Es war späte Nacht, als er nach Hause kam.
Er setzte sich an den Schreibtisch und sahgedankenlos auf einen herrlichen Blumenstraußhin, der mit einem breiten roten Band umwundenwar.
Auf dem einen Ende stand in goldenen Buchstaben ein mystischer, weiblicher Name.
Nichts weiter.
Und wieder empfand er diesen langen, fliederweichen Schauer, der ihn durchzuckte, als manihm diesen Strauß auf die Estrade hinaufreichte.
Man hat ihn ja mit Blumen beworfen, sovielKränze regneten nieder zu seinen Füßen — aberdieser Strauß mit diesem roten Band und demmystischen Namen — wer mag ihn wohl hinaufgeschickt haben?
Er wusste es nicht.
Als ob eine warme, kleine Hand die seine erfasst — nein! nicht erfasst, — sich wollüstig einschmeichelte, hineinküsste mit heißen Fingern...
Und sie, deren Name ihn so verwirrte...
Vielleicht hat sie die Blumen geküsst, bevorman sie ihm reichte, ihr Gesicht in das weicheBlumenbett eingewühlt, bevor sie es zum Straußgewunden, das reiche Armgewinde von Blumenan ihr Herz gedrückt und sich nackt und lustkeuchend über das Blumenlager gewälzt...
Und das Geblüte atmete noch den Duft ihresKörpers, zitterte noch das kauernde, heiße Lispelnihres Verlangens...
Sie liebte ihn ja, sie kannte ihn schon lange,ganze Tage hat sie zitternd durchdacht, bevorsie wagte, ihm diese Blumen zu schenken...Er wusste es, ganz genau wusste er es...
Er wusste sicher, dass sie ihn liebte, dennsolche Blumen schenken nur Mädchen, die lieben.
Er schloss die Augen und horchte.
Er sah riesige Märchenrosen, schwarze, blutdürstige, weiße, auf langen Stengeln sich wiegende Rosen. Sie verneigten sich, tief und tiefer,sie richteten sich stolz empor, sie lockten undlachten, trunken ihrer eigenen Pracht.
Er sah Tuberosen, weiß wie Bethlehemsterne, feinstrankig mit bläulichem Geäder — ersah Urbäume von weißen und roten Azaleen,belastet und überladen von weichflaumiger Blütenpracht und herrlich anzuschauen wie reiche Ballkleider auf wundersamen Märchengestalten längstverstorbener adliger Frauen, er sah Orchideenauf heißgeöffneten Lippen, lustheischenden, giftigen Lippen und Lilien mit weitgebreitetemMutterschoß der keuschen Lüste und Narzissenund Bionen, Begonien und Kamelien — eine ganzeSintflut von berauschendem Farbengift, berückendem saugenden Duft überströmte seine Seele.
Der weiche Maienduft des Flieders ergosssich in ihm mit der stillen, kindlich naiven Serenade der Hirtenflöten in heißen Frühlingsnächten— wie brünstige Triumphfanfare brauste dasgelle Purpur der Rosen, mit keuschen Armenumfingen die Lilien sein Herz, lüstern saugtenan ihm mit roten Zungen die Orchideen, in weißemkalten Glanz tanzten um ihn die Tuberosen, wieaphrodisisches Gift ergoss sich in ihm der berückende Duft der Akazienblüten, geschwängertvon dem blitzheißen Sommergewitter, und allediese Düfte, kühl und weich wie reine Mädchenaugen, unwissend ihres Geschlechts — heiß undgierig wie die Arme einer rasenden Hetäre —giftig und schreiend wie der Blick einer getretenen Otter: dies alles ergoss sich in ihm, durchtränkte, durchsättigte ihn; er war berauscht,machtlos; er fühlte, dass er kein Glied rührenkonnte, er unterschied nicht mehr die Eindrückevoneinander, er sah keine Farben, fühlte den Duftnicht mehr, alles wurde eins.
Aus der Tiefe blühte in ihm auf ein weitesBrachfeld, öde; traurig, schwer gebreitet wie dasStöhnen der Glocken in der Abenddämmerungdes Gründonnerstags — weit in der Ferne blauteein glitzernder Streifen eines fernen Sees, stillgebettet von der schlafschweren Hitze des Mittags— nur hie und da schoss empor der schlankeStengel einer Königskerze, als hätte sie die durchglühte Erdscholle aufgerissen und drohte nun mitsiegesmächtiger Faust dem Himmel — nur hierund da ein paar verkümmerte Wachholderbüsche,verkrampft zu seltsamen Formen, als wären siekrank an dem Gift der Leichen, die hier einstensdie Erde gedüngt haben — nur hier und da anden sandigen Gräbern träumten blaue Zichorienkörbchen, sehnsüchtig auf den Sonnenuntergangwartend, wenn sie die Blüten zusammenschließenund den Kirchhofszauber der öden Heide schauernddurchkosten dürften...
Dann wieder sah er Kreuzwege auf den Moortriften zwischen den Sümpfen und abschüssigenGräben. Die Stunde des Mitternachtsgrauensnaht, voll von schreckender Angst und Pein. Abund zu schießt ein Irrlicht, behende wie ein Gedanke über die sumpfigen Wassertümpel, blitztauf ein stilles, geheimes Leuchten, hin und wieder bellt ein Hund auf im nahen Dorf, ein anderer antwortet ihm mit langgedehntem Winseln,dann wieder der gelle Ruf des Nachtwächterhornes — und wieder Stille, Stille, die sich hineinschraubt, mählich und tief in die dunkelstenAbgründe und alles aufsaugt, mein Heute undmein Morgen, die den Schritt und jede Regunglahm legt und einen so unendlich einsam, so weitfern und daseinsfremd macht.
Und in immer neuen Bildern erstand vorseinen Augen sein ganzes Heimatland: ein riesiges Laken, zerrissen und zerfetzt in grüneGerstenlappen, in weißaufgeblühte Heidekrautfelder, goldene Roggenteppiche, blutrote Beetepeitschenschwerer Weizenähren: die ganze Erdeist maitrunken, brünstig in ihrer Blütenpracht,ungeheuer in ihrer schöpferischen Raserei, in derhochzeitlichen Majestät andächtiger Liebe — dieganze Erde weit hinauf bis an die Umfriedungder weißen Kirche auf der Anhöhe...
Breite Ströme von Glockenklängen gossensich in das flache Land hinab, ringsherum brandete das Gewoge eines mächtigen Kirchenliedeswährend der Prozession am Fronleichnamsfest;zwischen dem schwarzen Gebüsch und dem dichten Gehege schimmerten die weißen Kleider derMädchen, die zu Füßen des Priesters mit demAllerheiligsten Blumen streuten, es blauten dielangen Bauernröcke, gegürtelt mit breiten rotenSchals...
Er zuckte auf. Lechzte nach mehr Sehnsucht.
Unaufhörlich in wunderlichen Reigen: einHochzeitsgang an einem Julitag — das breiteSchluchzen der Geigen, gefertigt aus der Lindenrinde, das heisere Stöhnen der Bässe, die vondem Geld klappern, das der Bräutigam in ihrInneres geworfen hat — und ein jauchzendesGeschrei, das in taktmäßigen Abständen mitschrillen Strahlen in die Luft hinaufschießt:Juchahei! Dann wieder schleppt sich ein Trauergeleite im Spätherbst auf der regendurchweichtenLandstraße.... Ein paar Mädchen tragen denweißen Sarg eines Kindes — dann wieder einfeierlicher Pilgerzug, der zu dem Wunderbildeines Heiligen wallfahrtet — dann wieder... oh,oh... ohne Ende, ohne Maß...
Langsam dunkelte es ihm in den Augen —nur ein paar unklarer, abgerissener Bilder glittenfaul und zögernd über sein Gehirn — die Seeledämmerte, wiegte sich in weiches Träumen, erlosch,bis sie sich plötzlich in einem mächtigen Liedemporriss.
Der heimtückische Zauber, das berauschendeGift der exotischen Blumen und das Paradiesder Heimaterde, das alles ließ seine Seele erbeben mit dem dröhnenden ehernen Schrittklangvon Rittern, die in Erz gegossen schienen, dassdie Erde unter ihrer siegesjauchzenden Schrittwucht erbebte, — dann fühlte er seine Seele auftauen in den schluchzenden Klagen der Mutter,die ihre Erstgeburt verlor, sie ergrünte in demMyrtenkranz hochzeitlicher Lieder, sie raste intrunkenem Tanz mit Jauchzen und Stampfen aufdem Boden einer überfüllten Schenke, schoss hochempor mit wildem Schrei, wie die Blüte derKönigskerze auf dem sengend heißen Brachacker— das ganze Lied ergoss sich in einem düsteren,wilden Bett, vertrocknete, schnellte rückwärtszurück, um mächtiger noch vorzustürmen undsich endlos über das ganze Flachland zu ergießen...
Eine entsetzliche Macht packte ihn in ihreArme. Die Tollwut des Gewitters umkrallte ihnmit dem Geächze der Verdammnis, warf ihn aufdie kochende Gischt eines abgründigen Malstroms,wütete in ihm, heulte, krachte, schleuderte ihnkreischend hin und her die steilen Felsen hinaufwie ein Wrack — nur in der Tiefe, ganz inder Tiefe des bodenlosen Trichters ein hellerKlang, der schwand und wieder aufleuchtete,sank unter und wieder auftauchte, wie der Widerschein eines blassen Sternes in dem schäumendenStrudel dunkler Wogen.
Lange hat dieser helle Strahl mit der spritzenden Wasserflut, mit dem Gewitter aufgewühlterWogen gerungen, aber beharrlich ergoss er sichin lange, schmale Streifen, tanzte über den Flutenin zierlichen Schlangenwindungen, rollte sich zusammen, schnellte dann wie eine aufgerollte Federlanghin: über dem sturmgepeitschten Abgrundverzweifelten Ächzens und Kreischens, über demStrudel abgründiger Qual, dem Geheul und Geschrei tollgewordener Gewitterbrunst flogen stille,sehnsüchtige, weichgesponnene Lichtwellen; immer breitere, immer stärkere Wellen der Beruhigung und lichter Versagung, entzückter Gebeteumfingen den Sturm und das qualschreiende Entsetzen in heilige Mutterarme, pressten es an sichin unendlicher Liebe, wiegten es in eine überirdischeSehnsucht, in einen ohnmächtigen Verzückungstraum...
Da:
Ein Mädchengesicht tauchte auf: ein heller,heiliger Klang in den schwarzen Sturmakkorden,der helle Widerschein eines blassen Sternes indem schäumenden Gischt dunkler Wogen, — niefrüher hatte er es gesehen, aber er kannte es,er kannte es gut, dies Mädchengesicht ...
Er wachte auf: rieb sich die Augen, ging indem Zimmer auf und ab, aber er konnte die Vision dieses Gesichtes nicht loswerden: halb Kind,halb Weib.
Ja, ja — sie war es sicher. Sie ließ ihmden Blumenstrauß auf die Estrade reichen.
Er dachte nach, woher seine plötzliche Gewissheit, dass sie es war.
Jemand Fremdes hat ihm die Blumen hinaufgereicht.
Und er dachte und grübelte...
Sie war also da, sie saß in der ersten Reiheund leuchtete das dunkle Doppelgestirn ihrerAugen in seine Seele hinein, sie hat den Abglanzin ihr zurückgelassen. Damals, als die ganzeWelt vor meinen Augen in Nebelschwaden zerrann, als alles zusammenströmte in dem Orkandes Gewitters, das unter meinen Fingern heulte,hat die Macht der Sehnsucht den Abglanz ihrerAugen in mir festgeklebt.... Ich selbst habezu den Augen das Gesicht geformt, denn nurdieses und kein anderes erglüht in dem Glanzsolcher Augen...
Und der Glanz umfing ihn von allen Seiten,ergoss sich in sein Blut, durchströmte seine Adern,ein heißer Schauer durchzuckte ihn — er zittertein unbekanntem Wonneschmerz.
— Denn vor der Stunde der Erlösung geschehen seltsame Zeichen und Wunder — flüsterteer leise in sich hinein — die ganze Muttererdeist in mir aufgewacht — das ganze Leben glittmit Blitzesschnelle über das Himmelsgewölbemeiner Seele — die ganze Verzweiflungslustmeines Lebens breitete vor meinen Augen ihreschweren wunden Fittiche vom einem End’ zumanderen...
Er blieb wieder stehen und starrte lange denBlumenstrauß an und das breite rote Band mitdem mystischen Namen...
Ja — sie ist rank und biegsam wie derStengel der Tuberose, und ihre Augen so rein,wie die weißen Bethlehemsterne, die auf ihmruhten und sich träumerisch hin und her wiegten...
Woher nur die Vision dieses Gesichtchens — halb Kind, halb Weib?
Er dachte:
Das ist die geheime Stunde, bevor die Sonneaufwacht.
Er sah lange durch das Fenster auf dieschneeigen Felder der Vorstädte — in dem ersten Morgenschauer blaute der Schnee — einStreifen heller Töne ergoss sich in Schlangenlinien den Himmelsrand entlang, verschwand,tauchte auf und umfing den Osten breiter undbreiter................
Seit dieser Zeit stand unablässig vor seinenAugen die Vision des zarten feinen Gesichts mitdunklem Doppelgestirn, das sein Licht in seineAdern hineinschien — unablässig sah er dieschlanke Mädchengestalt, halb Weib, halb Kind,einer Tuberose gleich, die zwei weiße Blüten,zwei weiße Bethlehemsaugen auf ihrem Stengelwiegte.
Ganze Stunden dachte er an sie und träumte. —
Immer und wieder tauchten vor seinen Augendieselben Bilder auf: In der Tiefe seiner Seeleverflochten sich unentwirrbar die Visionen seinerMuttererde mit dem geheimen Reigen von Tönenund Liedern, dem Duft der Blumen, dem dunklenGewitter und dem Abglanz blasser Sterne in demStrudel wogender Meere.
Er verstand nicht den Zusammenhang —gleichwohl — es kam ihm vor, dass sie seineMuttererde in ihrer Frühlingsbrunst sei — dieBlumen, die sie ihm geschenkt, das Kleid, ewigneues und ewig dasselbe Kleid ihrer Seele, ewigliche Form ihres Seins — dass die Augen — ihreAugen...
Absichtlich zerriss er die Flut seiner Gedanken, umfasste die Blumen, bewarf sich mitihnen, wühlte in ihnen mit fiebrigen Händen undträumte und heischte nach ihr.
Schon hatte er sie in seine Arme gefasst,warf sie auf seine Brust in kranker Lust undküsste sie — küsste...
Und zugleich beschloss er mit sich: er musstesie finden — er musste!
Nur einen Strahl ihrer Augen erhaschen —nur ein Aufleuchten — ein zuckendes Aufdämmern ihrer Augen — und er wird sie erkennen— ganz sicher wird er sie erkennen in einemSekundentausendstel des Aufblitzens ihrer Augen...
Ganze Tage trieb er sich auf den Straßender Stadt herum, ganze Stunden harrte er in denParkanlagen, rings um die Stadt. Tausendevon Menschen glitten an seinen Augen vorüber,in jedem Mädchengesicht glaubte er ihres zu erkennen, jeder Blick schien in seinen Adern dieselbe Lust zu entfachen, mit der ihre Augen sein Herz wundgebrannt hatten — aber vergebens;immer dieselbe Enttäuschung: das war nicht sie!
Und doch hörte er manchmal in der Abenddämmerung dicht hinter sich Schritte, wie dasSchlagen unruhiger Vogelflügel, die bereit waren,sich zur Flucht zu schwingen — manchmal saher ein blitzschnelles, verstohlenes Aufleuchteneines dunklen Augenpaars, das aus unbekanntenFernen oder Nähen sich in seine Seele einsaugte— einmal streifte ihn der Hauch einer weichen,zärtlichen Hand, als er in dem Dunkel einerKirche stehenblieb und das heimliche kostbareGut der dämmrigen Abendgebete kostete, aberals er sich umdrehte, als er das Dunkel mit seinen Augen zu zerfetzen suchte, verflog das Gesicht — nur ein zittriges Aufleuchten, nur einwarmer Atem einer fiebernden Hand, und dieNerven entlang das Gefühl einer schlanken Tuberose mit zwei weißen Sternen.
Ein König war er — ja ein König und einmächtiger Gebieter...
O die kranke, qualvolle Lust schlafloser Nächte,als er auf der Terrasse seines Palastes lag unddie üppige, sternenbesäete Himmelspracht anstarrte!
Rings rankten sich tropische Efeugewinde;aus dunklem Gebüsche blühten auf goldene Blütenquasten, wuchsen hoch empor Blumenkelche, dienoch kein menschliches Auge geschaut hatte:Blumen mit Kelchen von der Form bronzenerGlocken, Blumen, umgeben von Blättern, die inder Farbe von poliertem Gusseisen schimmertenoder wie gerinnendes Messing blitzten, dann wieder Blumen mit fein behaartem Schoß, dem ewigen Leben aufblühender Jungfrauen, Blumen, diemit lebendigen, schauenden und wissenden Augeneiner Kurtisane lachten, oder suchenden, verirrtenAugen von todesmüden Möwen und weißen Albatrossen.... Strunke und Stengel sah er wieLilien, die aus toten Herzen aufwuchsen oderaus Erdäpfeln, den Totenschädeln vergleichbar.Aus dem syphilitischen Rachen unglaublicher Orchideen streckten sich Zungen empor, mit purpurroten Fieberflecken besprenkelte Ungeheuer, dieherauszukriechen und das Gift über das umgebendeBlütenmeer zu verschleppen schienen.
Soweit das Auge reichte ungeheure, vorsintflutige, dunkle Kohlenwälder, umwunden, umstrickt, verknäuelt zu einer unentwirrbaren Massedurch Stränge und Stricke von Efeustämmen,Lianen, Windenkraut und Klettengeflechte — undall dieses Schmarotzergezücht rankte sich emporan den verkohlten Farrenbäumen, den isaurischenPalmstauden, den Kokos-- und Brotblumen, verflocht sie wie ein Korbgewinde, verankerte sieunlösbar miteinander und von der Höhe der Terrasse sah das aus wie ein ungeheuerliches, aus dem Urmagma heraufkriechendes Otternnest.
Und in der sternenbrünstigen, lichtwütigenNacht in diesem abgründigen Fieber von verkrampften Formen, kranker Düfte, Farben, dieman in den Delirien des Opiumrausches sieht,träumte der König von ihr — ihr, der Einzigen,kroch auf den tiefen weichen Teppichen, kralltesich mit den Fingern an den Füßen der Sesselfest, sog das Gift der ungeheuerlichsten Blumenund schrie nach ihr —.
Vergebens!
Bis endlich:
Er ließ die schönsten Jungfrauen zu sichin seinen Palast befehlen, stellte sie in dem endlosen Saal in zwei Reihen, die sich von demThrone bis in die Tiefe der Palastgärten erstreckten...
Und angetan mit seiner unerhörten königlichen Pracht saß er lange auf seinem Thron,vergrub das Gesicht in beide Hände und sah dievor Erwartung und Hoffnung zitternden Jungfrauen, von denen jede mit unendlichem Glücksich zu seiner Sklavin machen ließe.
Er sah, sah sie an und dachte:
Welche ist es?
Wie soll er sie auffinden in dem Gewogevon blonden, schwarzen, roten Köpfen?
Ist es die, deren Augen blitzten wie dieBeeren von Tollkraut, das an den Schuttgräbenwächst?
Oder die, aus deren sanften Augen ab undzu der blutdürstige Blick eines gebändigten Jaguars herausschießt?
Jene da vielleicht, über deren Stirn einBlitz fliegt, der das Herz gebärt und sichüber das Gesicht mit unendlichem Leid ergießt?
Die da, deren Arme herabhängen wie welkeLilien oder jene, welche in den verführerischenHänden die lüsternen Trauben ihres Leibes hält,vielleicht die dort mit der gleißenden Biegsamkeit einer Schlange, oder jene, die aus demSchoß einer Lotosblume aufgestiegen ist — undjene dort, weitab, wie aus einem Sternenkelchaufgeblüht, aus dem Glanz des Mondlichtes geboren?
Tiefer noch vergrub er das Gesicht in seineHände, schmerzlicher noch, denn er fühlte, dasser sie nicht finden wird — das Chaos von verschwimmenden, ineinander verfließenden Formen, Gesichter, Augen trübte die Seele desKönigs.
Er stieg die Stufen des Thrones hinunterund die Reihen der Jungfrauen neigten sich wieein frisch aufgeblähtes, weißes Birkengehölzwenn der Windstrom es umfließt.
Wie köstliche Weizenähren in der sengendenMittagsglut, wenn plötzlich ein heißer Lufthauchüber sie fährt, neigten sich die Köpfe; der ganzeSaal schien zu keuchen in gespannter Erwartungund verhaltenem Atem der Hoffnung.
Dreimal schritt er die Reihen der schönstenJungfrauen seines Landes ab, langsam, immerlangsamer und trauriger, setzte sich wieder aufseinen Thron, winkte mit der Hand — er blieballein.
Es dunkelte in dem Saal. Der König vergrub sich in seine Verzweiflung, stemmte seinGesicht auf die krampfgeballten Fäuste undbrütete vor sich hin.
Da fühlte er plötzlich, wie sich jemand anden Säulen entlangstahl, die das Gewölbe desSaales stützen — jemand schlängelte sich durchdas dämmernde Dunkel und hinter ihm ein Schimmervon etwas Leuchtendem, wie das Licht einesnackten Körpers.
Der König hob sein Haupt stolz empor —denn noch kein Sterblicher wagte ihn in seinemVerzweiflungsschmerz anzuschauen.
Er klatschte in die Hände, und aus einerunsichtbaren Lichtquelle ergoss sich in den Saalein kaltes metallenes Leuchten — und in diesemHalbdunkel sah er, wie ein syrischer Sklavenhändler an den Thron herankroch und hinter sichein nacktes Mädchen schleifte.
Ihre Arme umwanden Spangen — goldeneSchlangen, und mit goldenen Schlangen warendie Knöchel umringelt, und um die Lenden eingoldener Gürtel, dessen Schloss eine Lotosblumebildete, besetzt von kostbaren Steinen.
Der König sah sie erstaunt an.
Er sah nicht ihr Gesicht, denn sie verschränkte vor ihm ihre Arme, er sah nur dieGestalt, sah die schlanken, biegsamen Gliedereiner Tuberose mit zwei weißen Sternen hinterden Lilien ihrer Arme.
Mit verhaltenem Atem sah der König aufdie seltsamen Zauber und Wunder des Mädchenkörpers, er zitterte wie in Todesangst, dass ihmder Traum nicht verfliegt — er sah sie, wie siesich hin und her neigte, wie sie im Feuer zustehen schien aus Angst und Scham; ihre Haareflossen über die weißen Lilien ihres Körperswie ein heißer Strom — und plötzlich knietesie nieder und sah zu ihm auf.
Sie, sie war es!
Mit beiden Händen griff er um die Lehnenseines Thrones und zitternd flüsterte er:
Du hast mir die Blumen geschenkt?
Sie nickte...
Mit heißem Schrei streckte er ihr seine Händeentgegen — alles verschwand...
Er rieb sich die Stirn ...
Er war doch wach.
Ja ganz sicher, aber nur, um von neuem ineinen noch tieferen, noch wilderen Traum zuverfallen.
Nun war er ein Magier, übergroß und übermächtig, ein Diener seines Herrn und ein Gottzugleich...
Ja: ipse philosophus, magus, Deus et omnia...
Drei Tage und drei Nächte hat er sich fürseine Beschwörung vorbereitet. Drei Tage unddrei Nächte las er in heiligen Büchern, entziffertedie geheimen Runen und erbrach die sieben Siegelder apokalyptischen Weisheit. Er prägte seinem Gedächtnis die furchtbaren Beschwörungsformeln ein,die unbekannte Mächte ihm, seinem Machtspruchdienstbar machten — drei Tage und drei Nächteberauschte er sich an dem giftigen Dunst gebrauter Pflanzen und Wurzeln, die in der geheimen Johannisnacht blühen, bis er die Kraft insich fühlte, das Wachstum der Pflanzen beschleunigen zu können, einen Strom in seinem Lauf aufhalten, den Mutterschoß unfruchtbar zu machen,ja selbst den Donner auf die Erde herabzubeschwören.
Und in der Stunde des großen Wunderskleidete er sich an mit den kostbaren Kleiderndes Hochamtes, das einstens sein Urvater Samyasaverrichtete, sein Haar umwand er mit einer siebenmal geknoteten Binde, nahm das Schwert zurHand, zeichnete einen Kreis, schrieb in ihn geheime Zeichen hinein, blieb in seiner Mitte stehen,einem großen Spiegel gegenüber und sprach mitlauter Stimme:
O Astaroth, Astaroth!
Mutter der Liebe, die du mir das Herz mitdem Gift des Verlangens und der Sehnsucht zerfrisst, das Feuer irrsinniger Qual in meinen Adernergossen hast — einzige Mutter, die aus denSaiten meiner Seele schmerzliches Stöhnen vereitelter Hoffnungen und Schreie der Sehnsucht reißest, du furchtbare Mutter, die du michauf dem höllischen Bett vergeblichen Ringensstreckst —
Erbarme dich meiner!
O Astaroth, Astaroth!
Du höllische Tochter der Lüge und desScheins, die du in meinen Nächten mir vor dieAugen die unsagbarste Lust und Verzückungzauberst, die du mir das Weib, das ich suche, indie wilde Umarmung meiner Glieder wirfst undsie meinen Leib lustschreiend umflechten lassest— du furchtbare grausame Höllenmutter, die duaus meinem Blut Macht und Leben saugst, ummich wieder zu wecken zu neuer Qual und Verzweiflung, —
Erbarme dich meiner!
O Astaroth, Astaroth!
Mutter der Verkehrtheit, Beschützerin desunfruchtbaren Schoßes und unfruchtbarer Lüste,die du mir in die Seele ein Verlangen eingeimpfthast, das du nicht stillst, in mein Blut Träumehineingeschienen, die nicht von dieser Welt sind,mein Gehirn mit einer Brunst verkrampfst, diemeine Augen mit Irrsinn umflort —
Erhöre mich!
Und in einer unmenschlichen Willensanspannung bäumte sich sein Haar. Er zitterteund erschauerte, als ob jedes Glied für sichselbständig lebte. Es kam ihm vor, als gehe eraus sich selbst heraus, als verkörpere er sich vonneuem draußen, außerhalb seines Leibes, alsgestalte sich etwas, das aus seiner Seele ausseinem mächtigsten Verlangen aus seiner qualvollsten Sehnsucht herausströmte.
Ein krachender Donner, als ob sich ein Erdkörper vom Himmel losgerissen hätte und in denNichtsabgrund fiele — ein furchtbarer Sturm hatalle Fesseln gerissen — ein höllisches Lachen,Heulen, Kreischen wateten in seinem Gehirn undin grausigem Entsetzen sieht er um den Spiegelherum einen Nebel kreisen und glänzen, sich formen, Gestalt annehmen, sieht ihn, wie er sichrundet, Körper annimmt, zu atmen anfängt, blutstrotzend, lebendig!
Eine Flut von Blitzen wogte schwer durchden Saal, ein Donner krachte in den Spiegel, einSchrei und auf seinen Hals warf sich in wilder,zügelloser Brunst die, die er so lange gesucht,nach der er so lange geheischt und um derenWillen er sein Heil verwirkt hat...
O irre Nacht ungesättigter Lust!
Er erschrak über diese Träume.
Er konnte sich nicht wiedererkennen. DieVerkoppelungen und Zusammenhänge in seinerSeele haben sich losgelöst, die Verbindungsfädenrissen; nichts ging ihn jetzt mehr an, er lebtenur in seinen kranken Träumen, und in denHänden zerknitterte er das Band, mit dem derlängst verwelkte Strauß umbunden war.
Es schien ihm, als ob dieses Band etwasvon ihrem Wesen eingesaugt hätte. Er fühlte,dass es lebt. Wenn er es streichelte, war es, alsglitte seine Hand ihren Sammetkörper entlang,küsste er es, sog er den Duft ihrer seidenenHaare, und wand er es sich um seine Brust,empfand er es, als hätten sich ihre Glieder umseinen Körper gewunden...
Immer mächtiger schwollen in ihm die Sehnsucht und der Schmerz an. Er quälte sich inohnmächtigem Ringen. Die, die ihm den Straußgeschenkt, wurde zu einem Vampir, der ihm allesBlut aus den Adern sog.
Und wieder irrte er auf leeren Straßen undPlätzen, und wenn die Dämmerung kam, schlicher sich in dunkle Kirchen hinein, denn einmalkam es ihm vor, als hätte sich eine weiche,liebende, verlangende Hand mit sehnsüchtigerInbrunst in die seine geschoben. Er irrte zwischenden Frühlingsbäumen im Park, denn einmal hörteer Schritte hinter sich — ihre Schritte — wiedas Schlagen unruhiger, flugbereiter Flügel.Stundenlang stand er in dem Fenster und bohrtesich spähend in die Finsternis, denn einmalschien es ihm, als sähe er ein Augenpaar —ihre Augen — die mit heißer Sehnsucht dieseinigen suchten.
Bis endlich:
Schwer sank die Dämmerung herab. Zwischendem dunklen Geäst der Bäume blutete hier unddort das unruhige Flackern des Gaslichts derLaternen, auf und nieder wogte die Unruhe derStadt, und ein schwüles, unendlich traurigesBrüten breitete sich über den finsteren Dächernder Bäume.
Plötzlich erblickte er sie da, wo sich zweiAlleen kreuzten.
Er wusste, dass sie es ist.
Dieselben Augen, die sie ihm an jenem Abendin die Seele eingebrannt hatte, dasselbe Gesicht,denn nur ein solches Gesicht erstrahlt in demGlanz, der um diese Augen sich goss.
Er zuckte auf, blieb stehen und sie rührtesich nicht vom Platz, erschrocken und verwirrt.
Ihre Blicke fingen sich auf und schwiegen.
Er wollte etwas sagen, aber kein Wortwürde er jetzt herauspressen können; er zitterteam ganzen Leib und sie zitterte.
Plötzlich ließ sie die Augen sinken, nocheinen Augenblick blieb sie stehen und gingwankend an ihm vorüber.
Er erwachte.
Er ging hinter ihr, leise und vorsichtig. Erschlich die Bäume entlang, ab und zu verbarger sich hinter breiten Stämmen, denn er fürchtete,sie könnte sich furchtsam umdrehen und aufhorchen, ob er sie nicht verfolgt.
Er sah, wie ihr Schatten sich bei jeder Laterne verlängerte, dann wieder kürzer wurde undganz verschwand — ach! Nur ihren Schattenvon der Erde losreißen zu können, dachte er,ihren Schatten — ihren Schatten...
Plötzlich richtete er sich auf mit jähem Entschluss. Sie erreichen, sie an die Hände fassen— ihr in die Augen sehen — lange, durchdringlichbis tief auf den Grund, ihre Hände in den seinenzerknittern und sie fragen, nur das Eine: Duhast mir den Strauß geschenkt?
Aber plötzlich bog sie um und verschwand,bevor er es vermochte, seinen Entschluss auszuführen.
Er starrte lange in das dunkle Haustor hinein.
Einen Augenblick schien es ihm, als ob siein dem dunklen Flur stehenbliebe, sich an dieWand anlehnte, dass sie auf ihn wartet und ihnmit ihren Augen ruft — das Weiß ihrer Händeleuchtete auf, die Seide ihres Kleides rauschte,aber nein — er irrte sich.
Und er wollte todmüde nach Hause umkehren...
Eine schwere, unsagbar stille Trauer breitete sich über seinem Hirn, ergoss sich im Herzen, sog sich ein in das feinste Geäst seinerNerven.
Nie hat er noch diese Traurigkeit so quälendempfunden.
Das Wunder war vollbracht.
Er liebt sie.
Und erschreckt fragte er sich: Das also istdie Liebe?
Er setzte sich auf eine Bank nieder undgrübelte.
Und jäh schoss vor den Augen seiner Seeleein heißer Strom von Frauengestalten, Frauen,die er kannte, die er an sich presste und in wilder Blutfanfare eins mit ihnen wurde...
Die da, unergründlich, geheimnisvoll mit demschillernden Glanz schwerer Seide — kauernd,sprungbereit wie eine Pantherkatze —
Jene mit den süßen Taubenaugen und unflätigem Herzen, sanft wie eine Gazelle und gierigwie ein Raubtier —
Oder jene, deren Leib so kühl war, wie dereiner Schlange, oder die Blätter der Wasserrose —
Die wieder schlank und herrlich, ihrer eigenenPracht trunken —
Oder jene mit den Formen eines göttlichenEpheben, einer biegsamen Damaszenerklinge vergleichbar...
Sie alle hat er besessen, aber keine geliebt...
Er verließ sie ohne zu trauern und trauertenicht, wenn er verlassen wurde, und wenn erseinen Lebensweg zurückblickte, sah er keinegebrochene Blume am Rand — kein gebrochenerund verwelkter Ast sagt ihm: hier hat ein Sturmgehaust.
Dies also jetzt ist die Liebe, flüsterte er.Die Stunde des Wunders ist gekommen.
Jäh warf er aus seinem Gehirn die lüsternenBilder brünstiger Hetären und unschuldiger Täubchen, gehässig sah er nach den verschwindendennackten Leibern, dem Chaos lustschreiender Armeund Beine, den ersterbenden, zuckenden Orgientrunkener Sinne und mit kindlicher Andachtflüsterte er leise vor sich hin:
Die Stunde des Wunders ist gekommen, dieStunde des Wunders...
Und er grübelte — endlos...
Ja, er liebte sie.
Liebte sie, wie er einst den Lichtstrom geliebt, der sich in der Nacht über das Meer ergoss.
Er sah deutlich den riesenhaften granitnenLeuchtturm, den er lange bewohnt hat, hochoben auf der höchsten Felsspitze eines Vorgebirges.
Und er entsann sich deutlich der seltsamen Formen des Felsens. Als ob eine himmelstürmende Woge plötzlich versteinerte in demAugenblick, als ihr spritzender, schaumgepeitschter Rücken bersten sollte, um sich in ein abgründiges Wassertal zu stürzen.
Und auf dem zerzausten, zerrissenen Kammder versteinerten Höllenhengst-Mähne schoss hochempor der granitne Turm.
Stundenlang saß er da oben an dem Herddes elektrischen Lichtes, sah durch die riesengroßen Glasprismen der Laterne auf das ewigneue Lichtwunder da unten auf dem Meer.
Er sah den Lichtstrom, wie einen Keil, dersich über die Rinder goss in der weltenverlorenen,stillen, dunklen Öde der Wasserflut in den Mondglanznächten.
Eine lichttrunkene Hand legte sich mit weichemGlanz auf den Schoß der Geliebten, zerfloss aufihm, glitt auf und ab, wie verlangende, schweigende Lippen auf der zitternden Brust des geliebten Mädchens irren.
Ganze Nächte sah er dieser unendlich weichen,zitternden Liebkosung zu, dieses Gleiten und Irrendieser lichtdurchsättigten, traumbefangenen Hand.
Und wieder sah er, wie das Licht in die gerunzelte Flut goldene Fäden einwebte. Wie weitdas Auge reicht, nichts als das goldene Spinngewebe feinster Spitzen in unermesslichem Reichtum und Pracht — das goldene Netz weitete sichund weitete in immer größeren Kreisen und immer neue und reichere Fäden verstrickten, verknäuelten die Ringe, verfädelten sie zu immerkunstvolleren Maschen und es war, als ob derLeuchtturm lebendig würde, einer meerbeherrschenden Göttin, welche die Schleppe von goldenen Spitzen ihres hochzeitlichen Brautkleidesüber das Meer gebreitet hatte.
Dann sah er das Licht des Leuchtarmes, wiees sich in verzweifeltem Mühen in das dunkle Nebelgewölk hineinfraß. Immer neue, immer schwerereNebelmassen fielen auf das Meer nieder, immer dunkler, fingen sich an zu verdichten, bis sie zu einerschwarzen, undurchdringlichen Mauer wurden.Diese Feste stürmte das Licht. Mit mächtigenKeilen warf es sich in das schwarze Mauerwerk,suchte es mit Riesenkrallen zu zerreißen, mitneuen und mächtigeren Strömen zu durchbrechen,vom Meeresgrund zu lösen, aber vergeblich.
Aber am tiefsten liebte er das Licht, wennes in wilden Sprüngen auf dem Meer raste undeinen wahnsinnigen Veitstanz auf den schäumenden Wellenkämmen aufführte. Wenn die Fundamente des Leuchtturms krachten, als wären sievon einem Erdbeben erschüttert, wenn der rasendeOrkan ungeheure Wassermassen gegen die Prismender Laterne warf — dann weinte er vor unermesslicher Liebe für das Licht.
So, ach so, war das Licht, das ihre Augenin seine Seele ihm hineingeschienen haben.
Weich und kosend, wie die weiße, leuchtendeHand, die der Schoß des Meeres streichelte, verlangend mit der Lust schweigender Lippen, dieauf der keuschen Mädchenbrust irren — zitterndund spielend in dem goldenen Spitzengewebe,dem hochzeitlichen Kleide, das sich über dasMeer breitete, stürmisch und verzweifelt in demohnmächtigen Ringen mit den schwarzen Nebelwolken, schmerzverkrampft in dem Kampf desLichtdrachen mit dem Loki des Meeres.
Und im selben Nu, in der Stunde des großenWunders formte sich ihm die ganze Welt um.Alle Formen und Gestalten kleideten sich in dieschlanke, biegsame Linienpracht ihres Körpers,die ganze Sintflut von Farben, der ganze Lichtozean des Alls ergoss sich in einen dunklen,heißen Glanz, der um ihre Augen kreiste, ausdem unermesslichen Chaos von Tönen, Bewegungen, Harmonien vom Flüssigen und Festenblühte auf ein wundersames Lied, ein Lied, dassie war — sie, die Einzige.
Dazu hat ihn die Erde geboren, dazu ihreGestalt in seine Seele eingezeichnet, damit sichihre eigenen Linien in der verkörpern, die ersuchte, sich in sie ergießen wie eine seit Ewigkeit vorbereitete Form?
Dazu ergoss sich in seine Augen das Wunder der Mondnächte über den öden Brachfeldernund der Lichtschmerz über dem Meer und derjauchzende, zitternde Sonnenglanz über den mittäglichen Heimatsdächern — dazu brannten sich inihn hinein die Farben sonnverbrannter Steppenund giftiger Sumpfblumen, damit nur ihr Augenlicht bis auf den Grund seiner Seele sich bohrenund dort sein Innerstes und Heiligstes aufwecken,damit der Glanz ihrer Haare sich schmeichelndum seine Nerven legen, und der Ton ihres Körpers ungeahnte, nie gekannte Lust göttlicher Harmonie auf seiner Seelenharfe spielen könnte?
Und dazu ächzte und stöhnte seine Erdediese unsäglich traurigen Klagen, dazu dröhntendie Glocken bange Ahnungen, und auf dem Brachacker sang der Wind weltfremde Schmerzen inden Takt der wogenden Weizenfelder, damit jedeZuckung ihres Körpers, jede feine, biegsame Bewegungswelle mit der Form seiner Seele eins würde?
Er rieb sich die Stirn und konnte es nichtfassen.
Dazu lebte alles um ihn herum, dazu bildeteund erzog sich seine Seele, um die Form zuschaffen, welche die Unbekannte ausfüllen sollte?
Er erhob sich und ging.
Ein stiller Triumph ergoss sich in seinerSeele.
Er ging stolz mit hochaufgerichtetem Haupt,ging wie ein Heerfahrer in dem Gefühl einesunendlichen Machtbewusstseins. Trug er ja docheine Sonne in seiner Brust — das ganze All, dietiefsten und geheimsten Rätsel des Alls.
Er ging still und groß, denn seine Seelehat ihm ihre dunkelste Tiefe geoffenbart, ließihm die geheimsten Runen, die in ihrer Rindeeingegraben waren, deuten und er ging her mitdem Schatz der Sonne in seinem Inneren.
Er ging immer schneller den steilen Pfad hinauf, aber er ging leicht, als wäre er durch eine fremde Kraft getragen, bis er endlich eine Anhöhe erklomm.
Er sah in die Tiefe — dort unten in demTal zu seinen Füßen — dies wogende Meer vonDächern, das in einem feinen Lichtdunst gebadetschien — das war seine Stadt.
Und in der Ferne hinter der Stadt ein Gebirgszug in gebogenen Linien, im Zickzack inverbogenen Kurven: ein wirres Mäanderschema vonHügeln, die sich nahmen, Anhöhen, jäh aufschreckenden Felszacken, schäumenden Wogenvergleichbar, die aus der Tiefe des Horizontes hochspritzten, schäumten, sich übereinander hochtürmten; und alle Anhöhen waren mit Kastanienwäldern bewachsen. Grüne Kastanienberge miteiner Schneedecke von weißer Blütenpracht. Hei!Wie flackerte das weiße Totenkerzenlicht derBlüten auf dem grünen Damast, der von dem Himmelsich bis in die Stadt hinunter zu gießen schien!
Und plötzlich breitete sich sein Herz ineinem niegekannten Machtgefühl. Er wuchs inden Himmel, er streckte seine Arme aus, einwildes Geschrei mühte sich in ihm hoch, um demWeltall die Sonne zu zeigen, die er in seinemHerzen trug, er fühlte, dass er Licht ausstrahlte,er ging wie von einer Lichtwoge umbraust, fühltedass er, über das Sein erhoben, seine Himmelfahrtfeiere.
Und wieder fiel er zusammen.
Sein Sinn schlug um.
Nach Hause!
Es wurde spät, die Laternen hat man ausgelöscht, und er ging in dem dämmrigen Halbdunkel der breitgeästeten Kastanienallee wie ineinem traumwirren Schlaf. Er ging und wusstekaum, dass er geht.
Eine wütende Sehnsucht zerfurchte tief seineSeele, es kochte und brodelte in seinem Hirn.
Und doch trug er sie in sich, die Sonne, duWeltall — dies alles barg sein Herz — wonachsehnte er sich noch?
Er lächelte still vor sich hin.
Ihr Gesicht so seltsam hell und durchsichtig,ihre Augen so groß und erschrocken, ihre Gestalt so schlank und biegsam wie junges Schilfim Frühlingswind...
Das Fieber zehrte an ihm.
Er kam nach Hause und warf sich auf dasBett...
Die Macht erstarrte in der Luft. Die Machtversteinerte, kein Lichtstrahl konnte sich durchdas schwere, granitne Nachtgewölbe durchstehlen,das mit einem massigen, schwarzen Regenbogenüber der Erde lagerte...
In der dunklen Nacht schrien verzweiflungsvoll große Blumen nach der Sonne, verkrampftensich in qualvollem Leiden, richteten sich wiederauf, schossen jäh empor wie in den Konvulsionender Starrsucht, warfen sich zur Erde in Choreakrämpfen, bogen sich spiralförmig wie in denDelirien der Besessenheit und ganze Felderweißer Narzissen starrten in sinnloser Verzweiflung mit blutigen Augen vor sich hin.
Weiße Narzissen mit Augen, die brachenund mit Blut übergingen, mit Blut, das auf denStengeln langsam niedertroff in großen schwerenTropfen.
Und über dieser weißen Öde, gesprenkeltvon den roten Flecken blutiger Tränen, ragtenhoch empor zwei stolze, schlanke Stengel; zweiweiße Sterne tanzten in der Luft, reckten sichhöher und höher, zerrissen mit trunkener Hoffnungslust das Dickicht des Dunkels, legten dieKöpfchen leise aneinander und ihre Augen verflochten sich in dem Schweigen heiliger Ahnungen.
Er sah lange die einsamen Blumen, lächelteleise und ging weiter.
Er arbeitete sich mühsam durch ein Dickichtvon ungeheuerlichsten Blumen, die jegliches Gift,jegliche Fäulnis der Erde in sich aufzusaugenschienen.
Er irrte zwischen nassem Sumpfgestrüpp,unter riesengroßen Nachtschattenblumen, die inviolettener Trauer prangten, ging an ungeheurenTollkirschenhecken, überreich an schwerer, wiegebeiztes Ebenholz glänzenden Traubenlast, Bilsenkrautgebüschen, die mit ihren schmutzigenaschfarbenen Blüten mitternächtlichen Grausschrien, blasser Schirlingwald vertrat ihm denWeg, an den Gräben schreckten ihn die vomgrauen Star überzogenen Augen des Stechapfels,die hohen Stauden des Tollkrauts schlugen ihmins Gesicht, es blendete ihn der Hahnenfuß, derin der roten Glut des Almfeuers brannte.
Und tiefer und tiefer arbeitete er sich hinein in dies schauerliche Giftreich, bis er plötzlich in tiefstem Schreck stehenblieb.
Von allen Seilen verengerte sich der Raum,von weiter Ferne schien er heranzurasen, machteimmer mehr den Platz um ihn enger und schmäler,umringte ihn mit einer Mauer und er sah sichplötzlich in einem geheimen Saal, von der Arteines Tempels von Eleusis, wo seltsame Mysterien gefeiert wurden oder einem Geheimraum desIsisheiligtums, wo die Priesterin ihren Hymendem gottgeweihten Bock, opferte, oder einer vonder Göttin Kali bewohnten, unterirdischen Grotte,wo die Thuggs den Opfern von giftigen Schlangendas Augenlicht aussaugen lassen — vielleichtwar er in einer verfallenen Katakombe, wo derSatan mit der Bifurka seines Phallus seine Geliebte in unmenschlicher Brunst verbluten ließ,oder einer Krypta einer mittelalterlichen Kapelle,wo gottschänderische Priester auf dem nacktenLeib der Schlossherrin die schwarze Messe feierten...
Erstaunt und schreckerfüllt sah er sich um.
Von der Wölbung hing eine Lampe herunter,dichtbesetzt von Rubinen, menstruierenden Eiernvergleichbar, faustgroßen Diamanten von demblassen Licht eines Ödems, kostbaren Steinen,die wie Sarkomeklumpen an der Lampe hafteten,Onyxe, Berylen, Chrysolithen — und durch dasgiftige Wasser des kranken Edelgesteins ergosssich eine Flut von Licht verreckender Rubinsonnen durchglüht von dem grünen Irrlicht-Golfstrom der Smaragde.
Und in dem grausigen Zauber des Lichtes,das einst vielleicht die fieberkranke Erde beiihrem Werden in die sinnlose Zeugungsbrunstpeitschte, da sie noch kochte und überschäumtevon Feuer und Esse, erblickte er längs um dieMauer ein seltsames Ornament, das das Gesimsbildete.
Ein und dasselbe weibliche Gesicht mit einemimmer neuen Ausdruck, immer neuer Trauer,Verzweiflung, Leidenschaft, Gier, Verlangen...
Das war ja ihr Gesicht und das unendlicheLied ihrer Seele, dachte er erstaunt.
Er sah sie rein und unschuldig wie ein Kindmit den Augen einer weißen Tuberose — stillwie der Abglanz blasser Sterne im dunklen Strom— weich wie das Echo einer Hirtenflöte in derFrühlingsnacht, durchsättigt von dem berauschenden Fliederduft —
Dann wieder traurig und gramvoll, wie dieBlüte einer schwarzen Rose in der erstickendenJulihitze — (nur ab und zu entreißt sich aus derSeele ein wilder Schrei, wie der geborstene Klangeines übermächtigen Akkordes, der die sonnverbrannten Graswogen der Steppe durchfurcht) —
Dann wieder jäh und verlangend, wie dieBlüte des Mohns, die in der Wollust der Hingabeerstirbt: als ob sich durch das traumschwere,lustheiße Weh von neuem eine Schlange gieriger,heißer Töne, die Lustqual und Gier atmeten, hindurchschlänge.
Einmal sah er ihre Augen schwimmend indem Nebel des Rausches, dann wieder frech undausgelassen, als wären sie umfangen von demGift des indischen Hanfes — in einem Gesichtsah er ihren Mund wie die geöffnete Blüte einermystischen Rose, dann wieder aufgequollen in demSchrei eines geöffneten Orchideenkelches — stolzund unzugänglich wie die Blüte einer Aglaophotisund verächtlich wie Löwenmaul...
Eine endlose Reihe von Köpfen — eines unddesselben Kopfes — in allen Ausdrücken in ewigneuem Wechsel und Veränderung: eine unendliche Skala von Trauer von dem ersten Erzitternder Sehnsucht bis hinab in den tiefen Strudelirrsinniger Verzweiflung — das ganze endloseLiebeslied von dem ersten Aufzucken des Herzens, der die Adern mit Blut überströmt durchalle Liebesglut, durch alles unwissende, gierigeVerlangen bis hinab in die Hölle von Brunst,die nie gesättigt, durch nichts gestillt werdenkann — der ganze Sturm des irrsinnigen Liebeserotismus von dem ersten Aufkeimen des Lustgedankens, der, einer giftigen Spinne gleich, das Hirn umstrickt bis in jenes düstere, gellschreiendequalächzende Chaos hinab, wo die Seele sich selbstverliert, zerbirst und in Scherben auseinanderspringt.
Und plötzlich: Alle diese Köpfe begannen,sich von der Wand loszulösen und wurden lebendig, sie fingen an, sich zu formen und Gestaltanzunehmen — Arme, wollüstige, wollustgespannte,trunkene, schreiende Arme streckten sich ihmentgegen, nackte Weibergestalten drangen ausden Wänden heraus, stiegen zu ihm herab, warfen sich auf ihn, umwälzten ihn mit der Flutgierigen, abgrundtiefe Lust versprechenden Leibern — ein höllisches Lachen, Weinen, Ächzen,Kreischen tobte in dem Saal, brach sich an dentausend Ecken und Kanten des seltsamen Saals— keuchende Arme schlangen sich um ihn, warfen ihn auf und nieder, er erstickte in der wahnsinnigen Fleischeshysterie in dem tollwütigenOrgiasmus einer entfesselten Höllenbrunst. Ringsum ihn eine grausige Orgie von verflochtenenGliedern, die sich voneinander nicht losreißenkonnten in den schreienden Spasmen einer grässlichen Kopulation, die entsetzlichsten Bilder derwidernatürlichen Unzucht rollten sich von seinenAugen, es raste der wahnsinnige Sabbat von Blutund Sperma.
Und in einem Nu verschwand alles.
Er sah sie aufs Kreuz gespannt in der ganzen Pracht ihrer Nacktheit. Um ihre Arme wanden sich goldene Schlangen, ihre Knöchel warenumwunden von goldenen Schlangen und um ihreHüften ein breiter goldener Gürtel, den auf demNabel eine Spange schloss, eine kostbare Lotosblume, funkelnd vom seltensten Edelgestein. Siesah ihn an mit halbgeschlossenen Augen — hinter den langen Augenwimpern krochen hervorlüsterne Schlangen lockenden, schmeichelndenFlüsterns — sie wiegte sich wollüstig auf demKreuz, ihr Schoss zuckte, ihre Brüste strecktensich ihm entgegen, heiß und saugend klang ihreStimme:
Erinnerst du dich, wie mein Vater mich nackt,voll von Scham und Angst vor deinen Thron geschleppt hat?
Denkst du noch, als du auf dem Thron, zitternd, lustschreiend saßest und nach mir deineArme strecktest?
Ich war rein wie eine Lotosblume, da sieden Gott gebar — du hast die heilige Lampemeiner Seele zerschlagen, du hast ausgegossendie Glut, die in meinen Adern gefesselt war,meine Seele hast du mit dem Gift des Verlangensund wilder Lustträume zerfressen, um mich dannkreuzigen zu lassen.
Ihre Stimme gellte auf in keuchender Leidenschaft:
Erinnerst du dich, als deine Eunuchen goldene Nägel in die weißen Lilienblüten meinerArme trieben — Blut spritzte in heißen Strahlenund ich habe dich gehöhnt, ich spie Flüche undVerwünschungen in dein Gesicht, ich biss deineSeele mit dem Gift meiner Rache...
Komm, komm, da armer Sklave des Blutes,das du in die Raserei des Irrsinns gepeitscht hast,in meine Umarmung, die du nie gekostet hast— komm in die Hölle und die Unzucht, die duin mir entfesselt hast — du hast mich gekreuzigtund wälzest dich im Staub vor mir...
Kriech doch näher heran — näher noch!Leck doch meine Füße, dass sie sich krampfenin der Fieberglut deiner Lippen — oh — noch —kräftiger, inbrünstiger noch!
Er kroch an sie heran...
Und ein grässlicher Schrei: Oh, Astaroth,Astaroth, Mutter der Hölle und der Unzucht!
Aber im selben Nu umgoss seine Stirn derAtem, ein unendlich reiner, heiliger und keuscherAtem von stillen Lilienhänden...
Er hatte Angst, seine Augen aufzumachen —er fürchtete, es sei wieder ein Traum — diesmalein heiliger Traum des Ewigen...
Spurlos verschwand der höllische Spuk undGraus, er fühlte wie ihre Hand über seine Stirnestrich, wie sie ab und zu mit stillen, keuschen Lippenihm die Augen schloss, und die Seide ihrer Haaremit kosender Gnade über seine Arme sich ergoss.
Er fühlte ihre Hand in der seinen, er sahzwei Sterne ihrer Augen, die niegekannte Seligkeit in sein Herz hineinleuchteten...
Ja, das ist sie — sie — die Todesstille, dieKeusche, die Heilige — die ist es, die ihm einstden Blumenstrauß geschenkt hat...
Es war schon spät am Mittag, als er todmüdeund fieberkrank von dem Bett sich mühsam aufraffte.
Warum meidet sie mich, warum flieht sievor mir! dachte er verzweifelt.
Seine Gedanken verwirrten sich, tausendPläne, tausend Beschlüsse kreuzten sich in seinemHirn und tausend Blitze glitten über seine Seele,bis er endlich erschöpft auf den Stuhl sank.
Nichts konnte er verstehen.
Er durchdachte seine ganze Qual, sein Rasenund Irrsinn, die er durchlitten, seit sie ihm dieBlumen geschenkt hat.
Der Schmerz stieg in ihm hoch und einwilder Hass.
Aufs Kreuz lasse ich sie anschlagen, ansKreuz! wiederholte er mit irrem Lächeln.
Er schloss die Augen und weidete sich ander Todesangst seiner Sklavin:
In einem riesigen Palasthof, irgendwo in Saisoder Ekbathana.
Rings standen seine Krieger in schwerer silberner Rüstung und goldenen Helmen — dieSchuppen ihrer Brustwehr funkelten im blendenden Glanz, und ihre Augen blitzten mit der blutdürstigen Gier wilder Raubtiere.
Dreimal erschollen die Trompeten: in denPalasthof schleppten die Eunuchen die armeSklavin.
Sie war irre vor Todesangst, ihre Lippenbluteten, sie keuchte vornüber, fiel rückwärtshin, die schwarzen Sklaven packten sie an denArmen und schleiften sie über die von der Sonnenglut versengten Fliesen an den Fuß des Kreuzes...
Der König schloss die Augen und gab dasZeichen.
Sie warfen sie hoch auf das Ebenholz desKreuzes, der Henker erfasste ihre Hände, einSklave hielt sie fest um die Hüften, und manhörte das Klopfen des Hammers...
Aber im selben Augenblick brüllte der Königauf wie ein wildes Tier in der Tollwut.
Er riss sie vom Kreuz herab, hielt sie wieein Kind in seinen Armen, über sein Kleid ranndas Blut aus ihren Wunden, er küsste die Wunden und trank das Blut — die Sklaven, die sieanzurühren wagten, ließ er vierteilen, machteaus ihr eine Gottheit und ließ ihr Opfer bringen...
Ja, ja... sie war sein Gott und sie solltevon der ganzen Welt fußfällig verehrt werden...
O Gott, wie er seine Sklavin liebte, er —ihr untertänigster Sklave!
Und warum sollte er sich so quälen?
Er beschloss jetzt plötzlich, sie aus seinemHerzen herauszureißen — nie mehr an sie denken — die Blumen hinauswerfen und das roteBand, das ihn immer so qualvoll an sie erinnerte...
Aber als die Dämmerung kam, lief er vordas Haus, in dem sie ihm gestern verschwundenwar und wartete...
Endlich erblickte er sie, wie sie aus demTor trat — sie sah rings um sich, aber ihn hatsie nicht gesehen.
Er ging leise hinter ihr her.
Um sie nur nicht zu verscheuchen, dass sie ihmnicht plötzlich aus den Augen verschwände! Kaumwagte er zu atmen.
Sie ging schnell, als fühlte sie, dass jemandhinter ihr sich leise schlich — immer schneller— in der dämmrigen Allee heißblühender Akazienbäume flackerte der weiße Schein ihres Kleides wie ein Irrlicht zwischen den Rohrstaudenauf einem dunklen Sumpf.
Jetzt war er schon ganz sicher, dass er sieaus seinen Augen verlieren würde, schnell trat eran sie heran, halb bewusstlos und wusste kaum,was er tat.
Sie blieb im tiefsten Schreck stehen und sahihn sprachlos an...
— Ich hatte Angst, Sie aus den Augen zuverlieren — sagte er endlich — Sie gingen soschnell...
Er atmete schwer und schwieg.
Sie gingen langsam nebeneinander.
Er kam ins Gleichgewicht:
— Ich weiß nicht, wie ich es gewagt habe,Sie aufzuhalten, aber in dem Augenblick, als ichIhnen den Weg vertrat, wusste ich nicht, wasmit mir geschieht...
Er schwieg eine Weile, dann sprach er schnell,kurz abgerissen, hastend und eindringlich, als ober sich nur die schwere Last vom Herzen endlichabschütteln wollte:
— Sie wissen nicht, wie ich Sie gesuchthabe. Tagelang irrte ich auf allen Straßenherum, in allen Kirchen, in den Gartenanlagenund Alleen, um nur einen Blick von Ihnen zu erhaschen — einen Blick nur, nein, nur seinenfernsten Glanz, den geheimsten Atemzug vonIhnen. — Ich kannte Sie nicht, nie früher habeich Sie gesehen, ich wusste nur das eine, dassich Sie unter Millionen von Frauen findenwerde. Die, die mir den Blumenstrauß geschenkt hat, die mir ihr Augenlicht in meineSeele hineingeküsst hat, kann nur so aussehenwie Sie.
Sie ging immer schneller und er flehte undflüsterte heiß:
— Oh, wie ich dich liebe, du meine göttlicheSklavin. Meine Erde bist du und mein Lied,alles bist du, was in mir tief und rein ist...Ich trage dich in mir wie eine heilige Sonne— in dem Abgrund meiner Seele leuchtest duwie der Abglanz eines mächtigen Sterns in demSturm der Ozeane — deine Augen wie zweiTuberosensterne, und jede Nacht schlingst du ummich die biegsamen Weidenäste deiner Glieder...
Sie blieb zitternd stehen und ließ den Kopftief sinken.
— Wie oft hielt ich dich in meinen Armen,wie oft habe ich mit unendlicher Liebe deinGesicht gekost, wie oft deine Augen geküsst,dich auf meine Brust hochgeworfen und aus deinen Lippen göttliche Lust gesogen!
Er fasste sie am Arm. Sie zitterte wie einHerz, das frisch aus der Brust gerissen wird.
— Sag mir doch ein Wort, nur ein Wort.Ich weiß, dass du mich liebst, dass du michlieben musst, denn, wer solche Blumen schenkt,der muss lieben.
Du wusstest gut, dass du dich selbst mirschenktest, als du mir die Blumen gabst.
Wieder schwieg er, sah sie nur an voll flehender Angst.
Sie antwortete nicht, entzog ihm ihre Handund ging still weiter.
— Sag doch nur ein Wort, flehte er. Wenndu willst, werde ich nie mehr ein Wort an dichrichten — erlaub nur, dass ich dir von fernefolge, dass ich ab und zu deinen Blick erhasche, dass ich deine Gestalt, die Musik deinerSchritte, die endlose Harmonie deiner Bewegungenkoste...
Erlaub es mir, du weißt nicht, wie ichmich quäle, was für wahnsinnige Träume michin Irrsinn peitschen — sag nur ein Wort —sag wenigstens, dass ich von dir Weggehensoll...
Er verwirrte sich immer mehr, stotterte,stockte, quälte sich unsagbar, verwickelte sichund vergaß, was er ihr sagen wollte.
Tränen flossen langsam über ihr Gesicht,aber kein Aufzucken, keine Muskelbewegungverriet, dass sie weinte. Sie weinte still dasBlut ihres Herzens aus, sie weinte, wie eineMöwe weint, die den Weg verloren hat, sichschmerzlich zurücksehnt und — nicht zurückkann.
Eine ganze Welt fühlte er in sich krachendzusammenfallen. Eine wüste, hoffnungslose Trauerumfing sein Herz — er ging neben ihr wie inder Stunde des Untergangs, da die Sonne aufewig verlischt, und die ewige Nacht sich überder Erde schauerlich wölbt.
Er ging, als ginge er an das Ende derWelt, um sich hinüberrudern zu lassen an dasgeheime Ufer schattenloser Bäume, erstorbener,kalter Friedhofsluft, in der unbewegliche Vögelmit leblos ausgebreiteten Fittichen ruhten.
Etwas von ihm ergoss sich in sie hinein— vielleicht empfand sie dieselbe grenzenloseTrauer, dasselbe Vorgefühl der ewigen Öde undStille des Todes, sie erschauerte, schob ihrenArm unter den seinen und presste sich leise anihn...
— Ich habe Angst! flüsterte sie leise.
Sie sahen sich an im tiefsten Schreck —Der Atem stockte in ihrer Brust in der Erwartung eines Etwas, das mit dem Jüngstengerichtschrecken über sie kommen sollte.
Und im Nu wälzte sich über seine Seelemit einer grässlichen Flut von Qualen seinGolgatha der letzten Tage. Ein wilder Zornbrandete in seinem Hirn, er packte sie wütendan den Händen, presste sie mit eisernem Druckund schrie wütend:
— Ans Kreuz lasse ich dich schlagen! AnsKreuz, ans Kreuz!
Sie stand einen Augenblick bebend vor Schreck,zitterte wie Espenlaub, dann entwand sie sichseiner wütenden Umarmung und lief im rasendenLauf dahin.
Er sah sie fliehen, aber die ganze Welt fingan in seinen Augen zu kreisen, Blitze schossenin das Dunkel hinab, eine Sonne stürzte krachendin die Tiefe...
Lautlos, als hätte ihn jemand mit unsichtbarer Sense gestreckt, fiel er zu Boden...
Es vergingen viele Tage und Nächte.
Er hatte sich eingeschlossen und ließ niemanden zu sich ein.
Er hatte Angst auf die Straße zu gehen,denn er wusste, dass er sie treffen würde under wusste, dass auch sie ihn suche, dass sieherumirre und ihn suche, wie er sie gesuchthatte. —
Und wenn es wieder dämmerte, und er ausgehen musste, dann schlich er langsam an denHäusern und an Alleebäumen entlang. Jedes geringste Geräusch ängstigte ihn, der Widerhallvon fernen Schritten schreckte ihn hoch, dennalles, was ihn umgab, eine ganze Welt von Gedanken und Erinnerungen, die ganze Welt hinterihm war sie.
Er wusste nicht, weswegen er sich so ängstigte. Er fühlte nur, dass, wenn er sie wiederträfe, sich etwas Fürchterliches ereignen müsse.
Und nie hat er sich nach ihr so gesehnt;nie sich so gequält.
Wenn die Welt taub wurde in unermesslicher Stille, aus den Sternenkelchen die leiseGnade des Lichtes aufblühte und sich niedergoss,wenn zwischen dem Geäst der Kastanienbäumedie Trauer des Mondes blutete — dann ach!dann streckte er im verzweifelten Schrei dieHände nach ihr, seine Seele erstarb im wildenKrampf, und er kroch zu ihr, denn es war ihm,als müssten die Entfernungen weichen und sie,umströmt von dem köstlichen Duft der herrlichsten Blumen, die er in seinen Träumen erlebte,umkleidet von dem überirdischen Zauber blauerHimmelspracht werde zu ihm niedersteigen undmit ihren leuchtenden Händen seine fieberkrankeStirn pressen, ihn an sich ziehen und streichelnund küssen...
Oder anders: sie werde über ihn niederströmen mit der unfassbaren Gnade der Stille undRuhe, werde sich in ihm ergießen mit dem Vergessen und in seiner Seele das hohe Lied weißerTräume anstimmen.
Anders noch: Sie wird über ihn kommenmit dem gedämpften Widerhall ferner Glocken,die in seiner Seele ihm die grünen Teppiche seiner Muttererde breiteten, das Herz ihm trunkenmachen an dem Glanz herrlicher Kindheitserinnerungen, als er noch auf dem Schoß der Mutterdie Wunder träumte, die in der jungfräulichenBrust schlummern, auf das Lied horchte, das ihmder heimatliche See in der gespenstigen Mitternachtsstunde sang und zu den Vögeln hinaufsah,die über den geheimnisvollen Gräbern regungslosihre schweren Flügel breiteten und in Gärtenherumirrte, kostbar von schwarzen Bäumen, andenen ungeheure Dolden von schweren goldenenBlüten herabhingen.
Er sehnte sich nach ihr und er hatte sinnlose Angst, sie wiederzusehen.
Einmal glaubte er sie durch das Fenster zusehen. Sie presste ihr Gesicht an die Scheibenund sah ihn an mit Augen wie ein ersterbendesDoppelgestirn.
Das war ein Schmerz, der keine Kraft mehrhatte aufzuschreien oder zu stöhnen. Nur einveräscherter, sterbender Feuerscheit auf demHerd. Nur das letzte Aufprasseln der Totenkerzen am Katafalk, von dem man bereits denSarg geborgen hat. Nur das letzte Aufatmen vomWind, der auf die Erde niederfiel und gebrochendurch die herbstlichen Stoppelfelder hinkeucht.
Er sah hin im tiefsten Schreck, wich zurück— nur die Augen blieben schmerzlich haften andem durchsichtigen Gesicht und ihrem verendenden Doppelgestirn. Er stützte sich zitternd ander Wand, wie ein Totenlaken flog etwas an seinen Augen vorüber — und alles verschwand plötzlich — mit unsagbarer Angst starrte er in dietiefste Nacht der Vorstadt.
So vergingen Tage und Nächte.
Bis endlich der Schmerz brach und er diekranke Sehnsucht überwältigte.
Er musste ihr nur noch etwas zum Abschiedsagen, sein letztes Lied herausschreien.
Als er auf die Estrade trat, sah er niemanden. Er fühlte nur den heißen Atem einer tausendköpfigen Menge. In seinen Augen flimmertedas grüne Licht riesiger Leuchter, eine Sekundelang erzitterte sein Gehirn mit dem Gedankenan sie — er wollte hinsehen, wo sie saß, wosie sitzen musste, er fühlte ihren Blick flackerndauf sich irren, aber plötzlich verschwamm allesund eine unsagbare Ruhe breitete sich in seinerSeele aus.
Die Ruhe und Stille vor der Schöpfung.
Unter seinen Händen strömte ein übermenschlicher Gesang:
Er saß auf dem Golgatha zu den Füßender aufs Kreuz gespannten Menschheit. Wie einOrkan wälzten sich über seine Seele Jahrhundertevon Qualen und grässlicher Martyrien, eine ganzeEwigkeit von Verdammnisleiden, zuckender Schreienach Erlösung; höllischer Flüche und heulenderKrämpfe nach einer Sekunde von Glück. Dasganze Leben des Seins feierte in seiner Seele einedüstere Messe voll entsetzlichen Grauens —
So saß er zu Füßen des Kreuzes und starrtein die finstere Nacht, über ihm die Sonne, mitschwarzem Flor umhängt.
Er schlug mit rasender Faust gegen dieHimmelspforten, fluchte dem Schicksal, dass ihnleben, sich in Not wälzen, sich mit Ekel undAbscheu bespeien und tief in der Hölle ewighungriger Dämonen der Sinne verfaulen ließ.
Ohnmächtige Wut der Rache heulte in seinem Gehirn, ohnmächtiges Verlangen nach Vergeltung kochte in seinem Blut, und aus der heiseren Kehle riss sich ein grässlicher Schreiheraus: Wo ist das Ende, und wo der Anfang?Wo ist die Ursache, wo das Ziel?!
Er ging mit dem irren Stern auf der Stirnund führt mit einer blutigen Fackel eine kranke,entsetzte, vor Furcht bebende Menge hinter sich.Durch das Dickicht der tiefsten Nacht arbeiteter sich blutüberströmt hindurch unter allen gespenstischen Schrecken hinab in die unterirdischen Gänge, wo unbekannte, erträumte, dunkelgeahnte Schätze verborgen liegen. Er geht voran,stolz und unzugänglich, aber sein Herz zerwühltdie Angst und Verzweiflung: werde ich sie finden können? Ich habe sie der Menge versprochen, — wie lange werde ich noch herumirren?
Und im Nu war er das Allsein, das inMillionen von Sternen zerbarst, in Milliarden vonGetiergattungen sich verkörperte und wieder zueiner Einheit in ihm wurde: eine Unendlichkeitvon Gefühlen, eine Unendlichkeit von Schöpfungenund Erden.
Eine ungeheure Sonne trug er in seiner Brust,ging, flog in die Höhe. Höher und höher, verlordas Bewusstsein seiner Allmacht, seines Willensund Seins — weiße Flügel breitete er von einemPol zum anderen und schwebte in schweremGrübeln über der Welt.
Es brach der Zorn und der Schmerz desLebens — das Leiden erstarrte und die Sehnsucht,denn in der Dämmerungsstunde schlief die Erde.
Und in der Tiefe wogen die Getreidefelderin träumender Trunkenheit, und in der Tiefedämmert gespenstisch das öde Brachgefilde, undin der Tiefe schrecken auf dunklen Sümpfenflackernde Irrlichter — ach — in der Tiefe breitet sich in dem schwarzen Abgrund des Sees derHimmel und aus seinem Grund blühen heraufblasse Sterne und weben auf der glatten Flächeden stillen Zauber versunkener Kirchen...
Sehnsucht umfing schwer und drückend seinHerz.
Und wieder schritt er dahin, er, der erdgeborene Sohn, ging voran mit dem heiligen Glauben, dass er die Erlösung bringt, aber mit tiefstem,traurigsten, weltvergessenen Schmerz wusste er,dass man ihn werde kreuzigen lassen...
Er schleppte sich seinen Todesweg hin mitblutenden Füßen, blutiger Schweiß trat ihm aufdie Stirn und in seiner Brust eine Gehenna vonQualen...
Er fühlte, dass er etwas auf den Armen trage,er trug es andächtig und mit unendlicher Sorgsamkeit — aber er sah niemanden...
Und plötzlich, etwas wie das Rauschen einesKleides im Zimmer — wie das Leuchten einesheißen, verlangenden Augenpaars.
Er schrak hoch.
Nein, nein — das war kein Traum.
Kein Traum mehr!
Sie war es, sie, leibhaftig sie!
Sie stand an der Wand und atmete tief.
Sie sahen sich an, erschreckt, stumm, zitternd.
— Ich bin zu dir gekommen, flüsterte sie —ich bin gekommen, die Sehnsucht und das Verlangen zerfraßen meine Seele.
Und sie sank in seine Arme.
O Stunde gottestrunkenen Glücks, Stundedes Wunders, in der zwei Seelen ineinanderfließen!
— Hast du Angst vor der Sünde? fragte ersie heiß und zitternd.
— Ich liebe die Sünde, ich liebe die Hölle— mit dir — mit dir...
Und sie warf sich in seine Arme besinnungslos — weltvergessen...
Und er sprach zu ihr:
— Ich wusste nicht, was Glück bedeutet,jetzt weiß ich es.
Mit dir koste ich das Glück und heiligeunerschöpfliche Lust.
— Die Stunde des Wunders hat sich erfüllt,lachte sie mit leisem, irren Lächeln.
— Nie konnte ich ein Weib mit mir verschmelzen, flüsterte er innig — du strömst inmeinen Adern wie ein goldener Golf von Sonnenstaub.
— Die Stunde des Wunders, die Stunde desWunders! wiederholte sie leise in bebender Verzückung.
Stille.
— Warum weinst du? er erschrak.
Sie streichelte sein Haar, sie nahm seinGesicht in ihre kleinen Hände, presste sich nochheftiger an ihn, umfasste seinen Hals mit denArmen und wieder irrten ihre weißen Finger inseinem Haar.
— Warum weinst du?
— Vor — Glück! sie schluchzte leise.
Und er umfing sie mit zitternder, gottseligerLiebe, flüsterte ihr die heißesten Worte zu, unablässig dieselben Worte in irren Sätzen, erwiegte sie hin und her und wiegte, wie man einKind in liebenden Armen beruhigt.
Sie weinte nicht mehr.
Sie pressten sich eng aneinander, wie sichzwei Kinder im frischen Heuschober aneinanderschmiegen, wenn über ihnen ein wütendes Gewitterrast und der Himmel schwere Blitze über dieErde sät.
— Ist dir gut so?
— Oh mein Geliebter, mein Einziger — du,du...
— Dein, dein! wiederholte er unaufhörlich.
— Jetzt bleiben wir immer zusammen? fragteer mit tiefster Angst.
Sie antwortete nicht, nur unablässig durchzuckten sie heiße Schauer...
— Ich werde den Kreuzweg antreten, —ans Kreuz lasse ich mich nageln. — In derStunde des Wunders hat sich mein Leben erfüllt ... Frag nicht, nimm mich, press michnoch fester in dich hinein — fester noch —töte mich!
Langes, schwüles Schweigen.
Und wieder sprach er zu ihr:
— Erinnerst du dich, wie ich dich in furchtbaren Stürmen durch den Urwald trug? DerHimmel schien auf uns niederzustürzen — umuns tanzten grüne Reifen von Blitzen, mächtigeÄste der Kokospalmen barsten mit dem Krachenund Schreck einfallender Gewölbe und verlegtenuns den Weg mit einer immer höher anwachsenden Mauer, ab und zu zerspaltete der Blitz einentausendjährigen Stamm, so dass die Scheite umden Wurzelboden sich rings neigten und zu Bodenfielen wie riesige Blätter von dem Kelch einerwelkenden Blume. Der Orkan warf uns hochund wieder zu Boden, wir stolperten, fielen,schlugen uns wund an den Bäumen, aber ichriss mich wieder auf, fiel, kroch auf den Knienweiter, kletterte über die Haufen gebrochenerÄste, über die toten Leiber der Urbäume, aberich ging, denn ich trug dich auf meinen Armen,und das Gewitter des Verlangens, das in mirtobte, war stärker als alle Gewitter, die jungfräuliche Urwälder vom Boden wegfegen.
Sie antwortete nichts.
— Und erinnerst du dich, wie ich mit dirfloh durch den Brand lichterloh entzündeterSteppen? Der Wirbelwind des Feuers rastehinter uns, wuchs mit grässlichen Säulen in denHimmel hoch, wälzte sich auf der Steppe in ungeheuerlichen Strömen, und ich lief, lief in irrsinnigen Sprüngen eines gehetzten Raubtiers mitdir auf meinen Armen, ich flog über den vonHöllenfeuer versengten Boden, und ich war stärker als das Feuer, es erreichte uns nicht, dennich trug dich auf meinen Armen, und ein stärkeres Feuer als das auf der Steppe wütete inmeinen Adern.
Sie antwortete nichts.
— Erinnerst du dich als ein wahnsinnigerMalstrom unsern Kahn erfasst hat? In einemAugenblick warf er den Kahn bis auf den Grunddes grässlichen Schlundes, erbrach ihn wiederund stürzte jäh auf wie ein Holzstück auf dierasenden Wogen, wieder umfasste er ihn mitseinem rasenden, wütenden Reifen und wiederfiel der Kahn mit der Schnelle eines fallendenSternes in den grausigen Trichter herab undwieder schoss er hinauf, wie ein Lavastein, denein kochender Vulkan hinausschleudert, und soflog ich dreimal hinunter und dreimal wurde ichwieder hochgeworfen auf die kochenden Strudeldes Stromes, bis endlich unser Kahn auf einstilleres Wasser fiel. Ich war stärker als derMalstrom, denn ich fühlte wie du meinenKörper umfasst hieltst, deinen Kopf fühlte ichauf meiner Brust, und in mir selbst raste einMalstrom stärker als alle der Welt: Du — dain mir — meine Liebe zu dir.
Sie antwortete nicht.
— Siehe! Ich bin der erdgeborene Sohn, ichbin der urewige Adam; in meinem Herzen wütetein Sturm stärker als jener, der die mächtigstenUrbäume wie trockenes Schilf zerbricht — inmeinen Adern rast eine Feuersbrunst mächtigerals jene, die die Grassteppen überströmt und einweit abgründiger Malstrom kocht in mir, als der,der das größte Schiff zu nichts zerreibt undseinen Staub auf dem Grund der Ozeane sät:
Liebst du mich?
— Du bist stark, du bist groß, du bist übermächtig.
— Das ist nicht das, was ich von dir hörenmag.
Nun höre:
Ich kann mich jederzeit zum König machen,alle Völker zu unseren Füßen werfen, mich derErde bemächtigen, über Millionen von Sklavenherrschen, ich kann dich ans Kreuz nageln lassenund dich wieder mit meiner Allmacht ins Lebenrufen — ich kann mich als der Sonnengott erklären — in heiligen Hainen wird man mir Altärebauen und Opfer bringen — ich kann vor deineAugen alle Wunder und Paradiese aller Zeitenund aller Erden zaubern — ich habe alle Schmerzen, alle Qualen der Menschheit erlebt, all ihreLust und Glück, kann sie in die Hölle stürzenund sie wieder erlösen:
Liebst du mich?
— Du bist ein Gott!
— Es ist nicht das, was ich von dir hörenmag.
Hör also:
Und wenn ich dich mit lustheischendenArmen auf meine Brust werfe, wenn dein Haarsich wie eine Mähne sträubt und du dich mitden Lippen in mein Blut einsaugst, wenn ichdein Verlangen in einen Abgrund von Lustpeitsche, dass dir die Welt von den Augen verschwindet, und die Ewigkeit in einer Sekundezerschmilzt, und du ohnmächtig auf mich fährstwie eine vom Hagel gepeitschte Narzissenstaude —
Liebst da mich denn?
Sie lachte auf in seltsamer, irrer, uferloserLust, umfasste seinen Körper, rieb die Seideihrer Haare an seiner Brust und sah ihm dannlange, lange in die Augen; ergoss sich ganz inseine Augen, es war ihm als ob sie sich ganzbis auf den Grund seiner Seele gleiten ließ, sichheiß um sein Herz legte, sich in jede Pore einsog — er hatte sie nicht mehr bei sich, sie warin ihm, in seinem Blut, sie zerschmolz in ihmin langen ewigkeitstrunkenen Schauern:
Ich liebe dich, ich liebe, liebe dich!
Er fühlte im Traum, dass sie still und leiseaus seinen Armen glitt — durch den Traumfühlte er, dass ihm das Blut vom Herzen floss,etwas sich von seiner Seele löste —
Aber das war im Traum...
Er hörte wie Augen in furchtbarer Qualschrien, dass sie im Feuer fieberkranker Sterneaufzuckten, und dann plötzlich erloschen — nochein weltfernes Aufleuchten und dann eine entsetzliche Stille des Dunkels —
Aber das war im Traum...
Er fühlte, als ob das unendlich feine Spinngewebe von seidenen Haaren über sein Gesichtstriche — hörte etwas wie ein leises Auftretenscheuer Schritte —
Aber das war im Traum...
Und plötzlich empfand er in sich eine furchtbare Nacht, eine Nacht die erstarrte, versteinertein der Luft, und er wusste, dass kein Strahlsich mehr durch das finstere Riesengewölbe derNacht durcharbeiten werde.
Er sprang vom Bette, suchte umher in Todesangst, aber sie war nicht mehr da.
Für einen Augenblick war er wie gelähmt,ein grässlicher Schrecken schnürte ihm das Herzzusammen, und wieder raffte er sich auf undbegann sie zu suchen im wilden Entsetzen.
Die erste Frühsonne ergoss sich mit blauen Lichtströmen in das Zimmer — er suchte, suchte— er sah sie ja doch ganz deutlich vor sich, erfasste sie ja schon an den Armen, er sah dochtief in ihre Augen übervoll von Glück und Seligkeit, er küsste ihr Haar:
Sie war nicht da!
Er wankte, setzte sich, stand wieder undtaumelte in das andere Zimmer hinein.
Auf seinem Schreibtisch ein Strauß roterMohnblumen auf einem weißen Papierblatt.
Er sah lange drauf hin — auf diesen Papierstreifen und den roten Strauß, tastete mit denFingern, um sich zu vergewissern, ob er nichtträume und endlich wurde er wach.
Er las:
Ich gehe weit — weit weg. Ich gehe indas heilige Reich der Qual hinein, zu meinemKreuz zurück, auf das du mich genagelt hast.Die Stunde des Wunders ist vollbracht. Suchnicht nach mir — du wirst mich nicht finden.Warte nicht auf mich — denn vergebens. Ichgehe ohne dich, aber ich werde nicht mehr alleinsein. Ich bin bei dir und mit dir für alleEwigkeit — und meine Seele wird traurig seinbis ans Ende...
Er las nicht weiter. Zerknitterte das Papier,schob von sich weg den roten Strauß — gingauf und ab ohne Unterlass in dem Zimmer undfiel endlich erschöpft auf das Fauteuil hin.
Über ihm das schwarze Gewölbe der Nachtund in seinem Herzen Graus und Schrecken dergespenstischen Stunden...
Als er erwachte war es schon gegen Abend.
Noch einmal las er ihren Brief durch undwusste, dass die Stunde des Wunders sich erfüllthat und nimmer zurückkehren werde.
Jetzt wusste er, dass er sie nicht mehr findenwürde und auf sie nicht mehr zu warten brauchte.
Alles umsonst!
Er wusste das alles mit einer Sicherheit, diesein Gehirn mit glühenden Nadeln zerstach under empfand eine sinnlose Trauer und gleichzeitigdie helle, unsagbar heilige Majestät des Todes.
Und mit hochaufgerichtetem Haupt ging erweit hinter die Stadt — fernab.
Er ging hinter etwas, worin man ihm dieganze Welt begraben hat, sein ganzes Glückverborgen, seine Vergangenheit und Zukunftversargt.
Er ging hinter jemandem her, der ihn führte,ihn hinter sich schleppte und an ihm zerrte —er wankte, strauchelte, ab und zu fiel er zuBoden, aber wieder richtete er sich auf, dennjemand schleifte ihn mit Gewalt — und wenn erfiel, wickelte sich eine grausame Hand um seinHaar und riss ihn hoch.
Und dann ging er wieder in großen, qualvollen Schritten wie jemand, der vor Schmerzerstarrt war und große, steinerne Tränen inseinem Herzen trägt.
Er sah nichts mehr, hörte nur das Dröhnenseiner schweren Schritte, als wäre er eisenbepanzert, als fiele über sein Gesicht ein schwerereherner Helm.
Er sah sich erstaunt um.
Er war ja ein großer Führer, seinen dröhnenden Schritt hörte er tausendfach widerhallen, dennihm folgten tausende erzbeschlagene Ritter.
Er ging an der Spitze durch dunkle Wälder und hinter ihm die Ritter mit blutroten Fackeln.
Er empfand keinen Schmerz mehr, keineSehnsucht trübte ihm seine Seele, er hörte nurunablässig ihre Worte, die sie ihm Tages vorherin der Stunde des Wunders gesagt hatte, als ersie immer heftiger, mit immer größerer Lust ansich presste:
Heilig bist du mir, weil du mich in mir erzeugt, das dunkelste und nackendste Geheimnismeiner Seele belauscht, alle ihre schauerlichenRätsel mir gedeutet hast. Glanz, Licht und Offenbarung bist du mir — die Sonne, in deren Glutmein Herz zerschmolz.
Unablässig wiederholte er diese Worte.Diese Worte wurden ihm zu ihren kleinen weißenHänden, in die er sein Gesicht legte, und erfühlte den Abdruck der tausendfältigen Verkreuzung ihrer Handlinien auf seiner Haut.
Ihre Worte wurden ihm zu dem seidenenGlanz ihres Körpers — oh! mit welcher abgründigen Lust schien er sich hinein in seine Brust,wie weiß leuchtete ihr Körper an seiner dunklenHaut!
Und jedes Wort lebte und zitterte, er hieltes in seiner Hand, es schlug, es schlug ... Erfühlte es in seinen Adern, wie es sich mit demBlutstrom zusammen in ihm ergoss — rings umsich hörte er es klopfen und sich um ihn infeurigen Ringen ergießen.
Schwer lastete es über seinem Herzen; eintauber Schrei würgte ihn:
Mutter der Barmherzigkeit!
Aber es gab kein Mitleid mit ihm.
Und wieder brach der Schmerz und wiederhörte er ihre Worte, die sie ihm gesagt hatte inder Stunde des Wunders, als ihre Augen gespenstisch aufflammten und irr über dem Spiegelseiner Seele flackerten:
Ein dunkles Verhängnis brütet schwer übermir, und zu meinen Füßen öffnen sich dieHölle und das Verderben. Meine Seele verblutet an der Sehnsucht nach dem verlorenenParadies.
Er stand auf der Spitze eines himmelhochragenden Felsen. Plötzlich berührte ihn ihrekleine, weiße Hand, und er fiel von einer Spitzeauf die andere, zerfleischte seinen Körper an denscharfen Zacken, glitt tiefer und tiefer die Gletscherhinab, in einer tausendstel Sekunde flog vor seinenAugen sein ganzes Leben vorüber — rettungsloswälzte er sich wie eine Lawine in dunkle Höllengründe, bis er Wollust empfand, so zu stürzen,sich so an den Riffen zu zerfleischen.
Er fühlte ihre Macht, ihre Qual und ihr ohnmächtiges Beginnen, denn eine andere, fremdeKraft hat ihn durch sie in den Abgrund gestoßen.
Und zum dritten Mal hörte er ihre Stimme,aber diesmal in seinem Herzen: ein Schrei heißerFinger, die in seinem Haar wühlten, flehende Umarmung ihrer Arme, die keuchende Verzweiflungihres Körpers, der sich an dem seinen wundrieb:
„Ich gehe, ich gehe schon, such mich nicht— die Stunde des Wunders ist vollbracht.”
Es wurde finster vor seinen Augen, seine Beineknickten ein, als wäre er von hinten in den Rückenmit einem Speer getroffen und im Todesschrei fieler auf den Boden.
Wachte er wieder auf?
Ja er ritt auf einem wilden, schwarzen Hengstüber sonnenverbrannte Steppen. Rings hat diewütende Glut alles aufgefressen, alle Bäche undjegliches Gewässer aufgesogen, nichts vor ihm,nichts hinter ihm, nur die rachsüchtige, weißglühende Sonne und ein Himmel, der in weißemBrand sich verzehrte. Heißer, kochender Nebel,das war die Luft, die er atmete, und die verbrannte Erde versengte seinen Hengst. Der Helm brannte sich ihm mit feurigen Striemen in seineStirn und seine eherne Brünne senkte seinen Leib.
Er ritt in ohnmächtiger Verzweiflung, dennin seinen Armen erstarb vor Durst die, der ersein eigenes Blut zum Trinken geben möchte.
Langsamer und schwächer schleppte sich dertodesmüde Hengst hin, stolperte, fiel in die Knie,raffte sich wieder auf, sein Hals hing herab, wieein angesägter Ast — jeden Augenblick, gleich,sogleich, beim nächsten Schritt, würde er tot umfallen.
Und im Nu wieherte er glücklich auf.
Denn plötzlich inmitten dieser Hölle, diesersengenden Glut in Brand gesteckter Nebel eineWasserzisterne.
Und schon hob er sie hoch, um sie auf denBoden zu setzen, und ihre Stirn mit Wasser zubenetzen, da plötzlich, als wüchse er aus der Erdehoch, pflanzte sich ein schwarzer Ritter vor ihmauf in einer übermächtigen, gottgleichen Majestät,und seine Stimme dröhnte wie der Ruf der Jüngstengerichtstrompete:
Ich bin es, der die Grenze für jegliches Glückund jegliche Lust dieser Erde setzt —
Ich bin es, der vor jedem Anfang war und jedesEnde überdauern wird:
Gott, Satan, Schicksal!
Wieder zerrann das gespenstische Gesicht.Er sah in die Tiefe hinab — dort unten zuseinen Füßen dies wogende Meer von Dächern,das den Schein vom elektrischen und Gaslichtatmete, das war eine Stadt — ja — aber nichtseine — eine fremde Stadt.
Nein! das war nicht seine Stadt!
Und plötzlich sah er sie deutlich vor seinenAugen, eine Stadt, in seltsamen Felsen ausgehauen,durchzogen von einem wirren Netz von Gräben, dieStadt des Todes und der Öde, die einstens seineVorfahren ihm, dem letzten Spross, gebaut hatten.
Wieder empfand er eine große, heilige Sonnein seiner Brust.
Dort in dieser Todesstadt wird er sie finden.
Dort — dort!
Sein Herz schwoll in unbekannter Macht, erwuchs in den Himmel hinauf, streckte seine Armeund sprach zu ihr:
Ich gehe zu dir, aber wozu soll ich dichsuchen, du durchkreist meine Adern, du bist derAtem meiner Seele, der Drang meines Verlangens, der Zauber meiner Träume, du bist ich.
Und wieder blickte er hinab auf die Stadt,die ihm nun fremd ward.
Dort hat sich die Stunde des Wunders erfüllt.
Aber die Stadt war ihm fremd.
Und wieder sprach er zu ihr und sich:
Du bist eine Sonne, die sich in mir ergossenhat. So oft ich will, wirst du vor mir stehenund mein sein. Aber nicht hier. Ein größeresWunder wird sich vollziehen dort, wo meine Stadtdie wilden Felsen erklimmt, wo der heilige Stromtobt und rast in granitnen Abgründen und in unterirdische Felsen Kaskaden von Stalaktiten erfrorenen Mondlichtes hinabwirft.
Über seinem Haupt erglänzte ein großer,grüner Stern, der ihn in das neue Syon führensollte, in das neue Jerusch-Halaim, den urewigenAlkazar seiner Ahnen — dorthin, wo in dem geheimen Zauber der Todesdämmerung sich nochein größeres Wunder vollbringen sollte...
Er stand am Fenster des Alcazar und blickteauf die seltsame Stadt hinab, die ihm seine Vorfahren vor Tausenden von Jahren erbaut hatten.
Es war Mondnacht und in dem gespenstischen Licht schreckten die Formen und Konturendieser Stadt, die sich in einer seltsam gebrochenen Dächerfläche zu seinen Füßen breitete.
Als hätte die Erde gebebt, das glatte, felsige Terrain sich gebogen und gebrochen, diemächtigen Felsmassen sich übereinandergeschoben, ineinandergekeilt, zu Pyramiden aufgetürmt oder sich in gezackten Wellen ins Land ergossen.
Es sah aus wie eine Miniatur-Gebirgskette,die auf einem kleinen Platz zusammengedrängtwar mit tausend Spitzen, Tälern, Riffen, Abhängen, jähen Schluchten und unerwarteten Aufrissen,und hoch oben auf der äußersten Spitze breitetesich ein mächtiges Felsenplateau, darauf stand dieherrliche Fürstenburg, der uralte Alcazar.
Er sah lange auf die Stadt dort unten. Ersah tausend scharfe, schwarze, seltsam ineinander verschlungene Konturen der Straßen, die das riesige Dachterrain zu einer absonderlichen Zeichnung fügten.
Diese ganze weiße Dächerfläche sah aus wieein heiliges, geheimes Ornament, das ein Gewirrvon mystischen Arabesken bildete.
Und es war, als hätte die Hand eines gewaltigen Magiers in der weißen Oberfläche desmächtigen Felsens heilige Runen seines tiefstenWissens eingehauen.
Von der Höhe des Alcazar sah die Stadtaus, als wäre sie nicht erbaut, sondern aus denAushöhlungen des Felsens gebildet.
Breit lag die Stadt vor ihm, ein unermessliches Katakombengrab, überragt von dem Alcazar, der stolz, ernst und streng mit schlankenTürmen in den Himmel aufstrebte.
Ein Schauer überlief ihn, wenn er daran dachte,einst in diese Katakomben herabsteigen zu müssen.
Er kannte alle Gässchen, alle Schlupfwinkel,alle Straßen, ihr wirres Durcheinander, die Stellen, wo sie sich kreuzten, sich verflochten oderin Blindsäcke mündeten, er wusste, dass er indiesem Gewirr, diesem verstrickten Knäuel von Straßen sich nicht verlieren könnte, und dochfühlte er einen geheimen Schreck, dass er indiesem Labyrinth irren und nie wieder aus ihmherauskommen könnte.
Und es gab niemanden, der ihm den Wegweisen könnte, denn die Stadt war tot.
In unsagbarer Trauer sah er die Stadt an,die ihm nur Schreck und Angst einjagte.
Und doch sollte sich hier ein großes Wundervollbringen.
Hier sollte er aus sich gestalten, was derTon seines Gedankens war, die Äußerung seinesGefühls, die Form seines Willens.
Hier sollte er — denn also hat ihm seinHerz versprochen — die verlorene Geliebte wiedergewinnen — sie aus dem kostbaren Schatz seinergeheimsten Schönheit, seines verstecktesten Seinswiedergestalten.
Aber vergebens hat er gewartet, vergebensseinen Willen in kranken Visionen angespannt —alles vergebens.
Er vermochte nicht, sie aus sich selbst zuformen.
Und wozu ihm diese herrlichen Alcazare,wozu diese Wunder und Zauber, diese furchtbareTotenstadt rings um ihn?
Jäh erfasste ihn ein entsetzliches Grauenvor diesem ungeheuerlichen Mitternachtsspuk zuseinen Füßen, und mit der ganzen Seele sehnteer sich nach seiner Heimat zurück — nach derStadt in dem tiefen Tal, das in den Nächten daskostbare Licht atmete, nach den dunklen Alleen,auf denen er tagelang herumirrte, als er sie suchte,nach den dämmrigen Kirchen und den Anhöhen,die sich über der Stadt in dunkelgrünen Stockwerken aufbauten, und mit ihren Kastanienwäldernsich in schwere Damastpracht in die Stadt ergossen.
Und in majestätischen Wogen ergoss sichder unsagbare Zauber dieser heiligen Erde, dieschweren Getreidefelder, die sich traumbefangenhin und her wiegten, die Brachäcker, die inheißen Sommernächten fieberten; der geheime, gespenstische Graus der Irrlichter auf den dunklenSümpfen — ach! — und dieser Himmel, der sichin der Untiefe des Sees gebettet hat, aus dessenGrund der Lichtzauber blasser Sterne aufblühteund über dem stillen Antlitz des schlafendentotenstillen Wassers die düstere Erinnerung anversunkene Kirchen breitet.
Und wieder sah er auf die tote Stadt daunten und auf den rasenden Strom, der die Stadtin der Form eines heiligen Omega umtoste.
Tief in felsigen Schluchten stürzte er sichvon einem Katarakte zum anderen, wälzte sich inWirbeln und Strudeln, warf hinab in unermesslicheGründe schwere, rauchende, spritzende Wassermassen, schleuderte sie hoch empor an den spitzen,stachelichten, felsigen Cleopatranadeln, die aus demBett aufragten, drängte sie in die Spalten undRitzen der Riffe, die das granitne Ufergeländezerfetzten, er kochte, heulte, schäumte, goss sichmit Höllenhast in wilden Geysiren und Malstromwirbeln.
Lange sah er hin mit einer seltsamen, leidenschaftlichen Ehrfurcht auf diesen heiligen Strom,der eine ganze Bergkette zerrissen, ganze Steinpyramiden durchschnitten, sich Gänge und Schlachten und unterirdische zahllose Korridore ausgegraben hat.
In dem Mondlicht sah der Strom aus, alswäre er aus geschmolzenen Mondstrahlen unddort, wo er in unzählbaren Wasserfällen sich inunterirdische im Granit ausgehöhlte Kanäle hinabstürzte, schien er Kaskaden gefrorener Stalaktiten von kaltem Mondlicht zu werfen.
Mit kranker Lust horchte er auf das höhnischeGeheul irrsinniger Gefälle, denn das war die Musikzu der Verzweiflungsmesse, die in seiner Seeletobte — und er sah den gespenstischen, düsterenGlanz der Katarakte, denn in diesem trüben Gräberlicht der Verwesung und schimmligen Kupfergrünsflackerten seine kranken Fieberträume.
Er hielt den Atem an, streckte sich in dieHöhe, breitete seine Arme aus und sog gierig dasgespenstische Wunder ein.
Entsetzt sah er sich ringsherum.
Es geschah etwas Fürchterliches!
Er war allein, von der ganzen Welt losgeschnitten irgendwo in der Mitte eines Ozeans aufeiner Insel, die sich hoch über dem Meer aufeinem ungeheuren Basaltblock schwer niedersetzte.
Die ganze Insel war eigentlich nur ein aneinandergewachsener, steiler Fels von Basaltsäulen, ein in abertausend Ecken gebrochenesVieleck, dessen Seitenwände steil ins Meer flossen,gleich den hieratischen Falten auf den Gewändern byzantinischer Heiliger.
Rings um die Insel sah er das Meer in derFlut. Die Wellenberge keuchten atemlos hochauf, warfen sich empor in wilder, zähnefletschender Kraft und gossen sich über das Plateau derInsel. Zwischen ihr und den felsigen Riffen, diedie Insel umkränzten, raste das Meer, drängtesich mit höllischer Macht hinein, ergoss sich inungeheuerlichen Ansätzen und Rucksprüngen, diezum weißen Schaum zerschlagenen Wassermassenfielen von oben herab in glitzernde Schneewolken, und wurden wieder hochgeworfen, als hättesich ein unterirdischer Krater geöffnet, der dieseLava herausspie, diese spritzende, tollgewordeneGischt.
Und es war für ihn eine nieempfundene Lust,diesen ungeheuerlichen Kampf der aneinanderprallenden Wasserwogen anzusehen. Von beiden Seitenin dem Engpass zwischen der Insel und der langenFelsbank rings im Kranze umher stauten sich immer mächtige, in den Himmel wachsende Wassermassen — sie prallten in der Mitte wütend aneinander, wuchsen aneinander hoch, ohne sich zerschlagen zu können, umfassten sich wie ringendeFeuersäulen kochender Sonnen, warfen sichnieder, sprangen wieder jäh hoch, barsten wie Planetenringe, die sich von dem Mutterkern losreißen wollen — aber schon ergossen sich vonder einen und der anderen Seite neue Wasserorkane, die das Meer vom Grund loszureißenschienen.
An dem Horizont schwoll das Meer an inwahnsinniger Macht, sein Schoß wölbte sich inungeheuerlicher Schwangerschaft in den Himmelhöher, noch — noch, noch höher, der ganze Ozeanwölbte sich zu einer unermesslichen Kuppel überseinem eigenen Grund, hoch über der Insel schwebtedas entsetzliche Wassergewölbe, aber jäh brachdie Kraft, die den Ozean von seinem Grund hochhob. Die Wasserkuppel barst und mit dem Krachenund dem Donner einstürzender Welten fielen dieschweren Wasserwolken hinab, prallten vomBoden noch einmal hoch, wälzten sich mit einerSintflut über die Insel hinab — und es wurdeRuhe.
Aber nur auf einen Augenblick.
Plötzlich stand das Meer in Flammen.
Das war nicht mehr ein Meer, das warenWogen von geschmolzenem Metall, der kochendeStrudel flüssigen Gesteins.
Als wäre die ganze Erdoberfläche wiederflüssig geworden, und raste in vorsintflutigenStürmen, in grässlichen Konvulsionen, Zuckungenund Choreatänzen.
In das schwarze Himmelsgewölbe hinaufschossen unerhörte Fontänen von siedendem Metall,zu Tälern gossen sich Ströme von kochenden Erzen,besessene Gesteinsgolfe verkrampften sich miteinander, Wassersierren wüteten in Weltenbrändenund Feuer-Niagaren schienen sich umgewälzt zuhaben und schreiende Orkane von Flammen inden Himmelsabgrund zu speien.
Langsam erstarrte das kochende Meer. —Wo vor kurzem noch die Wassermassen sich inden Himmel türmten, sah er rings eine verlöschende Gebirgskette. In einem atmosphärenlosen Licht, das seine fressende Macht verlorenhat, sah er über dem Himmel mächtige Farenkräuter ihr vorsintflutliches Violett breiten, in denWolken verlorene, schwarze Stämme verkohlterPalmen und Zypressen starrten wie ein toterSäulenwald, mit stiller Lust blühten ungeheureLilienkelche auf, in das Blau der unermesslichen Neunfarenblätter fraßen die giftigrotenZungen von Orchideen und all das raste in dementfesselten Farbenorkan: Das Grün, das Violett,Ultrapurpur und überweißer Siedeglanz kämpftenmiteinander — durch das ächzende Geschrei desflüssigen Eisenrot wanden sich dunkle Fäden vonGebirgsbächen, wie man sie von der weitestenFerne sieht, auf den dunkelgrünen Teichen derNeunfarenblätter krochen messingfarbene Staudenin unglaublichen Spiralen von mythischen Schlingpflanzen und in das tiefe Schwarz der verkohltenWälder spritzte die abgeschnellte, blitzhelle Federdes verborgenen Giftes von Corarepflanzen, undauf dem dunklen See des Purpurs wiegten weißeSeerosen ihre traumschweren Häupter.
Er schloss die Augen, er konnte nicht diesrasende Tedeum des Farbenorgiasmus ertragen,aber der Eindruck ergoss sich ihm bis in dengeheimen Knotenpunkt, wo sich alle Sinne durchdringen, überströmte von neuem sein Gehirn, aberdiesmal mit einer grässlichen Symphonie von dröhnenden Blasinstrumenten, schmelzender Fagotte,heulender Bässe, kreischender Geigen in der Applikatur, Hörner, die wie apokalyptische Bestienheulten, Klarinetten, die wie Höllenhengstewieherten:
Entsetzt prallte er zurück und lief durcheine lange Pilasterallee bis in die äußerste Tiefeeines unermesslichen Saals und fiel erschöpftauf einen Teppich, in dem er endlos zu versinken schien.
Unermessliche Seligkeit umfing sein Herz.
Mit nie gekannter Lust atmete er Ruhe, Stilleund Gottgefühl.
In dem weichen, dämmrigen Halbdunkel einesLichtes, das die porphyrnen Säulen atmeten unddas von der dunklen Decke aus Zederbaumholzströmte und sich mit dem bläulichen Glanz desbasaltenen Estrichs innig ineinanderschmiegte,fühlte er plötzlich den Augenblick des heiligenWunders nahen...
Der Abend legte sich mählich um die Welt.Das Rot der Porphyrsäulen ergoss sich in demdunklen Glanz des Ebenholzes; die heiligen Küheder Kapitale wurden zu ungestalteten Ungeheuern,das Licht, das sich durch den engen Spalt derSäulenallee hineinzwang, erblasste, wurde still,zitterte und flackerte wie das Licht einer verlöschenden Fackel.
Und in dieser heiligen Stunde stand er aufund langsam, erhobenen Hauptes, als trüge erdie Mitra eines Welteroberers durchmaß er dieSäulenallee, blieb auf der granitnen Terrasse seinesAlcazars stehen, seine Seele hat sich vom Körperfreigelöst und breitete sich aus mit heiliger Gnadeüber der Stadt und dem Ozean.
Und in der toten Stille der Katakombenstadtwusste er endlich, dass er ganz allein auf derWelt sei, irgendwo auf einem millionenweiten,weit entfernten Stern: er vergaß, dass es nochjemanden außer ihm in dem ganzen Weltall gäbe.
Er war allein da, ganz allein!
Es dunkelte. Die Himmelswunder erloschen,und über die Erde breitete die Nacht den dunklen,schweren Trauerflor.
Seine Seele zitterte und flatterte umher wieein Vogel vor dem Gewitter in rastloser Unruhe,denn sie wusste, dass die Stunde nahe ist, dasich die Untiefen öffnen, da die Seele alle Geheimnisse durchdringt und in die Pracht ihrereigenen Nacktheit schaut.
Und es war als ob sich der Raum von allenSeiten verengte, nah und näher an ihn heranrückte, als ob die Linien und Konturen sich vonder Stadt loslösten, sich zu neuen Bildungen entformten — das Dunkel schien sich noch zu vertiefen, zu Körper und Gestalt zu werden, undplötzlich barsten die schweren Vorhänge der Nachtund es ward Licht, ein seltsames Licht: ein leuchtendes Atmen duftender Sommernächte, ein kalter,gleichmäßiger Abglanz verborgener Welten — esward ein Licht, das die Reflexe metallischer Spiegelbilden — ein inneres Licht — das Licht der Seeleund des Weltalls.
Und in diesem lichtlosen Leuchten sah er,wie sie ihm langsam entgegenschritt: Sie — Er— Sie!
Sie ging zu ihm wie ein Licht, das sich indunklen Nebelmassen verirrt — als ob sie sichin Mühe und schwerem Ringen mit ihrer Lichtgnade durch die schweren Nebellasten durchzwängte.
Sie ging wie das Stöhnen der Glocken meilenweit geht über glitzernde Schneegefilde an frostigen Winterabenden, und sie ging so leise wie dieDämmerung, die die Gebirgskoppen überrascht.
In die Schluchten und zerrissenen Riffe drängen sich scharfe, lange Schattenkeile hinein, undschmelzen ein das lichte, sehnsüchtige Violett zubleigrauem Blau — mit langen, spitzen Zungenbeißen sie sich in das Weiß des ewigen Schnees,und langsam düstern nach die kristallnen Funken,ins Dunkel hüllen sich die Spitzen und die Plateaus ein: still, ernst und feierlich gießt sichdas Schattenmeer hinab.
Und sie ging wie das weiße Leuchten derSilberpappeln in dem Karfreitagzauber, furchtbarund verzweifelt. Irgendwo auf den schmerzerstarrten Feldern pflanzte sich auf das Windsegelund ächzt und heult und stöhnt, und zum Taktschlugen aneinander die metallisch glänzenden,weißen Blätter.
Er wich zurück.
Und durch den Säulenwald ging näher undnäher an ihn heran das silberne Leuchten, derstille Lichtschein, der die Vorhänge der Nebeldurchriss — eine Wellenbrandung des Stöhnensschwingender Glocken, die düstere Dämmerungssehnsucht, die von den Anhöhen in das Tal strömte.
Immer tiefer wich er in die weiten Gründeseines Alcazars, fiel auf sein Gesicht und stammelte:
— Bist du endlich gekommen? Meine Seeleblutet und ihre Flügel sind zerfetzt — über Bergeund Meere bin ich hergekommen — mich tötetder gespenstische Schrecken dieser Stadt, aberhier harrte ich deiner, denn mein Herz sagte mir,hier werde ich dich finden...
Totenblasse Stille rings um ihn... Ererschrak, dass er vielleicht nicht zu ihr spräche...
Er kreuzte seine Arme und flehte in inbrünstigem Flüstern:
Wer bist du?
Und durch seine Seele ging eine Stimme wiedas Aufleuchten eines schmerzlichen Lächelns,wie eine blasse Lichtwelle, wie ein verrauchender Atem eines in sich kauernden, andächtigenSchweigens:
— Ich bin die geheimste Tiefe deiner Seele— ich bin die Linie alles dessen, was du durchlebt hast, bin der Ton und die Farbe deinerTräume und das Ziel deines Verlangens; ich bindas Blut, das immer von neuem deine Brunstsättigt, durch mich und in mir bist du empfangen— durch mich und in mir wird sich dein Seinvollbringen...
Und durch den ungeheuren Saal hallte eswider wie von dem Schluchzen des herbstlichenRegens, es glänzte wie eine ungeweinte Träne ineinem schmerzverglasten Auge und um das Gewölbe strömte die tiefe Klage:
— Denkst du noch an die Nacht, da ichdein Gesicht in meinen Händen hielt, da ich dichmit meinen heißen Armen umfing, mein Hauptauf deiner Brust ruhte und meine heißen Fingerin deinem Haar wühlten?
Er zuckte auf vor Schmerz. Diese Stimme,voll von Angst und überirdischer Sehnsucht, vollvon bebenden Erinnerungen wuchs ihm in seineKehle hinein, staute das Blut in seinen Adern —er wand sich vor etwas Unsichtbarem im Staubund flehte:
— Oh, komm — komm! So lange hab ichauf dich gewartet hier in dieser grässlichen Katakombenstadt, denn so hat mich meine Seele betört, dass ich dich hier wiederfinden und dichhaben werde, so oft ich es will.
Wie dich fassen?! Sieh, ich suche, ich spähenach dir, ich breite meine Arme aus — oh, komm,oh, komm!
Und es war, als hätte jemand seine Knieumfasst, fiele ihm um den Hals, schmiegte sichan seine Brust in nie enden wollender Lust unddem Schmerz ohnmächtiger Verzückung.
Lässiges Schweigen goss sich um das Zedergetäfel der Decke und das grüne Syenit hinter den porphyrnen Säulen...
Und er fühlte, fühlte ihre klein-kleine, weicheHand, sah sie in sich, wie sie sich über ihn beugteund ihm zuflüsterte:
— So lange irrte ich herum, suchte undwartete, ob deine Hand mich nicht aus demNichts herausreißen, mich formen, gestaltenwerde und mich zum Körper werden lasse...
Hörst du mich, o du Geliebter mein, fühlstdu mich?
Ich bin von dir weggegangen, denn, wenndu mich ansahst, in deine eigene Seele starrtest— denn ich bin der Körper deiner Gedanken,ich bin die Form und die Gestalt deiner Sehnsucht, der Ausdruck deines Fühlens und die Bewegung deines Willens... ich ging weg vondir, denn ich war dein Verderben und deinTod...
Ich habe dich verlassen, aber heute flehe ichdich an, bitte ich dich und schreie: streck hineindeine Hand in den Abgrund meines Nichts: magsie die Millionen von verwehten, zerrissenen, inalle Winde ausgestreuten Tönen zu einem Akkordmeines Leibes fügen, Millionen von Farbenfleckenzu einer Sonne gießen, die meinen Körper durchwärmen wird...
O du mein Heiliger. Du mein Gott! Solange irrte ich und suchte und schrie nach dir,aber die Sturmorkane haben mein Flehen undmein Stöhnen und meine Verzweiflung verweht —und du hast mich nicht gehört...
Jetzt zittere ich nicht mehr, dass du zugrunde gehst — ich weiß, dass du, wenn duin mich — in deine eigene Seele — schaust, zugrunde gehen musst, aber du willst doch nichtohne mich leben — reiß mich heraus aus meinem Nichts oder komm zu mir — komm — oh!komm!
Die Sehnsucht hat meine Seele irr und trübegemacht, Schmerzensstürme haben mein goldenesHaar zerrauft, oh, fass die goldenen Strähnen,winde sie um deinen Arm, reiß mich heraus ausdiesem Abgrund: ein Paradies ist er mit dir zusammen, eine Hölle ohne dich!
Hörst du mich? Fühlst du mich?
Und ein furchtbarer unermesslicher Schmerzder Sehnsucht zuckte in wildem Krampf durchden Saal:
— O du mein Lichtgeborener — ich habedich gerufen, ich habe mich gewälzt im Schreiund verzweifelten Gebet nach dir, aber meineStimme verhallte und brachte das Erz deinesHerzens nicht zum Schwingen — ich umfasstedich in zitternden Flutwellen des Lichts, meineLippen haben nach den deinen gelechzt, für dichöffnete sich die mystische Rose meines Leibes,aber dein Herz schwieg — ich kroch in deineTräume hinein, ich badete in ihrer Glut meinenlustheischenden Schoß — aber, als du aufwachtest, war der fiberirdische Zauber meiner Reizevon dir gewichen...
Und immer mächtiger schwollen die Sehnsuchtund das Verlangen ihrer Stimme an:
— Fass mich mit deinen Händen um dieHüften, so, ach, so! Reiß mich an dich mitdeinen starken Armen, wirf mich hoch auf deineBrust, dass sich mein Haar zur wilden Mähnesträubt in der sengenden Glut deines Geschlechtswillens!
Sieh, sieh!
Ein banges, ein süßes Erschauern...
Ich werde Körper!
Fühlst du das Pochen meiner Adern? Sengtdich die Glut meines Verlangens?
Schrei auf, schrei himmelhoch auf, lass deinen Willen, das ganze Sein erschauern, dass ichwerde!
Er schnellte auf, wuchs hoch, in ihm rasteein Willensorkan und dreimal wiederholte sichein furchtbarer Schrei:
Werde! Werde! Werde!
Vergebens...
Ihre Stimme hörte er wieder wie einen letzten, verhauchenden Ton von Engelchören:
— Vergebens: Komm mit mir! Diese Liebeist nicht von dieser Welt — komm, folge mirdorthin: dort, ja dort werden wir eins sein, nichthier, nicht hier...
Seine Seele vereinigte sich mit dem Körper.
Tief, ganz tief in dem dunklen Tal erloschdie Stadt, die letzten Widerklänge stieben auseinander, nur die Erinnerung an die große, andie heilige Nacht breitete ihre Flügel über derStadt.
Er konnte nicht mehr unterscheiden, wasTraum, was Wirklichkeit war — wie ein weitfernes Echo, das irgendwo über den Erdenrandhinaufzukommen schien, hörte er das Tosen derWasserfälle, sah die ragenden goldenen Turmspitzen der Alcazare.
Er schloss die Augen:
Etwas wie der leise Flügelschlag einerMöwe:
Komm! Oh, komm!
Ein Leuchten wie von einem flüsternden,tonlosen Blitz:
Komm! Oh, komm!
Etwas umfing sein Herz mit zarten, feinenHänden, streichelte und küsste es:
Komm, oh, komm!
Aus seiner Seele riss sich ein schluchzender,sehnender Schrei:
Ich gehe schon, ich gehe!
Und dort in der Tiefe die dunklen Kastanienalleen. Er glaubte zwischen den schwarzenBäumen ihre lichthelle Gestalt zu sehen.
Und dort in der Tiefe dämmrige, feuchteKirchen in denen die Sarkophage von Fürstenund Königen brüteten. Noch fühlte er das Zitternihres Herzens, ihren heißen Atem, den Pulsschlagihrer Adern, der ihr Gesicht rot überströmte,als er sie einmal in den dunklen Kreuzgängengetroffen hatte.
Ach in der Tiefe — dort in der Stadt desWunders hat er sie in seinen Armen wie einKind hin und her gewiegt, sie wieder jäh aufseine Brust geworfen, und wieder behutsam gebettet, und rings ergoss sich die goldene Flutihrer leuchtenden Haare.
Übers Kreuz warf er sich auf den Boden undlag so lange, bis der Schmerz in ihm brach, undin seinem Herzen es still wurde mit einer Stille,die vor der Schöpfung war.
Ruhe, oh, Ruhe!
Die Meere waren gestorben, der Pulsschlagder Erde hörte auf, in den Himmel ragten verkohlte Wipfel erstorbener Palmenbäume und mächtiger Stämme von Faren, über dem unermesslichen öden Totengefilde der Eismeere lag verstreut die furchtbare Saat von Knochen vorsintflutiger Tiere...
Stille, taube Stille!
Mit erloschenen Strahlen verband sich derMond mit der Erde, und es gab keine Hand, diediesen toten Saiten einen Klang entreißen konnte— mit breitem Schoß öffnete sich die Erde, aberes gab kein Licht, das sie befruchten konnte —in der atmosphärenlosen Unendlichkeit hängenreglos entsetzliche Sterne wie kalte Globen ausMessing, und die Sonne, kohlenschwarz, verrecktaufgefressen von ihrem eigenen Feuer.
Und in dieser grässlichen Stille erhobsich von neuem die Sehnsucht in ihm, eine unsagbare Sehnsucht nach der, die er einst besessen, wieder verloren, die er aus der Mutterscholle seiner Seele wieder zum Leben auferwecken, Blut seines Herzens in sie ergießenund seinen Willen ihr als Rückenmark gebensollte...
Aus seiner eigenen Adamsrippe sollte er sieschaffen, aber er vermochte es nicht.
Mit ganzer Kraft sehnte er sich nach der,die er hienieden nicht mehr schauen durfte. DieNacht des Wunders, die er mit ihr durchkostet,breitete sich zu einer Ewigkeit — eine Ewigkeitlebte er mit ihr zusammen, eine Ewigkeit unendlichen Glücks.
Und er sprach zu ihr:
O ihr meine Augen —
so oft ergoss sich meine Seele in eure dunklen Untiefen, einem Sterne gleich, der in dieAbgründe der Ozeane sich herabstürzt —
noch einmal saugt auf meinen Gram undmeinen Schmerz — mag er in eurem Schlundversinken wie ein Lichtstrom unsichtbarer Sternein den raumlosen Weiten der Unendlichkeit, —
o ihr meine Augen!
o du mein kostbarer Mund,
so oft irrte seine stumme Trauer auf meiner Brust, biss sich seine Verzweiflung in meinFleisch, sein Zauber sättigte meine Seele mitdem süßen Gift unsäglichen Verlangens — sooft öffnete er sich zum keuchenden Liebesgeflüster, zu unzüchtigen Schreien, zu wildenLästerungen, —
einmal noch öffne sich der wundersame Kelch,einmal mag er noch seinen gespenstischen Zauberin mich ergießen,
o du mein kostbarer Mund!
o du mein geliebtes Haupt,
so oft hab ich dich an meinem Herzen geborgen, so oft sankst du an meine Schultern inmeiner wilden Umarmung, warfst dich zurück,versengt von der Glut meines Verlangens, fielstohnmächtig in zuckenden Liebesschauern auf dieKissen —
einmal noch verbirg dich an meinem Schoß,gieß über mich die Sternenflut deiner Haare
o du mein geliebtes Haupt, oh du goldenerStrom deines Reichtums!
In dem Tal zu seinen Füßen brütete dieschwarze Nacht — nur ein winziges Lichtflackerte wie der letzte Funken einer verlöschenden Fackel.
Er verzweifelte nicht mehr. Denn er wusste,dass er zu ihr gehe, mit ihr eins werde in demEwigkeitsschoß, aus dem er und sie entstandensind.
Keine Verzweiflung mehr, nur eine kranke,sinnlose Sehnsucht nach diesen Augen, die ihreSterne in die Abgründe seiner Seele mit solcherLiebe im Schmerz eintauchten und nach denHänden, die ihre Tausende von verhängnisvollen,schicksalsschweren Linien in sein Gesicht graben,nach dem traurigen Lächeln, das mit bratenderSchwere sich um die Lippen legte...
Es geschehe!
Er und sie sollten zum Urschoß zurückkehren, um zu einer heiligen Sonne zu werden.
Eins und unteilbar sollten sie werden,
und alle Geheimnisse nackt und gelöst mitihren Augen schauen
und in gottewiger Klarheit alle Ursachenund Ziele durchdringen und sie leiten
und alle Erden und jegliches Sein beherrschen
in dem Gottgefühl: Er-Sie!
Androgyne!
Es umfloss ihn der Glanz ihrer feinen, weißenHände, ihn durchströmte der Duft ihres Körpersund in seiner Seele jauchzte das verlangende,lockende Geflüster:
Komm Geliebter, komm!
Und er ging mit einem gewaltigen Todestriumph in seinem Herzen, dort wo im Mondesglanz der siebenarmige See schimmerte — ging still und groß und wiederholte nur mit unendlicher Liebe:
Ich gehe, ich komme!