, ob diese Mädchenseele Manns genug
Wohl ist, den einzigen Entschluss zu fassen,
Der ihrer würdig wäre!
NATHAN
Welchen?
TEMPELHERR
Den:
Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht
Zu fragen —
NATHAN
Und?
TEMPELHERR
Und mir zu folgen; — wenn
Sie drüber eines Muselmannes Frau
Auch werden müsste.
NATHAN
Bleibt! Ihr trefft sie nicht;
Sie ist bei Sittah, bei des Sultans Schwester.
TEMPELHERR
Seit wann? warum?
NATHAN
Und wollt Ihr da bei ihnen
Zugleich den Bruder finden, kommt nur mit.
TEMPELHERR
Den Bruder? welchen? Sittahs oder Rechas?
NATHAN
Leicht beide. Kommt nur mit! Ich bitt Euch, kommt!
Er führt ihn fort.
SECHSTER AUFTRITT
Szene: in Sittah’s Harem.Sittah und Recha in Unterhaltung begriffen.
SITTAH
Was freu ich mich nicht deiner, süßes Mädchen! —
Sei so beklemmt nur nicht! so angst! so schüchtern! —
Sei munter! sei gesprächiger! vertrauter!
RECHA
Prinzessin ...
SITTAH
Nicht doch! nicht Prinzessin! Nenn
Mich Sittah, — deine Freundin, — deine Schwester.
Nenn mich dein Mütterchen! — Ich könnte das
Ja schier auch sein. — So jung! so klug! so fromm!
Was du nicht alles weißt! nicht alles musst
Gelesen haben!
RECHA
Ich gelesen? — Sittah,
Du spottest deiner kleinen albern Schwester.
Ich kann kaum lesen.
SITTAH
Kannst kaum, Lügnerin!
RECHA
Ein wenig meines Vaters Hand! — Ich meinte,
Du sprächst von Büchern.
SITTAH
Allerdings! von Büchern.
RECHA
Nun, Bücher wird mir wahrlich schwer zu lesen! —
SITTAH
Im Emst?
RECHA
In ganzem Ernst. Mein Vater liebt
Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich
Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt,
Zu wenig.
SITTAH
Ei, Was sagst du! — Hat indes
Wohl nicht sehr Unrecht! — und so manches, was
Du weißt ...?
RECHA
Weiß ich allein aus seinem Munde,
Und könnte bei dem meisten dir noch sagen,
Wie? wo? warum? er mich’s gelehrt.
SITTAH
So hängt
Sich freilich alles besser an. So lernt
Mit eins die ganze Seele.
RECHA
Sicher hat
Auch Sittah wenig oder nichts gelesen!
SITTAH
Wieso? — Ich bin nicht stolz aufs Gegenteil. —
Allein wieso? Dein Grund? Sprich dreist. Dein Grund?
RECHA
Sie ist so schlecht und recht; so unverkünstelt
So ganz sich selbst nur ähnlich ...
SITTAH
Nun?
RECHA
Das sollen
Die Bücher uns nur selten lassen; sagt
Mein Vater.
SITTAH
O was ist dein Vater für
Ein Mann!
RECHA
Nicht wahr?
SITTAH
Wie nah er immer doch
Zum Ziele trifft!
RECHA
Nicht wahr? — Und diesen Vater —
SITTAH
Was ist dir, Liebe?
RECHA
Diesen Vater —
SITTAH
Gott!
Du weinst?
RECHA
Und diesen Vater — Ah! es muss
Heraus! Mein Herz will Luft, will Luft ...
Wirft sich, von Tränen überwältigt, zu ihren Füßen.
SITTAH
Kind, was
Geschieht dir? Recha?
RECHA
Diesen Vater soll —
Soll ich verlieren!
SITTAH
Du? verlieren? ihn?
Wie das? — Sei ruhig! — Nimmermehr! — Steh auf!
RECHA
Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin,
Zu meiner Schwester nicht erboten haben!
SITTAH
Ich bin’s ja! bin’s! — Steh doch nur auf! Ich muss
Sonst Hülfe rufen.
RECHA
die sich ermannt und aufsteht
Ah! verzeih! vergib! —
Mein Schmerz hat mich vergessen machen, wer
Du bist. Vor Sittah gilt kein Winseln, kein
Verzweifeln. Kalte, ruhige Vernunft
Will alles über sie allein vermögen.
Wes Sache diese bei ihr führt, der siegt!
SITTAH
Nun denn?
RECHA
Nein; meine Freundin, meine Schwester
Gibt das nicht zu! Gibt nimmer zu, dass mir
Ein andrer Vater aufgedrungen werde!
SITTAH
Ein andrer Vater? aufgedrungen? Dir?
Wer kann das? kann das auch nur wollen, Liebe?
RECHA
Wer? Meine gute, böse Daja kann
Das wollen, — will das können. — Ja; du kennst
Wohl diese gute, böse Daja nicht?
Nun, Gott vergeb' es ihr! — belohn' es ihr!
Sie hat mir so viel Gutes, — so viel Böses
Erwiesen!
SITTAH
Böses dir? — so muss sie Gutes
Doch wahrlich wenig haben.
RECHA
Doch! recht viel,
Recht viel!
SITTAH
Wer ist sie?
RECHA
Eine Christin, die
In meiner Kindheit mich gepflegt; mich so
Gepflegt! — Du glaubst nicht! — Die mir eine Mutter
So wenig missen lassen! — Gott vergelt'
Es ihr! — Die aber mich auch so geängstet!
Mich so gequält!
SITTAH
Und über was? warum?
Wie?
RECHA
Ach! die arme Frau, — ich sag dir's ja —
Ist eine Christin; — muss aus Liebe quälen
Ist eine von den Schwärmerinnen, die
Den allgemeinen, einzig wahren Weg
Nach Gott zu wissen wähnen!
SITTAH
Nun versteh ich!
RECHA
Und sich gedrungen fühlen, einen jeden,
Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken. —
Kaum können sie auch anders. Denn ist’s wahr,
Dass dieser Weg allein nur richtig führt:
Wie sollen sie gelassen ihre Freunde
Auf einem andern wandeln sehn, — der ins
Verderben stürzt, ins ewige Verderben?
Es müsste möglich sein, denselben Menschen
Zur selben Zeit zu lieben und zu hassen. —
Auch ist’s das nicht, was endlich laute Klagen
Mich über sie zu führen zwingt. Ihr Seufzen,
Ihr Warnen, ihr Gebet, ihr Drohen hätt
Ich gern noch länger ausgehalten; gern!
Es brachte mich doch immer auf Gedanken,
Die gut und nützlich. Und wem schmeichelt’s doch
Im Grunde nicht, sich gar so wert und teuer,
Von wem’s auch sei, gehalten fühlen, dass
Er den Gedanken nicht ertragen kann,
Er müss’ einmal auf ewig uns entbehren!
SITTAH
Sehr wahr!
RECHA
Allein — allein — das geht zu weit!
Dem kann ich nichts entgegensetzen; nicht
Geduld, nicht Überlegung; nichts!
SITTAH
Was? wem?
RECHA
Was sie mir eben jetzt entdeckt will haben.
SITTAH
Entdeckt? und eben jetzt?
RECHA
Nur eben jetzt!
Wir nahten, auf dem Weg hierher, uns einem
Verfallnen Christentempel. Plötzlich stand,
Sie still; schien mit sich selbst zu kämpfen; blickte
Mit nassen Augen bald gen Himmel, bald
Auf mich. Komm, sprach sie endlich, lass uns hier
Durch diesen Tempel in die Richte gehn!
Sie geht; ich folg ihr, und mein Auge schweift
Mit Graus die wankenden Ruinen durch.
Nun steht sie wieder; und ich sehe mich
An den versunknen Stufen eines morschen
Altars mit ihr. Wie ward mir, als sie da
Mit heißen Tränen, mit gerungnen Händen
Zu meinen Füßen stürzte ...
SITTAH
Gutes Kind!
RECHA
Und bei der Göttlichen, die da wohl sonst
So manch Gebet erhört, so manches Wunder
Verrichtet habe, mich beschwor, — mit Blicken
Des wahren Mitleids mich beschwor, mich meiner
Doch zu erbarmen! — Wenigstens, ihr zu
Vergeben, wenn sie mir entdecken müsse,
Was ihre Kirch’ auf mich für Anspruch habe.
SITTAH
(Unglückliche! — Es ahnte mir!)
RECHA
Ich sei
Aus christlichem Geblüte; sei getauft;
Sei Nathans Tochter nicht; er nicht mein Vater! —
Gott! Gott! Er nicht mein Vater! — Sittah! Sittah!
Sieh mich aufs Neu' zu deinen Füßen ...
SITTAH
Recha!
Nicht doch! steh auf! — Mein Bruder kommt! steh auf!
SIEBENTER AUFTRITT
Saladin und die Vorigen
SALADIN
Was gibt's hier, Sittah?
SITTAH
Sie ist von sich! Gott!
SALADIN
Wer ist’s?
SITTAH
Du weißt ja...
SALADIN
Unsers Nathans Tochter?
Was fehlt ihr?
SITTAH
Komm doch zu dir, Kind! — Der Sultan...
RECHA
die sich auf den Knieen zu Saladins Füßen schleppt, den Kopf zur Erde gesenkt
Ich steh nicht auf! nicht eher auf! — mag eher
Des Sultans Antlitz nicht erblicken eher
Den Abglanz ewiger Gerechtigkeit
Und Güte nicht in seinen Augen, nicht
Auf seiner Stirn bewundern ...
SALADIN
Steh ... steh auf!
RECHA
Eh er mir nicht verspricht ...
SALADIN
Komm! ich verspreche...
Sei was es will!
RECHA
Nicht mehr, nicht weniger,
Als meinen Vater mir zu lassen; und
Mich ihm! — Noch weiß ich nicht, wer sonst mein Vater
Zu sein verlangt, — verlangen kann. Will’s auch
Nicht wissen. Aber macht denn nur das Blut
Den Vater? nur das Blut?
SALADIN
der sie aufhebt
Ich merke wohl —
Wer war so grausam denn, dir selbst — dir selbst
Dergleichen in den Kopf zu setzen? Ist
Es denn schon völlig ausgemacht? — erwiesen?
RECHA
Muss wohl! Denn Daja will von meiner Amm'
Es haben.
SALADIN
Deiner Amme?
RECHA
Die es sterbend
Ihr zu vertrauen sich verbunden fühlte.
SALADIN
Gar sterbend! — Nicht auch faselnd schon? — Und wär’s
Auch wahr! — Ja wohl: das Blut, das Blut allein
Macht lange noch den Vater nicht! macht kaum
Den Vater eines Tieres! gibt zum höchsten
Das erste Recht, sich diesen Namen zu
Erwerben! — Lass dir doch nicht bange sein! —
Und weißt du was? Sobald der Väter zwei
Sich um dich streiten: — Lass sie beide; nimm
Den dritten! — Nimm dann mich zu deinem Vater!
SITTAH
O tu’s! o tu’s!
SALADIN
Ich will ein guter Vater,
Recht guter Vater sein! — Doch halt! mir fällt
Noch viel was Bessers bei. — Was brauchst du denn
Der Väter überhaupt? Wenn sie nun sterben?
Bei Zeiten sich nach einem umgesehn,
Der mit uns um die Wette leben will!
Kennst du noch keinen? ...
SITTAH
Mach sie nicht erröten!
SALADIN
Das hab ich allerdings mir vorgesetzt.
Erröten macht die Hässlichen so schön:
Und sollte Schöne nicht noch schöner machen
Ich habe deinen Vater Nathan, und
Noch einen — einen noch hierher bestellt.
Errätst du ihn? — Hierher! Du wirst mir doch
Erlauben, Sittah?
SITTAH
Bruder!
SALADIN
Dass du ja
Vor ihm recht sehr errötest, liebes Mädchen!
RECHA
Vor wem? erröten? ...
SALADIN
Kleine Heuchlerin!
Nun so erblasse lieber! Wie du willst
Und kannst! —Eine Sklavin tritt herein, und nahet sich Sittah.Sie sind doch etwa nicht schon da?
SITTAH
Gut! lass sie nur herein. — Sie sind es, Bruder!
LETZTER AUFTRITT
Nathan und der Tempelherr zu den Vorigen.
SALADIN
Ah, meine guten, lieben Freunde! — dich,
Dich, Nathan, muss ich nur vor allen Dingen
Bedeuten, dass du nun, sobald du willst,
Dein Geld kannst wieder holen lassen! ...
NATHAN
Sultan!...
SALADIN
Nun steh ich auch zu deinen Diensten ...
NATHAN
Sultan!...
SALADIN
Die Karawan’ ist da. Ich bin so reich
Nun wieder, als ich lange nicht gewesen. —
Komm, sag mir, was du brauchst, so recht was Großes
Zu unternehmen! Denn auch Ihr, auch Ihr,
Ihr Handelsleute, könnt des baren Geldes
Zu viel nie haben!
NATHAN
Und warum zuerst
Von dieser Kleinigkeit? — Ich sehe dort
Ein Aug' in Tränen, das zu trocknen mir
Weit angelegner ist. Geht auf Recha zu. Du hast geweint?
Was fehlt dir? — bist doch meine Tochter noch?
RECHA
Mein Vater! ...
NATHAN
Wir verstehen uns. Genug! —
Sei heiter! Sei gefasst! Wenn sonst dein Herz
Nur dein noch ist! Wenn deinem Herzen sonst
Nur kein Verlust nicht droht! — Dein Vater ist
Dir unverloren!
RECHA
Keiner, keiner sonst!
TEMPELHERR
Sonst keiner? — Nun! so hab ich mich betrogen.
Was man nicht zu verlieren fürchtet, hat
Man zu besitzen nie geglaubt, und nie
Gewünscht. — Recht wohl! recht wohl! — Das ändert, Nathan,
Das ändert alles! — Saladin, wir kamen
Auf dein Geheiß. — Allein, ich hatte dich
Verleitet: jetzt bemüh dich nur nicht weiter!
SALADIN
Wie gach nun wieder, junger Mann! — Soll alles
Dir denn entgegen kommen? alles dich
Erraten?
TEMPELHERR
Nun, du hörst ja! siehst ja, Sultan!
SALADIN
Ei wahrlich! — Schlimm genug, dass deiner Sache
Du nicht gewisser warst!
TEMPELHERR
So bin ich’s nun.
SALADIN
Wer so auf irgendeine Wohltat trotzt,
Nimmt sie zurück. Was du gerettet, ist
Deswegen nicht dein Eigentum. Sonst wär
Der Räuber, den sein Geiz in’s Feuer jagt,
So gut ein Held, wie du!Auf Recha zugehend, um sie dem Tempelherrn zuzuführen.
Komm, liebes Mädchen,
Komm! Nimm’s mit ihm nicht so genau. Denn wär
Er anders, wär er minder warm und stolz:
Er hätt es bleiben lassen, dich zu retten.
Du musst ihm eins fürs andre rechnen. — Komm!
Beschäm ihn! tu, was ihm zu tun geziemte!
Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an!
Und wenn er dich verschmäht; dir's je vergisst,
Wie ungleich mehr in diesem Schritte du
Für ihn getan, als er für dich ... Was hat
Er denn für dich getan? Ein wenig sich
Beräuchern lassen? ist was Rechts! — so hat
Er meines Bruders, meines Assad, nichts!
So trägt er seine Larve, nicht sein Herz.
Komm, Liebe ...
SITTAH
Geh! geh, Liebe, geh! Es ist
Für deine Dankbarkeit noch immer wenig;
Noch immer nichts.
NATHAN
Halt Saladin! halt Sittah!
SALADIN
Auch du?
NATHAN
Hier hat noch einer mitzusprechen...
SALADIN
Wer leugnet das? — Unstreitig, Nathan, kommt
So einem Pflegevater eine Stimme
Mit zu! Die erste, wenn du willst. — Du hörst,
Ich weiß der Sache ganze Lage.
NATHAN
Nicht so ganz! —
Ich rede nicht von mir. Es ist ein andrer;
Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin,
Doch auch vorher zu hören bitte.
SALADIN
Wer?
NATHAN
Ihr Bruder!
SALADIN
Rechas Bruder?
NATHAN
Ja!
RECHA
Mein Bruder?
So hab ich einen Bruder?
TEMPELHERR
aus einer wilden, stummen Zerstreuung auffahrend
Wo? wo ist
Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt
Ihn hier ja treffen.
NATHAN
Nur Geduld!
TEMPELHERR
äußerst bitter
Er hat
Ihr einen Vater aufgebunden: — wird
Er keinen Bruder für sie finden?
SALADIN
Das
Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger
Verdacht wär über Assads Lippen nicht
Gekommen. — Gut! fahr nur so fort!
NATHAN
Verzeih
Ihm! Ich verzeih ihm gern. — Wer weiß, was wir
An seiner Stell', in seinem Alter dächten!
Freundschaftlich, auf ihn zugehend
Natürlich, Ritter! — Argwohn folgt auf Misstraun
Wenn Ihr mich Eures wahren Namens gleich
Gewürdigt hättet ...
TEMPELHERR
Wie?
NATHAN
Ihr seid kein Stauffen!
TEMPELHERR
Wer bin ich denn?
NATHAN
Heißt Curd von Stauffen nicht!
TEMPELHERR
Wie heiß ich denn?
NATHAN
Heißt Leu von Filneck.
TEMPELHERR
Wie?
NATHAN
Ihr stutzt?
TEMPELHERR
Mit Recht! Wer sagt das?
NATHAN
Ich, der mehr,
Noch mehr Euch sagen kann. Ich straf indes
Euch keiner Lüge.
TEMPELHERR
Nicht?
NATHAN
Kann doch wohl sein,
Dass jener Nam' Euch ebenfalls gebührt.
TEMPELHERR
Das sollt ich meinen! — (Das hieß Gott ihn sprechen!)
NATHAN
Denn Eure Mutter — die war eine Stauffin.
Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen,
Dem Eure Eltern Euch in Deutschland ließen,
Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben,
Sie wieder hier zu Lande kamen: — der
Hieß Curd von Stauffen; mag an Kindestatt
Vielleicht Euch angenommen haben! — Seid
Ihr lange schon mit ihm nun auch herüber
Gekommen? Und er lebt doch noch?
TEMPELHERR
Was soll
Ich sagen? — Nathan! — Allerdings! So ist’s!
Er selbst ist tot. Ich kam erst mit der letzten
Verstärkung unsers Ordens. — Aber, aber —
Was hat mit diesem allen Rechas Bruder
Zu schaffen?
NATHAN
Euer Vater...
TEMPELHERR
Wie? auch den
Habt Ihr gekannt? auch den?
NATHAN
Er war mein Freund.
TEMPELHERR
War Euer Freund? Ist’s möglich, Nathan! ...
NATHAN
Nannte
Sich Wolf von Filneck; aber war kein Deutscher ...
TEMPELHERR
Ihr wisst auch das?
NATHAN
War einer Deutschen nur
Vermählt, war Eurer Mutter nur nach Deutschland
Auf kurze Zeit gefolgt ...
TEMPELHERR
Nicht mehr! Ich bitt
Euch! — Aber Rechas Bruder? Rechas Bruder ...
NATHAN
Seid Ihr!
TEMPELHERR
Ich? ich ihr Bruder?
RECHA
Er mein Bruder?
SITTAH
Geschwister!
SALADIN
Sie Geschwister!
RECHA
will auf ihn zu
Ah! mein Bruder!
TEMPELHERR
tritt zurück
Ihr Bruder!
RECHA
hält an, und wendet sich zu Nathan
Kann nicht sein! nicht sein! Sein Herz
Weiß nichts davon! — Wir sind Betrüger! Gott!
SALADIN
zum Tempelherrn
Betrüger? wie? Das denkst du? kannst du denken?
Betrüger selbst! Denn alles ist erlogen
An dir: Gesicht und Stimm' und Gang! Nichts dein!
So eine Schwester nicht erkennen wollen! Geh!
TEMPELHERR
sich demütig ihm nahend
Missdeut auch du nicht mein Erstaunen, Sultan!
Verkenn in einem Augenblick, in dem
Du schwerlich deinen Assad je gesehen,
Nicht ihn und mich!Auf Nathan zueilend.Ihr nehmt und gebt mir, Nathan!
Mit vollen Händen beides! — Nein! Ihr gebt
Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr!Recha um den Hals fallendAh meine Schwester! meine Schwester!
NATHAN
Blanda
Von Filneck!
TEMPELHERR
Blanda? Blanda? — Recha nicht?
Nicht Eure Recha mehr? — Gott! Ihr verstoßt
Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder!
Verstoßt sie meinetwegen! — Nathan! Nathan!
Warum es sie entgelten lassen? — sie!
NATHAN
Und was? — O meine Kinder! meine Kinder! —
Denn meiner Tochter Bruder wär mein Kind
Nicht auch, — sobald er will?
Indem er sich ihren Umarmungen überlässt, tritt Saladin mit unruhigemErstaunen zu seiner Schwester.
SALADIN
Was sagt du, Schwester?
SITTAH
Ich bin gerührt ...
SALADIN
Und ich, — ich schaudre
Vor einer größern Rührung fast zurück!
Bereite dich nur drauf, so gut du kannst.
SITTAH
Wie?
SALADIN
Nathan, auf ein Wort! ein Wort! —
Indem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Geschwister, ihm ihre Teilnehmung zu bezeigen; und Nathan und Saladin sprechen leiser.Hör! hör doch, Nathan! Sagtest du vorhin
Nicht —?
NATHAN
Was?
SALADIN
Aus Deutschland sei ihr Vater nicht
Gewesen, ein geborner Deutscher nicht.
Was war er denn? Wo war er sonst denn her?
NATHAN
Das hat er selbst mir nie vertrauen wollen.
Aus seinem Munde weiß ich nichts davon.
SALADIN
Und war auch sonst kein Frank? kein Abendländer?
NATHAN
O! dass er der nicht sei, gestand er wohl. —
Er sprach am liebsten Persisch ...
SALADIN
Persisch? Persisch?
Was will ich mehr? — Er ist’s! Er war es!
NATHAN
Wer?
SALADIN
Mein Bruder! ganz gewiss! Mein Assad! Ganz.
Gewiss!
NATHAN
Nun, wenn du selbst darauf verfällst: —
Nimm die Versichrung hier in diesem Buche!
Ihm das Brevier überreichend.
SALADIN
es begierig aufschlagend
Ah! seine Hand! Auch die erkenn ich wieder!
NATHAN
Noch wissen sie von nichts! Noch steht’s bei dir
Allein, was sie davon erfahren sollen!
SALADIN
indes er darin geblättert
Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen?
Ich meine Neffen — meine Kinder nicht?
Sie nicht erkennen? ich? Sie dir wohl lassen?Wieder laut.Sie sind’s! sie sind es, Sittah, sind’s! Sie sind’s!
Sind beide meines ... deines Bruders Kinder!
Er rennt in ihre Umarmungen.
SITTAH
ihm folgend
Was hör ich! — Konnt’s auch anders, anders sein!
SALADIN
zum Tempelherrn
Nun musst du doch wohl, Trotzkopf, musst mich lieben!Zu Recha.Nun bin ich doch, wozu ich mich erbot?
Magst wollen, oder nicht!
SITTAH
Ich auch! ich auch!
Saladin zum Tempelherrn zurück.Mein Sohn! mein Assad! meines Assads Sohn!
TEMPELHERR
Ich deines Bluts! — So waren jene Träume,
Womit man meine Kindheit wiegte, doch —
Doch mehr als Träume!
Ihm zu Füßen fallend
SALADIN
ihn aufhebend
Seht den Bösewicht!
Er wusste was davon, und konnte mich
Zu seinem Mörder machen wollen! Wart!
Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.